L 7 SO 23/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 SO 166/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 23/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9b SO 6/06 S
Datum
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege der einstweiligen Anordnung darum, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem Antragsteller Geldleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) kostenfrei an seine Wohnung zu übermitteln.

Der im Jahr 1933 geborene Antragsteller, der von der Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII bezieht, beantragte mit Schreiben vom 31. Oktober 2005 die Übermittlung der ihm zustehenden Leistungen an seinen Wohnsitz. Dabei ging es ihm um die Übermittlung unmittelbar an seine Wohnung, damit er das Geld nicht mehr im Sozialamt der Antragsgegnerin abholen müsse. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. November 2005 ab, weil der Sachverhalt bereits in einem Gerichtsverfahren geklärt worden sei. Gemeint war damit ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (VG) vom 6. Oktober 2003 (2 G 1869/03), durch den ein entsprechender Antrag des Antragstellers mangels Eilbedürftigkeit abgelehnt worden war.

Mit Schreiben vom 16. November 2005, beim Sozialgericht Wiesbaden (SG) eingegangen am 18. November 2005, hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sein nachträglicher Versuch, ein Konto bei einer Bank zu eröffnen, war gescheitert; die W. Bank lehnte ein entsprechendes Begehren des Antragstellers am 2. März 2006 wegen einer "negativen Schufa-Auskunft" ab.

Durch Beschluss vom 15. März 2006 hat das SG unter gleichzeitiger Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach § 47 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) sollten, soweit die besonderen Teile dieses Gesetzbuchs keine Regelung enthielten, Geldleistungen kostenfrei auf ein Konto des Empfängers bei einem Geldinstitut überwiesen oder, wenn der Empfänger es verlange, kostenfrei an seinen Wohnsitz übermittelt werden. Danach könne eine Übermittlung an die Wohnung nicht verlangt werden. Der Wohnsitz sei nicht die Wohnung, wie sich aus § 30 Abs. 3 SGB I in Verbindung mit § 7 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergebe. Sinn und Zweck der Regelung sei es, für Empfänger eine schnelle, sichere und fristgerechte Verfügungsbefugnis über gewährte Sozialleistungen zu garantieren. Gerade für solche Leistungsempfänger, die kein Konto hätten und in einer ländlichen Gemeinde wohnten, solle sichergestellt werden, dass sie nicht zum Sozialleistungsträger in die unter Umständen weit entfernte große Stadt reisen müssten, um über ihre Geldleistungen verfügen zu können. In diesem Fall könnten die Empfänger verlangen, dass ihnen das Geld an ihren Wohnsitz übermittelt werde, so dass sie es vor Ort (etwa im Rathaus) in Empfang nehmen könnten. Der Wohnsitz des Antragstellers sei A. Die Antragsgegnerin werde ihrer Bringschuld aus § 47 SGB I gerecht, wenn sie dem Antragsteller die Leistungen im Sozialamt in A. übergebe und damit an seinen Wohnsitz übermittele. Auch ein Anordnungsgrund sei vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Eine Notlage sei nicht ersichtlich, da die Antragsgegnerin ihm die SGB XII-Leistungen regelmäßig zur Verfügung stelle. Der Antragsteller könne insoweit auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg habe auch dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entsprochen werden können.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller mit am 21. März 2006 beim SG eingegangenen Schriftsatz vom 18. März 2006 Beschwerde erhoben. Der Beschluss sei voller Rechtsfehler und verstoße zudem noch gegen die Verfassung, weil das SG zwei Beschlüsse gefasst habe, indem es auch noch den Antrag auf Prozesskostenhilfe rechtswidrig abgelehnt habe. Dieser Antrag hätte aber im Voraus beschieden werden müssen. Außerdem fehle die Begründung, weshalb der Antrag abgelehnt worden sei. Zu Unrecht habe das SG die Entscheidung des VG vom 6. Oktober 2003 herangezogen. Dieses Gericht sei davon ausgegangen, dass ihm - dem Antragsteller - zuzumuten sei, ein Girokonto zu unterhalten oder zu eröffnen. Außerdem sei nach einer Kommentierung zu § 47 SGB I (Verfasser: Peter Mrozynski) sein Wohnsitz seine Wohnung. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. März 2006 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm die Leistungen nach dem SGB XII kostenfrei an seine Wohnung zu übermitteln, und Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Die vom Antragsteller zitierte Kommentierung stelle, wie dort selbst ausgeführt werde, eine Mindermeinung dar, die den Intentionen des Gesetzgebers nicht gerecht werde und an der Lebenswirklichkeit vollkommen vorbeigehe.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des SG ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 S. 3 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. etwa Beschluss vom 18. Oktober 2005 - L 7 SO 30/05 ER). Die Anforderungen an den Anordnungsgrund sind umso höher, je weniger wahrscheinlich das Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist.

Mit dem SG ist davon auszugehen, dass der Antragsteller bereits das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht hat. Vor dem Hintergrund, dass der von ihm behauptete Anordnungsanspruch – Mrozynski weist in seiner Kommentierung (SGB - Allgemeiner Teil -, 3. Auflage, § 47 Rn. 8) selbst auf die überwiegend vertretene Gegenmeinung hin – nicht überwiegend wahrscheinlich erscheint, ist ihm zuzumuten, die Frage, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, die Leistungen an oder in die Wohnung des Antragstellers zu übermitteln, in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen. Der Antragsteller hat auch nicht vorgetragen, dass er - etwa aus gesundheitlichen Gründen - nicht in der Lage ist, sich innerhalb seines Wohnortes dorthin zu begeben, wo ihm die Antragsgegnerin die Leistungen nach dem SGB XII zur Verfügung stellt. Da mit der Gewährung der Leistungen jedenfalls das soziokulturelle Existenzminimum des Antragstellers nicht infrage steht, ist eine dringliche Notlage, die eine sofortige Entscheidung erforderlich macht, nicht ersichtlich.

Das SG hat auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Mangels Vorliegens eines Anordnungsgrundes sind die hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne des § 114 ZPO i.V.m. § 73a SGG zu verneinen. Jedenfalls in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die in der Regel keinen zeitlichen Verzug dulden, ist es auch nicht zu beanstanden, dass das SG nicht vor seiner Entscheidung über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gesondert beschieden hatte.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved