S 12 KA 637/05

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 637/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 62/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 17/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine KV ist bei der Festsetzung des Honoraranspruchs an eine bestandskräftige Beschränkung des Leistungsumfangs durch die Entscheidung des Zulassungsausschusses aufgrund eines sog. Job-Sharings gebunden. Überschreitet die Abrechnung den festgesetzten Leistungsumfang, so kann eine Honorarberichtigung erfolgen.
2. Die auf der Grundlage der §§ 95 IX, 101 I 1 Nr. 5 SGB V ergangene Angestellte-Ärzte-Richtlinien unterscheidet nicht nach der Art der Leistung bei der Berechnung des Punktezahlvolumens. Änderungen der Versorgungslage sind beim Zulassungsausschuss geltend zu machen.
3. Etwaigen Besonderheiten einer Vertragsarztpraxis tragen die Angestellte-Ärzte-Richtlinien mit der Möglichkeit einer Erweiterung des Praxisumfanges auf Antrag hinreichend Rechnung.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die Gerichtskosten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Honorarberichtigung wegen Überschreitung des Praxisumfangs bei Beschäftigung einer angestellten Ärztin in Höhe von 30.080,84 EUR für den Zeitraum 01.07.2003 bis 30.06.2004.

Die Klägerin ist als Ärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Mit Bescheid des Zulassungsausschusses vom 27.05.2003 wurde ihr die Beschäftigung der Frau Dr. med. H. als halbtagsangestellte Ärztin gem. § 101 Abs. 1 Nr. 5 SGB V i. V. m. § 32b Ärzte-ZV genehmigt. Im Beschluss des Zulassungsausschusses wurde der Praxisumfang nach den Richtlinien über die Beschäftigung von angestellten Praxisärzten in der Vertragsarztpraxis festgelegt. Der Beschluss wurde bestandskräftig.

Mit Bescheid vom 24.01.2005 nahm die Beklagte eine sachlich-rechnerische Honorarberichtigung wegen Überschreitung des Praxisumfangs vor und forderte Honorar in Höhe von 30.080,84 EUR zurück. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.08.2005 die Klage erhoben.

Ihren am 15.09.2005 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Klägerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Honorarrückforderungsbescheid begehrte, wies die Kammer mit Beschluss vom 17.10.2005, Az.: S 12 KA 783/05 ER zurück, die hiergegen eingelegte Beschwerde das LSG Hessen mit Beschluss vom 20.12.2005, Az.: L 4 KA 42/05 ER.

Die Klägerin trägt zur Klagebegründung vor, sie unterhalte in erster Linie eine überwiegend allgemeinärztlich orientierte Praxis und substituiere zusätzlich auch Opiatabhängige. Die Honorierung habe für diese beiden Bereiche nach dem Willen des Gesetzgebers unterschiedlich zu erfolgen. Während die allgemeinen Leistungen gemäß § 85 Abs. 1 SGB V seitens der Krankenkassen durch eine Gesamtvergütung pauschal abgegolten werde, seien die mit der Durchführung der Methadonsubstitution einhergehenden Kosten gemäß § 85 Abs. 2a SGB V gesondert von den Krankenkassen außerhalb dieser zu erstatten. Eine Kompetenz zur Beschränkung im Rahmen der Honorarverteilung bestehe nicht. Folgerichtig sehe auch der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagte einen zusätzlichen Vergütungsanspruch vor und seien diese Leistungen aus der fallzahlabhängigen Quotierung auszunehmen. Aus dem Zulassungsbescheid könne keine gegenteilige Rechtsfolge entnommen werden. Dem Zulassungsbescheid könne nicht entnommen werden, dass nicht beschränkbare Honoraranteile contra legem einer Beschränkung unterzogen werden sollten. Die Beschränkung der Leistungen könne allein auf die Leistungen bezogen werden, die aus dem "Topf" der Gesamtvergütung zu honorieren seien. Die Angestellte-Ärzte-Richtlinien bezögen sich ausdrücklich nur auf Regelungen hinsichtlich der Höhe der Gesamtpunktzahlvolumina und damit auf eine Begrenzung der budgetierten Arztleistungen. Wäre die Beklagte auf diese Weise vorgegangen, hätte sie das ihr zugestandene Gesamtpunktzahlvolumen nicht überschritten. Ihre damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten belegten die betriebswirtschaftlichen Kurzberichte ihres Steuerberaters für die Monate Januar bis Juni 2005. Allein für die Durchführung der Methadonsubstitution entstünden ihr Kosten von durchschnittlich 5.656,66 EUR im Monat. Dem Beschluss des LSG Hessen könne nicht gefolgt werden, da die Honorare für die Durchführung der Methadonsubstitution grundsätzlich keiner Budgetierung unterlägen. Bei einer Ausweitung der Methadonsubstitution müsse der Umfang der allgemeinärztlichen Tätigkeit nicht verringert werden. Der Umfang der erreichten Punktzahlen könne auch erst mehrere Monate später festgestellt werden. Das Job-Sharing sei zum 28.02.2005 beendet worden, weshalb sie für die Zukunft keinen Antrag auf Erhöhung des Punktzahlvolumens gestellt habe. Sie habe jetzt aber mit Datum vom 24.08.2006 einen Antrag für die Zeit ab 01.01.2003 gestellt.

Die Klägerin beantragt,
den Rückforderungsbescheid vom 24.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, sie sei an den bestandskräftigen Bescheid des Zulassungsausschusses gebunden. Die Angestellte-Ärzte-Richtlinien sähen eine Ausnahme für den Bereich der Methadon-Substitution nicht vor. Auch das LSG habe darauf hingewiesen, dass bei einer Ausweitung der Methadonsubstitution der Umfang der allgemeinärztlichen Tätigkeit verringert werden müsse. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 24.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2005 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen.

Die Beklagte hat zu Recht das Punktzahlvolumen abgesetzt, das im ersten Jahr der Tätigkeit der angestellten Ärztin über dem vom Zulassungsausschuss genehmigten Leistungsvolumen lag.

Der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 27.05.2003 ist bestandskräftig, was zwischen den Beteiligten unstrittig ist. Das von der Klägerin abgerechnete Honorarvolumen überschritt das im Bescheid des Zulassungsausschusses genannte Leistungsvolumen, was die entsprechende Honorarrückforderung in Höhe von 30.080,84 EUR ergibt. Auch dies ist insoweit unstreitig zwischen den Beteiligten. Eine Saldierung von Punktzahlen innerhalb des Jahresbezugs der Gesamtpunktzahlen im Vergleich zum Vorjahresvolumen ist zulässig (Nr. 3.1 Satz 6 Halbsatz 2 Angestellte-Ärzte-Richtlinien). Mit Jahresbezug ist das Tätigkeitsjahr und nicht Kalenderjahr gemeint, wovon auch die Beklagte zutreffend ausgegangen ist.

Strittig ist zwischen den Beteiligten lediglich die Frage, ob die Leistungen der Methadonsubstitution ganz oder teilweise bei der Berechnung des maßgeblichen Punktezahlvolumens auf der Grundlage des Bescheids des Zulassungsausschusses zu berücksichtigen ist. Der Zulassungsbescheid des Zulassungsausschusses bindet nicht nur die Klägerin, sondern auch die Beklagte. Sie ist bei der Festsetzung des Honoraranspruchs an eine bestandskräftige Beschränkung des Leistungsumfangs aufgrund eines sog. Job-Sharings gebunden. Hierauf weist die Beklagte zutreffend im angefochtenen Widerspruchsbescheid hin.

Die auf der Grundlage der §§ 95 Abs. 9, 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V ergangene Angestellte-Ärzte-Richtlinien unterscheidet nicht nach der Art der Leistung bei der Berechnung des Punktezahlvolumens. Die Begrenzung des Leistungsvolumens erfolgt vor allem deshalb, weil die Anstellung eines Arztes gerade auch in wegen Überversorgung gesperrten Zulassungsbereichen ermöglicht wird. Der im Rahmen des Job-Sharing angestellte Arzt wird nicht mehr bei der Bedarfsplanung berücksichtigt, weshalb eine Leistungsausweitung nur in ganz engen Grenzen möglich ist. Diese Begrenzung des Leistungsumfangs ist unabhängig davon, wie und weshalb eine Vergütung gezahlt wird, sondern folgt letztlich der Bedarfsplanung für die vertragsärztliche Versorgung.

Hinzu kommt, dass Änderungen gegenüber dem Zulassungsausschuss geltend gemacht werden müssen. Nur auf Antrag des Vertragsarztes sind die Gesamtpunktzahlvolumina neu zu bestimmen, wenn Änderungen des EBM oder vertragliche Vereinbarungen, die für das Fachgebiet der Arztgruppe maßgeblich sind, spürbare Auswirkungen auf die Berechnungsgrundlagen haben. Auch die Beklagte oder die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können eine Neuberechnung beantragen, wenn Änderungen der Berechnung der für die Obergrenzen maßgeblichen Faktoren eine spürbare Veränderung bewirken und die Beibehaltung der durch den Zulassungsausschuss festgestellten Gesamtpunktzahlvolumina im Verhältnis zu den Ärzten der Fachgruppe eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung/Benachteiligung darstellen würde (Nr. 3.3 der Angestellte-Ärzte-Richtlinien). Eine Entscheidung hierüber obliegt aber weder der Beklagte noch dem Gericht. Insofern besteht eine Bindung an die Entscheidung des Zulassungsausschusses, solange der Zulassungsausschuss das zulässige Gesamtpunktzahlvolumen nicht geändert hat.

Soweit die Klägerin auf die Bestimmungen zur Zahlung der Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 1 und Abs. 2a SGB V) verweist, so betreffen diese Regelungen ausschließlich das Verhältnis von den Krankenkassen zu den Kassenärztlichen Vereinigungen. Es kann dahin stehen, ob hieraus überhaupt Folgerungen für die Vornahme der Honorarverteilung nach § 85 Abs. 4 SGB V gezogen werden können; Besonderheiten für die letztlich auf der Bedarfsplanung beruhende Zulassung eines angestellten Arztes unter Beschränkung des Praxisumfanges folgen daraus nicht. Etwaigen Besonderheiten tragen die Angestellte-Ärzte-Richtlinien mit der Möglichkeit einer Erweiterung des Praxisumfanges auf Antrag hinreichend Rechnung.

Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichtes (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003, Az: B 6 KA 54/02 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 5 = BSGE 92, 10 = GesR 2004, 325 = Breith 2004, 819 = NZS 2004, 612) betrifft Regelungen eines Honorarverteilungsmaßstabs. Solche stehen hier aber nicht in Streit. Im Übrigen fordert das BSG darin Ausnahmeregelungen für Praxen in der Aufbauphase und für (sonstige) Praxen, die unterdurchschnittlich abrechnen. Hier hat die Klägerin aber eine weitere Ärztin angestellt, wofür, unabhängig von der Honorarverteilung, eine Begrenzung des Leistungsumfanges Voraussetzung ist.

Die Kammer hält insoweit nach nochmaliger Prüfung an ihrer Rechtsauffassung im Beschluss vom 17.10.2005, Az.: S 12 KA 783/05 ER fest. Zutreffend weist das LSG Hessen mit Beschluss vom 20.12.2005, Az.: L 4 KA 42/05 ER, darauf hin, dass bei einer Ausweitung der Methadonsubstitution der Umfang der allgemeinärztlichen Tätigkeit verringert werden müsse. Dem Einwand der Klägerin, die Honorare für die Durchführung der Methadonsubstitution unterlägen grundsätzlich keiner Budgetierung, war nicht zu folgen. Maßgeblich sind hierfür die genannten Regelungen zur Anstellung eines Arztes. Diese differenzieren nicht nach den Leistungsinhalten, sondern allein nach dem durch das Punktzahlvolumen bestimmbaren Leistungsumfang. Bei Besonderheiten besteht die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung. Der weitere Einwand, der Umfang der erreichten Punktzahlen könne erst mehrere Monate später festgestellt werden, betrifft alle Leistungen und damit alle Vertragsärzte, die angestellte Ärzte beschäftigen. Er ist ferner insofern nicht zutreffend, als die Klägerin das bisher erbrachte Leistungsvolumen, das unabhängig von der Honorarverteilung ist, selbst bestimmen kann. Jeder von der Klägerin abgerechneten Leistung ist eine Punktezahl zugeordnet. Die Addition der Produkte aus Leistung und Punktezahl ergibt den Leistungsumfang. Die Summe kann auch mit Hilfe des Praxiscomputers bereits im laufenden Quartal errechnet werden.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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