L 11 SO 21/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 SO 243/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SO 21/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8/9b SO 13/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.01.2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte als überörtlicher Träger die Kosten der Mittagsverpflegung während des Aufenthalts des Klägers in einer teilstationären Einrichtung zu übernehmen hat.

Bei dem 1985 geborenen Kläger ist ein GdB von 100 sowie das Merkzeichen G anerkannt. Seit 01.09.2005 ist er in einer Werkstatt für Behinderte (WfB) teilstationär untergebracht. Mit Bescheid vom 08.07.2005 bewilligte der Beklagte ab 01.09.2005 Leistungen gemäß § 53 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), wobei die Verpflegungskosten (Mittagessen) in der WfB jedoch nicht übernommen würden, denn diese sei nicht Bestandteil des an die Einrichtung zu zahlenden Entgeltes. Die Verpflegungskosten seien vom Kläger selbst bzw vom örtlichen Träger im Rahmen der Grundsicherung zu übernehmen.

Den wegen der Nichtübernahme der Kosten für die Mittagsverpflegung mit der Begründung, der Beklagte sei weiterhin vorleistungspflichtig iS des § 92 SGB XII, eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2005 zurück. Die Kosten des Mittagessens seien seit 01.01.2005 nicht mehr Teil der Eingliederungshilfe, der überörtliche Träger sei daher nicht mehr zuständig.

Auf die dagegen zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 25.01.2006 den Beklagten verurteilt, die Kosten des Mittagessens ab 01.09.2005 zu übernehmen und den Bescheid vom 08.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2005 insoweit aufgehoben. Die Verpflichtung des Beklagten zur Tragung der Kosten für das Mittagessen ab 01.09.2005 ergebe sich daraus, dass gemäß § 35 Abs 1 SGB XII der notwendige Lebensunterhalt, der dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung entspreche (§ 42 Abs 1 Nr 1 bis 3 SGB XII), in Einrichtungen erbracht werde und sich aus der verfassungsgemäßen, § 97 Abs 2 Satz 2 SGB XII orientierten Auslegung des Art 11 Abs 1 Satz 2 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (AGSGB) eine Zuständigkeit des Beklagten als überörtlichen Trägers ergebe.

Zur Begründung der dagegen vom Beklagten zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat dieser vorgetragen, der notwendige Lebensunterhalt des Klägers werde durch den bestehenden Anspruch auf Grundsicherung gedeckt, für den jedoch der örtliche Träger zuständig sei, nachdem es sich nicht um eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung handele.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.01.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Eine Tragung der Kosten des Lebensunterhaltes sei ihm gemäß § 92 Abs 2 Satz 4 SGB XII als Bezieher von Leistungen der Grundsicherung nicht zumutbar. Auch örtliche Träger sähen sich nicht in der Pflicht, auf Grund des Regelsatzsystems die tatsächlich in der Einrichtung entstehenden Verpflegungskosten zu übernehmen, für die im Regelsatz lediglich ein monatlicher Betrag von 25,00 EUR vorgesehen sei. Im Übrigen erfülle auch das Mittagessen in der Einrichtung einen sozialpädagogischen Zweck. Der Verpflegungsaufwand sei Teil der Vergütung, die der überörtliche Träger zu tragen habe. An der Vereinbarung zwischen diesem und der Einrichtung über Grundvergütung aber sei der Kläger nicht beteiligt. Eine Beiladung des örtlichen Trägers werde angeregt.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Das Mittagessen sei Teil des Lebensunterhaltes, das durch den Regelsatz abgedeckt sei. Es stehe dem Kläger frei, eigenes Essen mitzubringen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Beklagte ist als überörtlicher Träger nicht verpflichtet, die Kosten des Mittagessens zu übernehmen.

Der überörtliche Träger (= Beklagter) ist gemäß § 97 Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm Art 11 Abs 1 Satz 2 AGSGB nicht für die Übernahme der Verpflegungskosten in teilstationären Einrichtungen zuständig. Gemäß § 97 Abs 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (§ 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII). Dabei soll berücksichtigt werden, dass soweit wie möglich für Leistungen im Sinne des § 8 Nr 1 bis 6 jeweils eine einheitliche sachliche Zuständigkeit gegeben ist (§ 97 Abs 2 Satz 2 SGB XII). Die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung umfasst auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln (des SGB XII) zu erbringen sind, sowie für eine Leistung nach § 74 (§ 97 Abs 4 SGB XII). Nach Art 11 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b AGSGB sind die überörtlichen Träger sachlich zuständig u.a. für alle Hilfen, die in Einrichtungen zur teilstationären Betreuung gewährt werden. Abweichend von Satz 1 sind die überörtlichen Träger nach dem 4.Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) nur dann zuständig, wenn der Leistungsberechtigte zugleich Hilfen einer stationären Einrichtung nach anderen Kapiteln des SGB XII erhält (Art 11 Abs 1 Satz 2 AGSGB).

Der Kläger gehört zu dem Personenkreis, dem nach dem 4.Kapitel des SGB XII Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 ff SGB XII iVm § 19 Abs 2 SGB XII zustehen. Gleichzeitig erhält er Leistungen zur Eingliederung im Sinne des § 19 Abs 3 SGB XII iVm § 53 ff SGB XII, § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Er befindet sich in einer teilstationären Einrichtung im Sinne des § 13 Abs 1 SGB XII, nicht aber in einer vollstationären (§ 13 Abs 1 Satz 2 SGB XII).

In dieser Einrichtung erhält er Mittagessen. Es wird damit in der Einrichtung gemäß § 35 Abs 1 Satz 1 SGB XII ein Teil des notwendigen Lebensunterhaltes erbracht, wobei dieser tatsächlich erbrachte Lebensunterhalt dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Abs 1 Nrn 1 bis 3 SGB XII entspricht (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Die Bedeutung dieser Regelung ergibt sich hauptsächlich daraus, dass sie die bisher in § 27 Abs 3 BSHG geregelte Verklammerung von Lebensunterhalt und Hilfen in besonderen Lebenslagen auflöst. Die Hilfe in besonderen Lebenslagen umfasst in den teilstationären oder stationären Einrichtungen nicht mehr den dort gewährten Lebensunterhalt, der vielmehr gesondert festgesetzt und geleistet werden muss. Ziel dieser Trennung ist die Herauslösung der Bestandteile der Komplexleistung im stationären Bereich, um so einerseits die Leistungen zu denjenigen, die ambulant erbracht werden, vergleichbar zu machen. Andererseits kann auf diese Weise dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass der Nachrang der Sozialhilfe und die Selbsthilfemöglichkeiten im Bereich der Deckung des Lebensunterhaltes sich von denen deutlich unterscheiden, die hinsichtlich der Bedarfe bestehen, die durch Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen gedeckt werden. Mit der Auflösung der Klammer zwischen Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen wird der Leistungsberechtigte grundsätzlich in die gleiche Lage versetzt, wie eine Person, die ambulante Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen beziehen. Als Resultat soll die leistungsberechtigte Person die Leistungen und deren Kosten im ambulanten sowie im stationären Bereich vergleichen und sich als "Marktkunde" die günstigsten Leistungen auswählen. Für das Verwaltungsverfahren tritt insoweit eine Vereinfachung ein, als der Träger der Sozialhilfe nicht insgesamt in Vorleistung tritt und dann durch komplizierte Ermittlung der zumutbaren Belastung den Nachrang über einen Kostenbeitragsbescheid wieder herstellen muss (sog. Nettoprinzip; so Armborst in LPK-SGB XII § 35 RdNr 1). Hiernach sollen also die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. der Grundsicherung von den Leistungen zur Eingliederungshilfe unterschieden werden.

Nachdem die Kosten des Lebensunterhaltes zu dem über die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abgedeckten Bedarf gehören, die im 4.Kapitel des SGB XII geregelt sind, ist gemäß § 97 Abs 1 HS 1 SGB XII der örtliche Träger, nicht aber der Beklagte als überörtlicher Träger zuständig. Eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers ergibt sich insbesondere auch nicht aus § 97 Abs 4 SGB XII, denn der Kläger befindet sich nicht in einer stationären Einrichtung. Aber auch auf Grund § 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm Art 11 Abs 1 Satz 1 AGSGB ist eine solche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nicht anzunehmen, denn die überörtlichen Träger sind zwar sachlich zuständig für alle Hilfen in Einrichtungen zur teilstationären Betreuung, für Leistungen nach dem 4.Kapitel des SGB XII - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - ist der überörtliche Träger jedoch nur dann zuständig, wenn der Leistungsberechtigte zugleich Hilfen in einer (voll-) stationären Einrichtung nach anderen Kapiteln des SGB XII erhält. Letzteres liegt hier jedoch nicht vor. Der Gesetzgeber hat in diesem Regelungszusammenhang ausdrücklich nur für stationäre Einrichtungen die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers auch für Leistungen der Grundsicherung geregelt (vgl Schlette in Hauck/ Noftz, SGB XII, § 97 RdNr 32).

Dies widerspricht auch nicht der Regelung des § 97 Abs 2 Satz 2 SGB XII, nach der das Landesrecht soweit wie möglich eine einheitliche Zuständigkeit bestimmen soll. Aus der Wortwahl des Gesetzgebers "soll berücksichtigt werden" ergibt sich nicht, dass auf eine solche einheitliche Zuständigkeit künftig nur in atypischen Fällen verzichtet werden darf, wie die Verwendung des Begriffes "soll" nahe legt. Die Regelung verlangt lediglich, dass dies berücksichtigt werden soll, nicht auch, dass die Zuständigkeit so geregelt werden muss. Sie ordnet damit nicht an, dass dies zu geschehen hat, sondern "regt an, bei künftigen Regelungen der sachlichen Zuständigkeit durch die Länder die genannten Ziele zu berücksichtigen" (Gesetzesbegründung BT-Drs 15/1514, S 67). Ob der Landesgesetzgeber dieser Anregung folgt, entscheidet er, ohne in irgend einer Form an die Vorstellung des Bundesgesetzgebers gebunden zu sein (so Schoch in LPK-SGB XII, § 97 RdNr 9). Der Landesgesetzgeber hat dies bei Erlass des AGSGB berücksichtigt und bei stationären Einrichtungen eine einheitliche Zuständigkeit bestimmt. Bei teilstationären Einrichtungen ist diese einheitliche Zuständigkeit jedoch nicht - unbedingt - für erforderlich gehalten worden, wobei diese Entscheidung des Landesgesetzgebers bereits deswegen als nachvollziehbar erscheint, weil beim Aufenthalt in teilstationären Einrichtungen Leistungen der Grundsicherung auch außerhalb der Einrichtung anfallen. Eine andere Auslegung des Art 11 Abs 1 Satz 2 AGSGB ist auf Grund des klaren Wortlautes dieser Regelung nicht möglich, zumal der Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Zuständigkeit auch zwischen stationären und teilstationären Einrichtungen unterscheidet (vgl § 97 Abs 4 SGB XII).

Für die in teilstationären Einrichtungen erbrachte Verpflegung ist der überörtliche Träger zudem nicht gemäß § 92 Abs 1 SGB XII vorleistungspflichtig. Diese Verpflichtung gilt nämlich nicht mit Blick auf die Leistungen für den Lebensunterhalt. Der - zwar etwas unklare - Wortlaut der Regelung stellt erkennbar auf Leistungen ab, die infolge einer Behinderung erforderlich werden. Das sind die Leistungen der Eingliederungshilfe. Zusätzlich sind auch bei stationären Leistungen nach der neuen Systematik des Gesetzes die Leistungen für den Lebensunterhalt nicht Bestandteil der Eingliederungshilfeleistungen, sondern in dem § 35 SGB XII gesondert geregelt. Schließlich verweist auch § 92 Abs 1 SGB XII nur auf § 19 Abs 3 SGB XII und damit auch nur auf die dort genannten Leistungen. Die Leistungsberechtigung zur Hilfe zum Lebensunterhalt ist hingegen Gegenstand des § 19 Abs 1 SGB XII, auf den § 92 Abs 1 SGB XII aber nicht verweist (vgl Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, § 92 RdNr 8, Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 92 RdNr 8). Dies gilt ebenso bei einer Leitungsberechtigung nach § 19 Abs 2 SGB XII. Auch auf diesen wird im § 92 Abs 1 SGB XII nicht verwiesen.

Ob der örtliche Träger an den Betroffenen Leistungen zu erbringen hat, ist vorliegend nicht zu entscheiden, zumal der örtliche Träger im Rahmen dieses Verfahrens nicht zur Leistung verurteilt werden kann (§ 75 Abs 5 SGG in der bis 30.06.2006 geltenden Fassung).

Nach alledem ist das Urteil des SG aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, streitentscheidende Normen sind im Wesentlichen landesrechtlicher Art.
Rechtskraft
Aus
Saved