Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 02227/96
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1029/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2001 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 20.11.1995 Rente in Höhe von 70 v. H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers mindestens 70 vom Hundert (v. H.) beträgt.
Der 1942 geborene Kläger erlitt am 23.07.1993 einen Arbeitsunfall, bei dem er aus ca. 4 m Höhe kopfüber abstürzte. Er wurde in die Abteilung für Unfallchirurgie des K.-Hospitals S. eingeliefert, wo eine traumatische Subarachnoidalblutung (SAB) und eine Subduralblutung sowie eine Hüftprellung links diagnostiziert wurden. Er wurde zur Schädeltrepanation in die neurochirurgische Abteilung verlegt (Durchgangsarztbericht (DAB) vom 26.07.1993). Dort wurde die vorläufige Diagnose eines Schädelhirntraumas mit Kalottenfraktur links parietal, eines massiven Hirnödems, einer traumatischen SAB und eines subduralen Hämatoms über der gesamten Großhirnhemisphäre links gestellt (Neurologischer Befundbericht vom 28.07.1993).
Die Beklagte gewährte dem Kläger anschließend berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung. Im Befund-, Verlaufs- und Entlassungsbericht der Kliniken S. vom 26.09.1995 über ein in der Zeit vom 09.08. bis zum 20.09.1995 durchgeführtes (drittes) stationäres Heilverfahren (Diagnose: Zustand nach schwerem Schädelhirntrauma mit links-parietaler Kalottenfraktur, ausgedehnter bifrontaler Hirncontusion, traumatischer Subarachnoidalblutung und operativ ausgeräumtem raumforderndem Subduralhämatom über der linken Hemisphäre mit jetzt bestehender Anosmie, sensomotorische Resthemiparese rechts sowie erhebliches hirnorganisches Psychosyndrom frontaler Prägung mit deutlichen reaktiven Problemen der Krankheitsverarbeitung) hieß es, die Entlassung des Klägers erfolge als weiterhin arbeitsunfähig in haus- und nervenärztliche Weiterbetreuung, wobei mit einer wesentlichen Besserung des unfallbedingt erheblich beeinträchtigten Leistungsvermögens nicht mehr zu rechnen sei; in den Unfallfolgen sei ein Endzustand eingetreten, eine berufliche Wiedereingliederung werde weder im Ausbildungsberuf als Installateurmeister noch in sonstigen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich sein. Im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung sei Erwerbsunfähigkeit auf Dauer anzunehmen. Die Beklagte stellte mit dem 19.11.1995 das Verletztengeld ein. Nachdem der Chirurg Dr. K. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 05.12.1995 für die Zahlung von Vorschüssen eine unfallbedingte MdE in Höhe von 30 v. H. befürwortet hatte, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 21.12.1995 ab Januar 1995 laufende Vorschüsse in Höhe von DM 620,00.
Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. K., Nervenarzt in T., das neurologische Gutachten vom 23.01.1996. Als Unfallfolgen bestünden keine epileptischen Anfälle, aber ein organisches Psychosyndrom, das eine diskrete Störung der Feinmotorik, Stirnkopfschmerz, Schwindelzustände und psychopathologische Auffälligkeiten bedinge, ferner eine Anosmie. Die hierdurch bedingte MdE wurde unter Dauerrentengesichtspunkten auf 50 v. H. eingeschätzt. Dieser Beurteilung stimmte Dr. K. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.02.1996 zu. Hierauf gestützt bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 18.03.1996 ab 20.11.1995 bis auf weiteres Verletztenrente nach einer MdE um 50 v. H. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma mit Subarachnoidalblutung, Schädelkalottenfraktur links sowie subdurales Hämatom; Wesensveränderung; Geruchsverlust; leichte Störung der Feinmotorik rechts; Stirnkopfschmerzen und Schwindelzustände; Störung der Merkfähigkeit und Konzentration. Die LVA Niederbayern-Oberpfalz hatte dem Kläger mit Bescheid vom 09.03.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 20.11.1995 gewährt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18.03.1996, mit dem moniert wurde, dass die ihn mehrfach behandelnden Ärzte der Kliniken S. zur Höhe der MdE nicht gehört worden seien, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.05.1996).
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 30.05.1996 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Dieses zog u. a. das von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des B.-Hospitals der Stadt S., und von Oberärztin Dr. S. für die Privatversicherung des Klägers erstattete Gutachten vom 09.05.1995 bei (die Leistungsfähigkeit sei dauernd um 100 % beeinträchtigt). Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurden von Dipl.-Psych. Dr. D. (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Abteilung für Klinische Psychologie am B.-Hospital der Stadt S.) das neuropsychologische Zusatzgutachten vom 25.08.1999 und von Prof. Dr. W./Oberärztin Dr. S. das neurologische Gutachten vom 15.09. 1999 eingeholt. In letzterem hieß es unter Auswertung der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung, auf neurologischem Gebiet lägen unfallbedingt eine Anosmie sowie eine latente Hemiparese rechts vor. Auf neuropsychologischem Gebiet finde sich unfallbedingt eine starke Leistungsminderung. Ergänzend führten Prof. Dr. W./Dr. S. unter dem 05.01.2000 aus, ihrer Einschätzung nach betrage die unfallbedingte MdE ab 20.11.1995 70 v. H. Neuropsychologisch sei eine Demenz mittleren Grades diagnostiziert worden, dies stimme mit den Feststellungen der neuropsychologischen Diagnostik im Rahmen der dritten stationären Behandlung in den Kliniken S. überein. Von Dr. K. sei 1995 explizit keine neuropsychologische Testung durchgeführt worden. Hieraus ergebe sich die Differenz zu Dr. K ... Hiergegen führte die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.04.2000 aus, ihr Beratungsarzt Dr. M. habe darauf hingewiesen, dass beim Kläger nach dem neuropsychologischen Zusatzgutachten ein Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung vorliege. Dieser sei nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden MdE-Erfahrungswerten mit einer MdE um 30 bis 50 v. H. einzuschätzen (z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage). Eine schwere Leistungsbeeinträchtigung, die eine höhere MdE rechtfertige, liege nicht vor. Es treffe zwar zu, dass Dr. K. keine eigenen Testungen durchgeführt habe, doch hätten ihm die Ergebnisse der Untersuchungen in den Klinken S. vorgelegen. Prof. Dr. W./Oberärztin Dr. S. hielten in ihrer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2000 an ihrer MdE-Bewertung fest. Der Kläger habe prämorbid eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz aufgewiesen. Nunmehr lägen die beschriebenen Ausfälle vor. Erschwerend komme hinzu, dass durch die unfallbedingte Schädigung eine depressive Entwicklung eingetreten sei. Der Schwerpunkt der neuropsychologischen Ausfälle liege auf der extremen Merkschwäche. Bereits von den Kliniken S. sei 1995 eine Erwerbsunfähigkeit auf Dauer angenommen worden.
Unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilte das SG die Beklagte durch Urteil vom 17.01.2001, dem Kläger eine Unfallrente entsprechend einer MdE in Höhe von 60 v. H. zu zahlen (Ausführungsbescheid vom 18.04.2002). Zur Begründung wurde ausgeführt, die von Dr. K. vorgeschlagene MdE-Bewertung in Höhe von 50 v. H. erfasse die unfallbedingten neuropsychologischen Beeinträchtigungen des Klägers nicht mit der zureichenden Angemessenheit. Auf der anderen Seite und auch vor dem Hintergrund des persönlichen Eindrucks des Klägers, den das Gericht anlässlich der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, seien bezüglich der MdE-Bewertung durch Prof. Dr. W. die nachfolgenden Einwendungen von Beratungsarzt Dr. M. nicht von der Hand zu weisen, wonach die Bewertung der MdE mit 70 v. H. lediglich bei einer schweren Leistungsbeeinträchtigung in Betracht kommen könne. Diese liege beim Kläger jedoch aufgrund der dokumentierten einschlägigen Testergebnisse im Grenzbereich von "mittelschwer" und "schwer". Aus diesem Grund erscheine eine Bewertung der unfallbedingten MdE mit 60 v. H. angemessen und ausreichend.
Gegen das am 07. bzw. 15.02.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.03.2001 Berufung eingelegt, die Beklagte am 06.03.2001. Deren Berufung ist am 17.04.2001 wieder zurückgenommen worden. Der Senat hat aus den Unterlagen der LVA Niederbayern-Oberpfalz das nervenärztliche Gutachten von Dr. B., S., vom 29.09.1994 (Diagnose: Zustand nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma und Subarachniodalblutung und subduralem Hämatom, geringe neurologische Residuen und leichte bis mäßige Hirnleistungsschwäche) zu den Akten genommen.
Der Kläger trägt vor, das SG sei verfahrensfehlerhaft von der Bewertung der unfallbedingten MdE durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. W. abgewichen. Soweit sich das SG hierzu auf den in der mündlichen Verhandlung am 17.01.2001 gewonnenen Eindruck berufe, sei darauf hinzuweisen, dass in der mündlichen Verhandlung ausschließlich sein Verfahrensbevollmächtigter für ihn plädiert habe, von Seiten des Gerichts sei keine einzige persönliche Frage oder ein tatsachenbezogener Vorhalt an ihn gerichtet worden. Das SG habe somit das Recht zur freien richterlichen Beweiswürdigung fehlgebraucht. Auch sei es nicht zulässig gewesen, sich auf die von der Beklagten eingeführte Beurteilung des Beratungsarztes Dr. M. zu stützen, da diese nicht nachvollziehbar sei. Im Übrigen habe es das SG auch unterlassen, die Grenze von "mittelschwer" und "schwer" zu erörtern. Durch die unfallbedingte Geschäftsaufgabe sei es auch zu einer rechtlich wesentlich mitverursachten psychischen Folgebelastung gekommen, die fachärztlich abzuklären sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2001 sowie den Bescheid vom 18.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.1996 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 70 v. H. zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist hierzu auf die angefochtene Entscheidung. Gerade Dipl.-Psych. Dr. D. bestätige in seinem Zusatzgutachten, dass beim Kläger eine Demenz mittleren Grades vorliege. Eine solche werde im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch eindeutig nur mit einer MdE von 30 bis 50 v. H. bewertet (Mehrhoff/Muhr (M/M), Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 130; Schönberger/Mehrtens/Valentin (S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage (2003) S. 275). Warum der gerichtliche Sachverständige die MdE mit 70 v. H. einschätze, sei deshalb in keiner Weise nachvollziehbar. Die Bewertung der MdE mit 60 v. H. durch das SG erscheine ebenfalls zu hoch, sei jedoch letztlich bei Würdigung des unfallbedingten Gesamtzustandes des Klägers noch akzeptiert worden.
Der Senat hat von Amts wegen von Prof. Dr. W./Dr. S. die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 12.12.2002 eingeholt. Darin heißt es u. a. in der speziell mit der Fragestellung der kognitiven Leistungseinbußen durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung habe sich eine extreme Merkschwäche gezeigt. Auch die Beschreibung der depressiven Entwicklung ergebe sich aus dem Ergebnis der neuropsychologischen Untersuchung. Es sei dort ein bedrücktes, labilisiertes Verhalten beschrieben in Richtung trauriger Gerührtheit und Schwunglosigkeit. Dr. D. habe festgestellt, der Kläger sei mäßig depressiv verstimmt mit dem Schwerpunkt Wertlosigkeit und Leistungsunfähigkeit. Er habe eine leichte Affektlabilität, die hier in Richtung Weinerlichkeit gehe, gezeigt, nach seinen Berichten in anderem sozialen Zusammenhang auch in Richtung Gereiztheit. Im Übrigen sei der Kläger beruflich besonders betroffen. Schäden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung, wie sie beim Kläger vorlägen, bedingten eine MdE um 70 bis 100 v. H. Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.02.2003 eingewandt, in der gesetzlichen Unfallversicherung sei für die MdE-Bewertung ausschließlich der allgemeine Arbeitsmarkt maßgebend. Da Prof. Dr. W. somit bei seiner Einschätzung der MdE mit 70 v. H. nicht nur den allgemeinen Arbeitsmarkt berücksichtigt habe, ergebe sich schon hieraus eine zu hohe Bewertung. Die Voraussetzungen für eine besondere berufliche Betroffenheit lägen beim Kläger nicht vor.
Der Senat hat den behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Unter dem 12.10.2004 hat er ausgeführt, seine Behandlungsbemühungen hätten sich auf die vom Kläger geklagten Oberbauchbeschwerden konzentriert. Abgesehen davon liege der Schwerpunkt der Leiden des Klägers eindeutig auf neuro-psychiatrischem Gebiet.
Auf den Antrag des Kläger gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat von dem Ärztlichen Leiter des Bereichs Psychotherapie der Kliniken S. in Konstanz, Dr. S., das aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 08.11.2005 erstattete Gutachten vom 26.12.2005 eingeholt. Darin führt der Sachverständige aus, auf psychiatrischem Gebiet liege bei dem Kläger ein komplexes Krankheitsgeschehen vor, bei dem zentrale hirnorganische Beeinträchtigungen durch funktionelle psychische Störungen überlagert würden, wobei beide Störungsanteile zu einer insgesamt schweren und anhaltenden gesundheitlichen wie psychosozialen Beeinträchtigung geführt hätten. Im Einzelnen handle es sich um folgende Gesundheitsstörungen: a) anhaltende depressive Störung mit b) weitgehender psychosozialer Desintegration, darin eingebettet c) rezidivierende kurze depressive Störungen auf dem Boden eines d) hirnorganischen Psychosyndroms mit Störungen der Hirnleistungen und Veränderung der Persönlichkeit und einer e) situativen Phobie (Höhenangst, Steigen auf Leitern), f) posttraumatischer Kopfschmerz und andere Schmerzen, somatoform überlagert mit g) sekundärem schädlichen Schmerzmittelmissbrauch mit Verdacht auf zusätzlich arzneimittelinduzierten Kopfschmerz h) nach Schädelhirntrauma am 23.07.1993 i) mit bifrontalen Kontusionen, traumatischer Subarachnoidalblutung, subduralem Hämatom über der linken Hemisphäre, generalisiertem Hirnödem, Kalottenfraktur links parietal und verbleibender Anosmie sowie latenter Hemiparese rechts. Sämtliche aufgeführten Gesundheitsstörungen seien Unfallfolgen. Unter Zugrundelegung der oben unter a), c) und e) genannten funktionell-psychischen Gesundheitsstörungen werde die MdE ab 20.11.1995 auf 30 v. H. geschätzt. Der komplizierte, primär posttraumatische Kopfschmerz und die anderen Schmerzen gingen, obwohl ein funktionell-psychischer Störungsanteil anzunehmen sei, nicht in diese Schätzung ein, da es sich um - zumindest was den arzneimittelinduzierten Kopfschmerz betreffe - grundsätzlich behandlungs- und innerhalb der nächsten 6 Monate besserungsfähiges Leiden handle. Der funktionell-psychische Störungsanteil am Schmerz finde außerdem bei den anderen genannten funktionell-psychischen Gesundheitsstörungen Berücksichtigung, der posttraumatische Kopfschmerz bei der bisherigen MdE. Unter integrierender Berücksichtigung der auf neurologischem Gebiet mit einer MdE von 60 v. H. bewerteten Gesundheitsstörungen und der oben aufgeführten funktionell-psychischen Gesundheitsstörungen werde die Gesamt-MdE ab 20.11.1995 auf 70 v. H. geschätzt.
Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 17.03.2006 vorgelegt. Darin führt Dr. M. aus, der neuerlichen psychiatrischen Einschätzung bezüglich funktioneller psychischer Gesundheitsstörungen sei seines Erachtens nur in Bezug auf die Höhenangst und Leiterangst zu folgen. Die Begutachtung durch Prof. Dr. W. vom 15. 09. 1999 habe die im Bescheid vom 18. 03. 1996 aufgeführten Diagnosen bestätigt, wobei statt der Diagnose "Wesensänderung" die Diagnose "mäßige depressive Verstimmung und Affektlabilität" benutzt worden sei, was wohl den gleichen Sachverhalt beurteile. Eine Abgrenzung der aus der organischen Hirnschädigung resultierenden Affektlabilität von der depressiven Verstimmung, welche aus der psychischen Auseinandersetzung mit dem eingetretenen Hirnschaden resultiere, sei weder klinisch noch neuropsychologisch sinnvoll. Die Gesamt-MdE sei in der Weise zu bilden, dass von dem Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung ausgegangen werde, der im Grenzbereich zur schweren Leistungsbeeinträchtigung liege (Einzel-MdE 50 v. H.). Die funktionellen psychischen Gesundheitsstörungen umfassten neben der situativen Phobie (MdE 10 v. H.) eine depressive Symptomatik (MdE 20 v. H.). Die depressive Symptomatik sei aber bereits im Hirnschaden mit erfasst, sodass dieselbe Funktionseinschränkung nur einmal in die Wertung einfließen könne. Aufgrund einer integrierenden Gesamtschau aller Funktionseinschränkungen sei unter Berücksichtigung der Anosmie und der latenten Hemisymptomatik rechts weiterhin eine MdE von 60 v. H. anzunehmen. Die zusätzlich festgestellte situative Phobie erhöhe den Grad der Gesamt-MdE nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gem. § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Dem Kläger steht ab 20.11.1995 Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu.
Trotz des zwischenzeitlichen Inkrafttretens des 7. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) zum 01.01.1997 ist der vorliegende Sachverhalt noch nach dem früher geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilen, da der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist und die Beklagte auch vor diesem Zeitpunkt über den Rentenanspruch entschieden hat (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII).
Gem. §§ 580, 581 RVO haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert und erreichen die vom-Hundert-Sätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn dessen Folgen die Erwerbsfähigkeit wenigstens um 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d. h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSG, Urteil vom 4. August 1955 - 2 RU 62/54 - BSGE 1, 174, 178; BSG, Urteil vom 14. November 1984 - 9b RU 38/84 - SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung der unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 - SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R - HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 - HVBG-Info 1989, 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen bzw. bestehenden Gesundheitsstörung (vgl. BSG in Breithaupt 1980, 564, 566). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u. a. die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung gehören, mit einem der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, während zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSGE 19, 52, 53; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung (vgl. BSGE 61, 127, 129) sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13; Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl., Band 3, Rdnrn. 309 ff zu § 8 SGB VII mwN). Haben mehrere Bedingungen gemeinsam zu einem Erfolg geführt, sind sie rechtlich nur dann wesentliche Bedingungen und damit Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges in gleichem Maße wesentlich sind (Krasney aaO Rdnr. 314). Kommt dagegen einer der Bedingungen gegenüber der oder den anderen eine überwiegende Bedeutung zu, so ist sie allein wesentliche Bedingung und damit Ursache im Rechtssinne (BSGE 12, 242, 245 f; 13, 175, 176; Brackmann aaO S 480k I mwN).
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286), das heißt, es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (vgl. BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112).
Dieselben Kausalitätserwägungen gelten auch bei Reaktionen auf psychischem Gebiet. In diesem Fall ist zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine Auswirkungen auf psychischem Gebiet ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich waren oder ob die Anlage so leicht ansprechbar war, dass sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache war. Von Bedeutung sind dabei unter anderem die Schwere des Unfallereignisses, ob eine latente "Anlage" bestand und ob sich diese bereits in Symptomen manifestiert hat. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang ist in der Regel zu verneinen, wenn die psychische Reaktion in Zusammenhang mit persönlichen Lebenskonflikten steht oder wenn sie wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist (vgl. BSGE 18, 173, 176; 19, 275, 277/278).
Danach steht dem Kläger im strittigen Zeitraum ab 20.11.1995 Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu. Hiervon hat sich der Senat aufgrund der im Ergebnis vollständig und in der Begründung überwiegend übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. W. und Dr. S. überzeugt. Der Beurteilung Dr. K. vermochte er hingegen nicht zu folgen. Sein Gutachten vom 23.01.1996 lässt eine exakte Diagnosestellung vermissen ("Z. n. Arbeitsunfall am 23.07.93"). Den Ausführungen in der Zusammenfassung und Beurteilung ist zu entnehmen, dass Dr. K. neben relativ geringfügigen neurologischen Ausfällen (Anosmie, diskrete Störung der Feinmotorik rechts) vor allem ein organisches Psychosyndrom mit Stirnkopfschmerzen, Schwindelzuständen, Verlangsamung und Umstellungserschwerung im Denkablauf sowie einer Veränderung der Persönlichkeit berücksichtigt hat. Unter dieser Voraussetzung erscheint die Bewertung der unfallbedingten MdE mit 50 v. H. folgerichtig. Nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Richtlinien wird nämlich eine Hirnschädigung mit organisch-psychischen Störungen (so genannte Hirnleistungsschwäche und organische Wesensänderung) heute überwiegend mit einer MdE um 40 bis 50 v.H. bewertet (vgl. Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage, Seite 147; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 275). Ricke (Kass Komm RndZiff. 50 zu § 56 SGB VII) bewertet Hirnverletzungen mit mittelschweren organisch-psychischen Störungen mit einer MdE von 50.v.H. Derselbe Wert wird in dem Werk "Das neurologische Gutachten" von Rauschelbach/Jochheim/Widder, 4. Auflage 2000 für Hirnschäden mit organisch-psychischen Störungen ausgeworfen. Dr. K. hat die Unfallfolgen damit aber nicht vollständig erfasst. Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 15.09.1999 erstmals berücksichtigt, dass bei dem Kläger auch eine mäßige depressive Verstimmung mit dem Schwerpunkt Wertlosigkeit wegen Leistungsunfähigkeit vorliegt. Hierfür hat er sich auf das neuropsychologische Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. Dr. D. vom 25.08.1999 gestützt. Dr. Schmidt hat in seinem Gutachten vom 26.12.2005 die Bedeutung der von ihm so genannten funktionell-psychischen Störungen näher herausgearbeitet. Zwar ist die bei dem Kläger vorliegende schwere psychische Beeinträchtigung ihrem Charakter nach ganz überwiegend hirnorganisch bedingt. Die entsprechenden Auffälligkeiten sind so ausgeprägt, dass darüber hinausgehende funktionell-psychische Störungen, zumindest im jetzigen Querschnittsbild, hiervon nicht eindeutig abzugrenzen sind. Immerhin konnte Dr. S. aber bei seiner klinischen Untersuchung doch eine depressiv-dysphorische, ängstlich getönte Verstimmung von Krankheitswert ausmachen, die chronifiziert vorliegt und mit wiederkehrenden Stimmungsschwankungen im Sinne einer rezidivierenden kurzen depressiven Störung einhergeht. Daneben besteht eine situative, spezifische phobische Angststörung, die als Angst vor dem Ersteigen von Leitern und Unsicherheit auch beim Gehen einen Bezug zum Unfall zeigt. Auch der Schwindel lässt einen Bezug zur Angst erkennen. Außerdem besteht Angst in Form von Alpträumen mit ängstlichem Erwachen, die den Kläger immerhin 2 bis 3 mal im Monat heimsuchen. Schließlich hat Dr. S. für den Senat überzeugend aufgezeigt, dass der posttraumatische, bisher nicht anhaltend besserungsfähige Kopfschmerz bisher nicht angemessen berücksichtigt worden ist. Berücksichtigt man den gesamten psychopathologischen Befund, so lässt sich die Beurteilung von Dr. S. gut nachvollziehen, dass bei dem Kläger eine schwere psychische Beeinträchtigung vorliegt, die ihrem Charakter nach überwiegend hirnorganisch ist. Bei integrierender Betrachtung sämtlicher von Dr. S. erhobener Einzelbefunde ist davon auszugehen, dass der Kläger durch die bei ihm vorliegenden organisch-psychischen Störungen nicht nur mittelgradig, sondern schwer beeinträchtigt ist. Nach Mehrhoff/Meindl/Muhr aaO sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO ist deshalb ein Bewertungsrahmen von 60 bis 100 heranzuziehen. Auf dieser Grundlage überzeugt den Senat die Beurteilung von Prof. Dr. W. und Dr. S ...
Der abweichenden Beurteilung von Dr. M. vermochte der Senat dagegen nicht zu folgen. Dieser Arzt hat die Auffassung vertreten, im Bescheid vom 18.03.1996 seien die Unfallfolgen zutreffend festgestellt worden. Darin wurde jedoch den von Dr. K. erhobenen Befunden folgend die bei dem Kläger vorliegende eigenständige depressive Komponente gerade nicht berücksichtigt. Der Senat hält deshalb den von Dr. M. erhobenen Vorwurf nicht für berechtigt, Dr. S. habe bei seiner Einschätzung der Gesamt-MdE ein depressives Syndrom doppelt berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers mindestens 70 vom Hundert (v. H.) beträgt.
Der 1942 geborene Kläger erlitt am 23.07.1993 einen Arbeitsunfall, bei dem er aus ca. 4 m Höhe kopfüber abstürzte. Er wurde in die Abteilung für Unfallchirurgie des K.-Hospitals S. eingeliefert, wo eine traumatische Subarachnoidalblutung (SAB) und eine Subduralblutung sowie eine Hüftprellung links diagnostiziert wurden. Er wurde zur Schädeltrepanation in die neurochirurgische Abteilung verlegt (Durchgangsarztbericht (DAB) vom 26.07.1993). Dort wurde die vorläufige Diagnose eines Schädelhirntraumas mit Kalottenfraktur links parietal, eines massiven Hirnödems, einer traumatischen SAB und eines subduralen Hämatoms über der gesamten Großhirnhemisphäre links gestellt (Neurologischer Befundbericht vom 28.07.1993).
Die Beklagte gewährte dem Kläger anschließend berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung. Im Befund-, Verlaufs- und Entlassungsbericht der Kliniken S. vom 26.09.1995 über ein in der Zeit vom 09.08. bis zum 20.09.1995 durchgeführtes (drittes) stationäres Heilverfahren (Diagnose: Zustand nach schwerem Schädelhirntrauma mit links-parietaler Kalottenfraktur, ausgedehnter bifrontaler Hirncontusion, traumatischer Subarachnoidalblutung und operativ ausgeräumtem raumforderndem Subduralhämatom über der linken Hemisphäre mit jetzt bestehender Anosmie, sensomotorische Resthemiparese rechts sowie erhebliches hirnorganisches Psychosyndrom frontaler Prägung mit deutlichen reaktiven Problemen der Krankheitsverarbeitung) hieß es, die Entlassung des Klägers erfolge als weiterhin arbeitsunfähig in haus- und nervenärztliche Weiterbetreuung, wobei mit einer wesentlichen Besserung des unfallbedingt erheblich beeinträchtigten Leistungsvermögens nicht mehr zu rechnen sei; in den Unfallfolgen sei ein Endzustand eingetreten, eine berufliche Wiedereingliederung werde weder im Ausbildungsberuf als Installateurmeister noch in sonstigen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich sein. Im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung sei Erwerbsunfähigkeit auf Dauer anzunehmen. Die Beklagte stellte mit dem 19.11.1995 das Verletztengeld ein. Nachdem der Chirurg Dr. K. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 05.12.1995 für die Zahlung von Vorschüssen eine unfallbedingte MdE in Höhe von 30 v. H. befürwortet hatte, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 21.12.1995 ab Januar 1995 laufende Vorschüsse in Höhe von DM 620,00.
Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. K., Nervenarzt in T., das neurologische Gutachten vom 23.01.1996. Als Unfallfolgen bestünden keine epileptischen Anfälle, aber ein organisches Psychosyndrom, das eine diskrete Störung der Feinmotorik, Stirnkopfschmerz, Schwindelzustände und psychopathologische Auffälligkeiten bedinge, ferner eine Anosmie. Die hierdurch bedingte MdE wurde unter Dauerrentengesichtspunkten auf 50 v. H. eingeschätzt. Dieser Beurteilung stimmte Dr. K. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.02.1996 zu. Hierauf gestützt bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 18.03.1996 ab 20.11.1995 bis auf weiteres Verletztenrente nach einer MdE um 50 v. H. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma mit Subarachnoidalblutung, Schädelkalottenfraktur links sowie subdurales Hämatom; Wesensveränderung; Geruchsverlust; leichte Störung der Feinmotorik rechts; Stirnkopfschmerzen und Schwindelzustände; Störung der Merkfähigkeit und Konzentration. Die LVA Niederbayern-Oberpfalz hatte dem Kläger mit Bescheid vom 09.03.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 20.11.1995 gewährt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18.03.1996, mit dem moniert wurde, dass die ihn mehrfach behandelnden Ärzte der Kliniken S. zur Höhe der MdE nicht gehört worden seien, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.05.1996).
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 30.05.1996 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Dieses zog u. a. das von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des B.-Hospitals der Stadt S., und von Oberärztin Dr. S. für die Privatversicherung des Klägers erstattete Gutachten vom 09.05.1995 bei (die Leistungsfähigkeit sei dauernd um 100 % beeinträchtigt). Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurden von Dipl.-Psych. Dr. D. (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Abteilung für Klinische Psychologie am B.-Hospital der Stadt S.) das neuropsychologische Zusatzgutachten vom 25.08.1999 und von Prof. Dr. W./Oberärztin Dr. S. das neurologische Gutachten vom 15.09. 1999 eingeholt. In letzterem hieß es unter Auswertung der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung, auf neurologischem Gebiet lägen unfallbedingt eine Anosmie sowie eine latente Hemiparese rechts vor. Auf neuropsychologischem Gebiet finde sich unfallbedingt eine starke Leistungsminderung. Ergänzend führten Prof. Dr. W./Dr. S. unter dem 05.01.2000 aus, ihrer Einschätzung nach betrage die unfallbedingte MdE ab 20.11.1995 70 v. H. Neuropsychologisch sei eine Demenz mittleren Grades diagnostiziert worden, dies stimme mit den Feststellungen der neuropsychologischen Diagnostik im Rahmen der dritten stationären Behandlung in den Kliniken S. überein. Von Dr. K. sei 1995 explizit keine neuropsychologische Testung durchgeführt worden. Hieraus ergebe sich die Differenz zu Dr. K ... Hiergegen führte die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.04.2000 aus, ihr Beratungsarzt Dr. M. habe darauf hingewiesen, dass beim Kläger nach dem neuropsychologischen Zusatzgutachten ein Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung vorliege. Dieser sei nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden MdE-Erfahrungswerten mit einer MdE um 30 bis 50 v. H. einzuschätzen (z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage). Eine schwere Leistungsbeeinträchtigung, die eine höhere MdE rechtfertige, liege nicht vor. Es treffe zwar zu, dass Dr. K. keine eigenen Testungen durchgeführt habe, doch hätten ihm die Ergebnisse der Untersuchungen in den Klinken S. vorgelegen. Prof. Dr. W./Oberärztin Dr. S. hielten in ihrer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2000 an ihrer MdE-Bewertung fest. Der Kläger habe prämorbid eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz aufgewiesen. Nunmehr lägen die beschriebenen Ausfälle vor. Erschwerend komme hinzu, dass durch die unfallbedingte Schädigung eine depressive Entwicklung eingetreten sei. Der Schwerpunkt der neuropsychologischen Ausfälle liege auf der extremen Merkschwäche. Bereits von den Kliniken S. sei 1995 eine Erwerbsunfähigkeit auf Dauer angenommen worden.
Unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilte das SG die Beklagte durch Urteil vom 17.01.2001, dem Kläger eine Unfallrente entsprechend einer MdE in Höhe von 60 v. H. zu zahlen (Ausführungsbescheid vom 18.04.2002). Zur Begründung wurde ausgeführt, die von Dr. K. vorgeschlagene MdE-Bewertung in Höhe von 50 v. H. erfasse die unfallbedingten neuropsychologischen Beeinträchtigungen des Klägers nicht mit der zureichenden Angemessenheit. Auf der anderen Seite und auch vor dem Hintergrund des persönlichen Eindrucks des Klägers, den das Gericht anlässlich der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, seien bezüglich der MdE-Bewertung durch Prof. Dr. W. die nachfolgenden Einwendungen von Beratungsarzt Dr. M. nicht von der Hand zu weisen, wonach die Bewertung der MdE mit 70 v. H. lediglich bei einer schweren Leistungsbeeinträchtigung in Betracht kommen könne. Diese liege beim Kläger jedoch aufgrund der dokumentierten einschlägigen Testergebnisse im Grenzbereich von "mittelschwer" und "schwer". Aus diesem Grund erscheine eine Bewertung der unfallbedingten MdE mit 60 v. H. angemessen und ausreichend.
Gegen das am 07. bzw. 15.02.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.03.2001 Berufung eingelegt, die Beklagte am 06.03.2001. Deren Berufung ist am 17.04.2001 wieder zurückgenommen worden. Der Senat hat aus den Unterlagen der LVA Niederbayern-Oberpfalz das nervenärztliche Gutachten von Dr. B., S., vom 29.09.1994 (Diagnose: Zustand nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma und Subarachniodalblutung und subduralem Hämatom, geringe neurologische Residuen und leichte bis mäßige Hirnleistungsschwäche) zu den Akten genommen.
Der Kläger trägt vor, das SG sei verfahrensfehlerhaft von der Bewertung der unfallbedingten MdE durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. W. abgewichen. Soweit sich das SG hierzu auf den in der mündlichen Verhandlung am 17.01.2001 gewonnenen Eindruck berufe, sei darauf hinzuweisen, dass in der mündlichen Verhandlung ausschließlich sein Verfahrensbevollmächtigter für ihn plädiert habe, von Seiten des Gerichts sei keine einzige persönliche Frage oder ein tatsachenbezogener Vorhalt an ihn gerichtet worden. Das SG habe somit das Recht zur freien richterlichen Beweiswürdigung fehlgebraucht. Auch sei es nicht zulässig gewesen, sich auf die von der Beklagten eingeführte Beurteilung des Beratungsarztes Dr. M. zu stützen, da diese nicht nachvollziehbar sei. Im Übrigen habe es das SG auch unterlassen, die Grenze von "mittelschwer" und "schwer" zu erörtern. Durch die unfallbedingte Geschäftsaufgabe sei es auch zu einer rechtlich wesentlich mitverursachten psychischen Folgebelastung gekommen, die fachärztlich abzuklären sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2001 sowie den Bescheid vom 18.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.1996 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 70 v. H. zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist hierzu auf die angefochtene Entscheidung. Gerade Dipl.-Psych. Dr. D. bestätige in seinem Zusatzgutachten, dass beim Kläger eine Demenz mittleren Grades vorliege. Eine solche werde im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch eindeutig nur mit einer MdE von 30 bis 50 v. H. bewertet (Mehrhoff/Muhr (M/M), Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 130; Schönberger/Mehrtens/Valentin (S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage (2003) S. 275). Warum der gerichtliche Sachverständige die MdE mit 70 v. H. einschätze, sei deshalb in keiner Weise nachvollziehbar. Die Bewertung der MdE mit 60 v. H. durch das SG erscheine ebenfalls zu hoch, sei jedoch letztlich bei Würdigung des unfallbedingten Gesamtzustandes des Klägers noch akzeptiert worden.
Der Senat hat von Amts wegen von Prof. Dr. W./Dr. S. die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 12.12.2002 eingeholt. Darin heißt es u. a. in der speziell mit der Fragestellung der kognitiven Leistungseinbußen durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung habe sich eine extreme Merkschwäche gezeigt. Auch die Beschreibung der depressiven Entwicklung ergebe sich aus dem Ergebnis der neuropsychologischen Untersuchung. Es sei dort ein bedrücktes, labilisiertes Verhalten beschrieben in Richtung trauriger Gerührtheit und Schwunglosigkeit. Dr. D. habe festgestellt, der Kläger sei mäßig depressiv verstimmt mit dem Schwerpunkt Wertlosigkeit und Leistungsunfähigkeit. Er habe eine leichte Affektlabilität, die hier in Richtung Weinerlichkeit gehe, gezeigt, nach seinen Berichten in anderem sozialen Zusammenhang auch in Richtung Gereiztheit. Im Übrigen sei der Kläger beruflich besonders betroffen. Schäden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung, wie sie beim Kläger vorlägen, bedingten eine MdE um 70 bis 100 v. H. Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.02.2003 eingewandt, in der gesetzlichen Unfallversicherung sei für die MdE-Bewertung ausschließlich der allgemeine Arbeitsmarkt maßgebend. Da Prof. Dr. W. somit bei seiner Einschätzung der MdE mit 70 v. H. nicht nur den allgemeinen Arbeitsmarkt berücksichtigt habe, ergebe sich schon hieraus eine zu hohe Bewertung. Die Voraussetzungen für eine besondere berufliche Betroffenheit lägen beim Kläger nicht vor.
Der Senat hat den behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Unter dem 12.10.2004 hat er ausgeführt, seine Behandlungsbemühungen hätten sich auf die vom Kläger geklagten Oberbauchbeschwerden konzentriert. Abgesehen davon liege der Schwerpunkt der Leiden des Klägers eindeutig auf neuro-psychiatrischem Gebiet.
Auf den Antrag des Kläger gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat von dem Ärztlichen Leiter des Bereichs Psychotherapie der Kliniken S. in Konstanz, Dr. S., das aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 08.11.2005 erstattete Gutachten vom 26.12.2005 eingeholt. Darin führt der Sachverständige aus, auf psychiatrischem Gebiet liege bei dem Kläger ein komplexes Krankheitsgeschehen vor, bei dem zentrale hirnorganische Beeinträchtigungen durch funktionelle psychische Störungen überlagert würden, wobei beide Störungsanteile zu einer insgesamt schweren und anhaltenden gesundheitlichen wie psychosozialen Beeinträchtigung geführt hätten. Im Einzelnen handle es sich um folgende Gesundheitsstörungen: a) anhaltende depressive Störung mit b) weitgehender psychosozialer Desintegration, darin eingebettet c) rezidivierende kurze depressive Störungen auf dem Boden eines d) hirnorganischen Psychosyndroms mit Störungen der Hirnleistungen und Veränderung der Persönlichkeit und einer e) situativen Phobie (Höhenangst, Steigen auf Leitern), f) posttraumatischer Kopfschmerz und andere Schmerzen, somatoform überlagert mit g) sekundärem schädlichen Schmerzmittelmissbrauch mit Verdacht auf zusätzlich arzneimittelinduzierten Kopfschmerz h) nach Schädelhirntrauma am 23.07.1993 i) mit bifrontalen Kontusionen, traumatischer Subarachnoidalblutung, subduralem Hämatom über der linken Hemisphäre, generalisiertem Hirnödem, Kalottenfraktur links parietal und verbleibender Anosmie sowie latenter Hemiparese rechts. Sämtliche aufgeführten Gesundheitsstörungen seien Unfallfolgen. Unter Zugrundelegung der oben unter a), c) und e) genannten funktionell-psychischen Gesundheitsstörungen werde die MdE ab 20.11.1995 auf 30 v. H. geschätzt. Der komplizierte, primär posttraumatische Kopfschmerz und die anderen Schmerzen gingen, obwohl ein funktionell-psychischer Störungsanteil anzunehmen sei, nicht in diese Schätzung ein, da es sich um - zumindest was den arzneimittelinduzierten Kopfschmerz betreffe - grundsätzlich behandlungs- und innerhalb der nächsten 6 Monate besserungsfähiges Leiden handle. Der funktionell-psychische Störungsanteil am Schmerz finde außerdem bei den anderen genannten funktionell-psychischen Gesundheitsstörungen Berücksichtigung, der posttraumatische Kopfschmerz bei der bisherigen MdE. Unter integrierender Berücksichtigung der auf neurologischem Gebiet mit einer MdE von 60 v. H. bewerteten Gesundheitsstörungen und der oben aufgeführten funktionell-psychischen Gesundheitsstörungen werde die Gesamt-MdE ab 20.11.1995 auf 70 v. H. geschätzt.
Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 17.03.2006 vorgelegt. Darin führt Dr. M. aus, der neuerlichen psychiatrischen Einschätzung bezüglich funktioneller psychischer Gesundheitsstörungen sei seines Erachtens nur in Bezug auf die Höhenangst und Leiterangst zu folgen. Die Begutachtung durch Prof. Dr. W. vom 15. 09. 1999 habe die im Bescheid vom 18. 03. 1996 aufgeführten Diagnosen bestätigt, wobei statt der Diagnose "Wesensänderung" die Diagnose "mäßige depressive Verstimmung und Affektlabilität" benutzt worden sei, was wohl den gleichen Sachverhalt beurteile. Eine Abgrenzung der aus der organischen Hirnschädigung resultierenden Affektlabilität von der depressiven Verstimmung, welche aus der psychischen Auseinandersetzung mit dem eingetretenen Hirnschaden resultiere, sei weder klinisch noch neuropsychologisch sinnvoll. Die Gesamt-MdE sei in der Weise zu bilden, dass von dem Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung ausgegangen werde, der im Grenzbereich zur schweren Leistungsbeeinträchtigung liege (Einzel-MdE 50 v. H.). Die funktionellen psychischen Gesundheitsstörungen umfassten neben der situativen Phobie (MdE 10 v. H.) eine depressive Symptomatik (MdE 20 v. H.). Die depressive Symptomatik sei aber bereits im Hirnschaden mit erfasst, sodass dieselbe Funktionseinschränkung nur einmal in die Wertung einfließen könne. Aufgrund einer integrierenden Gesamtschau aller Funktionseinschränkungen sei unter Berücksichtigung der Anosmie und der latenten Hemisymptomatik rechts weiterhin eine MdE von 60 v. H. anzunehmen. Die zusätzlich festgestellte situative Phobie erhöhe den Grad der Gesamt-MdE nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gem. § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Dem Kläger steht ab 20.11.1995 Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu.
Trotz des zwischenzeitlichen Inkrafttretens des 7. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) zum 01.01.1997 ist der vorliegende Sachverhalt noch nach dem früher geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilen, da der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist und die Beklagte auch vor diesem Zeitpunkt über den Rentenanspruch entschieden hat (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII).
Gem. §§ 580, 581 RVO haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert und erreichen die vom-Hundert-Sätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn dessen Folgen die Erwerbsfähigkeit wenigstens um 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d. h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSG, Urteil vom 4. August 1955 - 2 RU 62/54 - BSGE 1, 174, 178; BSG, Urteil vom 14. November 1984 - 9b RU 38/84 - SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung der unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 - SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R - HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 - HVBG-Info 1989, 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen bzw. bestehenden Gesundheitsstörung (vgl. BSG in Breithaupt 1980, 564, 566). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u. a. die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung gehören, mit einem der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, während zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSGE 19, 52, 53; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung (vgl. BSGE 61, 127, 129) sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13; Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl., Band 3, Rdnrn. 309 ff zu § 8 SGB VII mwN). Haben mehrere Bedingungen gemeinsam zu einem Erfolg geführt, sind sie rechtlich nur dann wesentliche Bedingungen und damit Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges in gleichem Maße wesentlich sind (Krasney aaO Rdnr. 314). Kommt dagegen einer der Bedingungen gegenüber der oder den anderen eine überwiegende Bedeutung zu, so ist sie allein wesentliche Bedingung und damit Ursache im Rechtssinne (BSGE 12, 242, 245 f; 13, 175, 176; Brackmann aaO S 480k I mwN).
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286), das heißt, es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (vgl. BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112).
Dieselben Kausalitätserwägungen gelten auch bei Reaktionen auf psychischem Gebiet. In diesem Fall ist zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine Auswirkungen auf psychischem Gebiet ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich waren oder ob die Anlage so leicht ansprechbar war, dass sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache war. Von Bedeutung sind dabei unter anderem die Schwere des Unfallereignisses, ob eine latente "Anlage" bestand und ob sich diese bereits in Symptomen manifestiert hat. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang ist in der Regel zu verneinen, wenn die psychische Reaktion in Zusammenhang mit persönlichen Lebenskonflikten steht oder wenn sie wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist (vgl. BSGE 18, 173, 176; 19, 275, 277/278).
Danach steht dem Kläger im strittigen Zeitraum ab 20.11.1995 Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu. Hiervon hat sich der Senat aufgrund der im Ergebnis vollständig und in der Begründung überwiegend übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. W. und Dr. S. überzeugt. Der Beurteilung Dr. K. vermochte er hingegen nicht zu folgen. Sein Gutachten vom 23.01.1996 lässt eine exakte Diagnosestellung vermissen ("Z. n. Arbeitsunfall am 23.07.93"). Den Ausführungen in der Zusammenfassung und Beurteilung ist zu entnehmen, dass Dr. K. neben relativ geringfügigen neurologischen Ausfällen (Anosmie, diskrete Störung der Feinmotorik rechts) vor allem ein organisches Psychosyndrom mit Stirnkopfschmerzen, Schwindelzuständen, Verlangsamung und Umstellungserschwerung im Denkablauf sowie einer Veränderung der Persönlichkeit berücksichtigt hat. Unter dieser Voraussetzung erscheint die Bewertung der unfallbedingten MdE mit 50 v. H. folgerichtig. Nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Richtlinien wird nämlich eine Hirnschädigung mit organisch-psychischen Störungen (so genannte Hirnleistungsschwäche und organische Wesensänderung) heute überwiegend mit einer MdE um 40 bis 50 v.H. bewertet (vgl. Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage, Seite 147; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 275). Ricke (Kass Komm RndZiff. 50 zu § 56 SGB VII) bewertet Hirnverletzungen mit mittelschweren organisch-psychischen Störungen mit einer MdE von 50.v.H. Derselbe Wert wird in dem Werk "Das neurologische Gutachten" von Rauschelbach/Jochheim/Widder, 4. Auflage 2000 für Hirnschäden mit organisch-psychischen Störungen ausgeworfen. Dr. K. hat die Unfallfolgen damit aber nicht vollständig erfasst. Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 15.09.1999 erstmals berücksichtigt, dass bei dem Kläger auch eine mäßige depressive Verstimmung mit dem Schwerpunkt Wertlosigkeit wegen Leistungsunfähigkeit vorliegt. Hierfür hat er sich auf das neuropsychologische Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. Dr. D. vom 25.08.1999 gestützt. Dr. Schmidt hat in seinem Gutachten vom 26.12.2005 die Bedeutung der von ihm so genannten funktionell-psychischen Störungen näher herausgearbeitet. Zwar ist die bei dem Kläger vorliegende schwere psychische Beeinträchtigung ihrem Charakter nach ganz überwiegend hirnorganisch bedingt. Die entsprechenden Auffälligkeiten sind so ausgeprägt, dass darüber hinausgehende funktionell-psychische Störungen, zumindest im jetzigen Querschnittsbild, hiervon nicht eindeutig abzugrenzen sind. Immerhin konnte Dr. S. aber bei seiner klinischen Untersuchung doch eine depressiv-dysphorische, ängstlich getönte Verstimmung von Krankheitswert ausmachen, die chronifiziert vorliegt und mit wiederkehrenden Stimmungsschwankungen im Sinne einer rezidivierenden kurzen depressiven Störung einhergeht. Daneben besteht eine situative, spezifische phobische Angststörung, die als Angst vor dem Ersteigen von Leitern und Unsicherheit auch beim Gehen einen Bezug zum Unfall zeigt. Auch der Schwindel lässt einen Bezug zur Angst erkennen. Außerdem besteht Angst in Form von Alpträumen mit ängstlichem Erwachen, die den Kläger immerhin 2 bis 3 mal im Monat heimsuchen. Schließlich hat Dr. S. für den Senat überzeugend aufgezeigt, dass der posttraumatische, bisher nicht anhaltend besserungsfähige Kopfschmerz bisher nicht angemessen berücksichtigt worden ist. Berücksichtigt man den gesamten psychopathologischen Befund, so lässt sich die Beurteilung von Dr. S. gut nachvollziehen, dass bei dem Kläger eine schwere psychische Beeinträchtigung vorliegt, die ihrem Charakter nach überwiegend hirnorganisch ist. Bei integrierender Betrachtung sämtlicher von Dr. S. erhobener Einzelbefunde ist davon auszugehen, dass der Kläger durch die bei ihm vorliegenden organisch-psychischen Störungen nicht nur mittelgradig, sondern schwer beeinträchtigt ist. Nach Mehrhoff/Meindl/Muhr aaO sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO ist deshalb ein Bewertungsrahmen von 60 bis 100 heranzuziehen. Auf dieser Grundlage überzeugt den Senat die Beurteilung von Prof. Dr. W. und Dr. S ...
Der abweichenden Beurteilung von Dr. M. vermochte der Senat dagegen nicht zu folgen. Dieser Arzt hat die Auffassung vertreten, im Bescheid vom 18.03.1996 seien die Unfallfolgen zutreffend festgestellt worden. Darin wurde jedoch den von Dr. K. erhobenen Befunden folgend die bei dem Kläger vorliegende eigenständige depressive Komponente gerade nicht berücksichtigt. Der Senat hält deshalb den von Dr. M. erhobenen Vorwurf nicht für berechtigt, Dr. S. habe bei seiner Einschätzung der Gesamt-MdE ein depressives Syndrom doppelt berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Aus
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