L 3 RA 43/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 An 73/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 43/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 63/01 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.10.1997 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin bereits für die Zeit ab 01.06.1995 - und nicht erst ab 01.12.1996 - eine höhere Altersrente zusteht.

Die am ...1930 geborene Klägerin bezog seit 01.06.1990 eine Altersrente für Frauen, die nach dem damals geltenden Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) auf der Grundlage von Werteinheiten berechnet worden war (vgl. Bescheid vom 27.03.1990). Die Rente wurde in den Folgejahren jeweils zum 01. Juli angepasst; mit der Anpassung zum 01.07.1992 wurde die Rente nach § 307 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) umgewertet. Ebenfalls für die Zeit ab 01.01.1992 erhöhte die Beklagte die Rente der Klägerin gemäß Art. 82 Rentenreformgesetz (RRG) 1992 um einen Zuschlag i.H.v. 2,7706 Entgeltpunkten. Am 06.12.1996 beantragte die Klägerin die Bewilligung einer Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Gleichzeitig begehrte sie die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für ihre beiden 1953 und 1959 geborenen Kinder bei der Rentenberechnung. Mit Bescheid vom 30.12.1996 bewilligte die Beklagte die begehrte Rente ab 01.12.1996, wobei die Regelaltersrente den Betrag des bisher gezahlten Altersruhegeldes um monatlich 132,47 DM überstieg. Die Beklagte teilte mit, die Anspruchsvoraussetzungen seien seit Mai 1995 erfüllt, die Rente werde jedoch gemäß § 99 SGB VI erst vom Antragsmonat an geleistet. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie begehrte die Regelaltersrente "ab dem 65. Lebensjahr" und meinte, die Beklagte habe sie rechtzeitig auffordern müssen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.1997 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Aufklärungs- und Beratungspflicht der Rentenversicherungsträger verpflichte nicht zum Hinweis auf alle rechtlich nicht verbotenen Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Klägerin hat mit ihrer am 09.06.1997 bei dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobenen Klage weiter vorgetragen, die Beklagte habe ihre Aufklärungspflicht verletzt. Bei einem zeitnahen Hinweis hätte sie rechtzeitig den Antrag auf Regelaltersrente gestellt. Die Rente ihres knappschaftlich versicherten Ehemannes sei automatisch umgestellt worden.

Mit Urteil vom 07.10.1997 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin bereits ab 01.06.1995 eine Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zu zahlen. Es hat ausgeführt, die Klägerin müsse im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als hätte sie die Regelaltersrente fristgerecht beantragt. Die Beklagte habe ihre Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI verletzt, nach deren Inhalt sie verpflichtet gewesen sei, die Klägerin auf den Anspruchsverlust aufmerksam zu machen, der bei Überschreiten der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI eintrete.

Bei der Regelaltersrente verfüge die Beklagte in der Regel über alle Daten, die erforderlich seien, um das Vorliegen der Rentenanspruchsvoraussetzungen festzustellen. Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung könne auch davon ausgegangen werden, dass eine Versicherte die Regelaltersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen wolle.

Gegen diese am 15.10.1997 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten vom 04.11.1997. Sie nimmt gleichfalls auf das vom SG erwähnte Urteil des 13. Senats des BSG vom 22.10.1996 (13 RJ 23/98) Bezug und hält dieser Rechtsprechung entgegen, die "Blankettformulierung" des "geeigneten Falls" in § 115 Abs. 6 SGB VI sei gerichtlich nicht überprüfbar. Versicherte könnten deshalb aus dieser Vorschrift keinerlei Rechte herleiten. Unabhängig hiervon sei eine Rentenwerterhöhung ab Vollendung des 65. Lebensjahres im Anschluss an eine vorher bezogene Altersrente kein "geeigneter Fall" im Sinne des § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI. Der Rechtsprechung des 4. Senat des Bundessozialgerichts zu einem einheitlichen Versicherungsfall des Alters (Urteil vom 02.08.2000 - B 4 RA 40/99) könne sie nicht folgen. Nach der Konzeption des SGB VI könne im Anschluss an eine bereits bindend zuerkannte Altersrente durchaus eine neue, weitere Altersrente bewilligt werden. Andernfalls hätte es ausdrücklicher Regelungen dafür bedurft, dass - abweichend vom Grundsatz des § 306 SGB VI - bestimmte potenziell rentenwerterhöhende Neuregelungen in der (bereits zuerkannten) Altersrente Berücksichtigung finden könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.10.1997 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für richtig.

Der Senat hat die Beklagte mit Schreiben vom 19.01.1998 und 16.07.1998 u.a. dazu befragt, aus welchen Gründen sich der Zahlbetrag der Rente aus Anlass der Bewilligung der Regelaltersrente erhöht, wie hoch die Zahl vergleichbarer Fälle ist, und ob es möglich ist, mittels EDV den begünstigten Personenkreis zu ermitteln. Auf die erläuternden Schriftsätze der Beklagten vom 07.04.1998 und 17.08.1998 wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Bewilligung der höheren Altersrente bereits ab Juni 1995 verurteilt.

Zwar ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass ein früherer Rentenbeginn als 01.12.1996 in Anwendung der Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ausscheidet, weil der Antrag (Dezember 1996) erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden ist, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren (Juni 1995) (1). Die Klägerin ist jedoch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie den Antrag rechtzeitig gestellt (2).

(1) Die Anwendung der hier zu einer Erhöhung der Rente führenden Berechnungsvorschriften des SGB VI mit einer neuen Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte war erst mit der Bewilligung der Regelaltersrente als eigenständiger weiterer Altersrentenart möglich. Die Beklagte ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass sie eine weitere Rente wegen Alters bewilligen konnte und insbesondere ein "einheitlicher Versicherungsfall des Alters" nicht vorliegt.

Nach Auffassung des Senats geht das SGB VI von mehreren eigenständigen Altersrentenarten und nicht von einem einheitlichen Versicherungsfall des Alters aus. Diese Konzeption des SGB VI wird schon in dem Zusammenwirken der Übergangsvorschriften des § 300 SGB VI mit der Regelung des § 88 SGB VI deutlich. Nach der Grundregel des § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI, die von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen am 01.01.1992 in Kraft getreten sind (Art. 85 Abs. 1 RRG 1992, BGBl. I 1989, 2261), "auch" auf Sachverhalte und Ansprüche anzuwenden, die bereits vorher vorgelegen haben. Für bereits bewilligte Renten bestimmt § 300 Abs. 3 SGB VI, dass neues Recht auch dann Anwendung findet, wenn nach dem maßgebenden Zeitpunkt eine bereits geleistete Rente neu festzustellen ist und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. Unter Berücksichtigung der Regelung des § 88 Abs. 1 SGB VI, nach der einer späteren Rente eines Versicherten, der eine Rente wegen Alters bezogen hat, mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, sind die Renten wegen Alters eigenständige Renten im Sinne der besitzgeschützten "bisherigen Rente" und der neu festzustellenden "späteren Rente" (vgl. hierzu und zum Folgenden Urteil des Senats vom 27.08.2001 - L 3 RA 31/00 -, Urteile des 2. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 05.04.2001 - L 2 KN 47/98 - und vom 09.08.2001 - L 2 KN 69/98 -; Schulin in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, 1999, § 38 Rdnr. 305). Diese Regelung schafft Raum, beim Wechsel von der einen in die andere Altersrente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde zu legen, wobei nach Bewilligung einer Altersrente auch die Bewilligung einer weiteren Altersrente möglich ist (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand März 2001, § 88 SGB VI Rdnr. 3). Entsprechend geht § 89 Abs. 1 SGB VI in Satz 2 von sechs Arten der Altersrente aus. Diese werden als "mehrere Renten aus eigener Versicherung" bezeichnet. Es wird eine Rangfolge auch zwischen den verschiedenen Altersrentenarten für den Fall aufgestellt, dass diese in gleicher Höhe zu zahlen sind (in diesem Sinn wohl auch BSG, Urt. v. 29.07.1997, 4 RA 41/96, SozR 3-2600 § 307 a Nr. 8).

Soweit nun der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 02.08.2000 (B 4 RA 40/99 R) die einer Neufeststellung der persönlichen Entgeltpunkte aus Anlass der Bewilligung einer Regelaltersrente als weitere Rentenart entgegenstehende Auffassung vertreten hat, es treffe nicht zu, dass das SGB VI verschiedene Arten von "Renten wegen Alters" eingeführt habe, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Neben dem Wortlaut des § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB VI spricht auch die Gesetzesbegründung dafür, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Versicherten die verschiedenen Renten wegen Alters gesondert beantragen können, wenn es dort heißt: "Die in Abs. 1 Satz 2 SGB VI bezeichnete Rangfolge kommt nur zum Tragen, wenn es sich um gleich hohe Renten handelt und von Berechtigten der Rentenantrag nicht auf eine bestimmte Rentenart beschränkt wird" (BTDrs. 11/4124, S. 174). Es entbehrt der Rechtssystematik, § 89 Abs. 1 SGB VI auf Fälle zu reduzieren, in denen ein Recht auf eine "Beitrittsgebietsrente" wegen Alters mit einer Altersrente aus der originären bundesrechtlichen Rentenversicherung zusammentrifft (vgl. Urteile des 2. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen aaO unter Bezugnahme auf BSG SozR 3-2600 § 307a SGB VI Nr. 8).

In Übereinstimmung mit der Regelung des § 89 Abs. 1 SGB VI geht § 33 Abs. 2 SGB VI von sechs verschiedenen Arten der Altersrente aus (vgl. auch BTDrs. a.a.O., S 161), die entsprechend der wortgleichen Formulierung in § 33 Abs. 3 und 4 SGB VI als eigenständige Renten unter dem Oberbegriff der "Renten wegen Alters" aufgeführt werden (vgl. Verbandskommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Stand Juni 2001, Anm. 2 zu § 33, wonach durch § 33 SGB VI nicht nur die Übersichtlichkeit erhöht, sondern erstmals die Selbständigkeit der einzelnen Altersrenten betont wird). Auch aus den Berechnungsvorschriften des SGB VI ergibt sich, dass der gesetzlichen Konzeption ein System verschiedener Altersrenten immanent ist. So sieht § 77 SGB VI unterschiedliche Zugangsfaktoren für vorzeitig in Anspruch genommene Renten wegen Alters vor und geht entsprechend § 88 Abs. 1 SGB VI nach seinem Wortlaut davon aus, dass einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente eine weitere Rente wegen Alters mit Vollendung des 65. Lebensjahres folgen kann.

Ist demnach die Bewilligung der Regelaltesrente als weitere Altersrente möglich, findet § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Anwendung. Nach dieser Vorschrift wird eine Rente, wenn sie nicht bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt ist, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. Während der Antrag bei Rechten auf Regelaltesrente nach der Vorgängervorschrift des § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG ausschließlich die "verfahrensrechtliche" Bedeutung einer Feststellbarkeits- und Erfüllbarkeitsbedingung hatte, hat § 99 Abs. 1 SGB VI den materiell-rechtlichen Antragseinwand damit auch auf Rentenansprüche aus dem Recht auf Regelaltersrente ausgedehnt (BSG, Urteil vom 02.08.2000, B 4 RA 54/99 R). Da das Recht der Klägerin auf Regelaltersrente erst mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres im Mai 1995 und damit nach dem 01.01.1992 entstanden ist, findet diese Vorschrift in gleicher Weise auf sie Anwendung, als wenn nach dem Inkrafttreten des SGB VI erstmals über einen Rentenanspruch der Klägerin auf eine Altersrentenart zu entscheiden gewesen wäre. Bei einer hier erst im Dezember 1996 erfolgten Rentenantragstellung konnte die Regelaltersrente erst ab Beginn desselben Monats bewilligt werden.

Bis zum Wirksamwerden des die Regelaltersrente bewilligenden Bescheides vom 30.12.1996 musste es bei der bisherigen, mit dem Bescheid vom 27.03.1990 bindend bewilligten Rentenhöhe mit den benannten Anpassungen verbleiben. Dies ergibt sich aus dem Zusammenwirken von § 300 SGB VI und § 306 SGB VI. Im Ergebnis schieben diese Vorschriften den Beginn der materiell-rechtlichen Wirksamkeit von Rechtsänderungen für die Gruppe der Bestandsrentner, zu denen die Klägerin zählt, bis zur Neufeststellung der bindend bewilligten Rente aus anderen Gründen als der durch die Vorschriften des SGB VI bewirkten Rechtsänderungen hinaus. Als wichtige Ausnahmeregelung zu den Übergangsvorschriften in § 300 SGB VI bestimmt § 306 Abs. 1 SGB VI: "Bestand Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt der Änderung rentenrechtlicher Vorschriften, werden aus Anlass der Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt."

Diese Vorschrift, für die Gründe der Verwaltungspraktikabilität genannt wurden (BTDrs. 11/4124 S. 207 zu § 297), ist auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Allein die Besserstellung durch neues Recht sollte keine Überprüfung und Neubestimmung der einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte ermöglichen (BSG, Urteil vom 01.12.1999, B 5 RJ 20/98 R, SozR 3-2600 § 300 Nr. 15 mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG; KassKomm-Niesel § 306 SGB VI Rdnr. 3). Nach der gesetzgeberischen Konzeption stellt die Änderung von Rechtsvorschriften als solche grundsätzlich keine "wesentliche" Änderung, d.h. rechtserhebliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), dar (BSG, Urteil vom 23.05.1995, B 13/4 RA 35/95, SozR 3-2600 § 306 Nr. 1; BSG, Urteil vom 18.07.1996, B 4 RA 108/94, SozR 3-2600 § 300 SGB VI Nr. 7). Entgegen der vom 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 02.08.2000 (B 4 RA 40/99) vertretenen Auffassung hat § 306 SGB VI damit nicht (nur) den Regelungsgehalt, gesetzesunmittelbare Rentenerhöhungen den Berechtigten abweichend von § 48 Abs. 1 SGB X grundsätzlich nicht von Amts wegen aufzudrängen. Die Vorschrift ist vielmehr auch bei Anträgen von Bestandsrentnern anwendbar und fordert das Vorliegen von anderen, sich aus den gesetzlichen Vorschriften des SGB VI ergebenden Neufeststellungsgründen.

Solche Gründe liegen hier nicht vor. Insbesondere existiert keine gesetzliche Vorschrift, nach der bei Bestandsrentnern aus Anlass des 65. Lebensjahres eine Neufeststellung der persönlichen Entgeltpunkte nach dem SGB VI erfolgen soll (anders offenbar BSG, Urteil vom 02.08.2000, B 4 RA 40/99 R: Vollendung des 65. Lebensjahres als "Neubewertungsfall"). Dies bestätigt die Ausnahmevorschrift des § 302 Abs. 1 SGB VI, nach deren Wortlaut den vor dem 02.12.1996 geborenen Versicherten mit Anspruch auf eine Rente aus eigener Versicherung die Rente ohne eine Neuberechnung vom 01.01.1992 an ausschließlich als Regelaltersrente zu leisten war. Umgekehrt sollten die bei Inkrafttreten des SGB VI noch nicht 65jährigen die Vorteile der abgestuften Rentenfälle nach dem neuen Recht (auf Antrag) in Anspruch nehmen können (BSG, Urteil vom 09.12.1997 - 8 RKn 1/97 -). Die Beklagte hat insofern zu Recht darauf hingewiesen, dass die Auffassung, es gebe nur eine Art der Altersrente im SGB VI bei konsequenter Anwendung des in § 306 Abs. 1 SGB VI niedergelegten Grundsatzes zu dem Ergebnis führen würde, dass es für Bestandsrentner bei der Rentenhöhe vor Inkrafttreten des SGB VI verbleibt.

Die Klägerin kann ihr Begehren auf Zahlung einer höheren Altersrente bereits ab Vollendung des 65. Lebensjahres auch nicht auf § 100 Abs. 1 SGB VI stützen. Nach dieser Vorschrift wird die Rente in neuer Höhe von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Änderung wirksam wird, wenn sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrem Beginn ändern. Zwar sieht die Vorschrift - anders als die Vorgängervorschrift des § 67 Abs. 3 Satz 1 AVG - nicht mehr vor, dass Rentenerhöhungen nur vom Beginn des Antragsmonats an verlangt werden können. § 100 Abs. 1 SGB VI erfasst jedoch keinen von der einschlägigen Übergangsvorschrift des § 306 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 300 Abs. 3 SGB VI abweichenden Beginn einer höheren Rente aus Anlass von Rechtsänderungen. Nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung soll sie lediglich in Abgrenzung zu der in diesem Zusammenhang anwendbaren Vorschrift des § 48 SGB X regeln, dass als Zeitpunkt des Beginns der geänderten Rente jeweils nur der Monatsbeginn in Frage kommt, auch wenn die maßgebliche Änderung der Verhältnisse im Laufe des Monats eintritt (BTDrs. 11/4124, S. 176).

Insgesamt kommt für die Klägerin danach eine höhere Rentenleistung im Rahmen der Regelaltersrente grundsätzlich erst vom Antragsmonat an in Betracht, da sie nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats Mai 1995, sondern erst im Dezember 1996 einen Antrag auf diese Rentenart gestellt hat (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

(2) Die Klägerin ist jedoch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Verbindung mit § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI so zu stellen, als hätte sie den Antrag auf Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, deren übrige Voraussetzungen im Juni 1995 vorlagen (§§ 35, 50 SGB VI), rechtzeitig gestellt. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen.

In Erweiterung und Ergänzung zur spontanen Hinweispflicht bei einem konkreten Anlass nach § 14 SGB I - ein solcher ist hier nicht zu erkennen - besteht nach § 115 Abs. 6 SGB VI eine Beratungspflicht auch ohne konkreten Anlass bei typischen Sachverhalten gegenüber einer (z.B. mit Mitteln der EDV) abgrenzbaren Gruppe von Versicherten, sobald es dem Versicherungsträger ohne Probeberechnung im Einzelfall möglich ist, zu erkennen, dass ihre Angehörigen den Rentenantrag aus Unwissenheit nicht stellen, die Antragstellung in der Regel jedoch zu höheren Leistungen führt (BSG, Urteil vom 09.12.1997, 8 RKn 1/97, BSGE 81, 251). Dabei kann ein geeigneter Fall auch angenommen werden, wenn eine abgrenzbare Gruppe von Versicherten bereits eine Rente bezieht und der Wechsel von der einen zur anderen Art der Rente in der Regel zu höheren Leistungen führt, wobei Verwaltungsverfahren um ihrer selbst willen nicht initiiert werden müssen (BSG, Urteil vom 09.12.1997 a.a.O. und vom 22.10.1998, B 5 RJ 62/97 R - SozR 3-2600 § 115 Nr. 4). Da § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI anspruchsgewährenden Charakter hat (Urteil des Senats vom 10.09.1999 - L 3 RA 45/98 -), ist eine Verletzung der sich hieraus ergebenden Hinweispflicht grundsätzlich geeignet, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen. Das damalige Fehlen der erst am 01.07.1998 in Kraft getretenen Richtlinien nach § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI ist dabei unschädlich. Bei dem Tatbestandsmerkmal "in geeigneten Fällen" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Wege der Auslegung bestimmbar ist (BSG, Urteil vom 22.10.1996 - 13 RJ 23/95 - BSGE 79, 168; BSG, Urteil vom 09.12.1997 aaO; BSG, Urteil vom 22.10.1998 aaO; BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 13 RJ 73/98 R - SozR 3-2600 § 115 Nr. 4). Da der Gesetzgeber die Regelung des § 115 Abs. 6 SGB VI als Korrektiv zu der Vorschrift des § 99 SGB VI einführte, kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht davon ausgegangen werden, dass es dessen Willen entspricht, die Konstituierung der Hinweispflicht der Rentenversicherungsträger selbst aus der Hand zu geben und vom Tätigwerden der Selbst verwaltung abhängig zu machen (BSG, Urteil vom 22.10.1996 aaO). Den Gesetzesmaterialien ist kein Grund zu entnehmen, der den Gesetzgeber - abweichend von den sonstigen Regelungen des SGB VI - dazu bewogen haben könnte, gerade in dieser Vorschrift den Rentenversicherungsträgern einen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum einzuräumen. Ein solcher ist auch nicht erkennbar. Bei der Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs hat der Senat daher in seinem Urteil vom 10.09.1999 (aaO) in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.10.1998 - B 5 RJ 62/97 R -) u.a. darauf abgestellt, dass die dortige Klägerin zu dem Personenkreis gehörte, der nach dem in den Materialien zur Rentenreform niedergelegten Absichten des Gesetzgebers durch die Zielsetzung der entsprechenden Regelungen des SGB VI im Verhältnis zu der nach dem AVG bestehenden Rechtslage habe besser gestellt werden sollen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lag bei der Klägerin im hier in Betracht kommenden Antragszeitraum nach § 99 Abs. 1 SGB VI ein geeigneter Fall und damit eine Hinweispflicht der Beklagten nach § 115 Abs. 6 SGB VI vor. Nach den bei der Beklagten bereits gespeicherten und für die Berechnung der zuvor bezogenen Rente bereits aufgearbeiteten Daten ihres Versicherungsverlaufs gehört die Klägerin zu einem abgrenzbaren und mittels EDV zu bestimmenden Personenkreis, bei dem sich in einer nennenswerten Anzahl von Fällen, wenn nicht gerade typischerweise, bei Beantragung der nach dem SGB VI zu berechnenden Regelaltersrente eine Besserstellung gegenüber der nach dem AVG berechneten Rente ergibt. Wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz im Einzelnen dargelegt hat, folgt die Besserstellung der Klägerin nach dem Recht des SGB VI gegenüber den Rentenberechnungen nach dem AVG aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren, in erster Linie aus der Anwendung des § 262 SGB VI (Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt), aber auch der veränderten Bewertung der beitragsfreien Zeiten der Klägerin (44 Monate Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit, 2 Monate pauschale Anrechnungszeit) im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung. Die erweiterte Berücksichtigung und mittelbare Neubewertung der Kindererziehungszeiten der Klägerin sowie die Einbeziehung der Berücksichtigungszeiten wegen ihrer Kindererziehung (Zeitraum vom 01.02.1953 bis 31.07.1969) beeinflussten die genannten Faktoren und führten zu einer höheren Altersrente. Bei der Klägerin, auf die Art. 2 § 54b AnVNG keine Anwendung fand, konnten die ab 01.01.1992 eingeführten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung dazu beitragen, dass sie mindestens 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorweisen konnte. Damit erfüllte sie die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 262 Abs. 1 SGB VI mit der Folge einer Anhebung der bis zum 31.12.1991 vorhandenen vollwertigen Pflichtbeiträge. Außerdem wirkten sich die Entgeltpunkte für Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 71 Abs. 3 SGB VI) bei der Gesamtleistungsbewertung rentensteigernd aus.

Die Klägerin gehörte damit zu der abgrenzbaren und schon vor Inkrafttreten des SGB VI, erst recht dann bei Vollendung ihres 65. Lebensjahres für die Beklagte erkennbar begünstigten Zielgruppe von Frauen mit Kindererziehungszeiten (vgl. hierzu und zum Folgenden: Urteil des Senats vom 10.09.1999 aaO). Der Gesetzgeber ging dabei davon aus, dass die durch die Kindererziehung und Pflege verursachten Lücken die Gesamtleistungsbewertung nicht absenken und diese sogar erhöhen könnten (BTDrs. 11/4452, S. 39 ff., 40, 49, 55). Die familienpolitische Zielsetzung wie auch die zu erwartenden finanziellen Aufwendungen fanden in der Fachliteratur eine entsprechende Resonanz, wobei insbesondere der durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) als auch von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehungszeiten (§ 57 Abs. 1 SGB VI) entstehende finanzielle Mehrbedarf erkannt und hinsichtlich seiner unzureichenden Deckung kritisiert wurde (vgl. Tureck, Entwurf eines Rentenreformgesetzes 1992, Die Angestelltenversicherung 1989, S. 365 f.). Zur Abschätzung der sich ergebenden Veränderungen der Anwartschaftsstruktur der Versicherten wie auch des damit einhergehenden Finanzbedarfs wurde auf der Basis des Rentenzugangs aus dem Jahre 1988 eine Stichprobenrechnung in 90000 Fällen und damit im Umfang von rund 17% des gesamten Rentenzugangs dieses Jahres in der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung durchgeführt. Dabei wurde erkennbar - so die Autoren Reimann/Tenbusch (RRG 1992: Auswirkungen auf die Anwartschaftsstruktur der Versicherten, Die Angestelltenversicherung 1990, 93 f.) -, dass die familienbezogenen Maßnahmen einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Anwartschaftsstruktur haben. Die Neuregelung der RRG 1992 sei zu Beginn der Übergangsphase (ab 1992) für rund 56% der Frauen mit Kindererziehungszeiten mit Anwartschaftserhöhungen im Vergleich zu den rund 49% der Frauen ohne Kindererziehungszeiten verbunden. Dem stünden Anwartschaftsminderungen bei knapp 14% der Frauen mit Kindererziehungszeiten und bei rund 29% der Frauen ohne Kindererziehungszeiten gegenüber.

Bei der Gruppe von Frauen mit Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung handelte es sich auch um einen mit Mitteln der EDV leicht abgrenzbaren Personenkreis. Bei der ebenfalls mit Mitteln der EDV leicht zu überwachenden Altersgrenze von 65 Jahren war die Beklagte daher verpflichtet, auf die mögliche Bewilligung der Regelaltersrente als eigenständiger weiterer Altersrentenart mit einer neuen Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte nach dem SGB VI hinzuweisen. Dass sich eine Besserstellung einer absoluten Mehrheit der Antragsteller bei Stellung eines Antrags ergibt bzw. ergeben hätte, hält der Senat im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 22.10.1998, B 5 RJ 62/97 R) mit Rücksicht auf die beschriebenen gesetzgeberischen Zielvorstellungen nicht für ein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung des Kreises geeigneter Fälle für eine Hinweispflicht im Rahmen von § 115 Abs. 6 SGB VI. Die Verwirklichung vom Gesetzgeber zugestandener sozialer Rechte kann unter Beachtung des Auslegungszieles einer möglichst weitgehenden Verwirklichung dieser Rechte (§ 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -, § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) nicht von einem Mehrheitserfordernis abhängig gemacht werden (Urteil des Senats vom 10.09.1999, aaO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (Urteile vom 02.08.2000) gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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