Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 102/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 152/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1926 in X, damals Polen, heute Litauen, geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit November 1959 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
Sie beantragte am 05.11.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, zwar nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben; sie habe aber von Januar 1942 bis September 1943 während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Wilna innerhalb und auch außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als landwirtschaftliche Arbeiterin und Herstellerin von Strohschuhen verrichtet; auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie bewacht worden. Sie habe zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Mittagessen und zusätzliche Lebensmittel, aber keinen Barlohn. Der genaue Umfang der Zuwendungen sei ihr nicht mehr erinnerlich (Bl. 16 und 8 der Verwaltungsakte). Im September 1943 sei sie dann aus dem Ghetto in die Umgebung und Wälder bei Wilna geflüchtet und habe dort in der Illegalität gelebt, bis das Gebiet im Sommer 1944 befreit worden sei. Danach habe sie wieder in Wilna gelebt, Abitur gemacht und Medizin studiert. In 1958 / 1959 sei sie ausgewandert, über Polen. Seit 1959 lebe sie in Israel. Eine Erklärung eines Zeugen L über die Ghetto-Arbeit wurde beigefügt, wonach dieser gesehen habe, daß die Klägerin zusammen mit seiner Schwester verschiedene landwirtschaftliche Arbeiten erfüllt habe und in einer Werkstatt Strohschuhe angefertigt habe. Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge der Bezirksregierung Düsseldorf bei. Dort hatte die Klägerin unter dem 20.02.1966 angegeben, sie habe im Ghetto trotz ihrer Jugend Zwangsarbeiten leisten müssen (Bl. 34 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 18.05.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluß zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Zuwendungen nur für den täglichen Überlebensbedarf, die Zwangsarbeitern gewährt wurden, könnten nicht die Kriterien der Entgeltlichkeit einer frei gewählten Beschäftigung erfüllen. Nach den eigenen Angaben der Klägerin könne nur von Lebensmittelrationen in einem Umfang ausgegangen werden, der gerade für den täglichen Lebensbedarf notwendig gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26.05.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, Essen und zusätzliche Lebensmittel reichten als Entgelt aus. Weil Essen und Lebensmittel damals wertvoller als Barlohn gewesen seien, hätten früher diverse Senate des LSG NRW solche Sachbezüge als ausreichende Entlohnung im Sinne des ZRBG angesehen.
Die Beklagte zog dann noch die Akten der Claims Conference bei. Dort hatte die Klägerin 1993 angegeben: "Im Januar 1942 flüchteten wir aus dem Ghetto Kiemieliska nach Vilnius und gerieten dort auch ins Ghetto. Wie ich mich erinnere, lebten wir dort in einem kleinen Zimmer, wo ein Laden früher war. Wir litten alle von Hunger, Kälte, Krankheiten und hatten immer Angst. Ende September 1943 begann die Ghettovernichtung Vilnius ...".
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung wieder. Im übrigen gehe die Beklagte davon aus, daß für die Tätigkeiten im Ghetto allenfalls geringfügiges Entgelt gewährt worden sei. Es könne allenfalls von Bezahlung in Form von Essen bzw. freiem Unterhalt ausgegangen werden, nicht aber von Zahlung eines ausreichenden Entgelts im eigentlichen Sinne.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 22.02.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit habe sie Lohn in Form von Sachbezügen zur beliebigen Verfügung bekommen, also ihr Essen am Arbeitsplatz, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause, Kleidung, Heizmaterial und freie Unterkunft. Dies hätte die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Darüber wurde eine Erklärung der Klägerin vom 19.04.2005 vorgelegt (Bl. 9 der Gerichtsakte). Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihr anlässlich des Aufenthaltes im Ghetto Wilna von Januar 1942 bis September 1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, unter Berücksichtigung des Urteils des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier von schon nicht ausreichendem "Entgelt" im Sinne des ZRBG auszugehen, bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Denn nach den Angaben der Klägerin habe sie als Entlohnung für die im Ghetto geleistete Arbeit nur Essen und Sachbezüge bekommen; sie habe aber gleichwohl Hunger gelitten. Nennenswerte Sachbezüge im Sinne eines "Entgelts" für geleistete Arbeit über Unterhaltssicherung hinaus sei daher nicht glaubhaft gemacht. Im übrigen fühle sie sich bestätigt durch diverse Urteile des LSG NRW, unter anderem vom 18.07.2005 (Bl. 22 ff. der Gerichtsakte).
Das Gericht hat die Entschädigungsakten der Bezirksregierung beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Entschädigungsakte der Bezirksregierung Bezug genommen; alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit von Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Bevollmächtigte der Klägerin in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß am 20.07.2006 bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 18.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat.
Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind, und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 18.05.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben, und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausreichend glaubhaft ausgegangen werden kann.
Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff. SGB VI hat die Klägerin aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG, also des "Ghetto-Gesetzes" zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, daß sie keine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.
I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer regelmäßigen - auch regelmäßig entgeltlichen – Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste, um rentenrechtlich relevant zu sein (§ 1227 der 1942 bis 1943 geltenden Reichsversicherungsordnung). Danach reicht allein die Gewährung von Sachbezügen, um den Unterhalt bzw. das Überleben abzusichern, nicht aus. Hier ist gerade angesichts der eigenen Angaben der Klägerin insbesondere im Entschädigungsverfahren bei der Claims Conference nicht anzunehmen, daß für sie ein Beschäftigungsverhältnis begründet wurde, für das auch echtes "Entgelt" im Sinne des ZRBG gezahlt wurde. Auch wenn die Klägerin wie jetzt im Klageverfahren diverse Sachbezüge bzw. Lebensmittel erhielt, so litt sie nach ihren früheren zeitnäheren Angaben im Jahr 1993 gleichwohl an Hunger und Kälte und Krankheiten und hatte auch immer Angst im Ghetto bzw. während der Arbeit. Sie schilderte damit gegenüber der Claims Conference einen Überlebenskampf, der von Leben unter schwierigsten Bedingungen geprägt war und wobei die ihr zugewandten Lebensmittel bzw. Sachbezüge offenbar nicht ausreichten, sie ausreichend zu ernähren und auch zu kleiden und gesund zu halten. Gerade dies spricht auch für die Annahme von nicht wirklich freier Arbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft der Klägerin, sie erhielt nicht einmal die nach früherer aber inzwischen auch überholter Rechtsprechung des LSG NRW eventuell ausreichende "gute Verpflegung", welche nach neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) auch nicht ausreichen würde, um von Entgeltlichkeit eines Beschäftigungsverhältnisses auszugehen. Die Gewährung von kostenfreiem Logis kann auch nicht als Entgeltbestandteil angesehen werden, denn die Unterbringung im Ghetto war bereits Teil der Verfolgung und traf auch für nicht arbeitende Ghetto-Bewohner zu. Die von der Klägerin im Klageverfahren beigebrachte Erklärung und die vom Zeugen im Verwaltungsverfahren beigebrachte Erklärung gibt auch nichts für die Annahme einer entgeltlichen Tätigkeit her; wie bereits oben ausgeführt, reichen auch die mit der Klagebegründung vorgetragenen Bezüge nicht aus.
II. Die Klage hat auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, daß die Klägerin möglicherweise einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich "Entgelt" gezahlt wurde, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder ob Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist ein lex specialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften, auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur eine Beitragsentrichtung, nicht aber eine Entgeltzahlung. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuell zivilrechtlich geschuldeten wirklich angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, daß es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft handelte. Eine bisweilen von diversen Bevollmächtigten herangezogene Anspruchstheorie greift im übrigen auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG NRW nicht (Urteile vom 27.01.2006 – L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 – L 3 R 43/05 und 168/05).
III. Nach der Entscheidung des LSG NRW vom 13.01.2006 (L 4 RJ 113/04) würde hier eine Anerkennung einer Beitragszeit nach dem ZRBG bzw. nach §§ 15, 16 17 a FRG auch daran scheitern, daß die Klägerin entsprechend ihren eigenen Angaben im Rentenantrag (Bl. 6 Rückseite der Verwaltungsakte) nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte; dies wäre aber erforderlich für Tätigkeiten in Wilna, das damals zum Reichskommissariat Ostland gehörte und nicht selbst den deutschen Reichsversicherungsgesetzen unterlag.
IV. Im übrigen wird klägerischerseits offenbar verkannt, daß das ZRBG oder auch "Ghetto-Gesetz" in der vorliegenden, so von der Bundesregierung 2002 initiierten und vom Bundestag verabschiedeten Form, von vornherein nicht geeignet ist, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen (vgl. oben zitiertes Urteil des BSG vom 07.10.2004 und LSG NRW Urteile vom 03.06.2005 – L 4 3/05 und vom 13.01.2006 – L 4 RJ 113/04). Von der Klägerin wurde nichts vorgetragen, was im Lichte dieser vorgenannten Entscheidungen hier die Ghetto-Tätigkeiten anders bewerten könnte. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aufgrund der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (BT-Drucksache 16/1955 und 16/1785); damit hat die Bundesregierung sogar bekräftigt, daß sie für grundsätzliche Änderungen bei der Anwendung des ZRBG keinen Anknüpfungspunkt sehe. Auch wenn fraglich erscheinen möge, ob die Begriffe "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" im Zusammenhang mit Arbeit im Ghetto den Sachverhalt zutreffend beschreiben könnten, so blieben diese Kriterien im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zwingende Voraussetzung für die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit. Ansonsten würden der gesetzlichen Rentenversicherung Aufgaben zugewiesen, die keinerlei Bezug mehr zur Sozialversicherung und zur Versichertengemeinschaft haben, sondern als reine Entschädigungsleistung für Zwangsarbeit anzusehen wären. Dafür seien vielmehr frühere Entschädigungsverfahren nach dem BEG bzw. der Zwangsarbeiterentschädigung vorgesehen gewesen.
Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der zuletzt vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für sie nicht her.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1926 in X, damals Polen, heute Litauen, geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit November 1959 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
Sie beantragte am 05.11.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, zwar nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben; sie habe aber von Januar 1942 bis September 1943 während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Wilna innerhalb und auch außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als landwirtschaftliche Arbeiterin und Herstellerin von Strohschuhen verrichtet; auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie bewacht worden. Sie habe zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Mittagessen und zusätzliche Lebensmittel, aber keinen Barlohn. Der genaue Umfang der Zuwendungen sei ihr nicht mehr erinnerlich (Bl. 16 und 8 der Verwaltungsakte). Im September 1943 sei sie dann aus dem Ghetto in die Umgebung und Wälder bei Wilna geflüchtet und habe dort in der Illegalität gelebt, bis das Gebiet im Sommer 1944 befreit worden sei. Danach habe sie wieder in Wilna gelebt, Abitur gemacht und Medizin studiert. In 1958 / 1959 sei sie ausgewandert, über Polen. Seit 1959 lebe sie in Israel. Eine Erklärung eines Zeugen L über die Ghetto-Arbeit wurde beigefügt, wonach dieser gesehen habe, daß die Klägerin zusammen mit seiner Schwester verschiedene landwirtschaftliche Arbeiten erfüllt habe und in einer Werkstatt Strohschuhe angefertigt habe. Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge der Bezirksregierung Düsseldorf bei. Dort hatte die Klägerin unter dem 20.02.1966 angegeben, sie habe im Ghetto trotz ihrer Jugend Zwangsarbeiten leisten müssen (Bl. 34 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 18.05.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluß zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Zuwendungen nur für den täglichen Überlebensbedarf, die Zwangsarbeitern gewährt wurden, könnten nicht die Kriterien der Entgeltlichkeit einer frei gewählten Beschäftigung erfüllen. Nach den eigenen Angaben der Klägerin könne nur von Lebensmittelrationen in einem Umfang ausgegangen werden, der gerade für den täglichen Lebensbedarf notwendig gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26.05.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, Essen und zusätzliche Lebensmittel reichten als Entgelt aus. Weil Essen und Lebensmittel damals wertvoller als Barlohn gewesen seien, hätten früher diverse Senate des LSG NRW solche Sachbezüge als ausreichende Entlohnung im Sinne des ZRBG angesehen.
Die Beklagte zog dann noch die Akten der Claims Conference bei. Dort hatte die Klägerin 1993 angegeben: "Im Januar 1942 flüchteten wir aus dem Ghetto Kiemieliska nach Vilnius und gerieten dort auch ins Ghetto. Wie ich mich erinnere, lebten wir dort in einem kleinen Zimmer, wo ein Laden früher war. Wir litten alle von Hunger, Kälte, Krankheiten und hatten immer Angst. Ende September 1943 begann die Ghettovernichtung Vilnius ...".
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung wieder. Im übrigen gehe die Beklagte davon aus, daß für die Tätigkeiten im Ghetto allenfalls geringfügiges Entgelt gewährt worden sei. Es könne allenfalls von Bezahlung in Form von Essen bzw. freiem Unterhalt ausgegangen werden, nicht aber von Zahlung eines ausreichenden Entgelts im eigentlichen Sinne.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 22.02.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit habe sie Lohn in Form von Sachbezügen zur beliebigen Verfügung bekommen, also ihr Essen am Arbeitsplatz, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause, Kleidung, Heizmaterial und freie Unterkunft. Dies hätte die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Darüber wurde eine Erklärung der Klägerin vom 19.04.2005 vorgelegt (Bl. 9 der Gerichtsakte). Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihr anlässlich des Aufenthaltes im Ghetto Wilna von Januar 1942 bis September 1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, unter Berücksichtigung des Urteils des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier von schon nicht ausreichendem "Entgelt" im Sinne des ZRBG auszugehen, bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Denn nach den Angaben der Klägerin habe sie als Entlohnung für die im Ghetto geleistete Arbeit nur Essen und Sachbezüge bekommen; sie habe aber gleichwohl Hunger gelitten. Nennenswerte Sachbezüge im Sinne eines "Entgelts" für geleistete Arbeit über Unterhaltssicherung hinaus sei daher nicht glaubhaft gemacht. Im übrigen fühle sie sich bestätigt durch diverse Urteile des LSG NRW, unter anderem vom 18.07.2005 (Bl. 22 ff. der Gerichtsakte).
Das Gericht hat die Entschädigungsakten der Bezirksregierung beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Entschädigungsakte der Bezirksregierung Bezug genommen; alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit von Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Bevollmächtigte der Klägerin in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß am 20.07.2006 bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 18.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat.
Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind, und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 18.05.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben, und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausreichend glaubhaft ausgegangen werden kann.
Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff. SGB VI hat die Klägerin aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG, also des "Ghetto-Gesetzes" zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, daß sie keine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.
I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer regelmäßigen - auch regelmäßig entgeltlichen – Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste, um rentenrechtlich relevant zu sein (§ 1227 der 1942 bis 1943 geltenden Reichsversicherungsordnung). Danach reicht allein die Gewährung von Sachbezügen, um den Unterhalt bzw. das Überleben abzusichern, nicht aus. Hier ist gerade angesichts der eigenen Angaben der Klägerin insbesondere im Entschädigungsverfahren bei der Claims Conference nicht anzunehmen, daß für sie ein Beschäftigungsverhältnis begründet wurde, für das auch echtes "Entgelt" im Sinne des ZRBG gezahlt wurde. Auch wenn die Klägerin wie jetzt im Klageverfahren diverse Sachbezüge bzw. Lebensmittel erhielt, so litt sie nach ihren früheren zeitnäheren Angaben im Jahr 1993 gleichwohl an Hunger und Kälte und Krankheiten und hatte auch immer Angst im Ghetto bzw. während der Arbeit. Sie schilderte damit gegenüber der Claims Conference einen Überlebenskampf, der von Leben unter schwierigsten Bedingungen geprägt war und wobei die ihr zugewandten Lebensmittel bzw. Sachbezüge offenbar nicht ausreichten, sie ausreichend zu ernähren und auch zu kleiden und gesund zu halten. Gerade dies spricht auch für die Annahme von nicht wirklich freier Arbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft der Klägerin, sie erhielt nicht einmal die nach früherer aber inzwischen auch überholter Rechtsprechung des LSG NRW eventuell ausreichende "gute Verpflegung", welche nach neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) auch nicht ausreichen würde, um von Entgeltlichkeit eines Beschäftigungsverhältnisses auszugehen. Die Gewährung von kostenfreiem Logis kann auch nicht als Entgeltbestandteil angesehen werden, denn die Unterbringung im Ghetto war bereits Teil der Verfolgung und traf auch für nicht arbeitende Ghetto-Bewohner zu. Die von der Klägerin im Klageverfahren beigebrachte Erklärung und die vom Zeugen im Verwaltungsverfahren beigebrachte Erklärung gibt auch nichts für die Annahme einer entgeltlichen Tätigkeit her; wie bereits oben ausgeführt, reichen auch die mit der Klagebegründung vorgetragenen Bezüge nicht aus.
II. Die Klage hat auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, daß die Klägerin möglicherweise einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich "Entgelt" gezahlt wurde, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder ob Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist ein lex specialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften, auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur eine Beitragsentrichtung, nicht aber eine Entgeltzahlung. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuell zivilrechtlich geschuldeten wirklich angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, daß es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft handelte. Eine bisweilen von diversen Bevollmächtigten herangezogene Anspruchstheorie greift im übrigen auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG NRW nicht (Urteile vom 27.01.2006 – L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 – L 3 R 43/05 und 168/05).
III. Nach der Entscheidung des LSG NRW vom 13.01.2006 (L 4 RJ 113/04) würde hier eine Anerkennung einer Beitragszeit nach dem ZRBG bzw. nach §§ 15, 16 17 a FRG auch daran scheitern, daß die Klägerin entsprechend ihren eigenen Angaben im Rentenantrag (Bl. 6 Rückseite der Verwaltungsakte) nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte; dies wäre aber erforderlich für Tätigkeiten in Wilna, das damals zum Reichskommissariat Ostland gehörte und nicht selbst den deutschen Reichsversicherungsgesetzen unterlag.
IV. Im übrigen wird klägerischerseits offenbar verkannt, daß das ZRBG oder auch "Ghetto-Gesetz" in der vorliegenden, so von der Bundesregierung 2002 initiierten und vom Bundestag verabschiedeten Form, von vornherein nicht geeignet ist, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen (vgl. oben zitiertes Urteil des BSG vom 07.10.2004 und LSG NRW Urteile vom 03.06.2005 – L 4 3/05 und vom 13.01.2006 – L 4 RJ 113/04). Von der Klägerin wurde nichts vorgetragen, was im Lichte dieser vorgenannten Entscheidungen hier die Ghetto-Tätigkeiten anders bewerten könnte. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aufgrund der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (BT-Drucksache 16/1955 und 16/1785); damit hat die Bundesregierung sogar bekräftigt, daß sie für grundsätzliche Änderungen bei der Anwendung des ZRBG keinen Anknüpfungspunkt sehe. Auch wenn fraglich erscheinen möge, ob die Begriffe "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" im Zusammenhang mit Arbeit im Ghetto den Sachverhalt zutreffend beschreiben könnten, so blieben diese Kriterien im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zwingende Voraussetzung für die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit. Ansonsten würden der gesetzlichen Rentenversicherung Aufgaben zugewiesen, die keinerlei Bezug mehr zur Sozialversicherung und zur Versichertengemeinschaft haben, sondern als reine Entschädigungsleistung für Zwangsarbeit anzusehen wären. Dafür seien vielmehr frühere Entschädigungsverfahren nach dem BEG bzw. der Zwangsarbeiterentschädigung vorgesehen gewesen.
Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der zuletzt vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für sie nicht her.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
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