S 14 R 565/06 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 565/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen einer medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme bzw. eine Kostenzusage hierfür im Wege der einstweiligen Anordnung streitig.

Der am 1966 in Italien geborene Antragsteller (Ast) ist italienischer Staatsangehöriger und 1988 aus Italien nach Deutschland gekommen. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt der Ast nicht. Er übte in Deutschland angelernte Tätigkeiten aus, zuletzt als Lagerarbeiter. Der Ast ist verheiratet und hat drei Kinder.

Nach seinen Angaben hat der Ast sechs bis sieben Entgiftungsbehandlungen durchgeführt. Anfang 1998 erfolgte in G. aufgrund gerichtlichen Drucks eine Entwöhnungsbehandlung, die der Ast nach einer Woche abbrach. Ende des Jahres 1998 erfolgte eine weitere Entwöhnungsbehandlung in Schloss P. nach § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtmG), die der Ast nach drei Monaten vorzeitig abbrach. Die dritte Entwöhnungsbehandlung im Therapiezentrum W. von Februar bis November 2000 auf Grundlage von § 35 BtmG wurde vom Ast abgeschlossen. Nach seinen Angaben konsumierte er drei bis vier Monate danach wieder Drogen.

In der strafgerichtlichen Verhandlung vom 09.05.2006 wurde der Ast zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.

Am 29.05.2006 stellte der Ast einen Antrag auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke. Dem Antrag war beigefügt ein Sozialbericht der Beratungseinrichtung "Therapie Sofort!". In dem Sozialbericht wird ausgeführt, dass der Ast am 16.05.2006 Kontakt zu der Einrichtung aufgenommen habe und bei weiteren Beratungsgesprächen und im Vermittlungsprozess äußerst zuverlässig gewesen sei. Als persönliches Rehabilitationsziel habe der Ast geäußert, Verantwortung für sich und seine Familie übernehmen und seine Arbeitsfähigkeit wieder herstellen zu wollen. Beigefügt war dem Antrag ein Gutachten von Frau Dr. T. (Fachärztin für Psychiatrie) vom 17.05.2006. Dort wird ausgeführt, dass der Ast zum Drogenkonsum kritisch eingestellt und für eine Therapie sehr gut motiviert sei. Als Diagnose wird festgestellt ein Abhängigkeitssyndrom bei multiplem Substanzgebrauch und gegenwärtigem Substanzgebrauch.

Mit Bescheid vom 20.06.2006 wurde der Antrag auf die Rehabilitation abgelehnt. Die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien nicht erfüllt. Der Überprüfungsantrag vom 22.06.2006 wurde mit Bescheid vom 23.06.2006 zurückgewiesen. Hinsichtlich der Langzeit-Abstinenzprognose könne keine positive Beurteilung erfolgen.

Auf den Widerspruch vom 04.07.2006 hin wurde der Ast von Frau Dr. med. Dipl.-Psych. W. (Fachärztin für Psychiatrie, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin) begutachtet. Die Ärztin stellte im Gutachten vom 25.08.2006 nach Untersuchung folgende Diagnosen fest: - Psychische- und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanz- gebrauch und - kombinierte Persönlichkeitsstörung. Zum Untersuchungszeitpunkt finde sich beim Ast zwar im Hinblick auf die vorliegende Polytoxikomanie eine gewisse angegebene Krankheitseinsicht, ein wesentlicher Leidensdruck sei jedoch vermisst worden, eine fundierte Therapie- und Veränderungsmotivation habe sich nicht gefunden. Auch im Hinblick auf den Krankheitsverlauf habe keine hinreichende Kritikfähigkeit, Einsichtsfähigkeit und Selbstreflexion vorgelegen. Es hätten sich begründete Hinweise für Bagatellisierung und positive Selbstdarstellung gefunden, teilweise auch ein Leugnen realer Fakten. Trotz Rückfälligkeit in den Drogenmissbrauch habe der Versicherte seit dem Jahr 2000 keine eigenen Bemühungen gezeigt, aus eigenem Antrieb an einer erneuten Entwöhnungsmaßnahme teilzunehmen. Aus der Vorgeschichte würden sich auch keine Hinweise ergeben, dass der Ast regelmäßige amublante Hilfen zur Überwindung seiner Drogenabhängigkeit aufgesucht habe. Er stelle erst jetzt unter dem Druck der juristischen Sanktionen erneut einen Antrag auf eine Entwöhnungsmaßnahme. Neben diesen prognostisch ungünstigen Faktoren im Hinblick auf eine begründete Erfolgsaussicht einer erneuten Entwöhnungsmaßnahme werde die Prognoseeinschätzung durch die spezifische kombinierte Persönlichkeitsstörung mit der fehlenden Introspektionsfähigkeit sowie dem fehlenden Leidensdruck und Therapiebedürfnis zusätzlich ungünstig beeinflusst.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Bei dem Ast bestehe keine fundierte Therapie- und Veränderungsmotivation. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die streitige Maßnahme sei nicht gegeben.

Am 18.09.2006 stellte der Ast zur Niederschrift einen Antrag auf vorläufigen Rechtschutz. Er benötige dringend eine Therapie wegen seiner Drogensucht. Allein würde er den Entzug nicht schaffen. Er würde weiterhin für seine Familie sorgen wollen und benötige dazu die Hilfe in Form von medizinischen Leistungen zur Rehabilitation. Der Entgiftungstermin sei bereits in dieser Woche. Wenn die Entwöhnungstherapie nicht umgehend durchgeführt werde, komme er in den Knast. Die Staatsanwaltschaft sei bereit, bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers zu warten. Am selben Tag erhob der Ast Klage gegen die Ablehnung der Rehabilitation.

Der Ast beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin (Ag) unter Aufhebung der Bescheide vom 20.06.2006 und 23.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2006 durch eine einstweilige Anordnung dazu zu verpflichten, ihm eine medizinische Rehabilitation für Abhängigkeitskranke zu bewilligen.

Die Ag beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Die Ag verweist auf die ergangenen Bescheide und das im Widerspruchsverfahren angefertigte Gutachten. Eine Verletzung oder Beeinträchtigung berechtigter Anliegen des Ast sei nicht gegeben. Aus dem Vollzug einer verhängten Freiheitstrafe würden sich keine wesentlichen Nachteile für den Ast ergeben. Die Existenz eines feststehenden Entgiftungstermins sei keine begründete Veranlassung für die beantragte Anordnung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Ag Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, er ist jedoch nicht begründet. Es besteht weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund.

Die Zulässigkeit ergibt sich aus § 86b Abs. 2 SGG. Ein Fall nach § 86b Abs. 1 SGG (einstweiliger Rechtschutz im Rahmen einer Anfechtung) ist hier nicht gegeben. Zuständig ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG das Gericht der Hauptsache. Dies ist das Sozialgericht Augsburg. Der Antrag ist als Antrag auf eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Form einer Regelungsanordnung statthaft. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine derartige Anordnung kann nur ergehen, wenn ein Anordnungsanspruch (ein Recht auf die begehrte Leistung) und ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) besteht. Diese sind nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Im einstweiligen Rechtschutz erfolgt eine summarische Prüfung. Grundsätzlich darf die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Dies wäre nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn sonst ein Recht-

Das Gericht konnte sich im Rahmen der summarischen Prüfung nicht davon überzeugen, dass ein Anordnungsanspruch besteht. Ein Anordnungsanspruch würde dann bestehen, wenn der Ast ein Recht auf die Bewilligung der Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation hätte. Der Rentenversicherer ist nur dann zu einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation verpflichtet, wenn auch die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI vorliegen. Danach müsste u.a. eine Erfolgsaussicht der medizinischen Rehabilitation im Hinblick auf die Wiederherstellung bzw. Sicherung der Erwerbsfähigkeit gegeben sein. Es muss nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung insbesondere der Leiden, der persönlichen Verhältnisse und der Bereitschaft zur Mitwirkung mehr dafür als dagegen sprechen, dass die Rehabilitation zu einer wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit führen kann (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 10 Rdnr 14 SGB VI). Insbesondere bei Leistungen für Drogenabhängige sind an die Erfolgsaussicht keine übertriebenen Anforderungen zu stellen (a.a.O.). Allerdings ist die Therapiemotivation wesentliche und tragende Säule des Erfolgs einer Suchttherapie.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht der begehrten Rehabilitation ist nicht erkennbar. Es fehlt an einer ausreichenden eigenen und überzeugenden Motivation des Ast. Nach den vorliegenden Unterlagen und Gutachten geht es dem Ast weitestgehend darum, die bevorstehende Haft zu vermeiden. Andere Motivationselemente sind allenfalls im Ansatz erkennbar.

Bereits der Zeitablauf zeigt, was wesentliche Quelle des Rehabilitationsantrages ist. Am 09.05.2006 wurde der Ast vor dem Strafgericht zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung wegen einer Betäubungsmittel-Straftat verurteilt. Nach dem Sozialbericht der Einrichtung "Therapie Sofort!" hat der Ast am 16.05.2006 Erstkontakt zu dieser Einrichtung aufgenommen. Der Sozialbericht wurde am 22.05.2006 erstellt. Die Äußerung im Sozialbericht, dass der Ast zu weiteren Beratungsgesprächen gekommen war und sich im Vermittlungsprozess äußerst zuverlässig zeigte, bezieht sich also lediglich auf eine Woche. Für die Zeit davor sind keinerlei ambulante Bemühungen (Suchtberatung, Selbsthilfegruppe, Einbindung der Familie etc.) belegt.

Das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Frau Dr. T. vom 17.05.2006 beschreibt zwar, dass der Kläger zum Drogenkonsum kritisch stehe und für eine Therapie sehr gut motiviert sei. Das Gutachten enthält jedoch keinerlei Anhaltspunkte oder Belege dafür, woher diese Einschätzung stammt. Dieses Gutachten kann insofern in keiner Weise überzeugen.

Auch die früheren Entwöhnungsmaßnahmen sind allesamt auf gerichtlichen Druck oder unter der Strafandrohung in Verbindung mit der Haftverschonung nach § 35 BtmG eingeleitet worden. Diese Entwöhnungsmaßnahmen wurden entweder vorzeitig abgebrochen oder haben keinen längerfristigen Erfolg gezeigt. In G. Anfang des Jahres 1998 brach der Ast die Therapie nach einer Woche ab. Ende 1998 im Schloss P. brach der Ast die Therapie nach drei Monaten ab. Die Therapie in W. im Jahr 2000 wurde zwar abgeschlossen, jedoch nach Angaben des Ast war er bereits nach drei bis vier Monaten wieder in seine Drogenabhängigkeit zurückgefallen. Diese gescheiterten Entwöhnungsmaßnahmen bedeuten keineswegs, dass dem Ast keine derartige Maßnahme mehr bewilligt werden kann, jedoch zeigen sie, dass ein strafrechtlicher Druck bisher nicht ausreichend war, um dem Ast zu einem mehr als kurzfristigen Erfolg zu verhelfen. Vor diesem Hintergrund muss die gegenwärtige Therapiemotivation, die überwiegend von dem Wunsch nach Haftverschonung gespeist wird, kritisch beurteilt werden.

Die bisherigen Erwägungen werden bestätigt durch das psychiatrische Gutachten von Frau Dr. W. vom 25.08.2006. Gegenüber der Gutachterin gab der Ast als Ziel für die neue Therapie an, für sich und die Familie Verantwortung übernehmen zu wollen, dass er einfach Abstand brauche von den Drogen. Eine tiefere Krankheitseinsicht, eine fundierte Veränderungsmotivation oder ein wesentlicher Leidensdruck ist dem Gutachten nicht zu entnehmen. Der Ast erkennt nicht, in welcher Gefahr er sich wegen seiner Drogenabhängigkeit befindet und er erkennt auch nicht, dass sein Wille, sein Einsatz und sein dauerhaftes Bemühen um Drogenfreiheit der einzige Weg sind, um eine Rehabilitationsmaßnahme zu rechtfertigen und erfolgreich durchzuführen. Wie weit der Ast von einer derartigen Haltung entfernt ist zeigt, wie er den Beigebrauch während der Substitution verharmlost. Er erklärt, dass er Beigebrauch habe, er diesen eigentlich nicht brauche, einfach so. Dies zeigt, dass er die Substitution nicht als ernsthaften Behandlungsbeitrag betrachtet, um von der Drogenabhängigkeit wegzukommen, sondern diese als Basisversorgung ansieht. Zur Bedeutung des Beikonsums bei Substitutionsbehandlungen wird auf die Vereinbarung "Abhängigkeitserkrankungen" vom 04.05.2001 zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen, dem VDR und dem Gesamtverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen hingewiesen. Aus Anlage 4 zu dieser Vereinbarung ergibt sich, dass das Freiwerden vom Beigebrauch eine Voraussetzung für eine medizinische Rehabilitation ist. Es handelt sich hierbei um generelle Empfehlungen von medizinischen Sachverständigen.

Es ist auch kein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit zu erkennen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG wäre eine Anordnung nur möglich, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen würde. Es ist nicht erkennbar, dass der Vollzug einer im rechtsstaatlichen Verfahren verhängten Freiheitstrafe ein wesentlicher Nachteil im Sinne dieser Vorschriften ist. Hinzu kommt noch, dass im einstweiligen Rechtschutz grundsätzlich die Hauptsache, d.h. die Gewährung einer medizinischen Rehabilitation, nicht vorweggenommen werden darf. Dies kann nur ausnahmsweise erforderlich sein, wenn sonst Rechtschutz nicht erreichbar und dies für den Ast unzumutbar wäre. Hier ist es aber so, dass der Ast das Hauptsacheverfahren auch von der Haft aus durchführen kann und ihm dies auch zumutbar ist. Dies gilt werden konnte.

Nach alldem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 193 SGG abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
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