L 16 R 1439/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 R 290/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1439/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. August 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 01. September 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) und die in diesem Zeitraum erzielten tatsächlichen Arbeitsverdienste festzustellen.

Der 1956 geborene Kläger war aufgrund des Zeugnisses der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik B vom 19. Juli 1979 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu füh-ren. Er war ab 01. September 1979 im damaligen Volkseigenen Betrieb (VEB) P S beschäftigt, und zwar ausweislich der Bescheinigung der P AG S vom 18. Oktober 1994 von September 1979 bis Juni 1980 als Projektant, von Juli 1980 bis August 1981 als Anlagenfahrer und von September 1981 bis Januar 1992 wiederum als Projektant. Der VEB P war ausweislich der vorliegenden Registerauszüge (Register der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes F, Register-nummer ) am 28. Juni 1990 von Amts wegen im Register gelöscht worden und das Nachfolge-unternehmen firmiert als P Aktiengesellschaft (AG) S.

Der Kläger gehörte nach dem vorliegenden Auszug des Sozialversicherungsausweises jeden-falls ab 01. Januar 1990 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) an. In die AVTI oder in ein anderes Versorgungssystem war er nicht einbezogen worden.

Den im Januar 2004 gestellten Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVTI lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Januar 2005 ab mit der Begründung, dass der VEB P S bereits vor dem 30. Juni 1990 privatisiert worden sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. April 2005).

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Be-scheide zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu be-scheiden. Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat dem Vorbringen des Klägers den Antrag ent-nommen, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, die Zeit vom 01. September 1979 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI und die wäh-rend dieser Zeiten erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelte festzustellen, und diese Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Zeit vom 01. September 1979 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI und die wäh-rend dieser Zeiten erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelte feststelle. Er habe keine Anwartschaft auf eine Zugehörigkeit zur AVTI erworben. Er falle schon nicht unter den persönlichen An-wendungsbereich des § 1 AAÜG. Er sei nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 01. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft gewesen. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden sei, liege nicht vor. Weder ha-be er eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt, noch habe er eine frühere Versor-gungszusage in Form eines nach Artikel 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts erlangt. Der Kläger sei auch nicht aufgrund eines Einzelvertrages oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der AVTI einbezogen worden. Auch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG finde keine Anwendung. Aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG sei allerdings zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 01. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (unter Verweis auf die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG: z. B. SozR 3-8570 § 1 Nrn. 2, 3, 5, 6, 7 und 8). Dabei komme es auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage an. Der Kläger erfülle zwar die ersten beiden Voraussetzungen, nicht jedoch die nach dieser Rechtsprechung erforderliche drit-te Voraussetzung. Er sei am 30. Juni 1990 nicht mehr Beschäftigter eines VEB, sondern einer AG, folglich einer Kapitalgesellschaft, gewesen. Der Auffassung des Klägers, der Betrieb sei auch nach der Umwandlung volkseigen geblieben und daher nicht aus der Zusatzversorgung ausgeschieden, sei nicht zu folgen. Ausweislich des vorliegenden Auszuges des Registers der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes F sei der ehemalige VEB P S am 28. Juni 1990 von Amts wegen gelöscht worden. Rechtsnachfolger sei die P AG S. Damit sei die Umwandlung des VEB in eine AG entsprechend der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kom-binaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften vom 01. März 1990 (GBl. I Nr. 14 S. 107) abgeschlossen gewesen. Von diesem Zeitpunkt an sei der Kläger in einer AG tätig gewesen, wobei es nicht darauf ankomme, aus welchen Gründen der Beschäftigungsbetrieb in eine AG umgewandelt worden sei. AGen seien den volkseigenen Produktionsbetrieben versor-gungsrechtlich nicht gleichgestellt gewesen. Denn in § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestim-mung (2.DB), der eine abschließende Aufzählung der gleichgestellten Einrichtungen und Be-triebe enthalte, seien sie nicht genannt. Der Kläger könne auch nicht mit seinem weiteren Vor-trag gehört werden, es habe sich inhaltlich durch die Umwandlung des VEB in eine AG keiner-lei Veränderung ergeben. Verändert habe sich nur die Rechtsform, in der der VEB im Rechts-leben aufgetreten sei. Darauf komme es nicht an (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 12/04 R). Auch aus Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei ein Anspruch nicht herzuleiten. Artikel 3 Abs. 1 GG führe nicht zu einer "Gleichbehandlung im Unrecht".

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Wegen der Begründung wird auf den Berufungsschriftsatz vom 12. September 2005 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. August 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2005 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 18. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu ver-pflichten, die Zeiten vom 01. September 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum An-spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz sowie die in diesen Zeiten tat-sächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Die von dem Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die nach dem Inhalt der Klageschrift vom 09. Mai 2005 nur auf Verpflichtung der Beklagten zur Neube-scheidung gerichtet war, ist vom SG dahingehend ausgelegt worden, dass ungeachtet des von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers formulierten Klageantrages die Feststellung der Zeit vom 01. September 1979 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI und der wäh-rend dieser Zeiten erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelte erstrebt wird. Diese Auslegung des Klagebegehrens ist unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrages zutreffend und das SG ist damit nicht etwa über das Klagebegehren hinausgegangen (vgl. § 123 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Soweit mit der Berufungsschrift vom 12. September 2005 beantragt wird, "dem Kla-geantrag 1. Instanz stattzugeben", ist darunter, ausgehend von dem Berufungsvortrag, ersicht-lich der vom SG in dem angefochtenen Urteil formulierte Klageantrag zu verstehen.

Die danach zulässige Klage auf Feststellung der Zeit vom 01. September 1979 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI sowie der entsprechenden Arbeitsentgelte ist nicht begründet. Das AAÜG ist bereits deshalb auf den Kläger nicht anwendbar, weil er am 01. Au-gust 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG hatte. Denn ein Versorgungsfall war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 01. August 1991 nicht Inhaber einer Versor-gungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 AAÜG. Er hatte – unstreitig – in der DDR eine Versorgungszusage nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentschei-dung eine Versorgung zugesagt worden. Der Kläger ist auch seit dem 03. Oktober 1990 nicht durch bindenden Verwaltungsvertrag oder bindenden Verwaltungsakt oder ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Eine positive Entscheidung hinsichtlich der geltend gemachten Versorgungsberechtigung hatte die Beklagte zudem in den angefochtenen Bescheiden nicht getroffen.

Der Kläger war auch am 01. August 1991 nicht Inhaber einer so genannten fingierten Versor-gungsanwartschaft. § 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z. B. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 27). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nach dieser Rechtsprechung, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, nur dann zu bejahen, wenn am maßgeblichen Stichtag, dem 30. Juni 1990, kumulativ die persönlichen, sachlichen und die betrieblichen Voraussetzungen für einen "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungs-zusage vorgelegen haben (siehe dazu zuletzt: BSG, Urteil vom 10. Februar 2005 – B 4 RA 48/04 R = SGb 2005, 230).

Am 30. Juni 1990 erfüllte der Kläger zwar die persönliche Voraussetzung für eine Einbezie-hung in die AVTI, da er berechtigt war, den Titel eines "Ingenieurs" zu führen; hingegen fehlte es am 30. Juni 1990 an der betrieblichen Voraussetzung für eine – fiktive – Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG. Denn der Kläger war zum maß-geblichen Zeitpunkt nicht mehr in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb beschäftigt. Der VEB P war bereits zum 28. Juni 1990 im Register der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes F unter der Register-Nr. von Amts wegen gelöscht worden.

Aus welchen Gründen vor dem 30. Juni 1990 eine der drei Voraussetzungen entfallen ist, ist unerheblich (vgl. hierzu auch: BSG, Urteile vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 4/04 R = SozR 4 – 8570 § 1 Nr. 4, und – B 4 RA 12/04 R = SGb 2004, 627; ferner Urteil vom 08. Juni 2004 – B 4 RA 56/03 R – n. v.). Lag nämlich am 30. Juni 1990 eine der drei Voraussetzungen nicht – mehr – vor, bestand bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme auch kein "Anspruch" auf Ertei-lung einer Versorgungszusage, der am 01. August 1991 als fiktive Versorgungsanwartschaft den Anwendungsbereich des AAÜG hätte eröffnen können.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Stichtagsregelung liegen nicht vor; insbesondere ist eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nicht erkennbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – u. a. – 1 BvR 1921/04 -, 1 BvR 203/05 - ). Denn die sich aus der Recht-sprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts ergebende unterschiedliche Behandlung in-nerhalb der Gruppe der zu keinem Zeitpunkt in ein Zusatzversorgungssystem förmlich Einbe-zogenen ist sachlich gerechtfertigt (vgl. BVerfG a. a. O).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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