L 13 VH 44/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 46 VH 107/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VH 44/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1941 geborene Klägerin begehrt als Tochter des verstorbenen K-H K (Geschädigter) Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Häftlingshilfegesetz (HHG).

Der im Jahre 1918 geborene Geschädigte befand sich ausweislich der ihm nach § 10 Abs. 4 HHG am 18. April 1963 ausgestellten Bescheinigung vom 21. August 1954 bis zum 22. August 1962 in politischem Gewahrsam im Gefängnis B. Laut Attest des Internisten Dr. B vom 4. Oktober 1962 bestand bei ihm eine "Herzmuskelschwäche mit beutelförmig erschlafftem Herzen und auf RR 100/85 mmHg abgesunkenem Blutdruck und Durchblutungsmangel des Herzmuskels bei allgemein darniederliegendem Stoffwechsel." Im Februar 1963 siedelte er in die Bundesrepublik über. Dort war er als Verwaltungsangestellter tätig; eine Rente nach dem HHG bezog er nicht. Am 28. November 1982 wurde er wegen eines Myokardinfarktes in das W-Krankenhaus aufgenommen, wo er am 30. November 1982 wegen einer therapieresistenten Herzinsuffizienz verstarb. Im Arztbericht vom 21. Dezember 1982 wurden rezidivierende Myokardinfarkte bei Koronararteriensklerose und Hypertonus diagnostiziert. Weitere ärztliche Unterlagen aus dieser Zeit sind nicht mehr vorhanden.

Im Juli 2000 wandte sich die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) unter Beifügung des an sie gerichteten Antrags der Klägerin vom 3. Juni 2000, ihr Waisenrente nach dem zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zu gewähren, an den Beklagten mit der Bitte um Prüfung, ob die Klägerin im Hinblick auf § 4 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung habe.

Der Beklagte teilte der Klägerin zum einen mit formlosem Schreiben vom 26. Juli 2000 mit, gemäß "§ 10" (gemeint ist: § 20) des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) könne nach dem Tod des Verfolgten ein Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung nach dem BerRehaG nur dann von dessen Hinterbliebenen gestellt werden, wenn diese hieran ein rechtliches Interesse hätten. Dies sei bei der Klägerin zu verneinen, da eine Waisenrente auf den Zeitraum bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres beschränkt sei. Zum anderen führte der Beklagte in dem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 27. September 2000 (dem ebenfalls keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war) aus, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 lit. c BVG in Verbindung mit dem VwRehaG für die Gewährung einer Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres nicht erfüllt seien. Überdies könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Geschädigte an den Folgen der politischen Haft verstorben sei.

Die Klägerin beantragte am 6. Juni 2001 unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 27. September 2000 bei dem Beklagten die Wiederaufnahme des Verfahrens über ihren Antrag auf Waisenrente.

In dem (nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen) Schreiben vom 25. Juni 2001 verneinte der Beklagte unter Hinweis auf sein Schreiben vom 27. September 2000 einen Anspruch der Klägerin auf Waisenrente. Ferner führte er aus: Die Frage, ob die Schädigungsfolgen des Geschädigten sich nachteilig auf die wirtschaftliche Absicherung seiner Hinterbliebenen ausgewirkt hätten, sei bereits mit dem an die Mutter der Klägerin gerichteten Bescheid vom 23. August 1993 über deren Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach § 38 BVG in Verbindung mit § 5 HHG geprüft und verneint worden.

Unter dem 30. Juli 2001 beantragte die Klägerin, ihr als Hinterbliebener eine Ausgleichszahlung zu ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente zu gewähren. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 13. September 2001, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, unter Hinweis auf seine Schreiben vom 27. September 2000 und 25. Juni 2001 ab.

Mit Schreiben vom 31. Dezember 2001 beantragte die Klägerin gemäß § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) die Aufhebung der an ihre am 14. Juli 2000 verstorbene Mutter gerichteten Ablehnungsbescheide vom 23. August 1993 und 5. September 2000. Gleichzeitig erhob sie gegen die Bescheide vom 25. Juni und 13. September 2001 unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des G P, eines Mithäftlings des Geschädigten, vom Oktober 1992 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2002 zurückwies. Zur Begründung führte er insbesondere aus: Die Gewährung der Waisenrente nach § 45 BVG in Verbindung mit dem HHG scheitere daran, dass der Geschädigte nicht an den Folgen der Haft verstorben sei. Denn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem bei dem Geschädigten zum Tode führenden Grundleiden einer Koronarsklerose mit den Lebensbedingungen während seiner Inhaftierung könne nicht hergestellt werden. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Waisenbeihilfe nach § 48 BVG erfüllt, da der Geschädigte nicht rentenberechtigt gewesen sei.

Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ihre Begehren, eine Waisenrente, hilfsweise eine Waisenbeihilfe zu erhalten, weiter verfolgt. Unter Vorlage von Attesten des sie behandelnden Nervenarztes Dr. T vom 9. September und vom 24. Oktober 2002 sowie des Dr. G vom 19. September, 11. November und 19. Dezember 2002, der seinen Angaben zufolge den Geschädigten zwar nicht behandelt, aber gekannt habe, sowie zwei eidesstattlichen Versicherungen ihres Bruders A K vom 9. Dezember 2002 hat sie vorgetragen, dass der Geschädigte an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung mit auffälligen Angst- und Unruhezuständen bei Bluthochdruck gelitten habe. Gerade in den Wochen vor dem Infarkt habe er psychisch extrem belastet und unruhig gewirkt, so dass der Infarkt mit Todesfolge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch verfolgungsbedingt eingetreten sei.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 30. Juni 2003 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Soweit die Klägerin die Aufhebung der Schreiben vom 26. Juli und 27. September 2000 nach § 44 SGB X begehre, fehle es bereits an Ausgangs- bzw. Widerspruchsentscheidungen. Den Antrag der Klägerin auf Waisenrente nach dem BVG habe der Beklagte mit Recht abgelehnt. Der zutreffenden Begründung in den angefochtenen Bescheiden vom 25. Juni und 13. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2002 werde gefolgt. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die zur Anerkennung der Todesursache als Folge einer Schädigung ausreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG) nicht bestehe. Nach S. 265 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ausgabe 1996 (AHP 96) seien arteriosklerotische Gefäßkomplikationen Schädigungsfolge, wenn sie während der extremen Lebensverhältnisse oder im Anschluss daran in der zweijährigen Reparationsphase aufgetreten seien. Dies könne nicht festgestellt werden. Auch die Voraussetzungen für eine "Kann-Versorgung", die nach S. 265 der AHP 96 gewährt werde, wenn die arteriosklerotische Komplikation bis zu zehn Jahren nach einer Gefangenschaft (auch Haft) unter extremen Lebensbedingungen von mindestens dreijähriger Dauer und in einem Lebensalter bis zu fünfzig Jahren aufgetreten sei, sofern die der Komplikation zugrunde liegende Arteriosklerose bis in die Zeit der extremen Lebensverhältnisse oder der Reparationsphase zurückzuverfolgen sei und sofern nicht in ihrer ursächlichen Bedeutung bekannte Faktoren als Ursache angesehen werden müssten, lägen nicht vor – jedenfalls nicht beweisbar. Die als weitere Ursache für den Herztod des Geschädigten geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung sei nicht kausal im genannten Sinne. Denn es lägen lediglich leichte aus der – unterstellten – Belastungsstörung resultierende soziale Anpassungsschwierigkeiten vor. Da krankheitsbedingte wesentliche Eheprobleme nicht vorgetragen worden seien und eine Berufstätigkeit trotz Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich gewesen sei, komme eine Einstufung des Belastungssyndroms als schwere Störung nicht in Betracht und damit auch keine wesentliche Einwirkung auf den kardiologischen Gesundheitszustand des Geschädigten. Selbst wenn die – nicht dokumentierte – posttraumatische Belastungsstörung sowie der – dokumentierte – Hypertonus Mitursachen für die Herzinsuffizienz darstellen sollten, überwiege als Ursache die eindeutig nicht kausale Koronararteriosklerose, die damit als alleiniger Auslöser der zum Herztod führenden therapieresistenten Koronarinsuffizienz anzusehen sei.

Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Herzinsuffizienz, an welcher der Geschädigte gestorben sei, könne seit dem Jahr 1962 ärztlich nachgewiesen werden. Bei der Zusammenhangsfrage komme der posttraumatischen Belastungsstörung eine entscheidende Bedeutung zu. Der Geschädigte sei schwer gestört gewesen und habe soziale Anpassungsstörungen in Ehe, Familie und Beruf gehabt. Die Familienverhältnisse seien zerrüttet gewesen. Für seine Umwelt sei der Geschädigte unerträglich gewesen. Beruflich sei er als Verwaltungsangestellter mit untergeordneten Arbeiten ohne Publikumsverkehr eingesetzt worden. Ferner trägt sie vor, bereits im Juli 1965 erwerbsunfähig geworden zu sein. Seit diesem Jahr sei sie von den Vorgängern in der allgemeinmedizinischen Praxis ihrer Hausärztin Dr. K-J betreut worden.

Ergänzend zu den im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen hat die Klägerin eidesstattliche Versicherungen des G S, des Schwagers des Geschädigten, vom 10. Juni 2004 und der G R, der Schwester des Geschädigten, vom 23. Juni 2004, ein Schreiben des Rechtsanwalts Dr. W vom 9. Dezember 1970 betreffend die Ehescheidungsklage der Ehefrau des Geschädigten, verschiedene bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR recherchierte Dokumente über die Verfolgung des Geschädigten, diverse Veröffentlichungen über die politische Haft in der DDR, den die Klägerin betreffenden Versicherungsverlauf der BfA vom 22. September 1997, ihr Arbeitszeugnis der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin vom 31. Juli 1965 sowie ärztliche Bescheinigungen des Internisten Dr. A vom 11. November 2003 und der Allgemeinmedizinerin Dr. K-J vom 10. Juli 2005 eingereicht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2003 und die Bescheide des Beklagten vom 25. Juni und 13. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2002 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, ihr nach dem Geschädigten K-H K auf der Grundlage des Bundesversorgungsgesetzes in Verbindung mit § 5 Häftlingshilfegesetz eine Waisenrente, hilfsweise, Waisenbeihilfe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Der Senat hat in Bezug auf die Klägerin einen Bericht des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Bezirksamtes Tempelhof von Berlin vom 20. Oktober 2000, ein für die BfA erstattetes Gutachten der Nervenärztin Dr. W-G vom 10. November 2000 und eine Erklärung ihrer ehemaligen Arbeitgeberin, der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, vom 10. Januar 2005 eingeholt.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, des den Geschädigten betreffenden Verwaltungsvorgangs des Beklagten sowie die Schwerbehindertenakten der Kläger und ihrer Mutter verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der Hauptantrag ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Waisenrente nach § 45 BVG in Verbindung mit § 5 HHG, da sie die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

Nach § 45 Abs. 1 BVG erhalten nach dem Tode des Beschädigten seine Kinder grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eine Waisenrente. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres ist die Waisenrente gemäß der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 45 Abs. 3 Satz 1 lit. c BVG für eine Waise zu gewähren, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert, über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte außerstande ist, sie zu unterhalten.

Im sozialen Entschädigungsrecht bedürfen beweispflichtige Tatsachen grundsätzlich des Vollbeweises, d.h. der an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Bundessozialgericht –BSG–, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, mit weiteren Nachweisen).

Der Senat konnte, gemessen an diesen Maßstäben, nicht feststellen, dass die Klägerin bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres, also vor dem 22. Mai 1968, wegen ihrer psychischen Erkrankung erwerbsunfähig war.

Gegenwärtig ist die Klägerin, die seit dem Jahre 2000 eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, wegen ihrer psychischen Erkrankung – unstreitig – außerstande, eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert zu erbringen. Dies allein trägt jedoch nicht den Schluss, dass sie bereits vor Vollendung ihres 27. Lebensjahres erwerbsunfähig geworden ist.

Nach Begutachtung der Klägerin im März 2000 äußerte die Ärztin vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes Tempelhof v B den Verdacht eines hirnorganischen Abbauprozesses unklarer Genese. Auch der sie behandelnde Nervenarzt Dr. T berichtete unter dem 9. August 2003 von einem intellektuellen Abbau der Klägerin. Zu welchem Zeitpunkt dieser Abbauprozess einsetzte, ist den ärztlichen Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen. In den vor dem Jahre 2000 erstatteten Attesten und Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte ist die Diagnose eines hirnorganischen Leidens jedenfalls noch nicht gestellt worden.

Ebenso wenig steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass die chronifizierte depressive Neurose mit massiven Ängsten und zahlreichen psychosomatischen Beschwerden, die der Nervenarzt Dr. T im Attest vom 9. September 2002 bei der Klägerin diagnostiziert hat, bereits im Jahre 1968 mit einem Schweregrad vorlag, der die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin begründete. Die Einschätzung des Dr. T, sie sei wegen dieses Leidens seit dem 25. Lebensjahr nicht mehr arbeitsfähig gewesen, überzeugt schon deshalb nicht, da er sie nicht einmal ansatzweise begründet hat. Eine eingehende Begründung, aufgrund welcher Tatsachen er zu dieser Annahme gelangt, ist aber vorliegend gerade deshalb erforderlich, weil Dr. T die Klägerin erst sei Mitte April 1997 behandelt. Jedenfalls steht der von Dr. T gezogene Schluss, bei der Klägerin bestehe eine chronifizierte depressive Neurose mit massiven Ängsten und zahlreichen psychosomatischen Beschwerden und deshalb sei sie bereits seit dem 25. Lebensjahr nicht mehr arbeitsfähig, im Widerspruch zu seinen übrigen Ausführungen. In seinem früheren Attest vom 17. Juni 1997 findet eine derartige Neurose keine Erwähnung. Vielmehr diagnostizierte Dr. T bei der Klägerin, die zu dieser Zeit ihre an einem Morbus Alzheimer erkrankte Mutter pflegte, ein chronifiziertes depressives Erschöpfungssyndrom.

Die Überzeugung, dass die Klägerin vor dem genannten Zeitpunkt erwerbsunfähig wurde, lässt sich auch nicht auf der Vermutung der Hausärztin der Klägerin, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K-J vom 10. Juli 2005 gründen. Ausgehend von ihrer Diagnose, dass bei der Klägerin eine ausgeprägte Anpassungsstörung mit depressiv neurotischer Symptomatik bestehe, führt sie aus, es sei daher davon auszugehen, dass auch in früheren Jahren, bekannt in dieser Praxis seit 1965, eine Erwerbsunfähigkeit vorgelegen habe. Mangels Begründung ist dieser Schluss nicht nachzuvollziehen. Zudem behandelt sie die Klägerin erst seit 1995. Zwar wurde die Klägerin in der Praxis bereits seit dem Jahre 1965 hausärztlich betreut, jedoch stehen die damaligen Patientenunterlagen nicht mehr zur Verfügung, da alle alten Patientenkarten nach Ablauf von zehn Jahren vernichtet wurden. Gleichwohl berichtet Dr. K-J, dass die Klägerin, die an einer psychosomatischen Erkrankung, an den Folgen einer degenerativen Erkrankung des Bewegungsapparates und an einer Schilddrüsenerkrankung leide, bereits von ihrem Vorgänger Dr. S wegen der gleichen Krankheiten behandelt worden sei. Hieran könne sich die Hausärztin – wie die Klägerin vortragen lässt – deshalb erinnern, weil die Patientenunterlagen ihres Vorgängers bei der Praxisübergabe an sie noch vorhanden gewesen seien. Inwieweit dieser Vortrag überzeugt, kann dahinstehen, da Dr. S die Praxis seinerseits erst im Jahre 1976 von den damaligen Praxisinhabern Dr. H und Dr. V übernommen hatte. Für den maßgeblichen Zeitraum bis zum 22. Mai 1968 lagen jedoch keine Unterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte mehr vor. Im Übrigen bestehen an der Vermutung der Hausärztin Dr. K-J im Attest vom 10. Juli 2005, die ausgeprägte Anpassungsstörung mit depressiv neurotischer Symptomatik habe bei der Klägerin bereits im Jahre 1965 zur Erwerbsunfähigkeit geführt, Zweifel, weil sie mit den Angaben in ihrem Befundbericht vom 12. Januar 1997 nicht übereinstimmen. Dort hatte Dr. K-J klimakterische Beschwerden, Struma und ein psychosomatisches Krankheitsbild bei sozialer Isolation diagnostiziert: Die Klägerin gehe in der Pflege der an einem Morbus Alzheimer erkrankten Mutter auf, reagiere mit Magenschmerzen, Kopfschmerzen und Lumbalgien auf Anforderungen der Außenwelt. Funktionseinbußen seien zu verneinen. Aus dem Umstand, dass die später festgestellte ausgeprägte Anpassungsstörung nicht erwährt wurde, ist zu folgern, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt entwickelte. Für die Progredienz des seelischen Leidens der Klägerin spricht auch, dass sich ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. H vom Ärztlichen Dienst des Beklagten vom 1. November 2003 eine deutliche Verschlimmerung der depressiven Störung mit Angstsymptomatik und zunehmendem sozialen Rückzug abzeichnete.

Die erforderlichen Feststellungen, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung ihres 27. Lebensjahres außerstande war, sich selbst zu unterhalten, können auch nicht auf der Grundlage der eidesstattlichen Versicherung ihres Bruders A K getroffen werden. Dessen Angaben, dass die Klägerin "seit ihrer Jugend" Stimmungsschwankungen unterlegen sei, immer ängstlich gewesen sei und sich zurückgezogen habe, sind in zeitlicher Hinsicht nicht hinreichend bestimmt. Auch die eidesstattliche Versicherung der G R, der Tante der Klägerin, vom 23. Juni 2004 ist nicht geeignet, der Klage zum Erfolg zu verhelfen. Ihre Aussage, die Klägerin sei bereits mit dem 23./24. Lebensjahr gesundheitlich außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten, gibt lediglich den Gesetzeswortlaut wieder. Die nicht näher ausgeführte Schilderung, die Klägerin sei von den Eltern und einer – nicht näher benannten – Verwandten abhängig gewesen, lässt keine Anhaltspunkte (insbesondere medizinischer Natur) dafür erkennen, dass gesundheitliche Gründe einer Erwerbstätigkeit der Klägerin entgegenstanden.

Die Unfähigkeit der Klägerin, sich selbst zu unterhalten, lässt sich ferner nicht aus dem eingereichten Versicherungsverlauf der BfA vom 22. September 1997 herleiten. Hieraus ergibt sich lediglich, dass auf das Versicherungskonto der Klägerin vom 12. Juni 1962 bis zum 31. Juli 1965 ununterbrochen Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten geleistet wurden. Abgesehen davon, dass aus dem Versicherungsverlauf nicht zwingend die Annahme gerechtfertigt ist, die Klägerin habe seitdem keine Erwerbstätigkeit ausgeübt – wogegen die Angaben ihres Cousins Dr. S gegenüber dem sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamts Tempelhof sprechen, die Klägerin habe im Jahre 1984 gekündigt –, reicht es im Rahmen des § 45 Abs. 3 Satz 1 lit. c BVG nicht aus, dass der Betroffene tatsächlich keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Entscheidend ist allein, dass er infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen daran gehindert war.

Die Behauptung der Klägerin, bereits im Juli 1965 erwerbsunfähig geworden zu sein, wird schließlich nicht durch das Zeugnis der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin vom 31. Juli 1965 gestützt, bei der die Klägerin vom 12. Juni 1962 bis zum 31. Juli 1965, zuletzt als Abrechnerin in der Ersatzkassen-Abteilung, tätig war. Der Arbeitgeber bescheinigte ihr hierin, die ihr übertragenen Aufgaben zu seiner Zufriedenheit erledigt zu haben. Sie sei eine zuverlässige Arbeitskraft. Sie habe sich gut in die Betriebsgemeinschaft eingepasst und sei eine allseits geschätzte Mitarbeiterin gewesen. Sie sei auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Auf Anfrage des Gerichts hat die Kassenärztlichen Vereinigung Berlin unter dem 10. Januar 2005 mitgeteilt, dass nach den ihr vorliegenden Unterlagen dem Ausscheiden keine gesundheitlichen Erschränkungen zu Grunde gelegen hätten. Anhaltspunkte dafür, dass sich der im Sommer 1965 bestehende Gesundheitszustand der Klägerin, der – jedenfalls nach Einschätzung ihres Arbeitgebers – ihrer Erwerbstätigkeit nicht entgegenstand, bis zur Vollendung ihres 27. Lebensjahres, d.h. bis zum 22. Mai 1968, rapide verschlechtert hätte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin begehrte Waisenbeihilfe setzt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BVG voraus, dass die Berechtigte Waise im Sinne des § 45 BVG ist, was – wie eben ausgeführt – der Senat nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen kann.

Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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