L 8 VJ 847/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VJ 1603/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 VJ 847/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Januar 2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2000 aufgehoben und es wird festgestellt, dass die therapieresistente Epilepsie mit generalisiert-klonischen Anfällen und die ausgeprägte Störung der motorischen Koordination, Handkoordination, visuomotorischen Koordination und der auditiven Merkfähigkeit Folge der am 18. Dezember 1992 durchgeführten Impfung gegen Poliomyelitis ist.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin wegen eines Impfschadens Anspruch auf Versorgung hat.

Die Klägerin kam am 1992 als drittes Kind gesunder Eltern im Kreiskrankenhaus D zur Welt. Die Schwangerschaft der Mutter verlief normal. In der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche traten leichte Blutungen auf und die Mutter war aufgefordert worden, zwei Tage zu liegen. Ansonsten war der Schwangerschaftsverlauf unauffällig. Die 1984 und 1988 geborenen Brüder der Klägerin sind gesund. Einer der Brüder hat nach Angaben der Mutter einmal einen Fieberkrampf erlitten. Ansonsten sind in der Familie keine Epilepsien oder Fieberkrämpfe bekannt. Die Geburt der Klägerin war eine Spontangeburt und verlief ohne Komplikationen. Die ersten Untersuchungen nach der Geburt (U1, U2, U3 und U4) ergaben keine Auffälligkeiten.

Am 18.12.1992 wurde die Klägerin gegen Diphterie (akute, manchmal lebensbedrohliche Infektion, die in den meisten Fällen die oberen Atemwege befällt), Tetanus (Wundstarrkrampf), Pertussis (Keuchhusten), Poliomyelitis (Kinderlähmung) und HiB (Haemophilus influenzae Typ b, ein Bakterium, das bei Kindern lebensgefährliche entzündliche Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich hervorrufen kann) geimpft. Die Impfung wurde zum damaligen Zeitpunkt öffentlich empfohlen. Nach der Impfung schlief das Kind ca. zehn Stunden sehr tief und musste zum Stillen geweckt werden. Am 20.12.1992 bekam die Klägerin Durchfall und leichtes Fieber (ca. 38,5 °). Die telefonische Anfrage der Eltern beim Kinderarzt, ob der Durchfall mit dem Impfen im Zusammenhang stehe, wurde von diesem verneint.

Am 25.12.1992 stellten die Eltern dann bei der Klägerin erstmals ein rhythmisches Zucken an Armen und Beinen fest. Das Kind verkrampfte die Hände und bekam einen starren Blick. Der ganze Vorfall dauerte ca. eine Minute. Da das Kind anschließend wieder ganz normal war und den Eltern zu diesem Zeitpunkt nichts über Krampanfälle bekannt war und es außerdem der 1. Weihnachtsfeiertag war, suchten die Eltern keinen Arzt auf.

Am Abend des 17.01.1993 erlitt die Klägerin zuhause in P. bei V. einen zweiten Krampfanfall. Die Eltern verständigten daraufhin die Nachbarn, damit diese die Brüder der Klägerin beaufsichtigten, und fuhren die Klägerin mit dem eigenen Auto bei winterlichen Straßenverhältnissen in das Klinikum der Stadt V.-S ... Bis zur ersten ärztlichen Untersuchung vergingen ca. 40 Minuten. Danach dauerte der Krampfanfall immer noch ca. 7 Minuten. Nach Gabe von 5mg Diazepam und Chloralhydrat rectal sowie 20mg Luminal hörte der Krampf auf. Die Liquorpunktion ergab keine Infektion. Die Suche nach angeborenen Stoffwechselkrankheiten sowie während der Geburt aufgetretene Infektionen zeigten keinen positiven Befund. Das EEG zeigte lediglich eine medikamentös bedingte Beta-Aktivität, war aber ansonsten völlig unauffällig. Eine Untersuchung auf Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nach Poliomyelitisimpfung wurde nicht durchgeführt.

Bereits am 27.01.2006 kam es bei der Klägerin zu einem dritten Krampfanfall. Die Behandlung erfolgte in der Kinderklinik des Klinikums K ... Das dort angefertigte EEG ergab keine eindeutigen Hinweise auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft und keine sichere hypersynchrone Aktivität (HSA).

Am 20.03.1996 stellten die Eltern der Klägerin einen Antrag auf Versorgung nach dem BSeuchG. Mit dem Einverständnis der Eltern der Klägerin zog das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) Behandlungsunterlagen bei (Bericht des Klinikums der Stadt V.-S. vom 29.01.1993 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 17.01. bis 21.01.1993; Bericht des Klinikums K. vom 15.02.1993 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 27.01. bis 29.01.93; Berichte der Klinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie - Kinderzentrum M. GmbH vom 11.03.93 und vom 11.01.96; Bericht der Ärzte für Radiologie Dr. F., K. vom 17.09.96; Arztbrief des Kreiskrankenhauses Donaueschingen vom 21.09.92 über die Entbindung).

Anschließend beauftragte das VA Prof. Dr. R. von der Abteilung für Pädiatrische Neurologie der Kinderklinik der Universität H. mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser gelangte in seinem neuropädiatrischen Gutachten vom 24.02.1998 nach Untersuchung der Klägerin am 09.01.1998 zu dem Ergebnis, die bei der Klägerin vorliegende Epilepsie stehe nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der am 18.12.1992 erfolgten Fünffachimpfung. Es stelle derzeitiges medizinisches Wissen dar, dass der Zusammenhang zwischen einer Pertussis-Vaccination und einer nachfolgend neurologischen Schädigung/Epilepsie nur über die Brückensymptomatik 1. Fieberkrämpfe oder 2. akute Enzephalopathie als Folge der Impfung hergestellt werden könne. Ein Fieberkrampf sei bei der Klägerin nicht aufgetreten. Der erste Fieberanstieg sei erst 48 Stunden nach der Vaccination gesehen worden; dieser zeitliche Abstand sei ganz untypisch und könne nicht als Folge der Pertussis-Vaccination gewertet werden. Der erste afebrile Krampfanfall habe sich am 25.12.1992, ca. sieben Tage nach der Fünf-Fach-Impfung ereignet und vier Tage, nachdem das milde Fieber vorbei gewesen sei. Eine akute neurologische Symptomatik, eine akute Enzephalopathie habe bei der Klägerin nicht diagnostiziert werden können. Nach diesen Kriterien könne ein Zusammenhang zwischen dem Beginn der Epilepsie und der Pertussis-Vaccination nicht hergestellt werden. Es bestehe lediglich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Fünffach-Impfung und dem Auftreten des ersten epileptischen Anfalls. Der erste Krampfanfall sei aber auch nicht als Fieberkrampf aufgetreten. Ein Fieberkrampf sei nicht gesehen worden. Unabhängig davon liege aber auch ein erforderlicher Nachweis von Impfviren im Darm oder Rachen oder von einer Antikörperbildung nicht vor, was nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht" für die Anerkennung von Impfschäden Voraussetzung sei. Der Nachweis von Impfviren und die Nichtdokumentation des Antikörper-Spiegels dürfe seines Erachtens aber nicht dem Impfling bzw. den Eltern angelastet werden. Derartige Untersuchungen seien seinerzeit in den beteiligten Kliniken nicht durchgeführt worden. Zusammenfassend komme er zu dem Ergebnis, dass die Epilepsie, die sich jetzt bei der Klägerin entwickelt habe, nicht in einem ursächlichen Zusammenhang stehe mit der am 18.12.2992 verabreichten Vaccination.

Anschließend holte das VA die gutachtliche Stellungnahme nach Aktenlage des Prof. Dr. S. vom Frühdiagnosezentrum W. - Ambulanz für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsauffälligkeiten und Behinderungen - vom 12.08.1998 ein. Darin führte dieser aus, er habe die Unterlagen ausführlich mit seinem Kollegen Prof. Dr. W. K. besprochen, der ein international anerkannter Experte für Infektiologie und Immunologie im Kindesalter und u.a. auch Mitglied der Kommission für Infektion und Impffragen der deutschen Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin sei. Prof. Dr. K. schließe sich den Argumentationen von Prof. Dr. R. voll an. Weder die Impfung gegen Diphterie, Tetanus und Pertussis noch die HiB oder die Polioimpfung hätten zu einer Epilepsie geführt. Seiner Ansicht nach habe im vorliegenden Fall die Impfung zufällig in einen noch latenten Krankheitsprozess hinein stattgefunden. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und dem Meinungsbild, das sowohl von neuropädiatrischer als auch von pädiatrisch-immunologischer-infektiologischer Seite gemacht worden sei, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang zwischen der diagnostizierten Epilepsie des Kindes S. K. und der am 18.12.1992 erfolgten Fünffach-Impfung nicht zu erheben.

Mit Bescheid vom 07.01.1999 lehnte das VA den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens ab. Nach dem Ergebnis der durchgeführten medizinischen Sachaufklärung sei festzustellen, dass zwischen der angeschuldigten Impfung und den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Weder die Impfung gegen Diphterie, Tetanus und Pertussis noch die HiB- oder die Polioimpfung hätten zu der Epilepsie geführt. Ein ursächlicher Zusammenhang käme nur dann in Betracht, wenn der erste Krampfanfall als Fieberkrampf aufgetreten wäre, der dann als Realisierungsfaktor die nachfolgende Epilepsie getriggert hätte oder wenn ein akutes neurologisches Kranksein im Sinne einer Impfenzephalitis aufgetreten wäre, die Enzephalitis einen Defekt gesetzt hätte, in dessen Folge die Epilepsie sich hätte manifestieren können. Ein Fieberkrampf sei aber nicht gesehen worden. Auch eine Enzephalitis/ein akutes neurologisches Kranksein/eine akute Enzephalopathie hätten bei der Klägerin nicht bestanden. Damit könne aber auch das bestehende Anfallsleiden nicht der am 18.12.1992 durchgeführten Impfung angelastet werden.

Dagegen wurde am 20.01.1999 Widerspruch erhoben und die Eltern führten zur Begründung im Wesentlichen aus, sie hätten bei ihrer Tochter S. nach der Mehrfachimpfung (u.a. Keuchhusten- und Polio-Impfung) zunächst ein vermehrtes Schlafbedürfnis sowie Durchfall und Fieber und am siebten Tag danach einen Krampfanfall beobachtet. Insoweit und nachdem sowohl der gesundheitliche Verlauf bei ihrer Tochter bis zur Impfung komplikationslos gewesen sei als auch in ihrer Familie neurologische Erkrankungen unbekannt seien, sei darin der ursächliche Zusammenhang begründet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2000 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, um die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den in Betracht kommenden Impfungen und den neurologischen Störungen begründen zu können, müsste im engen zeitlichen Zusammenhang zur Impfung ein schwereres Krankheitsbild mit unterschiedlichen neurologischen Krankheitssymptomen und langwierigem hochfieberhaftem Verlauf feststellbar gewesen sein. Ein solches Krankheitsbild sei bei der Klägerin unmittelbar nach der Impfung jedoch nicht beobachtet worden. Grund für die ablehnende Entscheidung sei nicht der fehlende Virusnachweis bzw. der fehlende Antikörperspiegel gewesen, sondern ausschließlich der klinische Verlauf der Krankheit der Klägerin. Dieses Krankheitsbild könne nicht als typische Folge einer Polio-Keuchhusten-Impfung angesehen werden. Ebenso wenig könne aus der fehlenden Entstehungsursache der Schluss gezogen werden, dass bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs mehr für als gegen eine Impfkomplikation spreche. Bei alledem lasse sich auch nach nochmaliger Überprüfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der am 18.12.1992 bei der Klägerin erfolgten Impfung und den bestehenden Gesundheitsstörungen nicht begründen.

Dagegen erhob die Klägerin am 04.05.2000 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) und verfolgte ihr Begehren weiter. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das Gutachten des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Dr. W., Germering, vom 28.06.2001 ein, das dieser aufgrund der Akten, des radiologischen Zusatzgutachtens des Dr. Sch. und aufgrund einer persönlichen Vorstellung der Klägerin und ihrer Angehörigen erstattete. Darin führte dieser aus, auch bei seiner Befragung der Angehörigen der Klägerin sei bestätigt worden, dass es bei der Klägerin in den Abendstunden des 25.12.1992 - also sieben Tage nach der angeschuldigten Erst-Impfung - erstmalig zum Auftreten von etwa einer Minute dauernden Krampfentladungen in Form von rhythmischen Zuckungen an Armen und Beinen bei nur leicht erhöhten Temperaturen gekommen sei. Am Tag der Klinikaufnahme der Klägerin in den Abendstunden des 17.01.1993 habe das Akutereignis des zweiten Krampfanfalls der Klägerin ganz im Vordergrund gestanden, zumal dieser Anfall wesentlich gravierender klinisch in Erscheinung getreten sei und auch eine Akuthilfe zur Überwindung des schweren Anfalls erforderlich geworden sei. Auch bei diesem zweiten Anfall seien rhythmische Zuckungen (klonische Anfälle) vor allem der oberen Extremitäten beiderseits aufgetreten, neben weiteren Symptomen eines großen Krampfanfalls. Fieber soll auch diesmal nicht bestanden haben (also keinesfalls ein "Fieberkrampf" beim ersten und zweiten Krampfanfall). Die Dauer des Anfalls werde mit ca. 25 Minuten angegeben. Der Zeitpunkt des zweiten Krampfanfalls habe mit etwas über vier Wochen nach der angeschuldigten Fünffach-Impfung schon am äußersten Rand der Inkubationszeit für die durchgeführte Poliomyelitis-Impfung gelegen. Der dritte Krampfanfall sei bei der Klägerin in den Abendstunden des 27.01.1993 zu Hause während des Stillens auf dem Wickeltisch liegend aufgetreten. Vor dem Anfall sei das Kind etwas unruhig gewesen. Fieber habe offensichtlich auch diesmal nicht bestanden. Bei diesem Anfall sei es zu Gesichtszuckungen sowie klonischen Erscheinungen an den oberen Extremitäten gekommen, während die unteren Extremitäten eher etwas steif gewesen seien. Vorliegend gehe es um die Frage, ob nach der Poliomyelitis-Impfung isoliert cerebrale Krankheitserscheinungen aufgetreten seien. Wie Prof. R. sei auch er der Meinung, dass der Nichtnachweis von Impfviren und die Nichtdokumentation eines Antikörperspiegels nicht dem Impfling bzw. seinen Angehörigen angelastet werden könnten. Vorliegend seien entsprechende Untersuchungen unterblieben, sodass es nicht möglich gewesen sei, Impfviren im Darm, im Liquor sowie eine Antikörperbildung nachzuweisen. In einem entscheidenden Punkt könne er jedoch dem Gutachten von Prof. R. nicht folgen, wenn er aufführe, nach der Literatur könne ein Zusammenhang nur dann akzeptiert werden, wenn der erste Krampfanfall als Fieberkrampf aufgetreten wäre, der dann als Realisationsfaktor die nachfolgende Epilepsie getriggert hätte und ein Fieberkrampf sei bei der Klägerin nicht beobachtet worden. Er sei anderer Auffassung, da die Notwendigkeit, dass der erste Krampfanfall als "Fieberkrampf" auftrete, in den "Anhaltspunkten" nicht vermerkt sei und dies auch von anderen Autoren nicht gefordert werde. Seines Erachtens sei vorliegend schon der erste kurze Krampfanfall ohne Fieber am 25.12.1992 das erste sichtbare Zeichen eines durch die Impfung in Gang gesetzten Krankheitsgeschehens gewesen, das schon nach rund drei Wochen in Form eines sehr schweren, über 25 Minuten dauernden schweren Krampfanfalls mit tonisch-klonischen Zuckungen in seiner Dramatik zum Ausdruck gekommen sei. Zusammenfassend komme er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein chronisches Krampfleiden bestehe, das in direktem zeitlichen Zusammenhang mit einer Fünffach-Impfung klinisch manifest geworden sei. Das klinische Bild und die Verlaufsbeobachtungen von 1993 bis jetzt sprächen dafür, dass es sich hierbei um ein chronisches frühkindliches Anfallsleiden mit generalisierten Anfällen sowie myoklonischen und anderen abortiven Anfallsformen handele. Außerdem sei es bei der Klägerin zu einem mäßiggradigen Defekt-Zustandsbild mit Beeinträchtigung der psychisch-geistigen Entwicklung sowie Störungen in der Feinmotorik und der Koordination gekommen. Er komme zu der Schlussfolgerung, dass zwischen der bestehenden Fünffach-Impfung am 18.12.1992 und den Gesundheitsstörungen der Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein pathogenetischer Zusammenhang angenommen werden müsse. Im Gegensatz zum Vorgutachten von Prof. R. sowie den Stellungnahmen von Prof. Strassburg werde von ihm ein rein zufälliges zeitliches Zusammentreffen beider Ereignisse abgelehnt. Er gehe davon aus, dass der Poliomyelitisanteil der Fünffach-Impfung zu einer isolierten cerebralen Noxe geführt habe, die in Form des ersten leichten Krampfanfalls ohne Fieber sieben Tage nach der Impfung am 25.12.1992 in Erscheinung getreten sei und drei Wochen später am 17.01.1993 (also noch innerhalb der Inkubationszeit) einen ganz schweren Grand-Mal-Anfall, ebenfalls ohne Fieber, ausgelöst habe. Ohne diese cerebrale Noxe wäre die genetisch mitdeterminierte frühkindliche Epilepsie sicher nicht zu diesem Zeitpunkt und wahrscheinlich auch nicht in der Form des weiteren Ablaufs klinisch manifest geworden. In jedem Fall müsse eine Triggerung der frühkindlichen Epilepsie durch die Impfung angenommen werden. Von ihm werde der Standpunkt vertreten, dass die orale Poliomyelitis-Impfung nicht nur mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit das genetisch determinierte Krampfleiden getriggert habe, sondern auch zu einer isolierten cerebralen Schädigung der Klägerin geführt habe.

Ergänzend führte Prof. Dr. W. am 04.10.2001 aus, durch die Impfung sei es bei der Klägerin zu einer isolierten cerebralen Schädigung gekommen. Hierfür sei eine so genannte ADEM (Entzündung des Gehirn- und Rückenmarkgewebes) verantwortlich zu machen. Durch den Poliomyelitis-Anteil der Impfung sei eine ADEM in Gang gesetzt worden, die das chronische Krampfleiden und das bei der Klägerin bestehende Defektzustandsbild bewirkt habe. Andere Verursachungen für das in Gang gesetzte chronische Krampfleiden sieben Tage nach der durchgeführten Fünffach-Impfung und für die nachgewiesenen pathologischen Ergebnisse bei der Kernspintomographie hätten sich anamnestisch nicht erheben lassen. Zur Abklärung einer ADEM gehöre im Prinzip auch der Nachweis von erhöhten T-Zellen im Blut, eine Untersuchung, die damals im Jahre 1992/93 weder bei den verschiedensten Virus-Erkrankungen noch bei Impfungen mit Lebendviren durchgeführt worden sei.

Dagegen wandte der Beklagte ein, die Auffassung von Prof. Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.10.2001, auf der Grundlage einer durchgemachten ADEM als immunologischer Reaktion auf den Poliomyelitisanteil der Fünffach-Impfung am 18.12.1992 sei eine symptomatische Epilepsie getriggert worden, widerspreche der Beurteilung sämtlicher bisheriger Gutachter.

Prof. Dr. D. - Chefarzt der Kinderklinik St. A.krankenhaus L. - teilte dem SG am 21.05.2002 mit, nach Durchsicht der Akten komme er zu dem Ergebnis, dass ein ausgewiesener Neuropädiater zu den Fragen der Impfschädigung bei der Klägerin Stellung nehmen sollte und hierzu schlage er Prof. Dr. K. von der Universitätsklinik F. vor. Anschließend holte das SG das kinderneurologische und kinderepileptologische Gutachten des Prof. Dr. K. vom Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Universität F. vom 07.01.2003 ein, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstattete. Darin gelangte er zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an einer schweren therapieresistenten frühkindlichen Epilepsie mit generalisiert tonisch-klonischen Anfällen (Grand-Mal-Anfällen), myoklonischen Anfällen, komplex-partiellen Anfällen und visuellen Auren. Gleichzeitig bestehe eine ausgeprägte Störung der motorischen Koordination, Handkoordination, visuomotorischen Koordination und auditiven Merkfähigkeit. Diese Epilepsie gleiche in Symptomatik und Verlauf inklusive EEG- und kernspintomographischen Befunden genau den Fällen, die in der Literatur als frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie mit Myoklonien oder als schwere myoklonische Epilepsie beschrieben werde. Diese Epilepsie sei überwiegend genetisch bedingt. Die eigentliche Ursache der schweren myoklonischen Epilepsie sei unklar. Es sei aber gut bekannt, dass die Anfälle im Rahmen dieser Erkrankung, nicht selten auch die ersten Anfälle, durch Infekte mit und ohne Fieber, gelegentlich auch durch Impfungen mit und ohne Fieber ausgelöst werden könnten. Mit Arbeiten sei gut belegt worden, dass auch Impfungen bei diesem epileptischen Syndrom Anfälle auslösen könnten. In keinem Fall sprächen die Autoren dieser Arbeiten aber von einer richtunggebenden Verschlechterung des Epilepsieverlaufs. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" von 1996 würden die Akzeptanz eines kausalen Zusammenhangs für möglich halten, wenn ein Intervall von drei bis vierzehn Tagen gewahrt sei. Dies sei bei der Klägerin der Fall. Zusätzlich werde aber eine genaue differenzialdiagnostische Abklärung gefordert, andere Ursachen müssten ausgeschlossen bzw. abgewogen werden. Der Nachweis von Impfviren bzw. Virusantikörpern sei in diesem Falle nicht versucht worden, dieser Umstand könne weder als Bestätigung noch als Widerlegung eines kausalen Zusammenhanges gewertet werden. Prof. W. nehme an, dass es bei der Klägerin über den pathogenetischen Brückenschlag einer postvaccinalen ADEM zu der bleibenden Schädigung gekommen sei. Wie er in seinem Gutachten ausführlich diskutiert habe, gebe es nach seiner eigenen Erfahrung und der entsprechenden Literatur keinerlei Anhalt dafür, dass bei der Klägerin tatsächlich eine ADEM aufgetreten sei. Die klinische Symptomatik und der kernspintomographische Befund vom März 1993 sprächen ausgesprochen dagegen. Er komme zu dem Schluss, dass die Impfung vom 18.12.1992, insbesondere auf die orale Polio-Impfung, nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Ursache im versorgungsrechtlichen Ursachenbegriff für die Gesundheitsstörung und das Anfallsleiden samt Folgen der Klägerin anzusehen sei. Ursache bedeute hier die wesentliche Bedingung für die Entstehung der Erkrankung. Vorliegend sei es durchaus wahrscheinlich, dass die Impfung mit ihrer unspezifischen immunologischen Reaktion den Anlass oder letzten Anstoß für die Manifestation des ersten Anfalls bei der in der Ursache genetisch determinierten Epilepsie gegeben habe. Solche Anlässe oder letzte Anstöße seien aber keine wesentliche Bedingungen im Sinne der Verursachung. Die Gewichtung der Ursachen wäre anders zu beurteilen, wenn die ersten Krampfanfälle so schwer verlaufen wären, dass sie ihrerseits zu einem sog. iktugenen Hirnschaden geführt haben könnten, der dann den Verlauf und die Ausprägung der resultierenden Epilepsie mitbestimmt hätte. Dies könne aber ausgeschlossen werden. Der Anfall am 25.12.1992 sei außerordentlich leicht gewesen. Der Anfall vom 17.01.1993 sei zwar länger und schwerer gewesen und werde von Prof. W. für den Ausdruck einer schweren Enzephalopathie oder ADEM mit möglicherweise weit reichenden Folgen gehalten, dies treffe aber nicht zu. Ausweislich der Krankenakte der behandelnden Klinik habe der Anfall vor Erscheinen in der Klinik etwa zehn Minuten gedauert und in der Klinik habe er zusätzlich etwa sieben Minuten bis zur Unterbrechung angedauert. Ein 17 Minuten andauernder Anfall sei aber entgegen der Einschätzung von Prof. W. keinesfalls ungewöhnlich. Unter einer Dauer von 30 Minuten sei nicht mit einer bleibenden Hirnschädigung als Folge des Anfallsgeschehens selbst zu rechnen. So habe sich denn auch das Kind nach diesem Anfallsereignis und nach Abbau der verabreichten Medikamente rasch erholt, spätestens ab 12.00 Uhr am Folgetag sei das Verhalten dokumentiert völlig unauffällig gewesen. Zusammenfassend komme er somit zu dem Schluss, dass nach seiner Einschätzung die Impfung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Ursache der Epilepsie im Sinne der wesentlichen Bedingung gewesen sei. Hingegen komme die Impfung sehr wohl als letzter Anstoß für die klinische Manifestation der ersten Anfälle in Frage, ohne dass dies aber die wesentliche Bedingung wäre und den weiteren Verlauf wesentlich mitbestimmt hätte. Den Schlussfolgerungen von Prof. Dr. R. und von Prof. S. stimme er zu. Er stimme auch den Schlussfolgerungen von Dr. Z.-K. zu; insbesondere habe auch sie bereits darauf hingewiesen, dass die reine Auslösung eines anlagebedingten Leidens mit Vorverlegung um wenige Wochen oder Monate am Gesamtverlauf kaum etwas geändert hätte. Von der Einschätzung von Prof. W. weiche er in wesentlichen Teilen ab. Insbesondere sei er der Meinung, dass es keinen Anhalt dafür gebe, dass bei der Klägerin eine ADEM aufgetreten sei und zur Ursache für die Epilepsie habe werden können. Natürlich könnten Anfälle im Rahmen des bestehenden Syndroms durch Fieber, Infekte und Impfungen aktiviert werden. Diese beeinflussten den Gesamtverlauf aber eben nicht wesentlich und grundlegend. Dies werde auch in sämtlichen wissenschaftlichen Arbeiten zur schweren myoklonischen Epilepsie so gesehen. Auch er akzeptiere einen Zusammenhang zwischen Impfung und Entstehung der ersten Anfälle bei der Klägerin im Sinne des letzten Anstoßes. Er folge aber nicht der Auffassung von Prof. W., dass es sich dabei um die wesentliche Bedingung gehandelt habe.

Mit Urteil vom 20.01.2004 wies das SG die Klage ab. Die Anerkennung eines Impfschadens setze nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004, (AHP) den Nachweis von Impfviren und/oder Antikörperbildung voraus. Dieser Nachweis könne vorliegend nicht erbracht werden. Die Nichterweislichkeit dieser Tatbestandvoraussetzung gehen zu Lasten der Klägerin, eine Beweislastumkehr schiede aus. Daher könne der Auffassung von Prof. R. und Prof. W., dass fehlende Untersuchung auf Impfviren nicht der Klägerin angelastet werden können, nicht gefolgt werden. Auf die weiteren Entscheidungsgründe des dem Bevollmächtigten der Klägerin am 04.02.2004 zugestellten Urteils wird Bezug genommen.

Dagegen hat die Klägerin am 20.02.2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, das SG habe ein Gutachten bei Prof. Dr. W. und ein Gutachten bei Prof. Dr. K. eingeholt, die beide zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt seien. Allerdings habe sich das SG nicht mit den beiden unterschiedlichen Gutachten auseinandergesetzt. Allein der Umstand, dass vorliegend der Nachweis vom Impfviren und Antikörperbildung nicht mehr zu erbringen sei, da 1996 und davor keine entsprechenden Blutuntersuchungen auf Impfviren und Antikörperbildung vorgenommen worden seien, sei für das Gericht ausschlaggebend gewesen. Sie sei mit Prof. Dr. W. der Auffassung, dass das Versäumnis einer entsprechenden Blutuntersuchung nicht zu ihren Lasten gehen dürfe, zumal zum damaligen Zeitpunkt der Impfung derartige Maßnahmen nicht zwingend geboten gewesen seien. Außerdem habe Prof. Dr. W. zutreffend darauf hingewiesen, dass nach neueren Untersuchungen nicht notwendig ein Virennachweis gelinge, da es sich um ein immunologisches Geschehen handele. Demzufolge seien diese Nachweisvoraussetzungen nicht hinreichend geeignet und auch nicht erforderlich. Das Gutachten von Prof. Dr. K. bleibe eine Antwort darauf schuldig, welches letztendlich dann die Ursache der bei ihr aufgetretenen Anfälle gewesen sei. Es komme insoweit allenfalls eine genetische Veranlagung in Betracht. Diese Veranlagungsform müsste sich in der Familiensituation widerspiegeln, d.h. es müssten ähnliche Vorfälle bei den jeweiligen Familienmitgliedern oder Verwandten vorliegen. Dies sei bisher nicht der Fall.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2006 legte der Bevollmächtigte eine Kopie des Berichts des Universitätsklinikums H. vom 18.10.2004 vor, worin Privatdozent Dr. B. ausführte, zwischenzeitlich liege das Ergebnis der molekulardiagnostischen Untersuchung in Gießen auf einem Mutation im SCN1 A Gen. vor. Hier habe sich aber keine Mutation nachweisen lassen.

Die Klägerin stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Januar 2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2000 aufzuheben und festzustellen, dass die therapieresistente Epilepsie mit generalisiert-klonischen Anfällen und die ausgeprägte Störung der motorischen Koordination, Handkoordination, visuomotorischen Koordination und der auditiven Merkfähigkeit Folge der am 18. Dezember 1992 durchgeführten Impfung gegen Poliomyelitis ist, hilfsweise ein Obergutachten einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Mit Schreiben vom 20.02.2006 hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. K. eingeholt und darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich neue Erkenntnisse vorlägen, die möglicherweise eine andere Gewichtung erlaubten. Zum einen habe die Klägerin das Ergebnis einer molekulardiagnostischen Untersuchung vorgelegt. Danach habe sich keine Mutation im SCN 1 A Gen nachweisen lassen (Auskunft des Universitätsklinikums H. vom 18.10.2004). Außerdem habe sich herausgestellt, dass der zweite Anfall der Klägerin am 17.01.1993 doch erheblich länger gedauert habe als ursprünglich angenommen worden sei.

Hierzu hat Prof. Dr. K. am 10.04.2006 Stellung genommen. Die Befundlage einschließlich sämtlicher angefertigten kernspintomographischen Untersuchungen des Gehirns der Klägerin sprächen nicht für eine sogenannte läsionelle Epilepsie, d.h. für eine Epilepsie, die auf eine umschriebene oder diffuse Hirnschädigung ursächlich zurückzuführen sei. Die bei der Klägerin solchermaßen zu diagnostizierende Epilepsie werde nach den auch heute gültigen Klassifizierungsregeln der Internationalen Liga gegen Epilepsie den sogenannten idiopathischen Epilepsien zugeordnet. Der Begriff "idiopathisch" (zu deutsch "eigenes Leiden") bezeichne zunächst die Tatsache, dass die Ursache der Epilepsie nicht bekannt sei, dass diese sozusagen "aus sich heraus" entstehe. In Beantwortung der Beweisfrage handele es sich bei der Epilepsie der Klägerin um eine Erkrankung, deren Ursache individuell zur Zeit nicht schlüssig bewiesen werden könne. Die bekannten epidemiologischen und klinisch-genetischen Daten wiesen aber darauf hin, dass es sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine genetisch determinierte Erkrankung handele. Diese Interpretation werde für den Fall der Klägerin auch durch die Tatsache gestützt, dass offenbar ein Bruder im Kleinkindalter einmal einen Fieberkrampf erlitten habe. Fieberkrämpfe seien zwar aus klinischer Sicht wegen der völlig anderen Lebenskonsequenz nicht als Epilepsien einzustufen, sie seien aber in ihrer Ursache, Genetik und Pathogenese sehr eng mit den idiopathischen Epilepsien verbunden. Bei der Klägerin könne die Impfung nicht als alleinige mögliche Ursache der Erkrankung nach Ausschluss aller anderen Ursachen angesehen werden. Hingegen bliebe die Wahrscheinlichkeitsverteilung - wie in seinem Gutachten vom 07.01.2003 beschrieben - bestehen mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer genetisch-determinierten Erkrankung. Ihm und allen erfahrenen Fachkollegen seien zahlreiche Kinder mit frühkindlicher Grand Mal-Epilepsie bzw. schwerer myoklonischer Epilepsie der frühen Kindheit bekannt, deren klinischer Verlauf und deren Befundlage sich in nichts von den Verhältnissen bei der Klägerin unterschieden ohne dass ein Zusammenhang der Erstmanifestation mit einer Impfung bestanden hätte. Verglichen mit diesen Verläufen sei also nicht zu erkennen, dass die mögliche Impfauslösung den Verlauf bei der Klägerin richtunggebend bestimmt hätte. Aus der Befundlage und dem Verlauf beider Anfälle (25.12.1992 und 17.01.1993) könne keine Begründung dafür abgeleitet werden, dass die ersten beiden Anfälle mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine richtunggebende Verschlechterung einer primär-idiopathischen Epilepsie bewirkt hätten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Karlsruhe und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen eines Impfschadens. Die im Jahre 1992 durchgeführte Impfung gegen Poliomyelitis (Kinderlähmung) ist eine wesentliche Bedingung für das epileptische Leiden der Klägerin samt den damit verbundenen Folgen.

Die Klage ist als mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage zulässig. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG kann mit der Klage auch die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung die Folge einer Schädigung iSd Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist. Einer Schädigung iSd BVG steht eine Schädigung iSd Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) bzw. des Infektionsschutzgesetz (IfSG) gleich (vgl Keller in Meyer-Ladewig Sozialgerichtsgesetz 8. Aufl. § 55 Rn 13).

Streitgegenstand des Rechtsstreits ist die Anerkennung eines Impfschadens nach § 51 Abs. 1 BSeuchG bzw. § 60 Abs. 1 IfSG. Da das IfSG am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, bei zeitgleichem Außerkrafttreten des BSeuchG ohne Übergangsvorschrift (s Art 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 2000, BGBl I, 1045), ist im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch bis zum Inkrafttreten des IfSG das BSeuchG weiterhin anzuwenden; hier also von der Antragstellung im März 1996 bis zum 31. Dezember 2000. Für die Zeit danach sind der Entscheidung die allerdings insoweit im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG zu Grunde zu legen (BSG 20.07.2005 - B 9a/9 VJ 2/04 - Breith 2006, 140).

Wer durch eine Schutzimpfung, die von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen worden ist, einen Impfschaden erlitten hat, erhält nach § 51 Abs. 1 BSeuchG und § 60 Abs. 1 IfSG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden (§ 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG) bzw. die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung (§ 2 Nr. 11 IfSG). Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG/§ 61 Satz 1 IfSG). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Impfung anerkannt werden (§ 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG/§ 61 Satz 2 IfSG; sog Kannversorgung).

Allerdings müssen die Impfung, die Schädigung durch die Impfung in Form eines über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG) bzw. einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (vgl. § 2 Nr. 11 IfSG) und der verbliebene Schaden (anhaltende Gesundheitsstörung) voll bewiesen sein (BSG 19.03.1986 - 9a RVi 2/84 - SozR 3850 § 51 Nr. 9). Nur für den Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und der Schädigung sowie der Schädigung und dem verbleibenden Gesundheitsschaden genügt der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich ist eine Kausalität dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht bzw. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Es genügt nicht, dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann oder nur möglich ist; auch die "gute Möglichkeit" genügt nicht (BSG aaO). Der Vollbeweis setzt voraus, dass die Tatbestandsmerkmale mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, die ernste, vernünftige Zweifel ausschließt, erwiesen sind (BSG 19.03.1986 - 9a RVi 2/84 - SozR 3850 § 51 Nr. 9).

Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, gelten im Impfschadensrecht für die Feststellung von Ursachenzusammenhängen grundsätzlich die gleichen Maßstäbe wie in Fällen des BVG, denn die Aufklärungsschwierigkeiten im Impfschadensrecht entsprechen insoweit typischerweise denen des BVG (BSG SozR 3850 § 52 Nr. 1 mwN). Dies bedeutet: Lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges nicht ermitteln, wirkt sich dies zu Lasten der Antragstellerin (Klägerin) aus. Das BSG hat ferner entschieden, dass im Impfschadensrecht bei unaufgeklärtem Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und dauerndem Gesundheitsschaden keine Beweislastumkehr in Betracht kommt. Nichts anderes gilt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Impfschaden, denn im Impfschadensrecht ist für die Anerkennung eines Impfschadens als anspruchsbegründender Umstand bereits gesetzlich eine Beweiserleichterung geschaffen worden, nämlich dass die Wahrscheinlichkeit für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen Impfung und Impfschaden sowie der dauernden Gesundheitsstörung genügt (vgl §§ 52 Abs. 2 Satz 1, 51 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG iVm § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ). Bei dieser Sachlage besteht in Fällen eines bereits gesetzlich normierten erleichterten Maßstabs für die Feststellung von Ursachenzusammenhängen jedenfalls in der Regel kein Anlass, aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung von dem normierten Maßstab abzugehen (BSG 27.08.1998 - B 9 VJ 2 97 R -).

Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Impfung und dem Gesundheitsschaden iS einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung gilt im sozialen Entschädigungsrecht - wie auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung - die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und dem Gesundheitsschaden voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass die Impfung für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (stRspr: BSGE 1, 72 , 76; 1, 150, 156 f; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13). Gab es neben der Impfung noch konkurrierende Ursachen, zB Krankheitsanlagen, so war die Impfung wesentlich, solange die konkurrierende Ursache nicht von überragender Bedeutung war (vgl. BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO, SozR Nr 69 zu § 542 RVO aF). Eine Krankheitsanlage war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte ( BSGE 62, 220 , 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10 S 30). War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache (so BSG 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 15 und BSG 02.05.2001 - B 2 U 18/00 R - HVBG-INFO 2001, 1713-1720 zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung).

Nach dem Ergebnis der vom Senat und vom SG durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei der Klägerin bestehende therapieresistente Epilepsie mit generalisiert-tonischen Anfällen und die ausgeprägte Störung der motorischen Koordination, Handkoordination, visuomotorischen Koordination und der auditiven Merkfähigkeit mit Wahrscheinlichkeit Folge der am 18.12.1992 durchgeführten Impfung ist. Die Impfung am 18.12.1992 und das Vorliegen der Epilepsie mit den genannten Folgen sind nachgewiesen. Es spricht auch mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem verbliebenen Schaden. Dies folgt vor allem aus den Gutachten von Prof. Dr. K. und Prof. Dr. W ...

Prof. R. hat in seinem für den Beklagten im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten vom 24.02.1998 ausführlich dargelegt, dass und weshalb ein Zusammenhang zwischen einer Pertussis-Impfung und einer nachfolgenden Epilepsie nur angenommen werden kann, wenn die Impfung zu Fieberkrämpfen oder einer akuten Enzephalopathie (krankhafte Veränderungen des Gehirns) geführt hat (sog Brückensymptomatik). Ein Fieberkrampf ist bei der Klägerin aber nicht aufgetreten und der erste Fieberanstieg 48 Stunden nach der Impfung ist seiner Ansicht nach ganz untypisch und kann deshalb nicht als Folge der Pertussis-Impfung gewertet werden. Eine akute neurologische Symptomatik bzw. eine akute Enzephalopathie konnte im Anschluss an die Impfung ebenfalls nicht festgestellt werden. Der Sachverständige weist ausdrücklich daraufhin, dass das von den Eltern beobachtete vermehrte Schlafbedürfnis direkt nach der Impfung nicht als Hinweis auf eine Enzephalopathie gedeutet werden kann. Er konnte deshalb einen Zusammenhang zwischen der Pertussis-Impfung und der Epilepsie nicht erkennen. Der Senat schließt sich dieser Bewertung an.

Die bei der Klägerin bestehende Epilepsie steht auch nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung gegen Diphterie, Tetanus und HiB. Dies hat ebenfalls bereits Prof. R. ausgeführt und darauf hingewiesen, dass nach seiner Kenntnis bisher in der Literatur kein Fall einer Epilepsie nach einer solchen Impfung berichtet worden sei. Auch insoweit schließt sich der Senat der Auffassung von Prof. R. an. Prof. W. hat in seinem auf Antrag der Klägerin erstellten Gutachten vom 09.06.2001 auch klargestellt, er sei mit Prof. R. der gleichen Meinung, dass in der vorliegenden Rechtssache ganz speziell die Auswirkungen der oralen Poliomyelitisimpfung ins Auge gefasst werden müssen. Da ferner nach übereinstimmender Ansicht aller Sachverständiger im zeitlichen Zusammenhang mit der Poliomyelitisimpfung weder ein Guillain-Barré-Syndom (fortschreitende Entzündung peripherer Nerven und Nervenwurzeln) noch poliomyelitisähnliche Erscheinungen mit schlaffen Lähmungen aufgetreten sind, können diese möglichen Impfschadensfolgen außer Acht gelassen werden (vgl. Gutachten Prof. W. S. 16). Entscheidend ist daher, ob ein hirnorganisches Anfallleiden ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis als Folge der Impfung gegen Poliomyelitis anerkannt werden kann.

Nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004, (AHP) bedarf die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann als wahrscheinlich anzusehen, wenn die Erkrankung zwischen dem 3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z. B.) Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden (AHP Abschnitt 57 S. 194f).

Der für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen der Impfung am 18.12.1992 und dem ersten Auftreten von Krankheitszeichen ist vorliegend gegeben. Der Senat ist davon überzeugt, dass der erste epileptische Anfall bei der Klägerin bereits am 25.12.1992 aufgetreten ist und der ärztlich untersuchte und behandelte Krampfanfall am 17.01.1993 bereits der zweite epileptische Anfall war. Die Klägerin wurde wegen dieses zweiten Krampfanfalls in der Zeit vom 17.01. bis 21.01.1993 stationär im Klinikum der Stadt Villingen-Schwenningen behandelt. Die Mutter der damals 4 Monate alten Klägerin gab bei der Aufnahme in der Klinik an, sie habe bei der Klägerin eine Woche nach der Impfung - später präzisierte sie, dass es der 25.12.1992 war - rhythmische Zuckungen an Armen und Beinen beobachtet. Der Senat hält diese Angaben für glaubhaft. Da diese Symptome auch bei der Aufnahme der Klägerin in die Klinik am 17.01.1993 vorhanden waren, ist anzunehmen, dass sich die ersten Anzeichen der später diagnostizierten Epilepsie bereits am 25.12.1992 gezeigt haben. Davon geht neben Prof. W. auch Prof. K. aus (Gutachten S. 48).

Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ersten Krampfanfall und der Impfung genügt für sich allein aber nicht, um hieraus auch auf einen ursächlichen Zusammenhang zu schließen. Darin sind sich alle Sachverständigen einig. Nach den AHP müssten zusätzlich Impfviren bzw. eine Antikörperbildung nachgewiesen sein. Dieser Nachweis konnte bei der Klägerin nicht geführt werden. Auch insoweit besteht Einigkeit. Ausgehend von den in den AHP niedergelegten Grundsätzen wäre bereits aus diesem Grund eine durch die Impfung hervorgerufene Schädigung der Klägerin zu verneinen. Allerdings geht der Senat mit Prof. R., Prof. W. und Prof. K. davon aus, dass der fehlende Nachweis der Impfviren und/oder der Antikörperbildung nicht der Klägerin angelastet werden darf, weil die Klägerin nach dem ersten Krampfanfall am 25.12.1992 gar nicht ärztlich behandelt wurde und bei den Klinikaufenthalten der Klägerin Anfang des Jahres 1993 die entsprechenden Untersuchungen nicht durchgeführt wurden. Darin sieht der Senat anders als das SG keine unzulässige Beweiserleichterung bzw. Beweislastumkehr. Auf den Nachweis von Impfviren und/oder einer Antikörperbildung kann verzichtet werden, wenn auch ohne einen solchen Nachweis mehr für als gegen einen Zusammenhangs zwischen Anfallsleiden und Impfung spricht. Dies ist hier der Fall.

Die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen stimmen darin überein, dass es sich bei dem Anfallsleiden der Klägerin um eine frühkindliche Epilepsie mit genetischer Grundlage handelt. Allerdings lässt diese Diagnose noch keinen Schluss über die Ursache der Erkrankung zu. Denn die Begriffe "frühkindliche Grand mal-Epilepsie mit Myoklonien" oder "schwere myoklonische Epilepsie" beinhalten eine phänomenologische, klinisch beschreibende Diagnose (Gutachten Prof. K. vom 07.01.2003 S. 38). Nach dem Gutachten von Prof. K. beginnt die Erkrankung zwischen dem zweiten und neunten Lebensmonat. Sie manifestiert sich mit anfänglich großen Anfällen, davon 75% unter Fieber. Die großen Anfälle treten in der Folge mit und ohne Fieberauslösung auf. Mit dem Einsetzen der Myoklonien kommt es dann zu einem allmählichen Zurückbleiben der allgemeinen Entwicklung der Kinder. Die eigentliche Ursache der schweren myoklonischen Epilepsie ist unklar. Es ist aber nach den Ausführungen von Prof. K. (Gutachten S. 48) gut bekannt, dass die Anfälle im Rahmen dieser Erkrankung, nicht selten auch die ersten Anfälle, durch Infekte mit und ohne Fieber, gelegentlich auch durch Impfungen mit und ohne Fieber ausgelöst werden können. Er hält dies sogar für gut belegt. Speziell auf den Fall der Klägerin bezogen führt der Sachverständige aus: "So ist es auch bei dem Kind Stefanie Krumm durchaus wahrscheinlich, dass die Impfung mit ihrer unspezifischen immunologischen Reaktion den Anlass oder letzten Anstoß für die Manifestation des ersten Anfalls bei der in der Ursache genetisch determinierten Epilepsie gegeben hat." Ferner schreibt er: "Auch ich akzeptiere einen Zusammenhang zwischen Impfung und Entstehung der ersten Anfälle bei der Klägerin im Sinne eines letzten Anstoßes" (Gutachten S. 54). Diesen Ausführungen schließt sich der Senat insoweit an, als damit ein Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auslösen des ersten Anfalls bejaht wird. Dies hat zunächst zur Konsequenz, worauf bereits Prof. W. aufmerksam gemacht hat, dass die Auffassung von Prof. R. widerlegt ist, der einen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Epilepsie nur akzeptiert, wenn der erste Krampfanfall als Fieberanfall aufgetreten wäre oder wenn ein akutes neurologisches Kranksein im Sinne einer Impenzephalitis aufgetreten wäre.

Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen von Prof. K. steht für den Senat deshalb fest, dass die Impfung mit Wahrscheinlichkeit eine Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn (conditio sine qua non) für den ersten Krampfanfall der Klägerin am 25.12.1992 ist. Dieser Krampfanfall ist ohne Zweifel eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung. Damit stellt sich - worauf Prof. K. zutreffend hingewiesen hat - die Frage, ob die Impfung auch wesentliche Bedingung für die epileptische Erkrankung ist. Prof. K. verneint dies. Insoweit vermag sich der Senat seiner Auffassung aber nicht anzuschließen, da er bei seiner wertenden Betrachtung von einem unzutreffenden Beurteilungsmaßstab ausgeht. Aus (sozial)rechtlicher Sicht kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob die ersten Krampfanfälle am 25.12.1992 und 17.01.1993 so schwer verlaufen sind, dass sie ihrerseits zu einem sog. iktugenen Hirnschaden geführt haben könnten (Gutachten Prof. K. S. 51). Beruht der Ausbruch einer Krankheit (hier: die Epilepsie) auf mehreren Ursachen (hier: einerseits die Impfung und andererseits die Krankheitsanlage), so war die Impfung wesentlich, solange die Krankheitsanlage nicht von überragender Bedeutung war. Eine Krankheitsanlage war aber nur von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen (hier die Auslösung des ersten Krampfanfalls am 25.12.1992) nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte. Eine derart überragende Bedeutung der Krankheitsanlage für die Entstehung der Epilepsie vermag der Senat anders als Prof. K. nicht zu erkennen.

Nach den AHP (Abschnitt 57 S. 195) können einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden. Die Anfälle, die die Klägerin am 25.12.1992, 17.01.1993 und 27.01.1993 erlitten hat, werden aber von allen Sachverständigen als Erstmanifestation der Epilepsie gewertet. Von einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens kann ersichtlich nicht gesprochen werden. Dies hat auch Prof. K. in seiner für den Senat erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 10.04.2006 bestätigt (Stellungnahme S. 9). Nach den AHP kommt es daher - durchaus in Übereinstimmung mit der von der Rechtsprechung entwickelten Theorie der wesentlichen Bedingung - darauf an, ob andere Ursachen für die Auslösung des ersten Krampfanfalls in Betracht kommen. Dies ist aber auch nach den Ausführungen von Prof. K. nicht der Fall. So legt er in seinem Gutachten vom Januar 2003 dar, ätiologisch könne eine genetisch oder anderweitig verursachte Hirnmissbildung, eine prä- oder perinatale exogene Hirnschädigung sowie ein angeborenes Stoffwechselleiden weitgehend ausgeschlossen werden. Das klinische Bild spreche auch nicht für eine substantielle postnatale Hirnschädigung, bei der stärker ausgeprägte kernspintomografische Pathologien und eher ein umschriebener neurologischer Herdbefund als die vorliegende sehr diffuse Koordinations- oder Entwicklungsstörung zu erwarten wären (Gutachten S. 47).

Es lässt sich auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Epilepsie bei der Klägerin genetisch bedingt ist. So führt Prof K. in seiner ergänzenden Stellungnahme aus, es handele es sich bei der Epilepsie der Klägerin um eine Erkrankung, deren Ursache individuell zur Zeit nicht schlüssig bewiesen werden könne. Die bekannten epidemiologischen und klinisch-genetischen Daten wiesen aber darauf hin, dass es sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine genetisch determinierte Erkrankung handele. Diese Interpretation werde für den Fall der Klägerin auch durch die Tatsache gestützt, dass offenbar ein Bruder im Kleinkindalter einmal einen Fieberkrampf erlitten habe. Fieberkrämpfe seien zwar aus klinischer Sicht wegen der völlig anderen Lebenskonsequenz nicht als Epilepsien einzustufen, sie seien aber in ihrer Ursache, Genetik und Pathogenese sehr eng mit den idiopathischen Epilepsien verbunden. Auch nach den Ausführungen des Sachverständigen ist also eine genetisch-determinierte Erkrankung der Klägerin nur wahrscheinlich, aber nicht gewiss. Die an der Uniklinik Heidelberg durchgeführte molekulardiagnsotische Untersuchung hat keinen Gendefekt zutage gefördert, der für die Entstehung der Epilepsie verantwortlich sein könnte und die Familienanamnese gibt ebenfalls keinen entscheidenden Hinweis auf eine das Leiden begünstigende Erbanlage. Der (einmalige) Fieberkrampf des Bruders der Klägerin kann nicht ernstlich als Hinweis auf eine genetische Veranlagung gewertet werden. Bei dieser Sachlage kann nach Ansicht des Senats davon ausgegangen werden, dass eine Verursachung des Leidens durch einen genetischen Defekt nicht nachgewiesen ist. Die Möglichkeit einer genetischen Verursachung reicht jedenfalls dann nicht aus, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung als nicht wahrscheinlich anzusehen, wenn Hinweise auf eine erbliche Belastung nicht vorliegen und gewichtige Umstände für einen Zusammenhang sprechen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.04.2006 hat Prof. K. ferner ausgeführt, die Impfung könne nicht als alleinige mögliche Ursache der Erkrankung nach Ausschluss aller anderen Ursachen angesehen werden (Stellungnahme S. 8). Auch darauf kommt es nicht entscheidend an. Es genügt, wenn die Auslösung der Erkrankung wesentlich durch die Impfung verursacht wurde. Nicht erforderlich ist, dass die ersten Krampfanfälle zu einem Hirnschaden geführt haben, der dann als zweite Ursache den weiteren Verlauf hätte mitbestimmen können (Stellungnahme Prof. K. S. 9). Vorliegend geht es um die Verursachung iS der Entstehung und nicht nur um eine Verschlimmerung einer bereits vorhandenen Epilepsie.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Impfschadensrecht von den in den AHP niedergelegten Grundsätzen (Nachweis von Impfviren) abgewichen werden kann, grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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