L 11 SO 6/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 SO 56/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SO 6/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9b SO 14/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 25.01.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte gemäß § 98 Abs 1 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch für die Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe an die Klägerin für den Zeitraum ab dem 01.04.2005 örtlich zuständig ist.

Die 1977 geborene Klägerin erhielt von dem Beklagten seit 01.01.2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Für den Zeitraum ab dem 01.01.2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin bis auf Weiteres Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 27 ff SGB XII in Höhe von monatlich 354,55 EUR; mit Änderungsbescheid vom 03.03.2005 ab dem 01.01.2005 bis auf Weiteres monatlich 431,43 EUR.

Am 04.03.2005 erfuhr der Beklagte in einem Telefonat mit der Gemeindeverwaltung F. , dass das Haus der Klägerin in R. nicht bewohnbar sei und die Klägerin vermutlich bei ihrem Lebensgefährten in P. , J.-Str., wohne. Bei einer daraufhin erfolgten Ortseinsicht in R. , F. , stellte der Beklagte am 15.03.2005 fest, dass dieses Anwesen derzeit unbewohnt sei. Der Eingangsbereich (Zaun und Tor) war von außen mit Sicherheitsschlössern abgesperrt. Der vor dem Haus liegende ca. einen halben Meter hohe spurenfreie Schneeberg ließ erkennen, dass in den letzten Tagen kein Zutritt zum Hausgrundstück bzw. zum Eingangsbereich erfolgt sei. Des Weiteren war der Briefkasten und die Türglocke am Eingangstor nicht beschriftet. Bei einem Hausbesuch in der J.-Str., P. , am selben Tag wurde der Vater des Lebensgefährten der Klägerin angetroffen, der sich dahin äußerte, dass die Klägerin derzeit nicht da sei und auch nicht dauerhaft bei seinem Sohn wohne. Sie sei aber dessen Lebensgefährtin.

Weitere Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass die Klägerin das Haus im Jahre 2003 gekauft habe, seither aber die Mülltonne nicht angemeldet habe, dass der Stromzähler zum 23.12.2004 ausgebaut worden sei und dass trotz Kanalverlegung in R. , F. , im Jahre 2004 mit Anschluss und Benutzungszwang ein Anschluss des Anwesens R. bislang nicht erfolgt sei. Der Briefzusteller gab auf Nachfrage gegenüber der Beklagten an, die Klägerin seit November 2004 nicht mehr gesehen zu haben.

Bei ihrer Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wies die Klägerin den Vorwurf zurück, dass sie in P. lebe. Im Übrigen mache sie darauf aufmerksam, dass ein Hausbesuch vorher anzumelden sei.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 29.03.2005 stellte der Beklagte daraufhin die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 31.03.2005 ein, weil er für diese Hilfeleistung nach § 98 Abs 1 SGB XII nicht mehr örtlich zuständig sei. Den Widerspruch der Klägerin vom 11.04.2005 wies die Regierung von Niederbayern mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2005 zurück.

Zwischenzeitlich ergab ein erneuter Hausbesuch am 18.04.2005, dass die Klägerin nicht angetroffen werden konnte und die Gartentore mit Sicherheitsschlössern versperrt waren. Die selben Erkenntnisse erbrachte der Hausbesuch vom 15.03.2005. Nachbarn erklärten sich dahin, die Klägerin sei nach dem Hausbrand im Jahre 2003 nach P. verzogen. Der Stromlieferungsvertrag für das Anwesen R. , F. wurde von ihr zum 23.10.2004 gekündigt. Seinerzeit wurde auch der Zähler ausgebaut. Seither befindet sich kein neuer Stromzähler in dem Anwesen. Die Post wurde noch an dem am Gartenzaun angebrachten Briefkasten eingelegt, der unregelmäßig geleert wurde.

Mit ihrer Klage vom 31.05.2005 zum Sozialgericht Landshut (SG) begehrte die Klägerin von der Beklagten Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII über den 01.04.2005 hinaus.

Ihren zugleich gestellten Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das SG mit Beschluss vom 22.07.2005 ab. Anlässlich einer Untersuchung bei dem Sachverständigen des Rentenversicherungsträgers Dr.S. am 22.11.2004 habe die Klägerin selbst angegeben, dass sie mit ihrem Partner in dessen neuem Haus lebe. Bei der Untersuchung durch die gerichtliche Sachverständige Dr.B. im Mai 2005 habe diese im Anwesen R. , F. , festgestellt, dass das Haus nahezu unbewohnbar sei. Zu der Tatsache, dass sich in diesem Haus noch nicht einmal ein Bett befinde, habe die Klägerin seinerzeit angegeben, dass sie auf einem Stuhl nächtige. Die gegenteilige Darstellung des Lebensgefährten der Klägerin im Schreiben vom 06.04.2005 hat das SG als nicht verwertbar angesehen, weil das Schreiben nicht unterschrieben worden war. Mit Beschluss vom 30.11.2005 wies das Bayer. Landessozialgericht die Beschwerde gegen die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes durch das SG zurück.

Mit Gerichtsbescheid vom 25.01.2005 wies das SG die Klage der Klägerin ab. Der Beklagte sei nicht der für die Bewilligung der Sozialhilfe an die Klägerin im streitgegenständliche Zeitraum zuständige Leistungsträger.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihren Anspruch auf Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe durch den Beklagten über den 01.04.2005 hinaus weiter verfolgt. Das SG habe verkannt, dass es durchaus möglich sei, auch mit relativ einfachen Mitteln an einem Ort zu leben. Die Behauptung, ihr habe weder Wasser, Strom noch Heizung zur Verfügung gestanden, sei unzutreffend. Es gebe einen sog. Hausbrunnen. Als Heizung habe ein Holzküchenofen gedient, mit dem gleichzeitig beheizt und gekocht werde. Dass ein Mitarbeiter der Beklagten festgestellt habe, dass der Ofen nicht funktioniere, sei zutreffend. Allerdings habe der Ortstermin zu einem Zeitpunkt stattgefunden, als die Klägerin einen Hausputz durchgeführt habe. Hierdurch bedingt, habe sie den Ofen gereinigt. Der Brand des Hauses im Jahre 2003 sei richtig. Küche und Wohnzimmer könnten mit Einschränkungen genutzt werden. Dass die Nachbarn ihren Aufenthalt nicht bestätigt haben, liege allein daran, dass sie sie einfach nicht gesehen hätten. Sie selbst sei psychisch angeschlagen und habe sich zeitweise in den Räumen verbarrikadiert.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Landshut sowie den Bescheid des Beklagten vom 29.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr über den 01.04.2005 hinaus Leistungen der Sozialhilfe zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt dem Berufungsvorbringen der Klägerin entgegen. Für das Grundstück R. , F. , bestehe ein satzungsmäßiger Anschluss- und Benutzungszwang, der aber bisher noch nicht ausgeübt worden sei. Das Vorhandensein eines Hausbrunnens werde nicht bestritten. Nach einer Auskunft des Gesundheitsamtes P. vom 03.05.2006 seien dort zumindest seit 1999 keine Befunde mehr über die Wasserqualität mitgeteilt worden. Nicht nachvollziehbar seien die Angaben zum angeblichen Hausputz. Aus dem Aktenvermerk des Mitarbeiters des Beklagten über den Ortstermin vom 08.09.2006 gehe hervor, dass die Klägerin vor ihrem abgesperrten Haus angetroffen worden sei und ihre Schlüssel habe erst suchen müssen. Im Haus selbst hätten "chaotische" Zustände geherrscht. Von einem gerade durchgeführten oder gerade begonnenen Hausputz könne nicht die Rede sein. Die Klägerin habe sich auch dahin nicht geäußert, als sie auf den nicht angeschlossenen Ofen hingewiesen worden sei. Bei weiteren Ortsterminen vom 14.11.2005 und vom 22.11.2005 sei die Tür zum Wohnhaus jeweils von außen mit einer Sperrholzplatte versperrt und mit einem Vorhängeschloss gesichert gewesen. Auch die Gemeindeverwaltung von F. könne bestätigen, dass das Anwesen R. nicht bewohnbar sei und von der Klägerin auch nicht bewohnt werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch unbegründet, weil das SG zutreffend die Klage der Klägerin abgewiesen hat. Der hier angefochtene Bescheid des Beklagten vom 29.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Niederbayern vom 11.04.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Das Gericht konnte dabei in der Sache ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Das SG hat die Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen, weil der Beklagte für die von der Klägerin begehrten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht örtlich zuständig und damit nicht passivlegitimiert ist.

Gemäß § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII ist für die Bewilligung von Sozialhilfe der Leistungsträger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Für einen tatsächlichen Aufenthalt iS dieser Vorschrift ist es zwar nicht erforderlich, dass sich die um Hilfe nachfragende Person ständig, für längere Zeit oder auch nur regelmäßig dort aufhält. Ein tatsächlicher Aufenthalt kann auch durch eine vorübergehende Anwesenheit bereits erfüllt sein, wobei es gleichgültig ist, ob sich die um Hilfe nachfragende Person beim Einwohneramt gemeldet oder ein Obdach begründet hat. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffes des tatsächlichen Aufenthaltes ist jedoch der Grundsatz, dass der sozialhilferechtliche Bedarf dort gedeckt werden soll, wo er entsteht. Bei einer nur kurzfristigen Ortsabwesenheit hat das Bundesverwaltungsgericht deshalb in seiner bisherigen Rechtsprechung die örtliche Zuständigkeit des bisherigen Sozialhilfeträgers fortbestehen lassen (vgl dazu BVerwG FEVS 51, 146; zu alledem auch Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 1.Aufl 2005, § 98 Rdnr 6 mwN).

Die Voraussetzungen eines tatsächlichen Aufenthaltes sind hier nicht erfüllt. Die Ermittlungen des Beklagten haben ergeben, dass sich die Klägerin in hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 01.04.2005 in ihrem im Jahre 2003 abgebrannten Wohnhaus nicht mehr iS des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII tatsächlich aufgehalten hat. Die Klägerin ist den Feststellungen des Beklagten nicht substanziert entgegengetreten.

So steht unstreitig fest, dass sich die Klägerin sowohl gegenüber Dr.H. , Bezirkskrankenhaus M. , im September 2004 als auch gegenüber Dr.S. , Sachverständiger des Rentenversicherungsträgers, am 22.11.2005, dahingehend geäußert, sie lebe nunmehr bei ihrem Lebensgefährten. Die Hausbesuche von Mitarbeitern des Beklagten führten jeweils für sich allein genommen bereits zu der Erkenntnis, dass das Haus zum jeweiligen Zeitpunkt unbewohnbar war. Angelegentlich solcher Ortstermine konnte die Klägerin auch nicht darlegen, dass sie sich dort - unabhängig von den kurzzeitigen angekündigten Hausbesuchen - tatsächlich aufhalte. Ihre Behauptung, sie nächtige auf einem Stuhl und bedürfe deswegen keines Bettes, ist schlichtweg unglaubhaft. Das streitgegenständliche Anwesen war in den Wintermonaten von außen mit Sicherungsschlössern verriegelt, so dass sich letztlich auch die nunmehr im Berufungsverfahren vorgebrachte Darlegung der Klägerin, sie habe sich im Haus verbarrikadiert, als reine Schutzbehauptung darstellt. Ebenso unglaubwürdig ist ihre Einlassung, sie habe einen Holzofen benutzt. Der aufsteigende Rauch aus dem Hausbrand wäre den Nachbarn aufgefallen, die dementgegen gegenüber dem Beklagten mehrfach angaben, das Haus sei nicht bewohnt, sie hätten die Klägerin auch über Monate hinweg dort nicht mehr gesehen. Vor dem Hintergrund dieser Einlassungen der Klägerin überzeugen die Feststellungen des Beklagten. Das Anwesen hatte im gesamten streitgegenständlichen Streitraum weder einen Anschluss an die Wasserversorgung noch an die Stromversorgung. Hieran hat sich nichts geändert. Der Anregung, durch Augenschein das Vorhandensein eines Hausbrunnens festzustellen, folgte der Senat nicht, weil diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Die Klägerin hat bei Verzicht auf mündliche Verhandlung auch keinen entsprechenden Beweisantrag mehr gestellt. Insbesondere hat es die Klägerin versäumt, substantiert darzulegen, in welchen Zeiträumen und unter welchen Lebensumständen sie sich dort aufgehalten haben will; wie sie etwa ihr Schmutzwasser entsorgt haben will. Sie hat sich vielmehr - wie bereits im Verwaltungsverfahren - darauf beschränkt, etwaige Feststellungen des Beklagten anzuzweifeln.

Allein die unterstellte Tatsache, dass die Klägerin von Zeit zu Zeit das Anwesen R. , F. , besucht, um dort ihren Briefkasten zu leeren oder einen angekündigten Hausbesuch des Beklagten entgegenzunehmen, macht den Beklagten nicht iS des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII örtlich zuständig. Denn im Rahmen dieser Aufenthalte entsteht kein sozialhilferechtlicher Bedarf.

Darüber hinausgehend findet sich auch keine andere Vorschrift, aus der die Zuständigkeit des Beklagten für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum hergeleitet werden könnte, so dass die Entscheidung der Beklagten im hier angefochtenen Bescheid vom 29.03.2005, die Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zukunft einzustellen, rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Die Berufung der Klägerin hat nach alledem insgesamt keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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