L 6 U 3488/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 155/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3488/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. Juni 2004 sowie der Bescheid vom 19. Juli 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2001 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die bei der Klägerin vorliegende Hepatitis-C-Erkrankung Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV ist.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung der Hepatitis-C Erkrankung der Klägerin als Berufskrankheit (BK).

Die Klägerin ist 1958 geboren und war ab 1. März 1979 als Verwaltungsangestellte im Psychiatrischen Zentrum W. beschäftigt, ab 15. Oktober 1997 in der Patientenaufnahme.

Am 14. April 1999 zeigte der Arbeitgeber eine Berufskrankheit (Hepatitis C) der Klägerin gegenüber der Beklagten an. Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen seien 1992, 1997 und 1999 durchgeführt worden. Bei der letzten habe man eine Leberentzündung festgestellt.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Untersuchung der Klägerin durch Dr. F., Chefarzt der Inneren Klinik I im S. K.-O.-Krankenhaus. In seinem Gutachten vom 3. Dezember 1999 führte er aus, bei einer betriebsärztlichen Untersuchung am 5. Mai 1999 hätten sich laborchemisch erstmals erhöhte Transaminasenwerte gezeigt. In der weiteren Diagnostik habe sich bei erhöhten EBV-IgG-Antikörpern der Hinweis auf eine abgelaufene Ebstein-Barr-Virusinfektion ergeben. Als Ursache der erhöhten Transaminasen sei eine Hepatitis-C-Infektion gefunden worden. Bei einer laborchemischen Untersuchung im Dezember 1998 hätten alle Laborwerte im Normbereich gelegen, eine Hepatitis-C-Diagnostik sei damals nicht durchgeführt worden. Bei ihrer Tätigkeit in der Patientenaufnahme habe die Klägerin keinen Blutkontakt mit möglicherweise infizierten Patienten gehabt, da die Blutabnahme nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehört habe. Es habe auch keine Nadelstichverletzung stattgefunden. Der Patientenkontakt habe sich auf die Begrüßung, gelegentlich per Händedruck, und auf das gemeinsame Anfassen verschiedener Gegenstände wie beispielsweise Kugelschreiber oder Türgriffe beschränkt. Ein hautärztlicher Untersuchungsbefund vom 10. März 1999 habe bei der Klägerin eine chronische ekzematöse Hautveränderung mit Schuppung und Rhagadenbildung gezeigt. In dieser Zeit habe auch Kontakt zu infizierten Patienten bestanden. Bei der Klägerin liege eine chronische aktive Hepatitis-C-Infektion, bei Ausschluss einer primären biliären Zirrhose und einer Kollagenase, eine chronische ekzematöse Hautveränderung an beiden Händen, ein Zustand nach akutem Harnwegsinfekt, ein Zustand nach akuter Lumboischialgie und ein bekanntes degeneratives Wirbelsäulensyndrom im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) vor. Es sei bislang statistisch kein Nachweis einer Infektion bei Schleimhaut- oder Hautkontakt mit infiziertem Blut ohne erkennbare Hautverletzungen erbracht. Daher sei trotz der Hauterkrankung die Übertragung durch Patientenkontakte extrem unwahrscheinlich, jedoch mit letzter Sicherheit nicht auszuschließen. Nach der Datenlage erscheine eine Übertragung des Hepatitis-C-Virus durch die Haut als nicht gesichert. Bei bis zu 40% aller Patienten mit chronischer Hepatitis-C sei der Übertragungsweg ungeklärt.

Die Klägerin legte am 17. Dezember 1999 eine Aufstellung über Patienten mit Hepatitis-C-Infektionen vor, mit denen sie persönlich Kontakt hatte (Zeitraum März 1998 bis September 1999) sowie weitere Unterlagen, um die Infektion der Genannten zu belegen.

Ein weiteres Gutachten erstellte unter dem 31. Januar 2001 Prof. Dr. S., Chefarzt der Abteilung Innere Medizin der Universitätsklinik H ... Er führte zusammenfassend aus, es sei kein Fall in der Literatur beschrieben, in dem bei der Übertragung nicht direkter Kontakt mit Blut eine Rolle gespielt habe. Die Infektion der Klägerin könne in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten vor der Diagnosestellung im Mai 1999 eingetreten sein, eine genaue Angabe sei nicht möglich. Die überwiegende Zahl der Hepatitis-C Infektionen verlaufe asymptomatisch, nur 25%-30% der Patienten suchten wegen Beschwerden einen Arzt auf.

Der Staatliche Gewerbearzt Dr. H. schlug unter dem 28. März 2001 eine BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV nicht zur Anerkennung vor, da die haftungsbegründende Kausalität nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können.

Mit Bescheid vom 19. Juli 2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV ab. Da eine Infektionsquelle nicht habe festgestellt werden können, sei für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs bedeutsam, ob die Klägerin durch die berufliche Tätigkeit der Infektionsgefahr in außergewöhnlichem Maße ausgesetzt gewesen sei. Dies sei bei ihr aber nicht der Fall.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2001 zurückwies.

Dagegen erhob die Klägerin am 18. Januar 2002 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG). Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, die tatsächlichen Verhältnisse in der Patientenaufnahme seien nicht angemessen berücksichtigt worden. So bestehe keine Aufnahmetheke, die Aufnahme erfolge direkt am Schreibtisch der Mitarbeiterinnen. Vor Bekanntwerden der Infektion seien viele Patienten, die häufig in sehr schlechtem Zustand, auch mit offenen Wunden an den Händen, aufgenommen würden, per Handschlag begrüßt oder auch zur Tür geführt worden. Es sei davon auszugehen, dass sie sich zwischen der betrieblichen Untersuchung vom Dezember 1998, die ohne Befund gewesen sei, und der Untersuchung im Mai 1999 infiziert habe. Wegen ihrer Hauterkrankung habe sie auch immer wieder kleinere Schnitte an den Händen, durch die das Virus habe übertragen werden können. Im Übrigen habe sie im fraglichen Zeitraum offene Wunden an den Händen gehabt.

Durch Urteil vom 16. Juni 2004 wies das SG die Klage ab. Die von der Klägerin vorgetragenen Infektionswege seien allenfalls im Bereich des Möglichen anzusiedeln, sie sei nicht in wesentlich höherem Maß als die Restbevölkerung der Gefahr einer Hepatitis-C-Infektion ausgesetzt gewesen. Auch Prof. Dr. S. und Dr. F. hätten unter Berücksichtigung der von der Klägerin angegebenen Hauterkrankung einen Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Tätigkeit verneint.

Gegen das am 20. Juli 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. August 2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, sie sei bei ihrer Tätigkeit in deutlich höherem Maß als der Durchschnitt der Bevölkerung mit Hepatitis-C infizierten Personen in Kontakt. Dies ergebe sich aus ihrem konkreten Arbeitsumfeld, was das SG durch eine Nachfrage beim Klinikum W. hätte klären können.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. Juni 2004 sowie den Bescheid vom 19. Juli 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr vorliegende Hepatitis-C-Erkrankung Folge einer BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, es sei, da die Klägerin keinen direkten Kontakt zu Blut gehabt habe, nach Auffassung der mit der Frage befassten Gutachter extrem unwahrscheinlich, dass sich die Infektion im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit ereignet habe. Sie hat die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. O./Dr. S. vom 2. Juni und 14. Juli 2006 vorgelegt. Der Senat hat Prof. Dr. G., Leiter des Instituts für Medizinische Virologie, Konsiliarlabor für Hepatitis B und D, Universitätsklinikum G. und M., mit der Erstellung eines medizinischen Fachgutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 10. April 2006 sowie den ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen vom 8. Mai 2006 und 23. Juni 2006 hat er zusammenfassend ausgeführt, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass sich die Klägerin durch ihre Berufstätigkeit mit einem Hepatitis-C-Virus infiziert hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist begründet.

Die Klage ist zulässig als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. § 54 Abs. 1 SGG i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Nach der letztgenannten Bestimmung kann mit der Klage u. a. die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung Folge einer BK ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

Dieses besondere Feststellungsinteresse liegt hier vor. Wer wie die Klägerin einen - nicht ausgeheilten - Gesundheitsschaden geltend macht, der die Tatbestandsmerkmale einer BK nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) in Verbindung mit der Anlage zur BKV erfüllt, hat grundsätzlich - nicht zuletzt aus Gründen der Beweissicherung - ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung seiner Rechtsposition im geltend gemachten Versicherungsverhältnis.

Das Feststellungsbegehren ist auch begründet, da eine BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV vorliegt.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV sind Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maß ausgesetzt war, als Berufskrankheiten bezeichnet.

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass beim Versicherten zum Einen die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h. dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BKV ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden herbeizuführen (haftungsbegründende Kausalität). Zum Anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen. Es muss danach ein (mit Vollbeweis gesichertes) dieser Berufskrankheit entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die belastende Tätigkeit zurückgeführt werden können, wobei hinsichtlich des Kausalzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist (haftungsausfüllende Kausalität). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom 28.03.2003 B 2 U 33/03 R).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Heptatitis C, an der die Klägerin erkrankt ist, eine BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV darstellt. Hierfür stützt sich der Senat auf das überzeugende, wissenschaftlich begründete und schlüssige Gutachten von Prof. Dr. G. sowie seine ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen.

Prof. Dr. G. hat - nach einer ausführlichen Darlegung der nach dem gegenwärtigen Stand der Medizin anzunehmenden Übertragungswege einer Hepatitis-C-Infektion - dargelegt, dass im vorliegenden Fall, insbesondere unter Berücksichtigung des bei der Klägerin festgestellten Genotyps des Hepatitis-C-Virus (HCV) 1a, einer Infektion auch mit Hepatitis-A (HAV) und Hepatitis-B (HBV) - Viren, dem Umstand einer fehlenden Bluttransfusion bis 1995, fehlender familiärer Vorbelastungen oder Erkrankungen im sozialen Umfeld, fehlender häufig wechselnder sexueller Kontakte (auch solcher mit Angehörigen von Risikogruppen) oder sonstiger Risiken für den Erwerb einer HAV, HBV oder HCV-Infektion die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit in der Patientenaufnahme besteht. Dem schließt sich der Senat an.

Diese Darstellung entspricht auch dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu den möglichen Übertragungswegen einer Hepatitis C, wie es das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung vom 28. Januar 2003 (L 2 U 180/01, veröffentlicht in juris) in Übereinstimmung mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung M 3101 Nr. 11) dargestellt hat. Danach wird die Hepatitis C in der Hälfte der Fälle parenteral (= unter Umgehung des Magendarmkanals) durch Blut, Blutprodukte, Injektionsspritzen usw. übertragen. Infektionen durch banalen Kontakt mit einem Infizierten, sogar solche durch Kuss oder Geschlechtsverkehr, sind bei der Hepatitis C, im Gegensatz zur Hepatitis B, selten, wenn auch nicht ausgeschlossen. Das Risiko einer Infektion mit HCV (dem Hepatitis-C Virus) bei einmaligem Nadelstich mit HCV-RNA-positivem Blut wird mit etwa 10 % angegeben. Die Inkubationszeit zwischen Infektion und Erkrankung beträgt 15 bis 150 Wochen. Etwa 90 % der akuten Erkrankungen verlaufen asymptomatisch, d.h. sie werden vom Patienten nicht bemerkt. Bei ca. 80 % ist von einem chronischen Verlauf auszugehen, während nur 20 % ausheilen. Für die Entstehung einer Hepatitis-C Infektion wird nur eine äußerst geringe Menge infizierten Materials benötigt, nämlich ca. 100 Viruspartikel; es genügen daher bereits Spuren frischen Blutes, um eine Infektion in Gang zu setzen. Bei der Klägerin wurde im Mai 1999 eine Infektion mit Hepatitis C festgestellt. Die Klägerin hat sich, wie Prof. Dr. G. unter sorgfältiger Auswertung der verfügbaren ärztlichen Meinungsäußerungen und Laborberichte schlüssig ausgeführt hat, darüber hinaus vermutlich zwischen Oktober 1999 und Sommer 2000 auch eine asymptomatische HAV-Infektion zugezogen. In diesen Zeitraum fallen keine - unter Infektionsgesichtspunkten - relevanten Fernreisen der Klägerin oder außerberuflichen Kontakte mit infizierten Personen. HAV-Infektionen werden gehäuft bei Drogenabhängigen gefunden. Eine Übertragungswahrscheinlichkeit auch dieser Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit besteht somit. Was die bei der Klägerin des weiteren bestehende HBV-Infektion anbelangt, wird eine besondere Hepatitisgefährdung bejaht, wenn davon auszugehen ist, dass jedenfalls regelmäßig ein gewisser Prozentsatz der Patienten im Arbeitsbereich des Versicherten unerkannt an Hepatitis B erkrankt ist (BSG, NZA 1988, 823). Ein besonderes Infektionsrisiko ist auch schon dann gegeben, wenn unter Berücksichtigung der Prävalenzrate sowie der zu schätzenden Zahl von betreuten Patienten oder anderen Kontaktpersonen ein - gelegentlicher - Kontakt mit Hepatitis-B-positiven Patienten oder anderen Kontaktpersonen während der Ansteckungszeit nach statistischen Maßstäben zu erwarten ist (Mehrtens/Perlebach, aaO, Rz 10). Die für die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zu fordernde, über das normale Maß hinausgehende Hepatitis-Gefährdung kann begründet sein (aaO) entweder durch ein besonders hohes Risiko eines unmittelbaren Kontakts mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten auf Grund der Häufigkeit gefährdender Tätigkeiten oder auf Grund eines besonders hohen Verletzungsrisikos bzw. Inokulationsrisikos (= des Risikos des Eindringens von Krankheitskörpern in den Organismus) bei diesen Tätigkeiten oder durch generelle, insbesondere statistische Erkenntnisse über ein erhöhtes Infektionspotential im Arbeitsumfeld des Versicherten (d.h. Erkenntnisse über die zu erwartende Anzahl von Patienten/Betreuten/sonstigen Kontaktpersonen mit Hepatitis-B-positiven Befunden bzw. von infektiösen Untersuchungsmaterialien während der in Frage kommenden Ansteckungszeit). Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 24. Februar 2004 (B 2 U 13/03 R) dazu ausgeführt, die Annahme, ein im Gesundheitsdienst Beschäftigter sei bei seiner versicherten Tätigkeit einer besonderen Infektionsgefährdung gegenüber Hepatitis B ausgesetzt gewesen, erfordere den Nachweis, dass entweder (a) ein unmittelbarer oder mittelbarer beruflicher Kontakt mit an Hepatitis B erkrankten Personen bestanden hat oder (b) der prozentuale Anteil Hepatitis-B-infektiöser Patienten in der Gruppe der Kontaktpersonen deutlich höher ist als in der Normalbevölkerung oder (c) die Art der Tätigkeit als solche besonders hepatitisgefährdend war. Die Klägerin hatte unmittelbaren Kontakt zu infizierten Personen, der Anteil dieser Personen in der Gruppe der Kontaktpersonen der Klägerin liegt zudem deutlich höher als in der durchschnittlichen Bevölkerung. Daher ist auch bezüglich der Hepatitis B eine Übertragungswahrscheinlichkeit durch den beruflichen Kontakt mit Drogenabhängigen zu bejahen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person, die keine außerberuflichen Risiken in sich vereint - wie die Klägerin -, alle drei Hepatitis-Virus-Infektionen aufweist, liegt, so Prof. Dr. G., bei 4x10-10. Aus dieser extrem geringen Wahrscheinlichkeit, alle drei Infektionen zufällig zu erwerben (bei Abwesenheit sonstiger Risiken innerhalb des Berufs) macht deutlich, dass spezifische Risiken vorgelegen haben müssen. Dabei ist ein Kontakt mit HCV-infizierten Drogenabhängigen im vorliegenden Fall am plausibelsten, da diese Personengruppe mit allen drei Infektionen weit überdurchschnittlich, insbesondere aber mit HCV, belastet ist.

Bei der Klägerin bestand im März 1999 auch eine ekzematöse Hautveränderung, die mit Rhagadenbildungen einherging. Auch wenn ein Kontakt einer verletzten Haut mit Blut oder Wundsekret eines HCV-Infizierten mit hoher Viruslast als Übertragungsweg nur plausibel, bislang allerdings wissenschaftlich noch nicht belegt ist, spricht auch dieser Umstand jedenfalls nicht gegen einen Zusammenhang. Insbesondere dann nicht, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass bei Fehlen bekannter Risiken auch der Erwerb einer HCV-Infektion im Laufe eines Lebens in Deutschland sehr unwahrscheinlich ist (ungefähr 1:1000). Entscheidend ist aber aus Sicht des Senats vor allem, dass bei der Klägerin ein Virus des Genotyps 1 a festgestellt worden ist. Dieser Genotyp ist für HCV-infizierte Drogenabhängige typisch. Wäre die Infektion auf einem anderen Weg erfolgt, so hätte der Genotyp 1 b festgestellt werden müssen.

Die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. O./Dr. S. vermochten den Senat nicht zu überzeugen.

Soweit diese vorbringen, dass die Übertragung einer HCV-Infektion durch reine Hautkontakte wissenschaftlich nicht gesichert sei, übersehen sie nicht nur die vorgeschädigte Haut der Klägerin, sondern auch den Umstand, dass der bei der Klägerin festgestellte Genotyp 1a sehr für Drogenabhängige als Infektionsquelle spricht. Der Kontakt der Klägerin zu Drogenabhängigen über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren ist auch nicht zu kurz, um eine Infektion schon deshalb ausschließen zu können. Deshalb steht auch das Ergebnis der Leberbiopsie vom November 1999, das auf eine bereits etwas länger bestehende chronische Hepatitis hingewiesen hatte, der Annahme des wahrscheinlichen Übertragungswegs durch Hautkontakte mit infizierten Patienten nicht entgegen.

Soweit die Beratungsärzte ausgeführt haben, dass die Klägerin bei ihrer Tätigkeit keine "direkten Blutkontakte" hatte, anders als Kolleginnen, die Injektionen verabreichen, Blutentnahmen durchführen oder im Labor arbeiten, ist darauf mit Prof. Dr. G. zu erwidern, dass zwar bei Klinikpersonal keine signifikant höhere HCV-Prävalenz zu beobachten ist als bei der Gesamtbevölkerung, dennoch in diesen Fällen eine HCV-Infektion als Berufskrankheit anerkannt wird, wenn Kontakt zu infizierten Patienten bestanden hatte. Auch wenn dies eine - im Ergebnis - zutreffende Beurteilungspraxis darstellen mag, ist doch zu beachten, dass nur wenig klinisch tätige Personen mit so vielen HCV-infizierten Personen Kontakt hatten wie die Klägerin im fraglichen Zeitraum. Insoweit kann eine unterschiedliche Behandlung beider Personengruppen auch durch den Senat nicht nachvollzogen werden.

Da somit der häufige berufliche Kontakt zu HCV-infizierten Drogenkonsumenten, der für Drogenkonsum typische HCV-Genotyp 1a, die mutmaßliche frische HAV-Infektion ohne Reisenanamnese und die durchgemachte HBV-Infektion für einen Zusammenhang der Erkrankung der Klägerin mit der beruflichen Tätigkeit sprechen, steht zur Überzeugung des Senats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang der seit Mai 1999 gesicherten Erkrankung mit der beruflichen Tätigkeit fest.

Nach alldem war der Berufung der Klägerin statt zu geben und waren die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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