L 6 SB 1915/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 3281/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1915/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 2. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) wegen Ablaufs einer Heilungsbewährung herabsetzen durfte.

Die 1948 geborene Klägerin beantragte am 2. August 1994 beim Versorgungsamt H. (VA) die Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft. Das VA holte den ärztlichen Befundschein des Internisten und Kardiologen Dr. K. vom 21. August 1994 ein, welchem der Arztbrief von Dr. H./Dr. R./Dr. A. vom M.-Hospital S. vom 2. August 1994 beigefügt war. Dort wurde über eine wegen eines Mammacarcinoms links pT1b, G1, pN0, M0 am 8. Juli 1994 durchgeführte Wide excision und Protheseneinlage Mamma links und am 12. Juli 1994 durchgeführte Axilladissektion mit nachfolgender Strahlentherapie berichtet. Sodann zog das VA den Arztbrief von Dr. Dr. W./Dr. M./Dr. B. vom M.-Hospital S. vom 23. August 1994 (Diagnose: Zustand nach offener Resektion eines Basalioms am rechten Nasenflügel, Therapie: Defektdeckung durch Schwenkläppchen am 29. Juli 1994) bei. Dr. H. bewertete in seiner versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 13. Oktober 1994 die Entfernung einer Brustdrüsengeschwulst links mit einem GdB von 50 und führte aus, die Entfernung eines Basalioms stelle keine Funktionsbeeinträchtigung dar. Hierauf gestützt stellte das VA mit Bescheid vom 18. November 1994 den GdB von 50 seit Juli 1994 fest.

Im Oktober 1999 leitete das VA ein Nachprüfungsverfahren ein. Es holte den ärztlichen Befundschein der Frauenärztlichen Praxisklinik Dr. S. vom 9. März 2000 ein, in welchem der Eintritt einer Vollremission bejaht und ausgeführt wurde, der Allgemeinzustand sei gut und es bestünden keine Begleiterscheinungen. Beigefügt war der Arztbrief des Arztes für Radiologie Dr. H. vom 26. März 1999, in welchem dieser ausführte, es bestehe kein Hinweis auf ein lokoregionäres Rezidiv links oder ein kontralaterales Karcinom rechts bei Zustand nach Mammakarcinom links und kein Hinweis auf eine Prothesenleckage. Daraufhin wurde in der vä Stellungnahme vom 4. April 2000 für den Teilverlust der linken Brust nur noch ein GdB von 10 in Ansatz gebracht. Nach mit Schreiben vom 9. Mai 2000 erfolgter Anhörung setzte das VA mit Bescheid vom 17. Juli 2000 den GdB ab 20. Juli 2000 auf weniger als 20 herab. Zur Begründung führte das VA aus, die Auswertung der beigezogenen ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass gegenüber den Verhältnissen, die für die Feststellungen im Bescheid vom 18. November 1994 maßgebend gewesen seien, insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten sei, als bezüglich des Grundleidens, das zur Brustoperation geführt habe, nach Ablauf von wenigstens fünf Jahren ohne Rezidiv oder weitere Ausbreitung oder sonstigen akutpathologischen Befund, der auf ein weiter bestehendes Grundleiden hinweise, von einer Heilungsbewährung auszugehen sei. Die Bewertung des GdB richte sich deshalb nur noch nach der tatsächlichen Funktionseinbuße bzw. der bloßen Beurteilung des Organschadens.

Am 19. November 2002 beantragte die Klägerin die Neufeststellung des GdB und teilte mit, es sei ein Rezidiv aufgetreten. Das VA zog den Arztbrief von Prof. Dr. H./Oberarzt F./Ä.i.P. F. vom M.-Hospital S. vom 27. Dezember 2002 bei, in welchem über die stationäre Behandlung vom 8. bis zum 17. Oktober 2002 berichtet wurde, innerhalb deren wegen eines Mammakarcinom-Rezidivs links Stadium rpT1c, G1 eine Axillarevision und Tumorentfernung sowie eine Kapselresektion und Neueinlage der Prothese durchgeführt wurde. Die Vertragsärztin Streich bewertete in ihrer vä Stellungnahme vom 5. Februar 2003 die Erkrankung der linken Brust (in Heilungsbewährung) mit einem GdB von 50 ab 19. November 2002. Mit Bescheid vom 18. Februar 2003 hob das VA den Bescheid vom 17. Juli 2000 auf und stellte den GdB seit 19. November 2002 mit 50 fest.

In ihrem Schreiben vom 28. Juli 2003 teilte die Klägerin dem VA mit, sie sei der Meinung, dass sie Vertrauensschutz genieße und Altersrente für Schwerbehinderte nach Vollendung des 60. Lebensjahres ohne Abschläge beanspruchen könne, da sie bis zum 16. November 1950 geboren worden und am 16. November 2000 schwerbehindert gewesen sei. Während das VA in seinem Schreiben vom 31. Juli 2003 die Ansicht vertrat, der Schwerbehindertenschutz der Klägerin sei wegen der sich aus § 116 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ergebenden Nachwirkungszeit bis zum 30. November 2000 gelaufen, teilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin in ihrem Schreiben vom 11. August 2003 mit, die Schwerbehinderteneigenschaft gelte bis zum Eintritt der Bindungswirkung eines die Schwerbehinderung aufhebenden Bescheides, wobei die Schutzfrist des § 116 SGB IX unbeachtlich sei.

Am 7. Juli 2004 beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 17. Juli 2000 aufzuheben und festzustellen, dass sie über den 20. Juli 2000 hinaus schwerbehindert mit einem GdB von 50 gewesen sei. Grundsätzlich sei es zwar richtig, dass üblicherweise bei Brustkrebsleiden die Heilungsbewährung fünf Jahre betrage. Allerdings entspreche dies nicht dem Stand der Wissenschaft. Die Heilungsbewährung bei Brustdrüsentumoren von fünf Jahren sei schon in den 80’er Jahren mehrfach in Frage gestellt worden. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen und Statistiken hätten darauf hingewiesen, dass bei diesen Erkrankungen eine Heilungsbewährung möglicherweise erst nach 10 Jahren erwartet werden könne. Das VA lehnte diesen Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Bescheid vom 25. August 2004 ab. Nach den für die Verwaltung maßgeblichen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AP) betrage die Heilungsbewährungszeit bei der Art der bei der Klägerin vorgelegenen Tumorerkrankung fünf Jahre. Die durchgeführte Überprüfung habe eindeutig ergeben, dass nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährungszeit kein Rezidiv oder sonstiger pathologischer Befund auf ein Weiterbestehen der Grunderkrankung hingedeutet habe. Insoweit habe der Bescheid vom 17. Juli 2000 der geltenden Rechtslage entsprochen. Das Vorbringen der Klägerin, dass bei Brustkrebsleiden eine längere Heilungsbewährungszeit als fünf Jahre angesetzt werden müsse, stehe nicht im Einklang mit den maßgeblichen AP. Hiergegen legte die Klägerin am 15. September 2004 Widerspruch ein. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2004 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 3. November 2004 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG). Sie trug vor, die AP seien hinsichtlich der Zeiten der Heilungsbewährung nach Brustkrebserkrankungen wissenschaftlich unhaltbar. Bei ihr sei innerhalb von zehn Jahren nach dem erstmaligen Auftreten eines Brustkrebskarcinoms ein Rezidiv aufgetreten. Dies sei bei Brustkrebserkrankungen häufig der Fall und von daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass nach Ablauf der von den AP vorgesehenen Zeiträume Heilungsbewährung eingetreten sei. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 2. Februar 2005 ab. Es führte aus, der Bescheid vom 17. Juli 2000 sei nicht rechtswidrig, da der Beklagte mit diesem Bescheid zu Recht unter dem Gesichtspunkt einer Heilungsbewährung des Mammacarcinoms die Schwerbehinderteneigenschaft aberkannt habe. Maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides sei der Zeitpunkt seines Erlasses. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch die von den AP erforderliche Frist von fünf Jahren zur Annahme einer Heilungsbewährung abgelaufen gewesen. Ein erneutes Mammakarcinom sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgetreten. Dieser veränderten Sachlage habe der Beklagte durch Bescheid vom 18. Februar 2000 (gemeint 2003) mit Wirkung ab 19. November 2002 auf der Grundlage von § 48 SGB X zutreffend Rechnung getragen. Die Klägerin rüge zu Unrecht die Anwendbarkeit der AP. Hierbei handle es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung heranzuziehen seien.

Gegen das ihr am 11. April 2005 zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 11. Mai 2005 Berufung eingelegt. Die Tatsche, dass ein Rezidiv eingetreten sei, beweise, dass der Bescheid vom 17. Juli 2000 rechtswidrig gewesen sei. Es sei eben keine Heilungsbewährung eingetreten, sondern sie sei erneut an Brustkrebs der linken, schon 1994 operierten Brust erkrankt. Es müsse deshalb angenommen werden, dass die Tumorerkrankung, die nach Ablauf der Heilungsbewährung von fünf Jahren, wie sie von den AP vorgesehen sei, wieder aufgetreten sei, besonders hartnäckig und bösartig sei. Es sei deshalb weder Heilungsbewährung eingetreten, noch werde künftig wegen der Brustkrebserkrankung Heilungsbewährung eintreten. Außerdem seien nur derartige antizipierte Sachverständigengutachten heranzuziehen, die wissenschaftlicher Überprüfung standhielten. Bei Eintritt der Heilungsbewährung sei es auch maßgeblich, welche Art der Therapie der Brustkrebserkrankung durchgeführt worden sei. Aus neueren wissenschaftlichen Untersuchungen ergebe sich, dass die Frage des Eintritts eines Rezidivs maßgeblich dadurch bestimmt werde, ob nach der Operation eine Chemotherapie durchgeführt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 2. Februar 2005 und den Bescheid vom 25. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 17. Juli 2000 zurücknehmen und festzustellen, dass sie über den 20. Juli 2000 hinaus mit einem GdB von 50 schwerbehindert ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei den AP handle es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, die für eine einheitliche Beurteilung unabdingbar seien.

Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 15. November 2005 und 11. Januar 2006 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid vom 25. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2004 ist rechtmäßig. Denn die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 17. Juli 2000 nach § 44 SGB X liegen nicht vor.

Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.

Der Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 17. Juli 2000 das Recht richtig angewandt und ist von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Beklagte hat mit diesem Bescheid zu Recht den Bescheid vom 18. November 1994 mit Wirkung ab 20. Juli 2000 aufgehoben und den GdB von 50 auf unter 20 herabgesetzt. Denn die Voraussetzungen für diese Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X lagen vor.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Eine solche Änderung im Ausmaß der Behinderung ist nach den AP Abschnitt 24 Abs. 2 Seite 34 gegeben, wenn der Vergleich des gegenwärtigen mit einem verbindlich bewerteten Gesundheitszustand eines Behinderten eine GdB-Differenz von mindestens 10 ergibt. Dabei ist auf den Gesundheitszustand des Behinderten und die dadurch bedingten Funktionsbehinderungen zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Herabsetzungsbescheides vom 17. Juli 2000, abzustellen und dieser Zustand mit dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Erstbescheides, hier des Bescheides vom 18. November 1994, zu vergleichen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/92 -).

Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme sieht es der Senat als erwiesen an, dass in dem Gesundheitszustand der Klägerin nach Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, der eine Herabstufung des GdB von 50 auf unter 20 gerechtfertigt hat.

Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Nach den AP Abschnitt 26.14, Seite 95 ist bei Entfernung eines malignen Brustdrüsentumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten; während dieser Zeit (einschließlich Operationsfolgen und gegebenenfalls anderer Behandlungsfolgen, sofern diese für sich allein keinen GdB von wenigstens 50 bedingen) beträgt bei Entfernung im Stadium T1-2 pN0 M0 der GdB 50, bei Entfernung im Stadium T1-2 pN1 M0 der GdB 60 und in anderen Stadien der GdB wenigstens 80.

Bei der Klägerin erfolgte wegen eines Mammacarcinoms links pT1b, G1, pN0, M0 am 8. Juli 1994 eine Wide excision und Protheseneinlage Mamma links und am 12. Juli 1994 eine Axilladissektion mit nachfolgender Strahlentherapie. Der Beklagte hatte somit mit Bescheid vom 18. November 1994 zutreffend einen GdB von 50 festgestellt. In der Zeit von November 1994 bis Juli 2000 ist ein Tumorrezidiv bei der Klägerin nicht aufgetreten. Damit ist zum Zeitpunkt der Herabsetzung des GdB im Juli 2000 die in den AP Abschnitt 26.14, Seite 95 vorgesehene Heilungsbewährung abgelaufen gewesen.

Der reine Zeitablauf stellt vorliegend ausnahmsweise eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar. Zwar stellt nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein reiner Zeitablauf grundsätzlich keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen dar. Dies gilt aber nicht, wenn die Verwaltung nach veröffentlichten Maßstäben, zum Beispiel den AP, eine zeitlich begrenzte Höherbewertung des GdB, wie bei der Heilungsbewährung, vorsieht und dadurch ihrer Entscheidung objektiv erkennbar den Zeitablauf als tatsächlichen Umstand zu Grunde gelegt hat. Beruht eine Verwaltungsentscheidung auf veröffentlichten Maßstäben, die für ein einheitliches Verwaltungshandeln herangezogen werden, sind Tatsachen, auf die in den veröffentlichten Maßstäben abgestellt wird, bei Statusfeststellungen im Rechtssinne wesentlich (BSG zur Heilungsbewährung, Urteile vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 5/96 und 9 RVs 12/95 - sowie Urteil vom 13. August 1997 - 9 RVs 10/96 -; BSG zum Erreichen eines bestimmten Lebensjahres, Urteil vom 12. November 1996 - 9 RVs 18/94 -).

Bei den AP handelt es sich um veröffentliche Maßstäbe im Sinne der Rechtsprechung (a. A. SG Düsseldorf, Urteil vom 11. April 2002 - S 31 SB 20/01 -). Der Text der AP ist jedermann unter anderem durch den Vertrieb von Textausgaben durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Kommentierungen mit Textausgaben (zum Beispiel Schillings, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz sowie Rohr-/Sträßer, Bundesversorgungsrecht) und Veröffentlichungen im Internet zugänglich. Änderungen des Textes der AP werden durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in dessen Rundschreiben und Informationen zum sozialen Entschädigungsrecht veröffentlicht.

Der Senat hat auch keine Bedenken gegen das Institut der Heilungsbewährung. Ein Verstoß des Institutes der Heilungsbewährung gegen höherrangiges Recht ist nicht feststellbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht ist es sachgerecht, bei der MdE/GdB-Bewertung von Gesundheitsbeeinträchtigungen, deren tatsächliche Funktionsstörungen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erst nach Ablauf einer längeren Zeit festgestellt werden können, zum Beispiel nach Operationen oder bei chronischen langwierigen Erkrankungen, die zu Rezidiven neigen (BSG zu Tuberkuloseerkrankungen, Urteil vom 15. Oktober 1963 - 11 RV 236/61 -; Urteil vom 22. Mai 1962 - 9 RV 590/59 -; Urteil vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 3/89 -; BSG zur Osteomyelitis, Urteil vom 27. Juli 1978 - 9 RV 48/77 -; BSG zu Herzinfarkten, Urteil vom 13. August 1997 - 9 RVs 10/96 -) oder bei denen die volle Belastbarkeit schrittweise erreicht wird (BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 3/89 -; BSG zur Heilungsbewährung bei Bandscheibenoperationen, Urteil vom 9. August 1995 - 9 RVs 19/94 -), nicht ausschließlich auf das Ausmaß der feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen, sondern es wird eine Höherbewertung des Gesundheitszustandes unter dem Gesichtspunkt der Ungewissheit des Krankheitsverlaufes und des Gebots der Schonung als zulässig erachtet. Insbesondere bei malignen Geschwulstkrankheiten ist zum Zeitpunkt der Entfernung eines Tumors nicht absehbar, ob ein Rezidiv auftritt oder nicht, d. h. die Erkrankung ausgeheilt ist.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen bei Brustkrebserkrankungen nicht bereits nach fünf Jahren von einer Heilungsbewährung ausgegangen werden könne, weil Mama-Karzinome auch noch nach zehn bis zwanzig Jahren rezidivieren könnten, macht sie sinngemäß geltend, dass die AP insoweit nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechen. Dies trifft jedoch nicht zu. Der Ablauf der Heilungsbewährung nach fünf Jahren ist bei Brustdrüsentumoren bereits in den 80er Jahren mehrfach in Frage gestellt worden. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen und Statistiken wiesen darauf hin, dass mit diesen Erkrankungen eine Heilungsbewährung möglicherweise erst nach zehn Jahren erwartet werden könne (vgl. hierzu Hausmann/Schillings, Schwerbehindertenrecht, 2. Aufl. 2002, S. 176). Es kann also davon ausgegangen werden, dass die kontroversen Auffassungen bei Abfassung der AP, Ausgabe 1996, bekannt waren und diskutiert worden sind. Wenn in die AP dennoch eine andere Beurteilung Eingang gefunden hat und diese auch in den AP, Ausgabe 2004 aufrechterhalten worden ist, beruht dies somit nicht auf älteren wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf anderen Erwägungen. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass die AP nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen.

Nach alledem hat der Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 17. Juli 2000 den Bescheid vom 18. November 1994 mit Wirkung ab 20. Juli 2000 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X aufgehoben und den GdB von 50 auf 20 herabgesetzt. Der Beklagte hat es daher auch zu Recht mit Bescheid vom 25. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2004 abgelehnt, den Bescheid vom 17. Juli 2000 nach § 44 Abs. 1. Satz 1 SGB X zurückzunehmen. Das Urteil des SG vom 2. Februar 2005 hat sich mithin als rechtmäßig erwiesen. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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