L 14 B 509/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AS 4233/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 509/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwältin A M, EStraße , B, beigeordnet. Raten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin ab 19. September 2005 Arbeitslosengeld II einschließlich der Kosten für Unterkunft bezüglich der Wohnung Jstraße sowie für die Zeit ab 4. Oktober 2005 bezüglich der Wohnung Bsteig. Mit Schreiben vom 17. Februar 2006 teilte die Antragstellerin mit, dass sie die Wohnung "aus Schwangerschaftsgründen" wechseln wolle. Da sich die Wohnung im 5. Obergeschoss ohne Fahrstuhl befinde und die Heizung zu heiß wäre, sei sie für eine allein erziehende Mutter mit Kind ungeeignet. Sie habe auch keine Badewanne. Außerdem seien die Kosten zu hoch (480 Euro).

Auf Anforderung legte die Antragstellerin ein Wohnungsangebot für eine 3- Zimmer-Wohnung im R Ring vor (71,58 m², Gesamtnutzungsgebühr 433,06 Euro, Geschäftsanteile 1.170 Euro, Aufnahmegebühr 75 Euro). Mit Bescheid vom 7. März 2006 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab, da die Antragstellerin am 4. Oktober 2005 "ohne unsere Zustimmung in Ihre neue Wohnung eingezogen" sei. Deshalb könne einem erneuten Umzug nicht zugestimmt werden. Die Antragstellerin sei ausreichend mit Wohnraum ausgestattet. Somit ergebe sich "für den Gesetzgeber kein Handlungsbedarf", da keine Verpflichtung bestehe, Idealzustände zu schaffen.

Dagegen hat die Antragstellerin am 6. April 2006 Widerspruch erhoben, der bislang nicht beschieden worden ist. Ferner hat sie am 12. Mai 2006 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, umgehend die Kosten für Unterkunft und Heizung für die Wohnung im R Ring in Höhe von 438 Euro, den Geschäftsanteil in Höhe von 1.245 Euro sowie die Umzugskosten zu übernehmen. Eile sei geboten, da sie die bisherige Wohnung zum 31. Mai 2006 räumen müsse. Sie sei im 6. Monat schwanger, es sei ihr nicht zumutbar, in ihrem Zustand und später, nach der Geburt des Kindes, ständig die Treppen zu benutzen. Sie sei 1,56 m groß und wiege 52 kg. Bei Einzug in die derzeitige Wohnung habe sie noch kein Kind geplant gehabt.

Der Antragsgegner hat erwidert, die Antragstellerin sei ausreichend mit Wohnraum versorgt, so dass keine wesentlichen Nachteile durch ein Eilverfahren abzuwenden seien. Die Kündigung der bisherigen Wohnung sei weder aktenkundig noch nachgewiesen. Der Antragstellerin sei zuzumuten, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, sie sei nicht von Obdachlosigkeit bedroht.

Das Sozialgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 22. Juni 2006 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Es könne nicht festgestellt werden, dass ein Umzug wegen der Schwangerschaft erforderlich sei, auch wenn das Treppensteigen beschwerlich sein möge.

Gegen den am 24. Mai 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21. Juni 2006 erhobene Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Sie trägt vor, der Umzug sei wegen der Schwangerschaft und ihres Gesundheitszustandes erforderlich. Das Treppensteigen stelle ein gesundheitliches Risiko für sie dar. Sie beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für Unterkunft und Heizung für die Wohnung R Ring , B in Höhe von 438 Euro, den Geschäftsanteil in Höhe von 1.245 Euro sowie die Umzugskosten zu übernehmen,
ferner, ihr für das Beschwerdeverfahren ab Antragstellung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Antragstellerin hat ein Attest des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. F vom 19. Juni 2006 vorgelegt, in dem es heißt, aus frauenärztlichen Gründen benötige die Antragstellerin "eine Wohnung mit Fahrstuhl oder Parterrewohnung. Risikoschwangerschaft". Der Senat hat von Dr. F einen Befund- und Behandlungsbericht vom 31. Juli 2006 eingeholt. Auf die Fragen, ob medizinische Gründe einem Treppensteigen zwingend entgegenstünden, in welchem Umfang die Antragstellerin noch Treppen steigen könne und welche Folgen bei einem darüber hinausgehenden Treppensteigen eintreten könnten, hat Dr. F erklärt, bei starken Ischiasbeschwerden und Schwangerschaft habe jeder Mensch eine andere Schmerzgrenze. Beschwerden steigerten sich bis zur strengen Bettruhe und medikamentösen Behandlung. Juristische gesetzliche Regelungen, wie viele Treppen eine Schwangere im Krankheitsfall steigen dürfe, gebe es noch nicht.

Außerdem hat die Antragstellerin auf Befragen mitgeteilt, sie wohne immer noch in der Wohnung Bsteig. Sie habe mit dem Vermieter ein Abkommen dahingehend geschlossen, dass sich der Mietvertrag immer um einen Monat verlängert, wenn sie nicht vorher Bescheid sage. Die Wohnung R Ring sei nach wie vor zu haben. Das Laufen und Treppensteigen falle ihr immer schwerer.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt, auch der Verwaltungsakten des Antragsgegners, verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Es kann dahin stehen, ob hier ein Anordnungsanspruch vorliegt, insbesondere ob ein nur vorübergehender Zustand – wie die Schwangerschaft –, dem gegebenenfalls durch andere geeignete Maßnahmen als einen Wohnungswechsel Rechnung zu tragen wäre, bzw. ob das Treppensteigen mit einem Kleinkind Grund für einen "erforderlichen" Wohnungswechsel im Sinne des § 22 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch – SGB II – sein kann. Jedenfalls liegt derzeit ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) nicht vor.

Das bisherige Mietverhältnis kann fortgesetzt werden, so dass Obdachlosigkeit nicht droht.

Hinsichtlich der Schwangerschaft ist nach dem Befundbericht des Dr. F nicht – zumindest – glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin ein Treppensteigen im auf das Notwendige beschränkten Umfang nicht mehr möglich ist oder zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden führt.

Auch soweit es um das Treppensteigen mit einem Kleinkind geht, mag dieses zwar unbequem sein. Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin tatsächlich nicht dazu in der Lage wäre, zumindest für eine Übergangszeit die Treppen zu bewältigen. Deshalb kann sie gegenwärtig auf das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache verwiesen werden, zumal das Kind noch gar nicht geboren ist.

III.

Der Antragstellerin war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dazu in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§§ 114,115 der Zivilprozessordnung – ZPO- i.V.m. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG) und – zumindest im Hinblick auf die vom Senat für notwendig gehaltenen weiteren Ermittlungen - jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung und Antragstellung eine – ausreichende – "hinreichende" Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO) des Rechtsmittels nicht verneint werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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