L 24 B 1006/05 P ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 241/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 1006/05 P ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2005 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bezieht von der Beklagten Leistungen nach dem Gesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nach der Pflegestufe II (§ 15 Abs. 1 Ziffer 2 SGB XI). Er begehrt im Hauptsacheverfahren Leistungen nach der Pflegestufe III gemäß § 15 Abs. 1 Ziffer 3 SGB XI.

Am 22. Juli 2005 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung und begründete dies damit, er sei schwerstpflegebedürftig und bedürfe der Pflege rund um die Uhr. Der Pflegeaufwand betrüge mindestens 5 Stunden, wobei 4 Stunden auf die Grundpflege entfielen. Die Berechnung des Pflegeaufwandes in dem auf Veranlassung der Antragsgegnerin erstatteten Gutachten sei fehlerhaft. Dass der Antragsteller noch einer geregelten Arbeit nachgehe, könne nicht gegen ihn ausgelegt werden.

Der Antragsteller hat beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig und vorbehaltlich einer Entscheidung im Hauptverfahren, dem Antragsteller Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Ihrer Auffassung sind weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund ersichtlich.

Dass ein Anordnungsanspruch nicht vorläge, ergebe sich aus dem Gutachten der F M vom 25. April 2005. Zum Anordnungsgrund fehlten jede Ausführungen, so dass der Antrag bereits unzulässig sei. Der Antragsteller hat darauf erwidert, es sei evident, dass er sich keine ausreichende Pflege leisten könne, diese aber benötige, so dass er gezwungen sei, mit einem Pflegenotstand zu leben. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 19. September 2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne dahingestellt sein, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht seien, da durch den Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache vorweggenommen würde. Dass es dem Antragsteller unzumutbar sei, seine Ansprüche im Klageverfahren zu verfolgen, sei weder konkret vorgetragen, noch glaubhaft gemacht worden.

Gegen diesen, dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 22. September 2005 zugestellten Beschluss richtet sich dessen Beschwerde vom 10. Oktober 2005, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 11. Oktober 2005).

Der Antragsteller bestreitet, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen würde, da eine Befristung der höheren Einstufung bis zur Entscheidung in der Hauptsache möglich und es sei dem Antragsteller nicht zuzumuten sei, bis zum Abschluss des Hauptverfahrens seine notwendige Pflege durch eigene Mittel zu finanzieren. Über diese notwendigen finanziellen Mittel verfüge er nicht.

Aus dem schriftsätzlichen Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers ergibt sich der Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2005 zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller bis zur Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II.

Die statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Mit einer derartigen "Regelungsanordnung" darf grundsätzlich die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist und wegen des Nichterfüllens dieses Anspruchs schwere, unzumutbare oder nicht anders abwendbare Nachteile drohen.

Voraussetzung, eine einstweilige Anordnung zu erlassen, sind demnach zwei Elemente, 1. ein so genannter Anordnungsanspruch und 2. ein so genannter Anordnungsgrund. Denn eine einstweilige Anordnung kann nur erlassen werden, wenn zumindest wahrscheinlich ist, dass der begehrte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch) und zum anderen, wenn durch das Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht schwere, unzumutbare oder nicht anders abwendbare Nachteile drohen (Anordnungsgrund).

In Bezug auf das Nichtvorliegen eines Anordnungsanspruchs beim gegenwärtigen Stand der Sachaufklärung schließt sich der Senat im Ergebnis der Auffassung des Sozialgerichts an. Die Frage, ob dem Antragsteller Pflegestufe II oder III zusteht, kann derzeit nicht beurteilt werden, so dass ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptverfahren weder überwiegend wahrscheinlich noch überwiegend unwahrscheinlich ist. Diese Frage ist vielmehr völlig offen; die dazu notwendigen Ermittlungen, ggf. einen weiteren medizinischen Sachverständigen zu ernennen sind im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz jedoch nicht durchzuführen. Hierfür ist das Hauptverfahren der richtige Ort.

Jedoch selbst wenn die hier nicht zu beurteilende Aussicht eines Obsiegens der Antragstellerin vorläge, wäre die begehrte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen, da es an einem Anordnungsgrund fehlt. Da die Gewährung der Leistungen bis zum Abschluss des unter Umständen mehrjährigen Hauptverfahrens die Hauptsache vorwegnehmen würde, läge ein Anordnungsgrund wie dargelegt, nur dann vor, wenn wegen des Nichterfüllens dieses Anspruchs schwere, unzumutbare oder nicht anders abwendbare Nachteile drohen. Hier ist der Antragsteller mit der Pflegestufe II versorgt, die zumindest in gewissem Umfang seinen Bedürfnissen Rechnung trägt. Die Differenz zu Pflegestufe III jedoch ist nicht so erheblich, dass bereits dadurch allein ersichtlich würde, dass das Ergebnis der Hauptsache nicht abgewartet werden kann und durch dieses Abwarten schwere, unzumutbare Nachteile drohen. Zumindest hat der Antragsteller diese weder substantiiert dargelegt, noch, wie zwingend vorgeschrieben (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO), glaubhaft gemacht. Soweit er sich auf unzutreffende Ergebnisse im Pflegegutachten bezieht, reicht dies im vorliegenden Anordnungsverfahren nicht aus. Die vorgetragenen Ergebnisse des Gutachtens sprechen zunächst gegen den geltend gemachten Anspruch und damit zugleich gegen einen Anordnungsgrund. Insoweit reicht es – insbesondere wenn eine vorläufige Leistung als teilweise Vorwegnahme der Hauptsache verlangt wird – nicht aus medizinischen Gutachten oder irgendeinen Vortrag der Gegenseite zu "widersprechen" oder zu bestreiten. Es ist nunmehr Sache des Antragstellers, substantiiert vorzutragen und diesen Vortrag glaubhaft zu machen. Auch ist zu beachten, dass der Antragsteller selbst vorträgt, seine finanzielle Lage sei so, dass er über einen längeren Zeitraum Leistungen entsprechend der Pflegestufe III nicht finanzieren könne. Das bedeutet zugleich, dass die Antragsgegnerin zu Unrecht gezahlte Leistungen nicht erstattet bekäme. Der Antragsteller hingegen könnte mit einer Nachzahlung eine Vorfinanzierung begleichen. Allerdings hat er seine finanziellen Verhältnisse nicht offen gelegt, so dass auch insoweit nicht ersichtlich wird, dass allein durch Leistung der Antragsgegnerin wesentliche Nachteile abgewendet werden könnten.

Damit war die Beschwerde der Antragstellerin mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss findet die Beschwerde nicht statt (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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