L 24 KR 38/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 4 KR 33/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 38/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. März 2005 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zahlung der Praxisgebühr.

Der bei der Beklagten versicherte Kläger beantragte am 12. Januar 2004 bei der Beklagten, die Zuzahlung wegen seiner Finanzlage später leisten zu können.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger einen Verstoß gegen Treu und Glauben und den Besitzstandsschutz geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03. März 2004 zurück: Die Krankenkasse dürfe keine Befreiunung vornehmen. In § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V sei gerade eine Zuzahlungspflicht normiert. Es handele sich dabei um eine Eigenbeteiligung des Versicherten an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Wegen der in § 62 SGB V geregelten Belastungsgrenze sei sichergestellt, dass eine Belastung des Versicherten "über Gebühr" vermieden werde.

Dagegen hat der Kläger am 06. Februar 2004 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage erhoben.

Er hat die Ansicht vertreten, die Erhebung der so genannten Praxisgebühr sei wegen Verstoßes gegen die Verfassung unzulässig. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete eine Gleichstellung von Personen mit geringem und mit hohem Einkommen.

Das Sozialgericht hat dem Vorbringen des Klägers den Antrag entnommen,

den Bescheid vom 12. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1. die bereits entrichtete Praxisgebühr zu erstatten,

2. festzustellen, dass der Kläger zukünftig nicht ohne Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zur sofortigen Entrichtung der Praxisgebühr verpflichtet sei, 3. hilfsweise das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgesetz die Frage vorzulegen, ob die Praxisgebühr mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 18. März 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen: Der Anspruch der Beklagten ergebe sich aus § 28 Abs. 4 SGB V. Die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß der §§ 61 und 62 SGB V lägen im Fall des Klägers noch nicht vor. Eine Verletzung des Grundgesetzes sei nicht zu erkennen. Das Sozialstaatsprinzip enthalte lediglich einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Es verpflichte den Staat, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Die Auferlegung von Eigenbeteiligungen an Leistungen der Krankenversicherung sei nicht zu beanstanden. Es handele sich nicht um Sonderabgaben zur Finanzierung von Aufgaben, die dem Staat oblägen. Vielmehr sei die Praxisgebühr eine den Sozialversicherungsbeiträgen angenäherte Finanzierungsform. Zur Finanzierung der Sozialversicherung sei sie daher unbedenklich. Es gebe keinen grundgesetzlich geschützten Anspruch auf eine Versorgung mit jeweils der bestmöglichsten und weitentwickeltsten Sach- und Dienstleistung. Ebenso verlange das Sozialstaatsprinzip keine vollständige Übernahme sämtlicher Krankheitskosten. Die zu erwartenden Leistungen stünden immer unter dem Vorbehalt ihrer Finanzierung. Da die eingeführten differenzierten Belastungsgrenzen eine differenzierte und an den Belastungen des Einzelnen ausgerichtete Beteiligung sichere, sei Art. 3 GG ebenfalls nicht verletzt.

Gegen das ihm am 01. April 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 01. Mai 2005 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. März 2005 zu ändern und unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2004 festzustellen, dass der Kläger nicht zur Zahlung der Praxisgebühr verpflichtet ist und bereits geleistete Zuzahlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 14. September 2005 auf die Möglichkeit einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – hingewiesen worden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung des Senats gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist vom Sozialgericht zugelassen worden(§ 144 Abs. 1 SGG), form- und fristgerecht eingelegt (§151 SGG) und damit insgesamt zulässig. Über sie konnte der Senat gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 12. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, von der Praxisgebühr befreit zu werden. Er ist verpflichtet, die so genannte Praxisgebühr zu leisten. Wie der Senat bereits in dem von der Beklagten überreichten Urteil vom 25. Januar 2005 entschieden hat (L 24 KR 47/04), besteht keine Befreiungsmöglichkeit und dementsprechend auch kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch im Hinblick auf die Praxisgebühr. Der Senat hat in dieser – auch dem Kläger mitgeteilten – Entscheidung näher dargelegt, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Praxisgebühr nach § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V als Voraussetzung zur Inanspruchnahme (zahn-) ärztlicher Leistungen besteht, ohne dass die vom Kläger angestrebte Befreiungsmöglichkeit vorgesehen ist.

Diese Regelung ist auch nicht verfassungswidrig, weshalb eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 GG) nicht in Betracht kommt.

§ 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V wurde durch Art. 1 Nr. 15 Buchstabe b Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 (GMG) BGBl. 2003 Seite 2190 mit Wirkung zum 01. Januar 2004 (Art. 37 Abs. 1 GMG) in das SGB V eingefügt. Nach dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen (Bundestagdrucksache 15/1525) hat der Gesetzgeber eine grundlegende Reformierung des Sozialsystems der gesetzlichen Krankenversicherung für erforderlich gehalten, um diese auch in Zukunft leistungsfähig zu erhalten. Es wird im Eingang dieses Entwurfes ausgeführt, dass gerade im Bereich der großen Volkskrankheiten, die die höchsten Kosten verursachen, mangelnde Effektivität und Qualität zu verzeichnen seien, weshalb die vorhandenen Mittel effektiver eingesetzt und die Qualität der medizinischen Versorgung deutlich gesteigert werden müsse. Außerdem führten der medizinische Fortschritt und die zunehmende Zahl älterer Menschen zu einem Ausgabenanstieg, hinter dem die Entwicklung der Einnahmen zurückbleibe. Diese Finanzierungslücke könne nicht durch weitere Beitragssatzsteigerung finanziert werden, denn dies erhöhe die Arbeitskosten und trage zu einer steigenden Arbeitslosigkeit bei. Ziel dieser grundlegenden Reformierung ist es danach, ein hohes Versorgungsniveau bei angemessenen Beitragssätzen auch in Zukunft zu gewährleisten. Der Gesetzgeber hat hierbei auch eine Rationierung von Leistungen zu Lasten von Patientinnen und Patienten erwogen; eine solche Lösung jedoch nicht weiter ernsthaft verfolgt. Der sozial gerechte Weg sei es, durch strukturelle Reformen Effektivität und Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern und gleichzeitig alle Beteiligten maßvoll in Sparmaßnahmen einzubeziehen. Hierzu gehöre auch eine angemessene Beteiligung der Versicherten an ihren Krankheitskosten, bei der auf soziale Belange Rücksicht genommen werde (vgl. Bundestagsdrucksache, a. a. O., Begründung A. Allgemeiner Teil I 1, Seite 71). Zu diesem Zweck würden Zuzahlungsregelungen neu gestaltet. Überforderungsregelungen schützten dabei vor unzumutbaren finanziellen Belastungen. Chronisch Kranke würden besonders geschützt (vgl. Bundestagsdrucksache, a. a. O., A. Allgemeiner Teil I 2, Seite 71; B. Besonderer Teil zu Art. 1, Nr. 15, Seiten 83, 84).

Zur Schließung der vom Gesetzgeber erkannten Finanzierungslücke werden nicht nur die Versicherten herangezogen, sondern die diese berührenden Maßnahmen sind Teil eines Bündels von Maßnahmen, die auch die Leistungserbringer und die Krankenkassen hinsichtlich deren Verwaltungskosten betreffen (Bundestagsdrucksache, a. a. O., A. Allgemeiner Teil I 2, Seite 71).

Das vom Gesetzgeber mit dem GMG verfolgte Ziel, die gesetzliche Krankenversicherung als solidarische Gemeinschaft mit umfassender medizinischer Versorgung zu erhalten, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn der Gesetzgeber zur Verwirklichung dieses Ziels nicht den Weg einer weiteren Steigerung der Beitragssätze, sondern den Weg der Beseitigung von strukturellen Mängeln und Einsparungen innerhalb dieses Systems gegangen ist, obliegt dies seinem auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstandenden Ermessen. Es handelt sich um keine willkürliche Maßnahme, denn sie wird von der nachvollziehbaren Erkenntnis getragen, dass bei steigender Arbeitslosigkeit infolge steigender Beitragssätze die Zahl der Beitragszahler weiter abnimmt, wodurch eine erneute Finanzierungslücke entsteht beziehungsweise die vorhandene vertieft wird. Die Versicherten können angesichts dessen nach Maßgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht verlangen, von Maßnahmen, die dem Erhalt des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dienen, verschont zu bleiben.

Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich von Zuzahlungen. Diese sind ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Konsolidierung. Damit soll die Eigenverantwortung des Versicherten gestärkt werden. Zuzahlungen dienen zum einen dazu, Versicherte von der Inanspruchnahme an sich nicht notwendiger Leistungen abzuhalten. Die Erfahrung zeigt, dass solche Leistungen, die nichts kosten, teilweise ohne tatsächlich vorhandenes Bedürfnis in Anspruch genommen werden. Dabei wird von solchen Versicherten darauf verwiesen, dass diese Leistungen bereits durch die Beiträge "bezahlt" worden seien und sie deswegen auch in vollem Umfang bis zur äußersten Grenze ausgeschöpft werden dürften. Bei einem solchen Verständnis einer solidarischen Krankenversicherung wird deutlich, dass gerade die sich vernünftig verhaltenden Versicherten, die nur solche Leistungen in Anspruch nehmen, die auch tatsächlich notwendig sind, die Kosten letztendlich für solches Fehlverhalten zu tragen haben. Dem genannten Fehlverständnis kann jedenfalls teilweise durch die Zuzahlungen begegnet werden, denn solche Versicherten scheuen oftmals solche zusätzlichen Kosten. Hinsichtlich dieses Personenkreises bewirken Regelungen über eine Zuzahlung, dass nicht notwendige Leistungen der Krankenversicherung nicht in Anspruch genommen werden. Dass durch die Einsparung solcher Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zugleich deutliche Kosten eingespart werden, dürfte offensichtlich sein. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG kann darin nicht gesehen werden, soweit dadurch Missbrauch vorgebeugt wird.

Soweit Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig sind, bewirken Zuzahlungsregelungen die angemessene Beteiligung des Versicherten an seinen Krankheitskosten. Zuzahlungen sind daher auch insoweit ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Da dem Gesetzgeber das Ermessen eingeräumt ist, die Finanzierungslücke außerhalb von Beitragserhöhungen zu schließen, darf ihm dieses Mittel nicht verwehrt sein. Es ist daher entgegen der Ansicht des Klägers nicht unbeachtlich, dass mit dem Instrument der Zuzahlung das gesetzgeberische Ziel mit erreicht werden kann. Es obliegt gerade nicht seiner Einschätzung oder der Beurteilung durch die Rechtsprechung darüber zu befinden, ob der Gesetzgeber das zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Mittel gewählt hat. Vielmehr ist die Wahl ausschließlich Sache des Gesetzgebers. Die Grenze ist nur dort überschritten, wo er willkürlich handelt, es also keinen sachgerechten Grund für die gewählte Maßnahme gibt. Davon geht ersichtlich auch der Kläger nicht aus.

Die hinsichtlich Zuzahlungsregelungen im Allgemeinen angeführten Gesichtspunkte treffen ebenfalls auf die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V zu.

Die Zuzahlungen, insbesondere nach § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V, sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Systemwidrigkeit gleichheitswidrig (vgl. dazu BVerfGE 85, 238, 247; 78, 104, 122/123; 18, 315, 334; 13, 331, 340; 9, 20, 28). Durch die Zuzahlungen wird insbesondere nicht die solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung tangiert.

Nach § 3 SGB V werden die Leistungen und sonstigen Ausgaben der Krankenkassen durch Beiträge finanziert. Dazu entrichten die Mitglieder und die Arbeitgeber Beiträge, die sich in der Regel nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder richten. Für versicherte Familienangehörige werden Beiträge nicht erhoben.

Das Merkmal der solidarischen Finanzierung hat hierbei mehrere Teilaspekte. Beiträge und Leistungen sind anders als in der privaten Krankenversicherung grundsätzlich nicht am individuellen Risiko (Gesundheitszustand, Alter, Geschlecht) und einem vereinbarten Leistungsumfang orientiert, sondern weitgehend vereinheitlicht. Grundsätzlich erhalten alle Versicherten bei gleichem Bedarf die gleichen Leistungen, während die Beiträge nur nach einem bestimmten Prozentsatz von den beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten und damit einkommens- und nicht risikoabhängig erhoben werden. Damit findet ein Ausgleich zwischen leistungsfähigeren und weniger leistungsfähigen Versicherten statt. Bei gleichen Leistungen finanzieren damit die Versicherten mit höheren beitragspflichtigen Einnahmen diejenigen mit niedrigen beitragspflichtigen Einnahmen mit. Es erfolgt außerdem ein Ausgleich zwischen Versicherten mit gutem und schlechtem Risiko (Gesundheitszustand, Alter, Geschlecht). Alle Versicherten erhalten grundsätzlich ohne Rücksicht auf das bei Eintritt in die Versicherung bestehende Risiko bei gleichem Bedarf die gleichen Leistungen. Dies führt dazu, dass Versicherte mit gutem Risiko und entsprechend niedrigerem Leistungsbedarf die höheren Leistungen an die Versicherten mit schlechtem Risiko mitfinanzieren. Daneben erfolgt ein Familienlastenausgleich dadurch, dass die nach § 10 SGB V versicherten Familienangehörigen grundsätzlich Anspruch auf die gleichen Leistungen wie die anderen Versicherten (Mitglieder) haben, ohne dafür einen eigenen Beitrag zahlen zu müssen (vgl. Kasseler Kommentar, a. a. O., Peters, § 3 Rdnrn. 4 bis 7).

An dem genannten System der solidarischen Finanzierung wird durch die Regelungen zur Zuzahlung grundsätzlich nichts geändert. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt vornehmlich durch Beiträge. Es ist fernliegend anzunehmen, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auch nur in wesentlichem Umfang durch Zuzahlungen finanziert werden könnten. Es findet auch keinerlei Anknüpfung am versicherten Risiko statt. Die Regelungen über die Zuzahlung differenzieren gerade nicht danach, ob ein Versicherter gesünder oder kranker als ein anderer Versicherter ist. Allein die Inanspruchnahme einer zuzahlungspflichtigen Leistung löst die Zuzahlung aus. Bezogen auf die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V bedeutet dies sogar, dass Versicherte mit besonders schlechtem Risiko bevorzugt werden, weil sie trotz mehrfacher Inanspruchnahme die Zuzahlung nur einmal im Quartal zu erbringen haben, auch wenn sie ärztliche Leistungen mehrfach in Anspruch nehmen. Allerdings werden Versicherte, die ärztliche Behandlungen nicht oder kaum beanspruchen, in geringerem Umfang mit Zuzahlungen belastet. Daran wird aber deutlich, dass nicht notwendigerweise der Versicherte mit deutlich schlechtem Risiko stärker als derjenige mit einem besseren Risiko belastet wird.

Unabhängig davon bedeutet nicht jede Abweichung von dem vom Gesetzgeber in § 3 SGB V normierten Prinzip der solidarischen Finanzierung einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Dies folgt daraus, dass dieses Prinzip keinen Verfassungsrang besitzt und damit der Gesetzgeber in Einzelfällen davon abweichen kann, ohne zugleich systemwidrig zu handeln. Ansonsten wäre die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in wesentlichem Umfang eingeschränkt. Abweichungen von einem selbst gewählten System sind daher grundsätzlich zulässig, wenn es für eine an sich systemwidrige Regelung sachgerechte Gründe gibt (BVerfGE 85, 238, 247). Eine Durchbrechung ist nicht als solche schon willkürlich und daher verfassungswidrig. Grundsätzlich steht es dem Gesetzgeber frei, durch Sonderbestimmungen von den einen Rechtskreis bestimmenden Grundregeln, die er selbst gesetzt hat, abzuweichen. Eine solche Abweichung kann zwar ein Indiz für Willkür sein, jedoch nur dann, wenn damit das System des Gesetzes ohne zureichende sachliche Gründe verlassen wird (BVerfGE 18, 315, 334 m. w. N.).

Dies ist bezüglich der Zuzahlungen, insbesondere der Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V, nicht gegeben. Mit den Zuzahlungen soll gerade sichergestellt werden, dass die solidarische Finanzierung auch in Zukunft beibehalten werden kann und die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin eine weitgehend umfassende medizinische Versorgung gewährleisten können.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im engeren Sinne scheidet ebenfalls aus. Der Kläger wird nicht im Vergleich zu anderen Versicherten ungleich behandelt. Jeder Versicherte, der zuzahlungspflichtige Leistungen in Anspruch nimmt, muss die Zuzahlung leisten. Hinsichtlich der Versicherten, die solche Leistungen nicht in Anspruch nehmen, besteht daher bereits ein sachlicher Unterschied. Eine angemessene Beteiligung an Krankheitskosten scheidet notwendigerweise dort aus, wo solche Krankheitskosten mangels Inanspruchnahme von Leistungen nicht entstehen.

Es ist zudem sichergestellt, dass Versicherte, die Zuzahlungen zu leisten haben, nicht unzumutbar belastet werden.

Nach § 62 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB V haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten; wird die Belastungsgrenze bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Die Belastungsgrenze beträgt 2 v. H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, beträgt sie 1 v. H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt.

Dieser Härteregelung liegt das Solidarprinzip in besonders starker Ausprägung zugrunde. Der Gesetzgeber hat damit eine ausreichende Regelung geschaffen, die geeignet ist, eine übermäßige Belastung des Versicherten mit Zuzahlungen zu vermeiden. Damit wird Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung getragen.

§ 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V verstößt auch nicht gegen die besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

Diese Vorschrift verbietet, nachteilige Rechtsfolgen an eine Behinderung zu knüpfen. Originäre Leistungsansprüche folgen daraus nicht (Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 3 Rdnrn. 305, 311; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Auflage, Art. 3 Rdnrn. 127, 128).

§ 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V unterscheidet gerade nicht zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen. Anknüpfung für die Zuzahlung ist vielmehr ausschließlich die Inanspruchnahme der dort genannten Leistung. Die Zuzahlung trifft daher Behinderte und Nichtbehinderte in gleichem Maße.

Das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip, wonach die Bundesrepublik Deutschland unter anderem ein sozialer Bundesstaat ist, ist ebenfalls nicht verletzt.

Das Sozialstaatsprinzip schließt zwar notwendig die soziale Hilfe für die Mitbürger ein, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert sind. Die staatliche Gemeinschaft muss ihnen die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichern. Es liegt hierbei grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu entscheiden, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll (BVerfGE 82, 60, 80; 40, 121, 133).

Angesichts der erheblichen Schwierigkeiten, die gesetzliche Krankenversicherung zu finanzieren und die Anlass für das GMG gewesen sind, überschreitet der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht, wenn er die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere von zahnärztlicher Behandlung, von einer Zuzahlung abhängig macht. Dadurch werden die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein des Klägers insbesondere deswegen nicht berührt, weil durch § 62 SGB V sichergestellt wird, dass unzumutbare Härten vermieden werden. Durch die Abstufung der Belastungsgrenze hat der Gesetzgeber in besonderem Maße gerade den chronisch Kranken Rechnung getragen.

Ist damit § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 61 Satz 2 SGB V geltendes Recht, hat die Beklagte die Zuzahlung nicht ohne Rechtsgrund erlangt, so dass die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches nicht vorliegen.

Die Feststellungsklage ist unzulässig, soweit sie darauf gerichtet ist festzustellen, dass der Kläger zukünftig nicht verpflichtet ist, Zuzahlungen im Sinne einer Praxisgebühr zu leisten, auch soweit die Belastungsgrenze des § 62 SGB V erreicht ist. Für ein solches Klagebegehren, das von dem gestellten Klageantrag miterfasst wird, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. Die Beklagte hat sich nicht berühmt, der Kläger müsse die Praxisgebühr auch nach Erreichen der Belastungsgrenze des § 62 SGB V leisten. Sie hat vielmehr im Gegenteil darauf hingewiesen, dass sie in einem solchen Fall eine Befreiung ausspricht. Einer dahingehenden gerichtlichen Feststellung bedarf es somit nicht. Der im Übrigen zulässigen Feststellungsklage muss aus den oben genannten Gründen jedoch der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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