L 14 B 24/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AS 10653/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 24/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der an den Antragsteller zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Der 1946 geborene Antragsteller sprach am 18. August 2005 beim Antragsgegner wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) vor. Er lebe mit der 1951 geborenen M I in einem Haushalt. Diese habe aus einem Beschäftigungsverhältnis ein regelmäßiges monatliches Bruttoeinkommen von 1387 EUR. Bis zu seinem im August 2005 erfolgten Umzug in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners habe er im Leistungsbezug des JobCenters Friedrichshain-Kreuzberg gestanden, das ihm durch Bescheid vom 3. Mai 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni 2005 bis 30. November 2005 in Höhe von monatlich 628,36 EUR bewilligt habe. Durch Bescheid vom 10. Oktober 2005 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. September 2005 bis 28. Februar 2006 in Höhe von monatlich 159,34 EUR. Das Einkommen von Frau Isei auf den Bedarf des Antragstellers angerechnet worden, weil er mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Der Antragsteller erhob Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass die Person, mit der er in einer Wohnung zusammenlebe, nicht seine Partnerin sei und keine eheähnlichen Verhältnisse bestünden. Er sei allein stehend. Lediglich die gemeinsame Miete werde geteilt. Am 19. Oktober 2005 führte der Antragsgegner einen Hausbesuch zur Ermittlung der Wohnverhältnisse durch. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2005 wies er den Widerspruch zurück. Begründete Zweifel am Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft seien nicht entstanden. Die Behauptungen des Antragstellers könnten nicht ausreichen, weil es anderenfalls in das Belieben der Leistungsempfänger gestellt wäre, ob Einkommensanrechnungen bei Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft erfolgten.

Bereits am 9. November 2005 hat sich der Antragsteller an das Sozialgericht Berlin gewandt und den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung des Einkommens Dritter zu gewähren. Zur Begründung ist zunächst vorgetragen worden, dass einzig und allein die Wohnung geteilt werde, der Antragsteller wirtschafte mit Frau I nicht zusammen und es lägen auch sonst keine Umstände vor, die das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft begründen könnten. Insbesondere gebe es getrennte Zimmer. Zu Unrecht behaupte der Antragsgegner, dass er – der Antragsteller – den Hausbesuch durch aggressives Verhalten vereitelt habe. Das Sozialgericht Berlin hat durch Beschluss vom 23. November 2005, zugestellt am 30. November 2005, den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und sich zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid des Antragsgegners bezogen. Durch Beschluss vom 5. Januar 2006 hat es dann dem Antragsteller Prozesskostenhilfe bewilligt und seinen Verfahrensbevollmächtigten beigeordnet.

Mit der am 29. Dezember 2005 eingegangenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Anliegen weiter. Er trägt vor, dass die Entscheidung des Sozialgerichts die Anforderungen missachte, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. Mai 2005 aufgestellt habe. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, dass der Antragsteller weitergehende Feststellungen durch den Antragsgegner verhindert habe. Es vernachlässige auch die Tatsache, dass in der Wohnung zwei getrennte Zimmer mit getrennten Betten vorgefunden worden seien. Der Antragsteller habe auch nie angegeben, mit Frau I in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben; die entsprechenden Angaben in den Verwaltungsakten des Antragsgegners stammten nicht von ihm. Er besitze auch weder ein Auto noch einen Autoschlüssel. Der Antragsgegner trage die Beweislast für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft und müsse dazu die vermeintliche Lebenspartnerin hören. Mit Frau I habe der Antragsteller mittlerweile einen Untermietvertrag geschlossen, er werde demnächst eine eigene Wohnung in demselben Haus beziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft die Ausnahme und nicht die Regel. Ein Hausbesuch sei zur Aufklärung der Verhältnisse nicht geeignet. Der Antragsteller habe das Recht, selbst zu bestimmen, dass eine Lebensgemeinschaft nicht vorliege, es gebe keinerlei gegenseitige finanzielle Absicherung zwischen ihm und seiner Mitbewohnerin. Man sei allein deswegen zusammengezogen, weil eine geteilte größere Wohnung für den einzelnen billiger sei als eine kleine allein bewohnte.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen Dritter zu gewähren, ferner, ihm Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Die Entscheidung in der Hauptsache sei noch offen.

Der Senat hat beim Landeseinwohneramt Berlin wegen der Meldeanschriften des Antragstellers und Frau I in der Zeit vor August 2005 angefragt. Für die erteilten Auskünfte und die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Antragsgegners und des JobCenters Friedrichshain-Kreuzberg haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Mit Recht hat das Sozialgericht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zur Erbringung von höheren Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Auch nach Auffassung des Senats hat der Beschwerdeführer aber weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhält Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wer das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erwerbsfähig und hilfsbedürftig ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann, wobei nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen ist. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Unter einer eheähnlichen Gemeinschaft ist eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft zwischen Mann und Frau zu verstehen, neben der für eine weitere Gemeinschaft gleicher Art kein Platz ist und in der innere Bindungen ein gegenseitiges Einstehen füreinander erwarten lassen (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992, 1 BvL 8/87 = SozR 3 – 4100 § 137 Nr. 3). Die bisher bekannten Umstände des Sachverhalts sprechen dafür, dass zwischen dem Antragsteller und Frau I eine Lebensgemeinschaft in diesem Sinne besteht.

Notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist zunächst, dass eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft unterhalten wird. Dafür spricht vorliegend, dass der Antragsteller mit Frau I gemeinsam in einer Wohnung lebt. Die Tatsache, dass die Beklagte bei ihrem Hausbesuch zwei Schlafzimmer vorgefunden hat, sagt nichts über die tatsächliche Nutzung dieser Räume, zumal eines der vorgefundenen Doppelbetten nach dem Besichtigungsprotokoll unbezogen gewesen sein soll. Im Übrigen kommt es darauf nicht an, weil getrennte Schlafzimmer nicht widerlegen, dass ein gemeinsamer Haushalt geführt wird. Der Antragsteller stellt nicht in Abrede, Küche, Wohn- und Badezimmer gemeinsam mit Frau I zu benutzen. Auch der vorgelegte Untermietvertrag, der bereits ins Leere geht, weil der Antragsteller schon Hauptmieter ist (eine Änderung des Hauptmietvertrages ist nicht vorgelegt worden), dessen Beweiswert aber auch fraglich ist, weil er erst unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit dem Antragsgegner geschlossen worden ist, weist dem Antragsteller keine bestimmten Räume in der Wohnung zur ausschließlichen Nutzung zu. Schon die gemeinsame Nutzung einer Wohnung begründet aber eine Wirtschaftsgemeinschaft. Denn sie führt zu einer Mitbenutzung der dem jeweils anderen Partner gehörenden Gegenstände und begründet insoweit eine Verfügungsbefugnis, die davon unabhängig ist, wer die Hausratsgegenstände angeschafft hat und in wessen Eigentum sie stehen.

Eheähnlich wird eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft dadurch, dass zwischen Frau und Mann innere Bindungen bestehen, die ein gegenseitiges Einstehen des Paares füreinander erwarten lassen. Entscheidend ist die für den anderen übernommene Verantwortung, worüber bei einer eheähnlichen Beziehung nicht die eingegangene rechtliche Bindung, sondern die tatsächlichen Verhältnisse entscheiden. Insoweit ist insbesondere auf die Dauer einer Beziehung abzustellen. Denn je länger eine Verbindung fortgesetzt wird, desto eher ist zu erwarten, dass sie den Wechselfällen des Lebens und den durch sie hervorgerufenen Belastungen standhält. Wie sich aus den vom Senat eingeholten Auskünften des Landeseinwohneramtes ergibt, lebt der Antragsteller offenbar seit dem Auszug aus der früheren ehelichen Wohnung am 4. Juni 1999 mit Frau I zusammen in einer Wohnung, nämlich zuerst in der Nstraße , seit dem 1. Juli 2004 in Wstraße und seit dem 1. August 2005 unter seiner gegenwärtigen Anschrift. Die Dauer des Zusammenlebens von mehr als sechs Jahren, der zweimalige gemeinsame Wohnungswechsel und die behauptete zwischenzeitliche Anmietung einer eigenen Wohnung im selben Haus (!) deuten darauf hin, dass der Antragsteller entgegen seinen Einlassungen nicht nur aus Ersparnisgründen mit Frau I zusammen gezogen ist. Ein gemeinsamer Umzug lässt darauf schließen, dass die Wohnungsbewohner ihre Bedürfnisse aufeinander abgestimmt haben. Der Antragsgegner hat – trotz Nachfrage des Senats - nichts dafür vorgetragen, dass die Wohnungswechsel auf äußeren Druck hin, beispielsweise wegen einer Kündigung, erforderlich geworden sind. Es erscheint unwahrscheinlich, dass in dem Antragsteller und Frau I unabhängig voneinander der Wunsch nach einer anderen Wohnung entstand und dieser zufällig wieder in einer gemeinsamen Wohnung realisiert wurde. Dies gilt insbesondere, weil es zu einer Wiederholung gekommen ist. Es liegt vielmehr nahe, dass innere Bindungen bestehen. Das langjährige Zusammenleben führt dann dazu, dass eine gegenseitige Unterstützung in den Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Unerheblich ist insoweit, dass der Antragsteller die rechtlichen Folgen, welche der Gesetzgeber an das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft geknüpft hat, offensichtlich nicht zu tragen gewillt ist, und Unterstützungsleistungen durch den Antragsgegner vorziehen würde.

Ist nach alledem vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen, rechnet der Antragsgegner das Einkommen von Frau I zu Recht auf den Bedarf des Antragstellers an, was seine Hilfebedürftigkeit entsprechend mindert. Der von dem Antragsteller mit der Beschwerde geltend gemachte Anspruch auf Auszahlung von Leistungen ohne Anrechnung des Einkommens Dritter ist folglich nicht hinreichend wahrscheinlich geworden, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen zu können.

Über die Kosten ist entsprechend § 193 SGG zu entscheiden.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe kann keinen Erfolg haben, da es an der nach den §§ 73 a SGG, 104 der Zivilprozessordnung dafür erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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