L 3 RA 21/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 An 82/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 21/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17.03.1998 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.08.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.1997 verurteilt, den Bescheid vom 20.12.1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1992 aufzuheben und das Altersruhegeld nach den Vorschriften des AVG zu bewilligen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge trägt die Beklagten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, daß die Beklagte sein Altersruhegeld nach den Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - berechnet.

Auf den im September 1991 gestellten Antrag des am ... 1928 geborenen Klägers gewährte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 20. Dezember 1991 Altersrente für langjährig Versicherte. Die Beklagte berechnete die am 01. Januar 1992 zahlbare Rente nach den Vorschriften des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI -.

Mit seinem am 10. Januar 1992 erhobenen Widerspruch führte der Kläger aus, der Zahlbetrag der Rente unterschreite die entsprechenden Vorausberechnungen. Sofern die Beklagte die Rente nach den Vorschriften des SGB VI berechnet habe, sei dies falsch, denn seine Rente sei nach den Vorschriften des AVG zu berechnen, da er noch im Jahre 1991 die Anspruchsvoraussetzungen für das Altersruhegeld erfüllt habe. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles sei er damit einverstanden, daß die Beklagte erst nach einer grundsätzlichen Klärung dieses Problems über seinen Widerspruch entscheide.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 1992 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, Fehler in der Rentenberechnung seien nicht ersichtlich. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig, weil die Rentenberechnung den gesetzlichen Vorschriften entspreche.

Am 18. April 1996 wandte der Kläger sich erneut an die Beklagte und begehrte, seine Rente nach den bis Dezember 1991 geltenden Gesetzen zu berechnen. In diesem Sinne habe das Bundessozialgericht in einem vergleichbaren Fall entschieden.

Mit Bescheid vom 21. August 1996 wies die Beklagte den Antrag des Klägers, den sie als Überprüfungsantrag gemäß § 44 des Zehnten Sozialgesetzbuches - SGB X - ansah, zurück und führte zur Begründung aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Berechnung der Altersrente nach den bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Gesetzen. Nach § 300 SGB VI sei das neue Recht, nämlich das SGB VI, uneingeschränkt anzuwenden, wenn der Rentenbeginn, der sich nach § 99 SGB VI bestimme, auf den 01. Januar 1992 festgelegt werde. Da die Rente des Klägers am 01. Januar 1992 begonnen habe, sei das SGB VI und nicht das AVG anzuwenden.

Zur Begründung seines Widerspruches vom 11. September 1996 berief sich der Kläger auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts und vertrat die Auffassung, seine Rente sei nach dem AVG zu berechnen. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 1997 mit der Begründung zurück, das Rentenantragsverfahren sei mit dem bindend gewordenen Widerspruchsbescheid vom 23. März 1992 abgeschlossen worden. Da es sich bei dem Antrag des Klägers vom 18. April 1996 um einen Überprüfungsantrag gehandelt habe, sei § 300 Abs. 3 SGB VI zu beachten. Danach würden die Abs. 1 und 2 des § 300 SGB VI auch dann gelten, wenn nach dem maßgeblichen Zeitraum, also nach dem 31. März 1992, eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen sei und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln seien. Die durch das SGB VI aufgehobenen Vorschriften des AVG dürften in einem Neufeststellungsverfahren nicht mehr angewandt werden, wenn das Überprüfungsverfahren nach dem 31. März 1992 aufgenommen worden sei. Maßgebend sei der Zeitpunkt des Beginns des Überprüfungsverfahrens.

Zur Begründung der am 17. April 1997 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, seine Rente sei nach dem AVG zu berechnen. Die Beklagte habe ihm pflichtwidrigerweise einen Widerspruchsbescheid erteilt, denn er habe im Widerspruch gegen den ursprünglichen Rentenbescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er keinen Widerspruchsbescheid wünsche, sondern die höchstrichterliche Rechtsprechung abwarten wolle.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 20. Dezember 1991 in der Fassung

des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1992 sowie den Bescheid vom 21. August 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1997 abzuändern und seine Altersrente nach den bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Rechtsvorschriften des AVG neu zu berechnen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden gestützt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17. März 1998 die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 27. März 1998 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 06. April 1998, mit der er sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17. März 1998 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. August 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1997 und unter Abänderung des Bescheides vom 20. Dezember 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1992 zu verurteilen, das Altersruhegeld nach den Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes ab 01. Januar 1992 neu zu berechnen und entsprechend zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 21. August 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1997 i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - beschwert. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, ihren Bescheid vom 21. August 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1997 abzuändern und die Rente des Klägers nach den Vorschriften des AVG zu berechnen.

Hierzu war sie nach § 44 SGB X verpflichtet, denn die Beklagte hat bei Erlaß des Bescheides vom 20. Dezember 1991 die Rente zu Unrecht nach den Vorschriften des SGB VI berechnet. Da der Versicherungsfall bereits im Dezember 1991 eingetreten war, hätte sie die Rente nach den Vorschriften des AVG berechnen und den Kläger entsprechend bescheiden müssen.

Der hier streitigen Überprüfung nach § 44 SGB X und der Neuberechnung der Rente nach den Vorschriften des AVG steht § 300 SGB VI nicht entgegen. Zwar stellt nach allgemeiner Meinung die Grundsatznorm des § 300 Abs. 1 SGB VI eine Abkehr vom Versichungsfallprinzip dar (vgl. BSG Urteil vom 30. Oktober 1997, Az.: 13 RJ 3/97) m.w.N ... Nach dem zum 01. Januar 1992 aufgehobenen Art. 2 § 5 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - waren für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes grundsätzlich die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften maßgebend. Wenn dem gegenüber nunmehr neue Vorschriften vom Zeitpunkt ihres Inkrafttreten an auch auf bereits bestehende Ansprüche anzuwenden sind, so ist diese Regelung dahin zu verstehen, daß ein Rechtsanwender das neue Recht grundsätzlich immer dann und in vollem Umfang, also auch für Zeiten vor dem 01. Januar 1992 heranzuziehen hat, wenn nach dem 31. Dezember 1991 eine rentenversicherungsrechtliche Entscheidung zu treffen ist. Diese funktionale Auslegung des § 300 Abs. 1 SGB VI ergibt sich insbesondere aus der Begründung zum Entwurf des RRG 1992. Darin wird der Vorteil hervorgehoben, daß der Rechtsanwender nach diesem Prinzip nicht ständig prüfen müsse, inwieweit altes, bereits aufgehobenes Recht noch weiter anwendbar sein könnte, das meist nur schwer feststellbar sei (vgl. Bundestagsdrucksache 11/4124, S. 206). Dementsprechend werden nach Abs. 1 und 2 des § 300 SGB VI laufende Renten nach den Vorschriften des SGB VI neu bestimmt, wenn nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts eine laufende Rente neu festzustellen ist und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind (vgl. § 300 Abs. 3 SGB VI):

In vorliegendem Fall sind jedoch die Grundvoraussetzungen des § 300 SGB VI nicht gegeben. Zwar handelt es sich bei einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X um eine Neufeststellung i.S.d. § 300 Abs. 3 SGB VI. Jedoch betrifft die Entscheidung nicht die Ermittlung von Entgeltpunkten. Abweichend von den vom BSG entschiedenen Fallgruppen handelt es sich vorliegend nicht um die Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten, sondern um die grundsätzliche Frage, nach welchem Recht die Rente des Klägers zu berechnen ist. Da hier nicht erneut Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind, sind die Voraussetzungen des § 300 nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, denn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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