Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 2752/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 5372/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Erstattung für den Zeitraum 11. bis 30. September 2002 bereits erbrachter Leistungen.
Der 1972 geborene Kläger meldete sich am 10. Mai 2002 beim Arbeitsamt K. (ArbA; jetzt: Agentur für Arbeit) arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alhi. Zuvor hatte er bis 30. April 2002 Alhi bezogen und in der Zeit vom 1. bis 8. Mai 2002 in einem Beschäftigungsverhältnis als Kraftfahrer gestanden. Dieses hatte der Arbeitgeber gekündigt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen war, mit einem Anhänger zu fahren. Mit Bescheid vom 11. Juni 2002 bewilligte das ArbA dem Kläger Alhi vom 9. Mai 2002 bis 31. Januar 2003 in Höhe von wöchentlich 167,79 EUR (gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt 370, Leistungsgruppe C, Kindermerkmal 1).
Am 28. August 2002 beantragte der Kläger die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Im Antragsformular gab er an, der Antrag beziehe sich auf eine Tätigkeit als Gebäudereiniger, die er am 1. Oktober 2002 aufnehme. Das ArbA stellte daraufhin die Zahlungen mit Wirkung ab 1. Oktober 2002 ein. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 hob es die Bewilligung von Alhi ab 1. Oktober 2002 auf. Am 12. November 2002 teilte der Kläger mit, er mache sich definitiv erst ab 15. November 2002 als Gebäudereiniger selbständig. In der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 14. November 2002 habe er demgegenüber keine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2002 erhob der Kläger am 21. November 2002 zunächst Widerspruch, nahm diesen jedoch am 14. Februar 2003 wieder zurück.
Am 8. Oktober 2002 hatte ein anonymer Anrufer dem ArbA mitgeteilt, er beobachte seit ca. 14 Tagen, dass der Kläger als Alleinverantwortlicher einen Kiosk in der B. Allee in K. betreibe. Ausweislich einer vom ArbA beigezogenen Auskunft aus der Gewerbedatei der Stadt K. war die Ehefrau des Klägers N. U. Betriebsinhaberin dieses Kiosks. Diese hatte das Gewerbe zum 11. September 2002 angemeldet. In der Folge veranlasste das ArbA mehrere Observationen des Kiosks durch den Mitarbeiter H ... Dieser suchte den Kiosk am 9. und 10. Oktober sowie am 4., 5. und 6. November 2002 auf und traf ausweislich des Einzelprüfberichts vom 8. November 2002 jeweils eine männliche Person türkischen Aussehens an. Diese sei ca. 30 Jahre alt, groß, schlank und Brillenträger gewesen.
Am 8. November 2002 suchte der Mitarbeiter H. den Kiosk zusammen mit dem Bediensteten R. vom Wirtschaftskontrolldienst K. auf. Auch an diesem Tag wurde ausweislich des Einzelprüfberichts vom 8. November 2002 wieder dieselbe männliche Person angetroffen. Bei dieser habe es sich um den Kläger gehandelt. Der Kläger habe auf Vorhalt der Anzeige zunächst eine tägliche und regelmäßige Mithilfe im Kiosk bestritten. Nach einer telefonischen Rückfrage mit seinem Rechtsanwalt sei er zu keiner schriftlichen Erklärung mehr bereit gewesen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs habe er jedoch mündlich eingeräumt, dass er seit Betriebsbeginn, dem 11. September 2002, den "überwiegenden Teil" der Öffnungszeiten des Kiosks abgedeckt habe. Dies habe der Kläger mehrfach unmissverständlich geäußert. Da der Betrieb 70 Stunden pro Woche geöffnet habe, könne aufgrund der Angaben des Klägers davon ausgegangen werden, dass dieser seit Betriebsbeginn mindestens 35 Stunden pro Woche dort alleinverantwortlich tätig gewesen sei. Nach vorheriger Anhörung des Klägers (Schreiben vom 13. November 2002) hob das ArbA mit Bescheid vom 19. November 2002 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 auf. Der Kläger habe seit 11. September 2002 eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende selbständige Tätigkeit ausgeübt und sei deshalb nicht mehr arbeitslos gewesen. Für den genannten Zeitraum sei eine Überzahlung in Höhe von 479,40 EUR eingetreten, die der Kläger zu erstatten habe. Das Gleiche gelte für die gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 95,20 EUR. Insgesamt betrage die Erstattungsforderung somit 574,60 EUR.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 11. Dezember 2002 Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, er habe entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid in der Zeit vom 11. bis 30. September 2002 keine seinen Anspruch auf Alhi ausschließende Tätigkeit ausgeübt. Anlässlich der am 8. November 2002 durchgeführten Betriebsprüfung habe er eine solche Tätigkeit auch nicht gegenüber den Herren H. und R. eingeräumt. In seiner Stellungnahme vom 18. Februar 2003 führte der Mitarbeiter des ArbA H. hierzu aus, die Ausführungen im Einzelprüfbericht vom 8. November 2002 seien zutreffend. Der Kläger habe auf Befragung wortwörtlich angegeben, seit der Betriebseröffnung den überwiegenden Teil der Öffnungszeiten im Kiosk alleinverantwortlich abzudecken. Auf Anfrage des ArbA teilte Herr R. vom Wirtschaftskontrolldienst K. mit, er könne sich an die Einzelheiten des Gesprächs am 8. November 2002 zwar nicht mehr erinnern, es sei aber richtig, dass der Kläger eingeräumt habe, seit 11. September 2002 den überwiegenden Teil der Öffnungszeiten abgedeckt zu haben. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2003 wies die Widerspruchsstelle des ArbA den Widerspruch zurück.
Mit der am 6. August 2003 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der Kiosk sei am 11. September 2002 eröffnet worden. Während des Monats September sei der Kiosk montags bis freitags von 7.00 bis 17.00 Uhr und samstags von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr geöffnet gewesen. Während der gesamten Öffnungszeiten im September 2002 habe seine Ehefrau im Kiosk gearbeitet. Er selbst habe sich dort nur gelegentlich aufgehalten. Er habe lediglich nach 17 Uhr notwendige Einkäufe für den Kiosk erledigt. Dies habe aber in zeitlicher Hinsicht lediglich ca. eine Stunde pro Tag erfordert. Im übrigen habe er sich um seine Kinder und um die geplante Selbständigkeit als Gebäudereiniger gekümmert. Er könne es allerdings nicht akzeptieren, dass seine Frau alleine mit seinen Freunden im Kiosk zusammentreffe. Wenn diese den Kiosk aufsuchten, müsse dementsprechend auch er anwesend sein. Dieses Erfordernis entspreche seiner Kultur. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das SG hat U. H., M. R., A. D., F. C. D. und die Ehefrau des Klägers N. U. als Zeugen vernommen. Die Zeugen H. und R. haben nochmals bestätigt, der Kläger habe ihnen gegenüber eingeräumt, den Kiosk überwiegend betrieben zu haben. Der Zeuge A. D. hat bekundet, er habe den Kiosk am 8. November 2002 aufgesucht und durch das geschlossene Bedienungsfenster bemerkt, dass der Kläger mit 2 Personen gesprochen habe. Den Gesprächsinhalt habe er jedoch nicht verstanden. Der Zeuge F. C. D. hat ausgesagt, er habe dem Kläger den Kiosk verkauft. Nach der Übergabe sei er nur noch selten im Kiosk gewesen; er habe dort teilweise den Kläger, teilweise dessen Frau und auch deren Kinder angetroffen. Die Ehefrau des Klägers N. U. hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und keine Angaben zur Sache gemacht. Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2004 (Bl. 54 bis 62 der SG-Akte) und vom 29. September 2004 (Bl. 88 bis 92 der SG-Akte) Bezug genommen. Mit Urteil vom 29. September 2004 hat das SG den Bescheid vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2003 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Kammer sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass der Kläger in der Zeit vom 11. bis 30. September 2002 tatsächlich in einem zeitlichen Umfang von 15 Stunden oder mehr pro Woche im Kiosk gearbeitet habe.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 29. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. November 2004 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Beweiswürdigung durch das SG überzeuge nicht. Der Kläger habe ausweislich des Prüfberichts vom 8. November 2002 selbst eingeräumt, den überwiegenden Teil der Öffnungszeiten des Kiosks abgedeckt zu haben. Diesem zeitnah erstellten Dokument sei ein höherer Beweiswert beizumessen, als den später abgegebenen Zeugenaussagen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend.
Der Berichterstatter hat die Ehefrau des Klägers N. U. als Zeugin vernommen. Diese hat ausgesagt, sie habe in der Anfangszeit den Kiosk geführt. Der Kläger habe sich um die gemeinsamen Kinder gekümmert und sei nur selten in den Laden gekommen. Die jüngere Tochter sei am 9. April 2001 geboren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Aussage der Zeugin U. wird auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung vom 2. August 2005 (Bl. 32 bis 35 der Berufungsakte des Senats) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Darstellungen des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Kunden-Nr.), die Klageakte des SG (S 14 AL 2752/03) und die Berufungsakte des Senats (L 13 AL 5372/04) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und, weil unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt, auch im übrigen zulässig.
Die Berufung ist auch sachlich begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 (Bescheid vom 11. Juni 2002) sowie die Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 574,60 EUR verfügende Bescheid vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2003. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 regelnde (teilweise) Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2002 (Bewilligung von Alhi ab 9. Mai 2002) - die Aufhebung dieses Bescheids für die Zeit ab 1. Oktober 2002 ist bestandskräftig - ist § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Abs. 1 Satz 1). Dies soll - rückwirkend - ab dem Zeitpunkt der Änderung erfolgen, soweit unter anderem (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Insoweit ist entgegen § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ("soll") nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III - geltend seit 1. Januar 1998 - auch in atypischen Fällen keine Ermessenausübung geboten.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Eine die Aufhebung der Bewilligung von Alhi rechtfertigende wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist mit der Aufnahme einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit in dem Kiosk B. Allee 8 in K. am 11. September 2002 eingetreten. Die Beklagte war berechtigt und verpflichtet, die Bewilligung von Alhi bereits rückwirkend ab diesem Zeitpunkt aufzuheben, nachdem der Kläger die selbständige Tätigkeit vorsätzlich nicht mitgeteilt hat, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Die gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 2 SGB X einzuhaltenden Fristen sind gewahrt.
Anspruch auf Alhi haben gemäß § 190 Abs. 1 SGB III in der hier noch anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim ArbA arbeitslos gemeldet haben (Nr. 2), einen Anspruch auf Alhi nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben (Nr. 3), die besonderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt haben (Nr. 4) und bedürftig sind (Nr. 5). Im vorliegenden Fall hat ab 11. September 2002 bereits die erste Tatbestandsvoraussetzung nicht mehr vorgelegen; der Kläger ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arbeitslos gewesen. Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III setzt die Arbeitslosigkeit unter anderem voraus, dass der Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 118 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Nach § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III stehen eine selbständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger einer Beschäftigung gleich.
Anders als das SG ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger ab 11. September 2002 den auf seine Ehefrau angemeldeten Kiosk in der B. Allee 8 in K. alleinverantwortlich und in einem mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Umfang selbständig betrieben hat. Der Kiosk ist ausweislich der Auskunft aus der Gewerbedatei der Stadt K. vom 11. Oktober 2002 am 11. September 2002 eröffnet worden. Dies hat auch der Kläger gegenüber dem SG bestätigt. Die Öffnungszeiten des Kiosks umfassten montags bis freitags den Zeitraum von 7.00 bis 17.00 Uhr und samstags die Zeit von 9.00 bis 14.00 Uhr. Diese Öffnungszeiten hat der Kläger überwiegend abgedeckt, so dass sich eine Dauer der Tätigkeit von weit mehr als 15 Stunden wöchentlich ergibt. Dies steht zur vollen Überzeugung des Senats fest aufgrund der Angaben, die der Kläger selbst gegenüber dem Mitarbeiter der Beklagten H. und dem Mitarbeiter R. vom Wirtschaftskontrolldienst K. anlässlich der Betriebsprüfung am 8. November 2002 gemacht hat. Der Kläger hat diesen gegenüber eingeräumt, die Öffnungszeiten seit der Eröffnung des Betriebes überwiegend abgedeckt zu haben und alleinverantwortlich dort tätig gewesen zu sein. Daran, dass der Kläger eine Aussage diesen Inhalts gegenüber dem Zeugen H. und R. getätigt hat, und dass diese auch der Wahrheit entspricht, hat der Senat keinen Zweifel. Der Zeuge H. hat den Inhalt des mit dem Kläger anlässlich der Betriebsprüfung am 8. November 2002 geführten Gesprächs zeitnah in dem Einzelprüfbericht vom selben Tag niedergelegt. Die bereits dort dokumentierte maßgebliche Aussage des Klägers wurde sowohl vom Zeugen H. als auch vom Zeugen R. im Verlauf des Widerspruchverfahrens nochmals schriftlich bestätigt. Für den Senat ergeben sich keine Gesichtspunkte, die Anlass geben könnten, an der Richtigkeit dieser schriftlichen Bekundungen, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden können, zu zweifeln; es sind insbesondere keine Gründe erkennbar, deretwegen beide Zeugen den Inhalt des Gesprächs in diesem wesentlichen Punkt unzutreffend wiedergeben sollten. Dass sich die Zeugen im Rahmen der Vernehmung durch das SG (am 12. Februar 2004) an Einzelheiten des mit dem Kläger am 8. November 2002 geführten Gesprächs teilweise nicht mehr erinnern konnten, ist angesichts des Zeitablaufs nachvollziehbar und steht der Glaubhaftigkeit ihrer im Verlauf des Widerspruchsverfahrens (zeitnäher) getätigten schriftlichen Stellungnahmen nicht entgegen.
Dass die Eheleute, wie von der Zeugin U. ausgesagt, geplant hatten, gleichzeitig zwei getrennte Unternehmen aufzubauen und sich dieses Vorhaben erst später als nicht praktikabel herausgestellt hätte, hält der Senat nicht für glaubhaft. Der Kläger hat gegenüber dem SG angegeben, seine kulturellen Wertvorstellungen ließen es nicht zu, dass seine Ehefrau mit seinen Freunden im Kiosk zusammentreffe, wenn er nicht anwesend sei. Da derartige Zusammentreffen naturgemäß zeitlich nicht bestimmbar sind, bedeutet dies nichts anderes, als dass der Kläger durchgängig anwesend sein muss, wenn seine Ehefrau im Kiosk tätig ist. Vor diesem Hintergrund ist der Aufbau zweier unabhängiger Unternehmen durch die Eheleute völlig unrealistisch. Auch im übrigen ist die Aussage der Zeugin U. nach Überzeugung des Senats nicht glaubhaft. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Zeugin, deren Tochter zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal eineinhalb Jahre alt war, den Kiosk gerade und ausschließlich während des streitgegenständlichen Zeitraums von drei Wochen geführt und der Kläger sich um dieses Kleinkind gekümmert haben soll. Die Zeugin U. vermochte zum Umsatz des Betriebs im streitgegenständlichen Zeitraum keine Angaben zu machen. Zudem hat den Kaufpreis nicht sie, sondern der Kläger an den Vorbesitzer, den Zeugen F. C. D. entrichtet. Dieser wiederum hat gegenüber dem SG ausgesagt, ihm sei bekannt gewesen, dass der Kläger einen Kiosk gesucht habe. Angesichts dieser Gesamtumstände ist der Senat im Ergebnis davon überzeugt, dass nicht die Zeugin U., sondern der Kläger den Kiosk als selbständig Tätiger betrieben und die angebliche Tätigkeit seiner Ehefrau im Kiosk in der Zeit vom 11. bis 30. September 2002 lediglich nachträglich vorgeschoben hat, um auf diese Weise eine Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und eine Rückforderung der bereits gewährten Leistungen abzuwenden.
Die Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligung von Alhi mit Wirkung für die Vergangenheit ab 11. September 2000 aufzuheben, denn der Kläger ist der sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ergebenden Verpflichtung, dem ArbA die Aufnahme der selbständigen, mehr als geringfügigen Tätigkeit im Kiosk mitzuteilen, mindestens grob fahrlässig nicht nachgekommen. Darüber hinaus beruhte eine etwaige Unkenntnis, dass mit der Aufnahme dieser Tätigkeit die Arbeitslosigkeit und damit der Anspruch auf Alhi weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X), mindestens auf grober Fahrlässigkeit. Eine solche setzt eine Sorgfaltpflichtverletzung hohen Ausmaßes voraus, die das gewöhnliche Maß von Fahrlässigkeit erheblich überschreitet. Ganz nahe liegende Überlegungen müssen nicht angestellt worden sein (vgl. zum subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auch im Hinblick auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie das Einsichtsvermögen des Betroffenen insbesondere Bundessozialgericht (BSG) SozR 5870 § 13 Nr. 2). Der Kläger ist über die Voraussetzungen für die Bewilligung von Alhi und über die leistungsrechtlichen Folgen der Aufnahme einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit in dem ihm ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt er bei Stellung des Antrags auf Alhi unterschriftlich bestätigt hat, umfassend belehrt worden (vgl. Seite 15 des Merkblatts für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten"). Zur Überzeugung des Senats war ihm auch bekannt, dass eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit leistungsschädlich ist und insoweit eine Mitteilungspflicht besteht. Zweifel an seiner Urteils- oder Kritikfähigkeit des Klägers, der schon als Bankangestellter und Gemeindevollzugsbediensteter tätig war, bestehen nicht. Wenn der Kläger dennoch der Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist oder er geglaubt hat, Alhi beziehen zu dürfen, ist die grobe Fahrlässigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X zu bejahen.
Da somit die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 zu Recht erfolgt ist, hat der Kläger gemäß § 50 Abs. 1 SGB X die für diese Zeit bereits gezahlte Alhi in Höhe von 479,40 EUR zu erstatten. Die Erstattungspflicht umfasst auch die von der Beklagten im Erstattungszeitraum gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Sozialen Pflegeversicherung (95,20 EUR; § 335 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 SGB III). Auch insoweit begegnet die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Erstattungsforderung keinen rechtlichen Bedenken, wie sich aus der in der Verwaltungsakte enthaltenen Zahlungsübersicht und dem ausgewiesenen Beitragssätzen zur gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich derjenigen sozialen Pflegeversicherung ergibt. Diesbezüglich hat der Kläger, für den in diesem Zeitraum ein anderweitiges Krankenversicherungsverhältnis nicht bestanden hat, die Berechnung der Beklagten zur Höhe auch nicht beanstandet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Erstattung für den Zeitraum 11. bis 30. September 2002 bereits erbrachter Leistungen.
Der 1972 geborene Kläger meldete sich am 10. Mai 2002 beim Arbeitsamt K. (ArbA; jetzt: Agentur für Arbeit) arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alhi. Zuvor hatte er bis 30. April 2002 Alhi bezogen und in der Zeit vom 1. bis 8. Mai 2002 in einem Beschäftigungsverhältnis als Kraftfahrer gestanden. Dieses hatte der Arbeitgeber gekündigt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen war, mit einem Anhänger zu fahren. Mit Bescheid vom 11. Juni 2002 bewilligte das ArbA dem Kläger Alhi vom 9. Mai 2002 bis 31. Januar 2003 in Höhe von wöchentlich 167,79 EUR (gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt 370, Leistungsgruppe C, Kindermerkmal 1).
Am 28. August 2002 beantragte der Kläger die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Im Antragsformular gab er an, der Antrag beziehe sich auf eine Tätigkeit als Gebäudereiniger, die er am 1. Oktober 2002 aufnehme. Das ArbA stellte daraufhin die Zahlungen mit Wirkung ab 1. Oktober 2002 ein. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 hob es die Bewilligung von Alhi ab 1. Oktober 2002 auf. Am 12. November 2002 teilte der Kläger mit, er mache sich definitiv erst ab 15. November 2002 als Gebäudereiniger selbständig. In der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 14. November 2002 habe er demgegenüber keine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2002 erhob der Kläger am 21. November 2002 zunächst Widerspruch, nahm diesen jedoch am 14. Februar 2003 wieder zurück.
Am 8. Oktober 2002 hatte ein anonymer Anrufer dem ArbA mitgeteilt, er beobachte seit ca. 14 Tagen, dass der Kläger als Alleinverantwortlicher einen Kiosk in der B. Allee in K. betreibe. Ausweislich einer vom ArbA beigezogenen Auskunft aus der Gewerbedatei der Stadt K. war die Ehefrau des Klägers N. U. Betriebsinhaberin dieses Kiosks. Diese hatte das Gewerbe zum 11. September 2002 angemeldet. In der Folge veranlasste das ArbA mehrere Observationen des Kiosks durch den Mitarbeiter H ... Dieser suchte den Kiosk am 9. und 10. Oktober sowie am 4., 5. und 6. November 2002 auf und traf ausweislich des Einzelprüfberichts vom 8. November 2002 jeweils eine männliche Person türkischen Aussehens an. Diese sei ca. 30 Jahre alt, groß, schlank und Brillenträger gewesen.
Am 8. November 2002 suchte der Mitarbeiter H. den Kiosk zusammen mit dem Bediensteten R. vom Wirtschaftskontrolldienst K. auf. Auch an diesem Tag wurde ausweislich des Einzelprüfberichts vom 8. November 2002 wieder dieselbe männliche Person angetroffen. Bei dieser habe es sich um den Kläger gehandelt. Der Kläger habe auf Vorhalt der Anzeige zunächst eine tägliche und regelmäßige Mithilfe im Kiosk bestritten. Nach einer telefonischen Rückfrage mit seinem Rechtsanwalt sei er zu keiner schriftlichen Erklärung mehr bereit gewesen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs habe er jedoch mündlich eingeräumt, dass er seit Betriebsbeginn, dem 11. September 2002, den "überwiegenden Teil" der Öffnungszeiten des Kiosks abgedeckt habe. Dies habe der Kläger mehrfach unmissverständlich geäußert. Da der Betrieb 70 Stunden pro Woche geöffnet habe, könne aufgrund der Angaben des Klägers davon ausgegangen werden, dass dieser seit Betriebsbeginn mindestens 35 Stunden pro Woche dort alleinverantwortlich tätig gewesen sei. Nach vorheriger Anhörung des Klägers (Schreiben vom 13. November 2002) hob das ArbA mit Bescheid vom 19. November 2002 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 auf. Der Kläger habe seit 11. September 2002 eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende selbständige Tätigkeit ausgeübt und sei deshalb nicht mehr arbeitslos gewesen. Für den genannten Zeitraum sei eine Überzahlung in Höhe von 479,40 EUR eingetreten, die der Kläger zu erstatten habe. Das Gleiche gelte für die gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 95,20 EUR. Insgesamt betrage die Erstattungsforderung somit 574,60 EUR.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 11. Dezember 2002 Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, er habe entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid in der Zeit vom 11. bis 30. September 2002 keine seinen Anspruch auf Alhi ausschließende Tätigkeit ausgeübt. Anlässlich der am 8. November 2002 durchgeführten Betriebsprüfung habe er eine solche Tätigkeit auch nicht gegenüber den Herren H. und R. eingeräumt. In seiner Stellungnahme vom 18. Februar 2003 führte der Mitarbeiter des ArbA H. hierzu aus, die Ausführungen im Einzelprüfbericht vom 8. November 2002 seien zutreffend. Der Kläger habe auf Befragung wortwörtlich angegeben, seit der Betriebseröffnung den überwiegenden Teil der Öffnungszeiten im Kiosk alleinverantwortlich abzudecken. Auf Anfrage des ArbA teilte Herr R. vom Wirtschaftskontrolldienst K. mit, er könne sich an die Einzelheiten des Gesprächs am 8. November 2002 zwar nicht mehr erinnern, es sei aber richtig, dass der Kläger eingeräumt habe, seit 11. September 2002 den überwiegenden Teil der Öffnungszeiten abgedeckt zu haben. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2003 wies die Widerspruchsstelle des ArbA den Widerspruch zurück.
Mit der am 6. August 2003 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der Kiosk sei am 11. September 2002 eröffnet worden. Während des Monats September sei der Kiosk montags bis freitags von 7.00 bis 17.00 Uhr und samstags von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr geöffnet gewesen. Während der gesamten Öffnungszeiten im September 2002 habe seine Ehefrau im Kiosk gearbeitet. Er selbst habe sich dort nur gelegentlich aufgehalten. Er habe lediglich nach 17 Uhr notwendige Einkäufe für den Kiosk erledigt. Dies habe aber in zeitlicher Hinsicht lediglich ca. eine Stunde pro Tag erfordert. Im übrigen habe er sich um seine Kinder und um die geplante Selbständigkeit als Gebäudereiniger gekümmert. Er könne es allerdings nicht akzeptieren, dass seine Frau alleine mit seinen Freunden im Kiosk zusammentreffe. Wenn diese den Kiosk aufsuchten, müsse dementsprechend auch er anwesend sein. Dieses Erfordernis entspreche seiner Kultur. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das SG hat U. H., M. R., A. D., F. C. D. und die Ehefrau des Klägers N. U. als Zeugen vernommen. Die Zeugen H. und R. haben nochmals bestätigt, der Kläger habe ihnen gegenüber eingeräumt, den Kiosk überwiegend betrieben zu haben. Der Zeuge A. D. hat bekundet, er habe den Kiosk am 8. November 2002 aufgesucht und durch das geschlossene Bedienungsfenster bemerkt, dass der Kläger mit 2 Personen gesprochen habe. Den Gesprächsinhalt habe er jedoch nicht verstanden. Der Zeuge F. C. D. hat ausgesagt, er habe dem Kläger den Kiosk verkauft. Nach der Übergabe sei er nur noch selten im Kiosk gewesen; er habe dort teilweise den Kläger, teilweise dessen Frau und auch deren Kinder angetroffen. Die Ehefrau des Klägers N. U. hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und keine Angaben zur Sache gemacht. Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2004 (Bl. 54 bis 62 der SG-Akte) und vom 29. September 2004 (Bl. 88 bis 92 der SG-Akte) Bezug genommen. Mit Urteil vom 29. September 2004 hat das SG den Bescheid vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2003 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Kammer sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass der Kläger in der Zeit vom 11. bis 30. September 2002 tatsächlich in einem zeitlichen Umfang von 15 Stunden oder mehr pro Woche im Kiosk gearbeitet habe.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 29. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. November 2004 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Beweiswürdigung durch das SG überzeuge nicht. Der Kläger habe ausweislich des Prüfberichts vom 8. November 2002 selbst eingeräumt, den überwiegenden Teil der Öffnungszeiten des Kiosks abgedeckt zu haben. Diesem zeitnah erstellten Dokument sei ein höherer Beweiswert beizumessen, als den später abgegebenen Zeugenaussagen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend.
Der Berichterstatter hat die Ehefrau des Klägers N. U. als Zeugin vernommen. Diese hat ausgesagt, sie habe in der Anfangszeit den Kiosk geführt. Der Kläger habe sich um die gemeinsamen Kinder gekümmert und sei nur selten in den Laden gekommen. Die jüngere Tochter sei am 9. April 2001 geboren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Aussage der Zeugin U. wird auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung vom 2. August 2005 (Bl. 32 bis 35 der Berufungsakte des Senats) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Darstellungen des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Kunden-Nr.), die Klageakte des SG (S 14 AL 2752/03) und die Berufungsakte des Senats (L 13 AL 5372/04) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und, weil unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt, auch im übrigen zulässig.
Die Berufung ist auch sachlich begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 (Bescheid vom 11. Juni 2002) sowie die Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 574,60 EUR verfügende Bescheid vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2003. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 regelnde (teilweise) Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2002 (Bewilligung von Alhi ab 9. Mai 2002) - die Aufhebung dieses Bescheids für die Zeit ab 1. Oktober 2002 ist bestandskräftig - ist § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Abs. 1 Satz 1). Dies soll - rückwirkend - ab dem Zeitpunkt der Änderung erfolgen, soweit unter anderem (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Insoweit ist entgegen § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ("soll") nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III - geltend seit 1. Januar 1998 - auch in atypischen Fällen keine Ermessenausübung geboten.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Eine die Aufhebung der Bewilligung von Alhi rechtfertigende wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist mit der Aufnahme einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit in dem Kiosk B. Allee 8 in K. am 11. September 2002 eingetreten. Die Beklagte war berechtigt und verpflichtet, die Bewilligung von Alhi bereits rückwirkend ab diesem Zeitpunkt aufzuheben, nachdem der Kläger die selbständige Tätigkeit vorsätzlich nicht mitgeteilt hat, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Die gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 2 SGB X einzuhaltenden Fristen sind gewahrt.
Anspruch auf Alhi haben gemäß § 190 Abs. 1 SGB III in der hier noch anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim ArbA arbeitslos gemeldet haben (Nr. 2), einen Anspruch auf Alhi nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben (Nr. 3), die besonderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt haben (Nr. 4) und bedürftig sind (Nr. 5). Im vorliegenden Fall hat ab 11. September 2002 bereits die erste Tatbestandsvoraussetzung nicht mehr vorgelegen; der Kläger ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arbeitslos gewesen. Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III setzt die Arbeitslosigkeit unter anderem voraus, dass der Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 118 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Nach § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III stehen eine selbständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger einer Beschäftigung gleich.
Anders als das SG ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger ab 11. September 2002 den auf seine Ehefrau angemeldeten Kiosk in der B. Allee 8 in K. alleinverantwortlich und in einem mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Umfang selbständig betrieben hat. Der Kiosk ist ausweislich der Auskunft aus der Gewerbedatei der Stadt K. vom 11. Oktober 2002 am 11. September 2002 eröffnet worden. Dies hat auch der Kläger gegenüber dem SG bestätigt. Die Öffnungszeiten des Kiosks umfassten montags bis freitags den Zeitraum von 7.00 bis 17.00 Uhr und samstags die Zeit von 9.00 bis 14.00 Uhr. Diese Öffnungszeiten hat der Kläger überwiegend abgedeckt, so dass sich eine Dauer der Tätigkeit von weit mehr als 15 Stunden wöchentlich ergibt. Dies steht zur vollen Überzeugung des Senats fest aufgrund der Angaben, die der Kläger selbst gegenüber dem Mitarbeiter der Beklagten H. und dem Mitarbeiter R. vom Wirtschaftskontrolldienst K. anlässlich der Betriebsprüfung am 8. November 2002 gemacht hat. Der Kläger hat diesen gegenüber eingeräumt, die Öffnungszeiten seit der Eröffnung des Betriebes überwiegend abgedeckt zu haben und alleinverantwortlich dort tätig gewesen zu sein. Daran, dass der Kläger eine Aussage diesen Inhalts gegenüber dem Zeugen H. und R. getätigt hat, und dass diese auch der Wahrheit entspricht, hat der Senat keinen Zweifel. Der Zeuge H. hat den Inhalt des mit dem Kläger anlässlich der Betriebsprüfung am 8. November 2002 geführten Gesprächs zeitnah in dem Einzelprüfbericht vom selben Tag niedergelegt. Die bereits dort dokumentierte maßgebliche Aussage des Klägers wurde sowohl vom Zeugen H. als auch vom Zeugen R. im Verlauf des Widerspruchverfahrens nochmals schriftlich bestätigt. Für den Senat ergeben sich keine Gesichtspunkte, die Anlass geben könnten, an der Richtigkeit dieser schriftlichen Bekundungen, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden können, zu zweifeln; es sind insbesondere keine Gründe erkennbar, deretwegen beide Zeugen den Inhalt des Gesprächs in diesem wesentlichen Punkt unzutreffend wiedergeben sollten. Dass sich die Zeugen im Rahmen der Vernehmung durch das SG (am 12. Februar 2004) an Einzelheiten des mit dem Kläger am 8. November 2002 geführten Gesprächs teilweise nicht mehr erinnern konnten, ist angesichts des Zeitablaufs nachvollziehbar und steht der Glaubhaftigkeit ihrer im Verlauf des Widerspruchsverfahrens (zeitnäher) getätigten schriftlichen Stellungnahmen nicht entgegen.
Dass die Eheleute, wie von der Zeugin U. ausgesagt, geplant hatten, gleichzeitig zwei getrennte Unternehmen aufzubauen und sich dieses Vorhaben erst später als nicht praktikabel herausgestellt hätte, hält der Senat nicht für glaubhaft. Der Kläger hat gegenüber dem SG angegeben, seine kulturellen Wertvorstellungen ließen es nicht zu, dass seine Ehefrau mit seinen Freunden im Kiosk zusammentreffe, wenn er nicht anwesend sei. Da derartige Zusammentreffen naturgemäß zeitlich nicht bestimmbar sind, bedeutet dies nichts anderes, als dass der Kläger durchgängig anwesend sein muss, wenn seine Ehefrau im Kiosk tätig ist. Vor diesem Hintergrund ist der Aufbau zweier unabhängiger Unternehmen durch die Eheleute völlig unrealistisch. Auch im übrigen ist die Aussage der Zeugin U. nach Überzeugung des Senats nicht glaubhaft. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Zeugin, deren Tochter zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal eineinhalb Jahre alt war, den Kiosk gerade und ausschließlich während des streitgegenständlichen Zeitraums von drei Wochen geführt und der Kläger sich um dieses Kleinkind gekümmert haben soll. Die Zeugin U. vermochte zum Umsatz des Betriebs im streitgegenständlichen Zeitraum keine Angaben zu machen. Zudem hat den Kaufpreis nicht sie, sondern der Kläger an den Vorbesitzer, den Zeugen F. C. D. entrichtet. Dieser wiederum hat gegenüber dem SG ausgesagt, ihm sei bekannt gewesen, dass der Kläger einen Kiosk gesucht habe. Angesichts dieser Gesamtumstände ist der Senat im Ergebnis davon überzeugt, dass nicht die Zeugin U., sondern der Kläger den Kiosk als selbständig Tätiger betrieben und die angebliche Tätigkeit seiner Ehefrau im Kiosk in der Zeit vom 11. bis 30. September 2002 lediglich nachträglich vorgeschoben hat, um auf diese Weise eine Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und eine Rückforderung der bereits gewährten Leistungen abzuwenden.
Die Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligung von Alhi mit Wirkung für die Vergangenheit ab 11. September 2000 aufzuheben, denn der Kläger ist der sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ergebenden Verpflichtung, dem ArbA die Aufnahme der selbständigen, mehr als geringfügigen Tätigkeit im Kiosk mitzuteilen, mindestens grob fahrlässig nicht nachgekommen. Darüber hinaus beruhte eine etwaige Unkenntnis, dass mit der Aufnahme dieser Tätigkeit die Arbeitslosigkeit und damit der Anspruch auf Alhi weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X), mindestens auf grober Fahrlässigkeit. Eine solche setzt eine Sorgfaltpflichtverletzung hohen Ausmaßes voraus, die das gewöhnliche Maß von Fahrlässigkeit erheblich überschreitet. Ganz nahe liegende Überlegungen müssen nicht angestellt worden sein (vgl. zum subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auch im Hinblick auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie das Einsichtsvermögen des Betroffenen insbesondere Bundessozialgericht (BSG) SozR 5870 § 13 Nr. 2). Der Kläger ist über die Voraussetzungen für die Bewilligung von Alhi und über die leistungsrechtlichen Folgen der Aufnahme einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit in dem ihm ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt er bei Stellung des Antrags auf Alhi unterschriftlich bestätigt hat, umfassend belehrt worden (vgl. Seite 15 des Merkblatts für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten"). Zur Überzeugung des Senats war ihm auch bekannt, dass eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit leistungsschädlich ist und insoweit eine Mitteilungspflicht besteht. Zweifel an seiner Urteils- oder Kritikfähigkeit des Klägers, der schon als Bankangestellter und Gemeindevollzugsbediensteter tätig war, bestehen nicht. Wenn der Kläger dennoch der Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist oder er geglaubt hat, Alhi beziehen zu dürfen, ist die grobe Fahrlässigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X zu bejahen.
Da somit die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 11. bis 30. September 2002 zu Recht erfolgt ist, hat der Kläger gemäß § 50 Abs. 1 SGB X die für diese Zeit bereits gezahlte Alhi in Höhe von 479,40 EUR zu erstatten. Die Erstattungspflicht umfasst auch die von der Beklagten im Erstattungszeitraum gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Sozialen Pflegeversicherung (95,20 EUR; § 335 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 SGB III). Auch insoweit begegnet die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Erstattungsforderung keinen rechtlichen Bedenken, wie sich aus der in der Verwaltungsakte enthaltenen Zahlungsübersicht und dem ausgewiesenen Beitragssätzen zur gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich derjenigen sozialen Pflegeversicherung ergibt. Diesbezüglich hat der Kläger, für den in diesem Zeitraum ein anderweitiges Krankenversicherungsverhältnis nicht bestanden hat, die Berechnung der Beklagten zur Höhe auch nicht beanstandet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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