L 20 R 49/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 785/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 49/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.11.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Waisenrente über den 30.04.1993 hinaus.

Die 1975 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Türkei. Sie ist die Tochter des Versicherten M. B. , geboren 1938, verstorben am 24.02.1989. Der Versicherte hatte in Deutschland von 1969 bis 1986 versicherungspflichtig gearbeitet.

Mit Bescheid vom 05.11.1989 bewilligte die Beklagte der Klägerin Halbwaisenrente aus der Versicherung des Verstorbenen (in Höhe von 168,90 DM monatlich). Mit Bescheid vom 25.02.1993 stellte die Beklagte die Zahlung der Waisenrente zum 30.04.1993 ein (wegen Vollendung des 18. Lebensjahres der Waise). Mit Schreiben vom 29.03.1993 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Waisenrente wegen Schulbesuchs. Sie legte dazu eine Bescheinigung der A. über die Zeit vom 14.09.1992 bis 11.06.1993 vor, ohne konkrete Angaben zu Unterrichtszeiten. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26.05.1993 ab mit der Begründung, dass es sich bei den Kursen in der praktischen Mädchenberufsschule (Praktik Kiz Sanat Okulu) A. nicht um Schul- oder Berufsausbildung im Sinne der deutschen Rentenversicherung handele. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 21.06.1993 an die Beklagte mit, dass sie die erste Aufnahmeprüfung für die Universität bestanden habe; sie bitte darum, ihre Waisenrente zu zahlen. Sie übersandte der Beklagten Bescheinigungen über Schulbesuch vom 17.09.1993, vom 05.11.1993, vom 03.02.1994, vom 28.04.1995 und schließlich vom 22.06.1995, die unterschiedliche, teils widersprüchliche Angaben über Zeiten des Schulbesuchs und der Unterrichtszeiten enthielten. Die Klägerin übersandte weiter eine Bescheinigung der A. Universität vom 14.02.1996, in der ihre Immatrikulation im Fach Hauswirtschaft bestätigt wurde. Mit Bescheid vom 07.06.1996 lehnte die Beklagte einen Antrag vom 23.05.1996 auf Wiedergewährung der Waisenrente ab. Aus der vorliegenden Bescheinigung der A. Universität gehe hervor, dass die Klägerung am Fernstudium teilnehme; dies erfülle nicht die gesetzlichen Erfordernisse für die Annahme eines Schulbesuches. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch. Es sei richtig, dass sie am Fernstudium teilnehme; dies sei aber mit einer herkömmlichen Schulausbildung vergleichbar. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30.09.1996 zurück. Sie vertrat weiterhin die Auffassung, dass die Teilnahme am Fernunterricht der A. Universität keine Schulausbildung im Sinne des § 48 Abs 4 SGB VI darstelle.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 31.10.1996 Klage beim Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Sie machte geltend, dass der Unterricht an der A. Universität einen täglichen Aufwand von sechs Stunden Übungszeit erfordere; die Ausbildung sei deshalb mit der an anderen Universitäten vergleichbar. Sie verlangte, ihre Waisenrente über das 18. Lebensjahr an sie zu zahlen. Sie übersandte dem SG eine weitere Bescheinigung über einen Schulbesuch von 1992 bis 1996 (ohne nähere Angaben) und eine Studienbescheinigung der A. Universität vom 15.10.1996. Mit Schreiben vom 28.03.2000 hat das Gericht die Klägerin um lückenlose Angaben zu den von ihr seit 07.04.1993 besuchten Schulen/Universitäten gebeten. Die Klägerin übersandte eine Bescheinigung der A. Universität, Fakultät Fernstudium, über eine Immatrikulation zum 06.10.1995 im Programm Hauswirtschaft mit dem Vermerk, dass zum 27.12.1999 die Exmatrikulation erfolgt sei. Beigefügt war eine weitere Bescheinigung des Mädchengymnasiums A. mit pauschalen Angaben über Schulbesuch von 1993 bis 1997. Auf Anfrage des Gerichts bestätigte die Universität A. , dass die Klägerin am 06.10.1995 für das Vorlizenzprogramm Hauswirtschaft zugelassen worden sei. Der Unterricht für dieses Programm werde an Wochentagen außer Samstag und Sonntag in der Zeit von 8.20 Uhr bis 10.00 Uhr über Kanal TV 2 erteilt sowie von 10.20 Uhr bis 13.00 Uhr auf Kanal TV 4 wiederholt. Der Unterricht durch das Fernsehen dauere für jedes Fach 20 Minuten. Für den Unterricht durch Fernsehen und Radio, für das Lernen der behandelten Themen und die computergestützte Arbeit sowie Examen benötigten die Studierenden wöchentlich 35 Stunden. Im Vorlizenzprogramm Hauswirtschaft würden die Fächer Verbraucherverhalten und Verbraucherwille, Ernährungsgrundsätze, Gesundheitskunde und Erste Hilfe, Benimmregeln und Tischdekoration, Hausgeräte, Hausführung, Atatürks Grundsätze und Revolutionsgeschichte, Türkisch 1 und Englisch 1 unterrichtet. Die Zwischenprüfungen hätten in der Zeit vom 23. bis 24.03.1996, die Jahresprüfung vom 01. bis 02.06.1996 sowie die Nachprüfungen vom 07. bis 08.09.1996 stattgefunden. Nachdem die Klägerin vier Prüfungen nicht bestanden habe, sei sie in der 1. Klasse sitzen geblieben. Sie habe dann im Schuljahr 1996/97 erneut an den Zwischenprüfungen vom 22. bis 23.03.1997 sowie der Jahresprüfung vom 07. bis 08.06.1997 und der Nachprüfung vom 06. bis 07.09.1997 in den zuvor nicht bestandenen vier Fächern teilgenommen, davon eine Prüfung bestanden und drei Prüfungen nicht bestanden. Sie sei damit weiterhin in der 1. Klasse verblieben. Im Schuljahr 1997/98 habe die Klägerin erfolglos für die fehlenden drei Fächer an den Zwischenprüfungen teilgenommen. Sie sei zum 27.12.1999 exmatrikuliert worden, nachdem an zwei aufeinander folgenden Jahren keine Rückmeldung erfolgt sei. Das Mädchenberufsgymnasium A. hat mitgeteilt, dass die Klägerin die Schulausbildung dort im Schuljahr 1989/90 aufgenommen und im Schuljahr 1991/92 abgeschlossen habe. Ab dem Schuljahr 1993/94 habe sie für drei weitere Jahre die Praktische Mädchenberufsschule besucht und Abschlusszertifikate für Handarbeit-, Kuchen und Gebäck- und Bekleidungskurse erhalten. Der wöchentliche Unterricht an der Praktischen Mädchenberufsschule betrage 24 Stunden. Mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2002 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 07.06.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1996 - gerichtet auf Weitergewährung der Waisenrente über den 30.04.1993 hinaus - abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin auf Weitergewährung der Halbwaisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus bestehe nur, wenn der Besuch der praktischen Mädchenberufsschule A. und der Universität A. als Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 48 Abs 4 Ziff.1 und 2 SGB VI anzusehen wäre. Dies sei nicht der Fall. Der Besuch der Praktischen Mädchenberufsschule (Pratik Kiz Sanat O.) habe nicht der allgemeinen Schulpflicht unterlegen; da es sich um Schulen für Erwachsene handele, erfolge der Besuch auf freiwilliger Basis. Es bestehe auch keine Pflicht zur Absolvierung bestimmter Fächer, sondern den Schülern sei es frei gestellt, welche bzw. wie viele der angebotenen Kurse sie belegen möchten. Dadurch könne jeder Schüler selbst bestimmen, in welchem Umfang seine Arbeitskraft durch den Schulbesuch in Anspruch genommen werde. Durch die Absolvierung der nach freier Wahl belegten Kurse werde kein bestimmter Allgemein- oder Fortbildungsstand - etwa vergleichbar mit der Mittleren Reife, Hochschulreife usw. - angestrebt oder erreicht. Es dränge sich vielmehr ein Vergleich mit den deutschen Volkshochschulen auf. Eine Schulausbildung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung liege damit nicht vor. Dieser Schulbesuch der Klägerin sei auch nicht als Berufsausbildung zu werten. Unabhängig davon habe die Klägerin nicht nachweisen können, dass durch die angegebene Schulausbildung ihre Zeit und Arbeitskraft ganz überwiegend in Anspruch genommen worden sei. Auch das von der Klägerin am 06.10.1995 aufgenommene Vorlizenzprogramm für Hauswirtschaft an der A. Universität, Fakultät Fernstudium erfülle nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Halbwaisenrente. Die Teilnahme an einem Fernunterricht könne im Einzelfall einer Schulausbildung gleichgesetzt werden, wenn und soweit die generelle Gewähr für eine der herkömmlichen Schulausbildung vergleichbare Tätigkeit und Regelmäßigkeit der Ausbildung gegeben sei und ihre Dauer nicht allein der Verantwortung des Schülers überlassen sei (Hinweis auf Rechtsprechung des BSG). Auch bezüglich des Fernunterrichts habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass dadurch ihre Zeit- und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch genommen worden sei. Der pauschalen Angabe der A. Universität, wonach die wöchentliche Belastung eines Studierenden mit 35 Stunden anzusehen sei, könne die Kammer nicht folgen. Der Fernunterricht an der A. Universität lasse sich nicht mit der Regelmäßigkeit der Ausbildung an einer anderen Schule vergleichen. Es liege vielmehr weitgehend in der Hand des einzelnen Studierenden, die Ausbildung zügig zu betreiben oder zu strecken. Eine Anwesenheitspflicht an der Universität habe nicht bestanden, die Einrichtung der normalen Universitäten durften nicht benutzt werden; ein Wechsel zu den normalen Universitäten sei nicht möglich. Angaben über den konkreten zeitlichen Aufwand der Klägerin hätten letztlich nicht ermittelt werden können. Auf entsprechende Anfrage des Gerichts sei keine Auskunft durch die Klägerin erfolgt. Nachdem die Klägerin von neun Prüfungen lediglich fünf bestanden habe und in mehreren vergeblichen Versuchen in den Jahren 1997 und 1998 von den fehlenden vier Fächern lediglich ein Fach noch erfolgreich habe absolvieren können und damit die 1. Klasse nicht abschließen habe können, habe sie schließlich das Studium nach der letzten negativen Zwischenprüfung im März 1998 aufgegeben. Die Zeit und Arbeitskraft der Klägerin sei somit nicht ganz oder überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen worden, zumal sich auch in den Jahren 1996/97 und 1997/98 der zeitliche Aufwand nur noch auf die nicht bestandenen Fächer beschränkt habe und damit bei vier nicht bestandenen Fächern und zuletzt drei nicht bestandenen Fächern von insgesamt neun Fächern auf weniger als die Hälfte des zeitlichen Aufwandes des Schuljahres 1995/96 reduziert habe.

Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die am 14.01.2003 beim Sozialgericht Bayreuth eingegangene Berufung der Klägerin. Diese verlangt weiterhin die Gewährung der ihr zustehenden Waisenrente. Sie habe von 1989 bis 1999 immer die Schule besucht, einen Beruf erlernt oder studiert, auch wenn sie die Universität letztlich nicht absolviert habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 28.11.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 07.06.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Waisenrente über den 30.04.1993 hinaus bis zum Ende ihrer Ausbildung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des SG Bayreuth vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich als nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin Waisenrente nach § 48 Abs 1 und 4 SGB VI über den 30.04.1993 hinaus nicht zusteht. Es hat in korrekter Anwendung dieser Vorschrift (in der seit 1992 geltenden Fassung) festgestellt, dass der Besuch der Praktischen Mädchenberufsschule und der Fernunterricht an der A. Universität nicht als Schul- oder Berufsausbildung anzusehen war. Bezüglich der Mädchen-Berufsschule hat das SG ermittelt, dass es sich um Schulen für Erwachsene handelt, deren Besuch auf freiwilliger Basis erfolgt. Durch die Absolvierung der nach freier Wahl belegten Kurse wird kein bestimmter Allgemein- oder Fortbildungsstand - vergleichbar mit Mittlerer Reife, Hochschulreife nach deutschem Recht - oder auch eine Ausbildung für eine konkrete spätere Berufstätigkeit angestrebt oder erreicht. Eine Schul- oder Berufsausbildung im Sinne der genannten Vorschrift liegt schon deswegen nicht vor. Das SG wie auch die Beklagte haben umfangreiche Ermittlungen angestellt, um den tatsächlichen Aufwand zu bestimmen, der der Klägerin durch den angegebenen Schulbesuch und den Fernunterricht entstanden ist. Seitens der Mädchen-Berufsschule wurden unterschiedliche Angaben zu den Unterrichtszeiten gemacht; auch die Fernuniversität hat lediglich mitgeteilt, dass von einem pauschalen Zeitaufwand von 35 Stunden pro Woche für den Studierenden auszugehen sei, ohne dies auf tatsächliche Erkenntnisse zu stützen oder eine plausible Zeitaufteilung vorzunehmen. Die Klägerin selbst hat auf die Anfrage des SG nach dem Zeitaufwand für Schulbesuch und Fernstudium nicht geantwortet. Im Berufungsverfahren ist insoweit kein neuer Sachvortrag durch die Klägerin erfolgt. Mit dem SG ist deshalb auch der Senat der Auffassung, dass der tatsächliche Zeitaufwand, den die Klägerin für den behaupteten Schulbesuch/Fernunterricht gehabt hat, nicht nachgewiesen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob man als Belastungsgrenze für die Ausbildung nach § 48 Abs 4 Satz 1 SGB VI eine solche von 28 Stunden pro Woche (wie das SG) oder eine von 20 Wochenstunden (nach dem derzeit geltenden Gesetzeswortlaut in § 48 Abs 4 Satz 2 SGB VI) annimmt. Der Senat stimmt dem SG auch darin zu, dass sich der Zeitaufwand der Klägerin für das Fernstudium ab etwa 1996 erkennbar verringert hat, da nur noch die Wiederholung der nicht bestandenen Fächer betrieben wurde; da auch die zweimalige Wiederholung der Zwischenprüfungen im Ergebnis erfolglos blieb, musste das Studium im März 1998 aufgegeben werden.

Im Übrigen weist der Senat die Berufung der Klägerin aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs 2 SGG.

Da die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war, sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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