L 5 B 656/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 92 AS 3224/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 656/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Maßgeblich für die Beurteilung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zwanzigjährige Antragstellerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnt zusammen mit ihren Eltern und ihrem dreizehnjährigen Bruder eine 95,51 qm große Vierzimmerwohnung. Sie trägt vor, mit ihrem Bruder zusammen ein 15,5 qm großes Zimmer zu bewohnen, während ein 10,82 qm großer Raum ausschließlich für die Betreuung von Tageskindern genutzt werde, von denen zwei auch häufig nachts betreut würden. Die reine Wohnfläche (ohne Küche, Bad und Flur) beträgt nach den Angaben der Antragstellerin 65,31 qm. Sie hält die Wohnsituation für unzumutbar, möchte eine eigene Wohnung beziehen und erstrebt die Zusicherung des Antragsgegners zur Kostenübernahme (Antrag vom 16. Januar 2006). Mit Bescheid vom 8. Februar 2006 und Widerspruchsbescheid vom 16. März 2006 lehnte der Antragsgegner dies ab, weil die bisherige Wohnung selbst unter Berücksichtigung der Betreuung von Tageskindern als zumutbar angesehen werde. Dringender Wohnbedarf sei nicht gegeben, weil der vierköpfigen Familie eine Wohnfläche von mehr als 65 qm zur Verfügung stehe.

Mit der am 10. April erhobenen Klage verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Am 22. Mai 2006 hat sie um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Weil das Jugendamt für die Betreuung der Tageskinder einen eigenen Raum fordere, bleibe der vierköpfigen Familie Wohnraum von nur etwa 52 qm. Noch weitere Jahre mit ihrem Bruder in einem Zimmer zu leben, sei unzumutbar.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 22. Juni 2006 abgelehnt, weil die Antragstellerin kein Eilbedürfnis glaubhaft gemacht habe. Ihr sei es zumutbar, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten, weil keine irreparablen Schäden drohten. Hiergegen richtet sich die fristgemäß eingelegte Beschwerde vom 2. August 2006.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2006 ist zulässig (§§ 172 Abs. 1 und 173 SGG), jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Eilantrag zu Recht zurückgewiesen.

Unabhängig von der Frage des Eilbedürfnisses hat die Antragstellerin jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Maßgeblich für die Beurteilung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl. 2005, Rdnr. 42 zu § 86 b). Entscheidend ist daher § 22 SGB II in der Fassung, die die Vorschrift durch das Änderungsgesetz vom 24. März 2006 (BGBl. I S. 558) und durch das Gesetz vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706 [1709]) gefunden hat. Nach § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II ist der kommunale Träger bei Personen die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur dann zur Zusicherung der Kostenübernahme für die Zeit nach einem Umzug verpflichtet, wenn (1.) der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern verwiesen werden kann, (2.) der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder (3.) ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.

Keine der drei genannten Varianten ist erfüllt. In Betracht kommt ohnehin nur die erste Variante, nämlich "schwerwiegende soziale Gründe", aus denen die Antragstellerin gegebenenfalls nicht mehr auf die elterliche Wohnung verweisbar ist. Die Formulierung des Gesetzes verdeutlicht, dass nicht irgendwelche sozialen Gründe ausreichen, sondern nur solche von erheblichem Gewicht. Für das Vorliegen solcher schwerwiegender Gründe trägt ein Antragsteller, zumal im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Darlegungslast. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin schwerwiegende soziale Gründe im Sinne des Gesetzes nicht glaubhaft gemacht. Ihr Vorbringen erschöpft sich in der Behauptung der Unzumutbarkeit. Die elterliche Vierzimmerwohnung erscheint ohne Weiteres groß genug für eine vierköpfige Familie. Soweit sich aus der Betreuung von Tageskindern etwas anderes ergeben sollte, ist die Antragstellerin jede nähere Darlegung der konkreten Umstände schuldig geblieben. Der Senat hat schon Zweifel daran, ob ein Jugendamt überhaupt die Betreuung von mehreren Tageskindern in einer privaten Mietwohnung zulassen würde, wenn sich für die dort wohnende Familie dadurch schwerwiegende soziale Probleme ergeben. Auch dürfte die von der Antragstellerin behauptete wiederholte Übernachtung von bis zu zwei Tageskindern bei einer Tagesmutter nicht die Regel sein. Somit liegt die Vermutung nahe, dass die Antragstellerin oder ihr Bruder in dem tagsüber für Tageskinder benutzten Raum zumindest schlafen können. Auch ist offen geblieben, ob es in der durchaus geräumigen Wohnung nicht andere Möglichkeiten gibt, das Zusammenleben von Bruder und Schwester in einem Raum zu beenden; so ist auch denkbar, dass die Eltern im Wohnzimmer schlafen und ein Kind in deren Schlafzimmer. Angesichts all dieser Fragen und Möglichkeiten kann der Senat nicht mit der notwendigen Sicherheit vom Vorliegen schwerwiegender sozialer Gründe ausgehen, weshalb der Beschwerde der Erfolg versagt war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved