L 1 AS 5/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AS 82/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AS 5/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 01.03.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) II nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der am 00.00.1947 geborene Kläger, der bis Februar 2002 als Holzfacharbeiter tätig war und bis zum 14.05.2005 Alg bezog, beantragte für die Folgezeit Leistungen nach dem SGB II. Er ist Eigentümer einer 118 qm großen Wohnung und zu einem Drittel Eigentümer des dazugehörenden Grundstücks mit einer Gesamtgröße von 2459 qm. Für den Kläger ist eine Lebensversicherung über 40.500,- Euro mit Fälligkeitsdatum 01.10.2007 abgeschlossen worden. Das Versicherungsunternehmen gab an, es seien Beiträge in Höhe von 13.264,58 Euro zum 01.08.2005 gezahlt worden, der Rückkaufswert belaufe sich zum 01.06.2005 auf 33.994,97 Euro. Des Weiteren besteht eine Lebensversicherung mit Fälligkeitsdatum am 01.10.2005, für die Beiträge in Höhe von 7.556,02 Euro gezahlt worden sind und ein Rückkaufswert in Höhe von 9.263,19 Euro angegeben wurde. Eine dritte Lebensversicherung des Klägers mit Fälligkeitsdatum 01.05.2008 hatte einen Rückkaufswert von 3.415,29 Euro bei eingezahlten Beiträgen in Höhe von 3.389,68 Euro. Die Ehefrau des Klägers ist am 00.00.1949 geboren und bezog bis August 2005 laufende Einkünfte aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.023,86 Euro netto. Im Anschluss an eine Sperrzeit bezieht sie seit dem 04.12.2005 Arbeitslosengeld. Sie hat eine Lebensversicherung über 15.677,- Euro mit Fälligkeitsdatum 30.09.2009 abgeschlossen,der Rückkaufswert betrug 10.433,14 Euro.

Mit Bescheid vom 25.07.2005 lehnte die beklagte Stadt Borken die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Hilfebedürftigkeit könne wegen der zu verwertenden vier Lebensversicherungen mit Rückkaufswerten von insgesamt 57.106,59 Euro nicht festgestellt werden. Nach Abzug des Grundfreibetrages in Höhe von 200,- Euro je vollendeten Lebensjahres des Klägers und seiner Ehefrau überschreite der Vermögensbetrag den Freibetrag, der pro Person jeweils bei 13.000,- Euro liege. Mit dem hiergegen am 16.08.2005 erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, für ihn und seine Ehefrau seien erhöhte Freibeträge von 520,- Euro pro Jahr zugrundezulegen, so dass der zu berücksichtigende Grundfreibetrag in Höhe von 58.760,- Euro abzusetzen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2005 wies der beigeladene Kreis Borken den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass nach Abzug des Grundfreibetrages nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Höhe von 200,- Euro je vollendeten Lebensjahres seiner Ehefrau, des nach § 65 Abs. 5 SGB II erhöhten Freibetrages von 520,- Euro je vollendeten Lebensjahres für den Kläger sowie eines Betrages in Höhe von insgesamt 1.500,- Euro für notwendige Anschaffungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II ein Vermögensfreibetrag von insgesamt 42.860,- Euro zu berücksichtigen sei. Es verbleibe danach ein einzusetzendes Vermögen von 14.246,59 Euro, welches die Vermögensfreigrenzen übersteige.

Der Kläger hat am 15.12.2005 beim Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben und sein Begehren unter Hinweis auf ein Urteil des SG Berlin vom 25.10.2004 - S 77 AL 1761/04 - weiterverfolgt, wonach der erhöhte Freibetrag nach dem Wortlaut der Vorschrift für beide Ehepartner zugrunde zulegen sei, soweit eine der Personen vor dem 01.01.1948 geboren sei.

Die Beklagte hat demgegenüber ihre Auffassung bekräftigt und auf Anfrage mitgeteilt, unter Außerachtlassung des Vermögens sei ein fiktiver Bedarf für den Kläger und seine Ehefrau in Höhe von 832,89 Euro für den Monat Januar 2006 errechnet worden.

Das SG hat durch Urteil vom 01.03.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der erhöhte Freibetrag sei nicht zu Gunsten der Ehefrau zu berücksichtigen, da diese nach dem 01.01.1948 geboren sei. Mit dem Begriff "Personen" stelle § 4 Abs.2 S.2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiVO), auf den § 65 Abs. 5 SGB II verweise, klar, dass es nicht darauf ankomme, dass gerade der Arbeitslose 55 Jahre alt gewesen sei, sondern beide Partner gemeint seien. Es sei nicht einzusehen, warum der Schutz des Vermögens der Person davon abhängen solle, ob sie überhaupt oder mit einem jungen oder älteren Partner zusammenlebe. Die Sichtweise, das Vermögen der Ehefrau vom Alter des Partners abhängig zu machen und nicht als eigenständige Person zu betrachten, sei eher diskriminierend. Auch sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund eine Ehe im Hinblick auf die Berücksichtigung von Vermögen deshalb besonders zu schützen sei, weil nur einer der Partner ein bestimmtes Lebensalter erreicht habe, unabhängig vom Alter des anderen Partners. Die Intention des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers sei lediglich der Schutz des Vermögens von den bei Inkrafttreten der neuen Regelung bereits 55-Jährigen, die bis zum Eintritt des Rentenalters nicht mehr in erheblichem Umfange durch eigene Erwerbstätigkeit zur Erhöhung der Rentenansprüche beitragen könnten. Dieser Gesichtspunkt treffe bei jüngeren Personen nicht zu, da von ihnen erwartet werden könne, ihre Rentenanwartschaften durch eigene Erwerbstätigkeit weiter zu erhöhen.

Gegen das ihm am 16.03.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.03.2006 Berufung eingelegt und ergänzend vorgetragen: Das SG Berlin habe in seiner Entscheidung zutreffend dargelegt, dass es nach dem Wortlaut der Regelung nicht darauf ankomme, dass der Arbeitslose bei Inkrafttreten der Vorschrift 55 Jahre alt gewesen sei, weil das Gesetz von Personen und nicht etwa vom Arbeitslosen oder Berechtigten spreche. Diese Auslegung habe zudem den systematischen und teleologischen Vorzug, weil sie damit die besondere Schutzbedürftigkeit der gelebten Ehe nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und den Zweck der Vorschrift, bestehendes Vertrauen der rentennahen Jahrgänge zu schützen, für die gelebte Ehe berücksichtige.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 01.03.2006 zu ändern und die Beklagte, hilfsweise den Beigeladenen, unter Aufhebung des Bescheides vom 25.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2005 zu verurteilen, ihm ab dem 15.05.2005 Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der im Berufungsverfahren beigeladene Kreis Borken hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand der Klage ist nicht nur der sechsmonatige Bewilligungszeitraum ab 15.05.2005, sondern der gesamte Zeitraum bis zur Entscheidung des Senates. Ungeachtet gewisser struktureller Unterschiede hält der Senat es für geboten, die Anspruchsgrund-lagen bei der Ablehnung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende - ent-sprechend der Rechtsprechung zum Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (vgl. BSG SozR 4-4300 § 193 Nr. 3 m.w.N.) - fortlaufend zu prüfen.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die beklagte Stadt Borken und nicht der beigeladene Kreis Borken ist im vorliegenden Fall passiv legitimiert. Für das sozialgerichtliche Verfahren gilt bei der Frage, gegen welchen Rechtsträger die Klage zu richten ist, ebenso wie nach § 78 VwGO für das verwaltungsgerichtliche Verfahren das Rechtsträgerprinzip, wonach Beteiligter die juristische Person ist, deren Behörde sachlich zuständig ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Aufl. § 70 Rdn. 4). Daher ist derjenige Rechtsträger passiv legitimiert, der auch materiell verpflichtet ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 69 Rdn. 4). In Fällen der vorliegenden Art ist sachlich zuständig und materiell verpflichtet zur Erbringung der mit dem Antrag begehrten Leistung die beklagte Stadt (vgl. SG Detmold, Beschlüsse vom 26.07.2006 - S 12 AS 114/06 ER - und 18.07.2006 - S 10 AS 152/06 ER -; jeweils sozialgerichtsbarkeit.de). Der Kreis Borken ist zwar kraft gesetzlicher Delegation gemäß § 6a SGB II zugelassener Träger für die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er hat diese Aufgaben jedoch entsprechend § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB II NRW-GV.NRW 2004, 821) durch Satzung an die Stadt Borken delegiert. Mit der Übertragung der in der Satzung näher bezeichneten Aufgaben zur Entscheidung im eigenen Namen, zu der u.a. auch die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Erlass von entsprechenden Verwaltungsakten gehört, hat der Kreis Borken eine delegationsähnliche Aufgabenübertragung und nicht nur die Übertragung eines Mandats vorgenommen. Delegation ist ein Rechtsakt, mit dem ein Hoheitsträger eine generell bestimmte Kompetenz mit der Wirkung auf ein anderes Hoheitssubjekt überträgt, das jenes zuständig wird und im eigenen Namen entscheidet (vgl. Schmidt-Jortzig/Wolffgang, Strukturen einer Einbeziehung kreisangehöriger Gemeinden in den Vollzug von Kreiszuständigkeiten, Verwaltungsarchiv 75. Band, 1984, 104, 119 m.w.N.; Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II - Kommentar - § 6b Rdn. 2 m.w.N.). Demgegenüber liegt ein Mandat vor, wenn der Inhaber einer Zuständigkeit in einem oder mehreren Einzelfällen oder auch abstrakt ein anderes öffentlich-rechtliches Subjekt beauftragt, die Kompetenz des Mandanten, in dessen Namen auszuüben (vgl. Schenke, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Verwaltungsarchiv Band 68, 118, 120, 148). Hat danach der Kreis Borken entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung die Aufgaben zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen, handelt es sich um eine Delegation (s.a. Beschluss des 9. Senates des erkennenden Gerichts vom 24.11.2005 - L 9 B 87/05 AS ER -, sozialgerichtsbarkeit.de). Damit ist auch der im eigenen Namen entscheidende Delegationsnehmer Beklagter (vgl. OVG Münster, Urteil vom 17.05.1988 - 8 A 825/86 -, FEVS 38, 203 ff.; Schmidt-Jortzig/ Wolffgang, a.a.O.). Nur wenn die herangezogene Kommune im Namen des zuständigen Trägers entscheiden würde, würde gegenüber dem leistungsberechtigten Bürger klargestellt, dass dieser gegenüber dem Bürger verantwortlich bleibt und auch als Beklagter in einem gerichtlichen Verfahren anzugreifen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.09.1991 - 4 AL 148/90 -). Dass der Kreis weiterhin Leistungsträger nach § 6a SGB II ist, ist demgegenüber nicht entscheidend, ausschlaggebend ist vielmehr, welcher Rechtsträger leistungsverpflichtet ist. Der Senat pflichtet auch den Ausführungen des SG Detmold (a.a.O.) insoweit bei, als die Frage im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und im Sozialhilferecht nur einheitlich beantwortet werden kann und auch dort die Träger der Sozialhilfe die kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der ihnen obliegenden Aufgaben ebenfalls durch Satzung heranziehen können. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die zum Teil unterschiedlich entschiedene Rechtsfrage, ob ein Kreis im Rahmen der Satzung befugt ist, seine Zuständigkeit für das gerichtliche Hauptsache-verfahren zu regeln (vgl. LSG NRW, Beschlüsse vom 22.11.2005 - L 12 B 38/05 AS ER - und vom 24.11.2005 - L 9 B 87/05 AS ER -;SG Detmold, a.a.O.), bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung, denn die vorliegende Satzung des Kreises Borken enthält eine derartige Regelung nicht.

Weder die Zuweisung der Aufgaben an die kommunalen Träger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 6a Abs. 1 SGB II noch die Heranziehung kreisangehöriger Gemeinden und Gemeindeverbände nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II begegnen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die genannten Vorschriften des SGB II regeln nicht - was im Übrigen unzulässig wäre - das Kommunalverfassungsrecht, sondern stellen nur zulässige punktuelle Annexregelungen zu einer zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehörenden materiellen Regelung dar (vgl. Rixen in Eicher/Spelbrink, SGB II, Kommentar, § 6 Rdn. 7 ff. m.w.N.).Auch ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 bis 3 GG) nicht unzulässig beschränkt. Den Kommunen verbleibt vielmehr noch ein relevanter Gestaltungsspielraum, denn ihnen obliegt der Gesetzesvollzug im Einzelnen (vgl. Rixen, a.a.O. Rdn. 8).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Stadt Borken vom 25.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreises Borken vom 24.11.2005 ist rechtmäßig. Danach hat der Kläger für den Zeitraum ab 15.05.2005 keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Nach § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie unter den Voraussetzungen des § 24 einen befristeten Zuschlag. Der Kläger und die in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihm lebende Ehefrau sind jedoch nicht hilfebedürftig i.S.d. Vorschrift. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln vor allem nicht aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann. Dabei ist auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Unabhängig davon, dass die Ehefrau über Einkünfte aus ihrer Tätigkeit als Verkäuferin verfügt hat, ist vorliegend Vermögen zu berücksichtigen, aus dem der Lebensunterhalt bestritten werden kann.

Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, es sei denn, dass diese als Schonvermögen unberücksichtigt bleiben (Abs. 3). Soweit eigentlich verwertbares Vermögen vorliegt, sind die in Abs. 2 der Vorschrift aufgeführten Freibeträge abzusetzen. Der Kläger und seine Ehefrau verfügen über vier Lebensversicherungen, die entweder in Höhe der Rückkaufswerte der Lebensversicherungen bzw. - bezogen auf die am 01.10.2005 zur Auszahlung gelangte Lebensversicherung - in Höhe der Auszahlung rechtlich verwertbar sind. Anhaltspunkte dafür, dass eine Verwertung dieser Lebensversicherungen offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für die Betroffenen eine besondere Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II bedeuten würde, sind nicht ersichtlich. Soweit die Lebensversicherungen der Altersvorsorge zu dienen bestimmt sind, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Eigenvorsorge für das Alter bereits in § 12 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB II berücksichtigt hat und - wie noch darzulegen sein wird - dem Kläger im Wege der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 5 SGB II ein deutlich höherer Grundfreibetrag verbleibt, so dass vorliegend allein die Verwertung von Altersvorsorgever-mögen keine besondere Härte darstellt (vgl. Behrend in juris PK-SGB II, § 12 Rdn. 55). Die bloße Erwartung, bei weiterem Zeitablauf einen höheren Zahlbetrag zu erhalten, ist - wie bereits im Rahmen der Anrechnung von Vermögen bei Arbeitslosenhilfe - nicht geschützt. Danach trägt das mit der Sparform der Kapitallebensversicherung verbundene Risiko, bei vorzeitiger Lösung des Vertrages größere Einbußen hinnehmen zu müssen, in Fällen der vorliegenden Art der Kläger bzw. seine Ehefrau (vgl. zur Arbeitslosenhilfe: BSG, Urteil vom 14.09.2005 - B 11a/11 AL 71/04 R -, SozR 4-4300 § 193 Nr. 9). Die Auflösung der privaten Lebensversicherungen ist auch nicht unwirtschaftlich, denn die Rückkaufs-werte lagen bei dem Kläger und seiner Ehefrau über den Werten der eingezahlten Beträge.

Sind danach die vorliegenden Lebensversicherungen verwertbar, ist auch unter Zugrundelegung der nach § 12 Abs. 2 SGB II zu berücksichtigenden Freibeträge eine Bedürftigkeit nicht gegeben. Dass bei dem Kläger, der vor dem 01.01.1948 geboren wurde, der nach § 65 Abs. 5 SGB II erhöhte Freibetrag des § 4 Abs. 2 Satz 2 der Alhi-VO in Höhe von 520,00 Euro je vollendeten Lebensjahres zugrunde zulegen ist, hat der Beigeladene zutreffend in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid berücksichtigt.

Soweit der Kläger unter Hinweis auf ein Urteil des SG Berlin vom 25.10.2004 (a.a.O.) die Auffassung vertritt, auch zugunsten seiner am 00.00.1949 geborenen Ehefrau sei dieser erhöhte Freibetrag zugrundezulegen, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Die Tatsache, dass die Alhi-VO von Personen und nicht etwa vom Arbeitslosen bzw. Berechtigten spricht, ist - wie das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt hat - lediglich als Klarstellung zu verstehen, dass die Voraussetzung nicht gerade beim Arbeitslosen erfüllt sein muss. Vielmehr kann auch bzw. ausschließlich der Ehepartner etc. den erhöhten Vermögensfreibetrag geltend machen, wenn er vor dem 01.01.1948 geboren wurde. Eine besondere Schutzbedürftigkeit der gelebten Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG hat der Gesetzgeber nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht zum Ausdruck gebracht. Die Alhi-VO, auf die § 65 Abs. 5 SGB II verweist, konkretisiert im Übrigen den generalklauselartig geregelten Grundsatz der Berücksichtung von Vermögen in § 193 Abs. 2 SGB II in der Fassung bis 31.12.2004, dem eine Privilegierung der gelebten Ehe ebenfalls nicht zu entnehmen ist. Auch gebietet der Sinn und Zweck der Vorschrift keine andere Sichtweise. Die Regelung stellt vielmehr sicher, dass die bis zum 01. Januar 1948 geborenen Personen, bei denen der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber eine Erhöhung der Rentenansprüche durch eigene Erwerbstätigkeit nicht mehr als realisierbar ansah, von der auch in § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB II übernommenen deutlichen Absenkung des Grundfreibetrages aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgenommen bleiben (vgl. BT-Drs. 15/25 S. 41 zu Art. 11; Hauck/Noftz, SGB III, Kommentar K § 193 Rdn. 311p).

Bieten danach weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift Anhaltspunkte, Eheleute im Verhältnis zu den sonstigen genannten Personengemeinschaften zu privilegieren, ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dem Urteil des SG Berlin nicht beizupflichten. Die von dem Gericht unterstellten Erkenntnisse, wonach typischerweise Frauen in den Ehen der fraglichen Generation jünger sind als die Ehemänner und zudem in besonderem Maße von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, liegen dem Senat nicht vor. Zwar mag diese Sichtweise auf den vom SG Berlin entschiedenen Fall ebenso zutreffen wie auf den vorliegenden. Die vom SG Berlin gewählte Lösung führt aber - wie bereits das SG im vorliegenden Fall zutreffend dargelegt hat - in einer Reihe anderer Fallkonstellationen zu problematischen Lösungen. Bei Ehen zwischen älteren Arbeitnehmern und deutlich jüngeren Frauen (bzw. umgekehrt) käme der aus Vertrauensschutzgründen gewährte höhere Freibetrag auch dem noch jungen Ehepartner zugute, obwohl dieser ohne Weiteres noch in der Lage wäre, durch eigene Erwerbstätigkeit zur Erhöhung der Rentenansprüche beizutragen. Auch könnte sich die angesprochene besondere Schutzbedürftigkeit der gelebten Ehe gleicher-maßen stellen in den Fällen, in denen beide Ehepartner kurz nach dem 01.01.1948 geboren sind.Schließlich darf der Gesetzgeber im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung typisierend unterstellen, dass die Ehegatten ihrer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht gemäß § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nachkommen (grundlegend BVerfGE 75, 382, 392 ff.; 87, 234, 255 ff.).

Ist nach alledem der Kreis der Begünstigen in der genannten Vorschrift bestimmt, kann er auch nicht über § 2 Abs. 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I), wonach die sozialen Rechte bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuches und bei der Ausübung von Ermessen zu berücksichtigen sind und sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden, erweitert werden (vgl. KassKomm.-Seewald, § 2 SGB I Rdn. 18). Nach alledem kann vorliegend der höhere Freibetrag nur bezogen auf den Kläger berücksichtigt werden, für die Ehefrau gilt der Grundfreibetrag in Höhe von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr nach neuem Recht (so auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 206 Rdn. 39h; Winkler, info also 2003, S. 7; vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 24.02.2006 - L 3 AL 18/05 -; sozialgerichtsbarkeit.de).

Weitere Freibeträge nach § 12 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 SGB II sind im Falle der Lebensversicherungen nicht zu berücksichtigen, denn es handelt sich hierbei weder um ausdrücklich als Altersvorsorge gefördertes Vermögen im Rahmen der "Riester"-Förderung, noch um der Altersvorsorge dienendes Vermögen i.S.d. Nr. 3. Die danach geschützten geldwerten Ansprüche müssen kraft vertraglicher Vereinbarung dergestalt sein, dass das Vermögen nicht vor Eintritt in den Ruhestand verwertet werden darf. Diese Voraussetzungen erfüllen die vom Kläger vorgelegten Versicherungsverträge nicht. Dass der Gesetzgeber nicht gehindert ist, nur noch bestimmte Altersvorsorgebestandteile zu privilegieren, entspricht bereits der Rechtsprechung zur Arbeitslosenhilfe (vgl. BSG, SozR 4-4300 § 193 Nr. 3 m.w.N.).

Zum Zeitpunkt der Antragstellung ist mithin vom einzusetzenden Vermögen in Höhe von 57.106,59 Euro zum einen der Vermögensfreibetrag des Klägers in Höhe von 30.160,00 Euro (58 Jahre x 520,00 Euro) und ein Freibetrag der Ehefrau in Höhe von 11.000,00 Euro (55 Jahre x 200 Euro) sowie ein weiterer Freibetrag für notwendige Anschaffungen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Höhe von insgesamt 1.500,00 Euro in Abzug zu bringen. Aus dem Differenzbetrag in Höhe von 14.246,59 Euro können der Kläger und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln sichern. Hieran hat sich auch durchgängig bis zur Entscheidung des Senates nichts geändert. Nachdem die im Oktober 2005 fällig gewordene Lebensversicherung eigenen Angaben zufolge bis März/April 2006 verbraucht worden ist, ist das einzusetzende Vermögen in Höhe der vom Kläger mit Schriftsatz vom 18.08.2006 mitgeteilten Rückkaufswerte der Lebensversicherungen aktuell mit insgesamt 52.114,27 Euro zu berücksichtigen. Nach Abzug des Freibetrages für den Kläger in Höhe von 30.680,00 Euro (59 x 520,00 Euro) und für die Ehefrau in Höhe von 11.400,00 Euro (57 x 200,00 Euro) sowie des weiteren Freibetrages von 1.500,00 Euro sind insgesamt 43.580,00 Euro abzuziehen. Aus dem Differenzbetrag in Höhe von 8.534,27 Euro können der Kläger und seine Ehefrau auch aktuell ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Einkommenssituation aus eigenem Vermögen sichern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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