L 10 U 347/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 1315/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 347/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. November 2003 abgeändert. Es wird unter Abänderung des Bescheides vom 11. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 festgestellt, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäuleerkrankungen als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zu Berufskrankheitenverordnung (BKV) - BK 2108.

Der am 1958 geborene Kläger ist gelernter Gipser (Stuckateur) und arbeitete in diesem Beruf sowie als Maurer von August 1973 (Beginn der Ausbildung) bis Januar 1989 abhängig beschäftigt, seit Januar 1990 als Unternehmer (Bausanierungsarbeiten), wobei er ab Juni 1999 wegen Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig krank war. Ende 2000 gab er die körperliche Tätigkeit vollständig auf und ist nur noch als Gesellschafter seiner B -GmbH beratend/kaufmännisch tätig. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 liegen nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten, auf der Grundlage der Berechnungen nach dem sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD), vor.

Nach der Berufskrankheitenanzeige des Orthopäden Dr. F. vom 14. August 2000 nahm die Beklagte Ermittlungen auf und holte ein Gutachten bei Dr. J., Chefarzt der Abteilung Orthopädie-Traumatologie der Fachklinik I , ein. Danach leide der Kläger an einem lokalen, gelegentlich auch ausstrahlendem Wurzelreizsyndrom L5 bei Osteochondrose, geringer Spondylose und Retrolisthesis L3-L5. Gegen einen beruflichen Zusammenhang spreche das frühe Auftreten der Erkrankung mit 16 Jahren, das Fehlen vorauseilender Befunde und die Adipositas des Klägers. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Oktober 2001 und Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2002 das Vorliegen einer BK 2108 und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab.

Der Kläger hat hiergegen am 16. Juli 2002 bei dem Sozialgericht Konstanz Klage erhoben. Das Sozialgericht hat das Gutachten von Dr. Z., Chefarzt der A klinik I.-N., eingeholt. Dr. Z. hat ein gemischt radikuläreres/pseudoradikuläreres Lumbalsyndrom auf dem Boden bandscheibenbedingter, degenerativer Veränderungen, insbesondere in den Segmenten L4/5 und L5/S1 angenommen. Auf Grund des Schadensverlaufs und des Krankheitsbildes sei die Erkrankung durch die beruflich bedingten Einwirkungen verursacht oder richtungsweisend verschlimmert worden. Es liege daher eine BK 2108 vor; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 v. H. Hieran hat Dr. Z. auch in Kenntnis einer von der Beklagten vorgelegten kritischen Stellungnahme von Prof. Dr. W. festgehalten.

Mit Urteil vom 27. November 2003 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 11. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine BK 2108 anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. ab 1. November 2000 zu gewähren. Es hat sich dabei im Wesentlichen der Argumentation von Dr. Z. angeschlossen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. Januar 2004 zugestellte Urteil am 26. Januar 2004 Berufung eingelegt.

Prof. Dr. R., Gutachtensambulanz der Orthopädischen Universitätsklinik H., hat für den Senat ein Gutachten unter Berücksichtigung eines radiologischen Zusatzgutachtens (Magnetresonanztomographie der Halswirbelsäule [HWS]) durch Prof. Dr. C. erstattet. Er hat darin eine bandscheibenbedingte Erkrankung (im Bereich L4/5: deutliche Verschmälerung der Bandscheibenfächer, Strukturverdichtung der Grund- und Deckplatten sowie in Form von knöchernen Randwülsten an den Grund- und Deckplatten, mediale Protrusion der Bandscheibe), einen beruflichen Zusammenhang und damit eine BK 2108 bejaht, die MdE aber mit 10 v. H. eingeschätzt. Hieran hat Prof. Dr. R. auch im Hinblick auf mehrere von der Beklagten vorgelegte kritische Stellungnahmen von Prof. Dr. W. festgehalten.

Die Beklagte stützt sich auf die Einwendungen von Prof. Dr. W ... Außerdem sei zweifelhaft, ob der Kläger die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit aufgegeben habe. Schließlich stehe auch das Fehlen belastungsadaptiver Reaktionen in der Form degenerativer Veränderungen auch der oberen Segmente der Lendenwirbelsäule (LWS) der Anerkennung einer BK 2108 entgegen.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. November 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist weiterhin der Ansicht, es liege eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV mit einer MdE und 20 v. H. vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Da die Beklagte die Anerkennung der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit ablehnt, kann er eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG erheben. Dies hat der Kläger bei sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (BSG, Urteil vom 7. September 2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2 zum entsprechenden Fall des Arbeitsunfalls) auch getan. Hinzu tritt (§ 56 SGG) die Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf Gewährung einer Verletztenrente.

Beim Kläger liegt eine BK 2108 vor.

Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 2108 der Anlage zur BKV ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Für die Anerkennung einer BK 2108 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (so genannte arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.

Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier also eine bandscheibenbedingte Erkrankung - erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Eine bandscheibenbedingten Erkrankung liegt vor. Darunter sind - der Begründung des Verordnungsgebers zur Zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch welche die BK 2108 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Drucks 773/92 S 8), folgend (vgl. BSG, Urteil vom 21. Mai 2005, B 2 U 12/04 R, SozR 4-5671 Anl 1 Nr. 2108 Nr. 2) - (insbesondere durch bildgebende Verfahren) objektivierte Schäden an der LWS zu verstehen, die durch einen objektivierten Bandscheibenschaden verursacht worden sind und die zu über einen längeren Zeitraum andauernden, also chronischen oder zumindest chronisch wiederkehrenden Beschwerden mit Funktionseinschränkungen führen. Nach den Feststellungen von Prof. Dr. R. , die sich im Wesentlichen mit denen von Dr. J. und Dr. Z. decken, liegen zumindest eine Bandscheibendegeneration (Diskose) und eine degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose) vor. Hieraus folgen (endgradige) Bewegungseinschränkungen der LWS sowie Schmerzen und Gefühlsstörungen, ins rechte Bein ausstrahlend.

Die arbeitstechnischen Voraussetzungen (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten; langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) für eine BK 2108 sind unstreitig gegeben. Der Kläger war - mit kleineren Unterbrechungen - mehr als 20 Jahre als Gipser (Stuckateur) und Maurer tätig. Nach dem MDD, vom BSG als geeignetes Instrumentarium zur Bewertung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen anerkannt (vgl. Urteile vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 1, vom 19. August 2003, B 2 U 1/02 R und vom 22. Juni 2004, B 2 U 22/03 R), werden die notwendigen Belastungen erreicht.

Auch die medizinischen Voraussetzungen sind nach der Überzeugung des Senats gegeben.

Wenn man die in den Ausführungen der verschiedenen Gutachter, zuletzt insbesondere von Prof. Dr. R. und Prof. Dr. W. , vorgebrachten Argumente jenseits von Streitigkeiten über tatsächliche oder vermeintliche Fehlzitate auf den "Kernbereich" zurückführt, ergibt sich folgendes Bild:

Die beruflichen Belastungen der Wirbelsäule des Klägers sind erheblich, auch stärker als in den meisten der Verfahren, in denen vor dem Senat die Anerkennung einer BK 2108 begehrt wird. Der Kläger war weit länger wirbelsäulenbelastend tätig als die - zumindest bei Einführung der BK 2108 - als Mindestbelastung veranschlagten zehn Jahre (vgl. Merkblattes des Bundesministeriums für Arbeit für die ärztliche Untersuchung, abgedr. bei Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2108). Er hat bei den Gipser- und Maurerarbeiten teilweise ohne Maschineneinsatz arbeiten müssen, wie sich aus seinen Angaben gegenüber dem TAD ergibt. Auch bei seiner Tätigkeit als Abbruchunternehmer, wie gegenüber Dr. J. angegeben, hat er insbesondere bei den Abbrucharbeiten im Altbau größtenteils ohne Maschinen arbeiten müssen.

Das Schadensbild entspricht einer wesentlich beruflichen Einwirkung auf die LWS. Dort liegt der Schwerpunkt der Schäden. Zwar liegen auch Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) vor. Diese sind jedoch, wie Professor Dr. R. ausgeführt hat, geringer als im Bereich der LWS. Das im Berufungsverfahren eingeholte radiologische Zusatzgutachten hat insoweit eine diskrete Bandscheibenprotrusion CWK 5/6, eine Osteochondrose der Bandscheibe und degenerative Veränderungen der ventralen Wirbelkörperanteile ergeben. Arbeitsunfähigkeitszeiten, die aus einer Erkrankung im Bereich der HWS resultieren, sind nicht bekannt. Der Kläger hat insoweit auch keine Beschwerden angegeben. Auch die Erkrankung im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) sind als diskret anzusehen. Im Röntgenbild nehmen die Veränderungen von oben nach unten zu. Prof. Dr. R. hat die Veränderungen im Bereich der HWS und der BWS als eher altersentsprechend bezeichnet. Zum gleichen Ergebnis ist Dr. Z. gelangt. Auch der röntgenologische Zusatzgutachter Prof. Dr. C. hat ausdrücklich ausgeführt hat, dass die Veränderungen an der HWS das Altersmaß nicht überschreiten würden und den Kläger nicht beeinträchtigen dürften. Dem folgt der Senat, nicht aber der gegenteiligen Würdigung Prof. Dr. W. s. Die von ihm angenommene mehrsegmentale Schädigung im Bereich der HWS mag hinsichtlich einer Spondylose (nicht hinsichtlich der Chondrose) bestehen. Das ändert jedoch das Gesamtbild und die hieraus folgende Wertung nicht entscheidend. Prof. Dr. W. hat den Kläger auch nicht selbst untersucht, kann also die gleichfalls zu berücksichtigende klinische Symptomatik nicht aus eigener Anschauung bewerten.

Auch der Umstand, dass keine so genannte Begleitspondylose (Spondylose in einem nicht von einer Chondrose oder einem Bandscheibenvorfall betroffenen Segment sowie im von einer Chondrose oder einem Bandscheibenvorfall betroffenen Segment, die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Bandscheibenvorfalls aufgetreten ist) vorliegt, spricht nicht gegen einen beruflichen Zusammenhang. Der Senat schließt sich ausdrücklich nicht der im Urteil des 1. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. Februar 2006, L 1 U 2572/05 - auf welches die Beklagte in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat - geäußerten Ansicht an, dass bei beruflichen Expositionen, die zu Bandscheibenschäden in den unteren Segmenten der LWS führen, auch die ebenfalls belasteten oberen Segmente der LWS degenerativ verändert sind. Die vom 1. Senat zitierten, durchgehend älteren Entscheidungen anderer Landessozialgerichte, die der 1. Senat in den Zusammenhang mit seiner Aussage gestellt hat ("In diesem Sinne "), tragen diese Aussage nur teilweise (so das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachen vom 6. April 2000, L 6 U 163/99 ZVW, Breithaupt 2000, 818, 824). Im von beiden Entscheidungen zitierten Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. November 1999, L 3 U 965/98, ist dagegen lediglich ausgeführt, dass eine monosegmental veränderte LWS eher auf eine anlagebedingte Genese hinweise und die Beweisführung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs in jedem Fall ganz erheblich erschwere. Zugleich wird aber eingeräumt, dass dies eine berufliche Verursachung nicht von vornherein ausschließe. Im Fall, der der Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin vom 25. August 1999, L 3 U 3/97, Breithaupt 2000, 286, zu Grunde lag, führte eine in allen Segmenten der LWS und vermehrt zwischen L4/L5 und L5/S1 vorhandene Spondylose und Spondylarthrose zur Annahme eines belastungstypischen Schadensbildes und letztlich einer BK 2108. Aussagen über den konkreten Einzelfall hinaus oder zur Frage, was anzunehmen sei, wenn ein solches Schadensbild nicht vorliege, finden sich nicht. Die medizinische Lehrmeinung, auf die sich der 1. Senat stützt, entspricht auch nicht dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion. Die Konsensempfehlung zur Zusammenhangsbegutachtung (veröffentlicht in: Trauma und Berufskrankheit, 2005, 211 ff, 320 ff, und unter www.hvbg.de/d/pages/versich/risk bk/bk wirbel/index.html) der auf Anregung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, in der sich namhafte Sozialmediziner befinden, die sich seit Jahren mit den medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten nach Nr. 2108 bis 2110 beschäftigen, führt ausdrücklich Fallgruppen einer BK 2108 auf, bei denen auf eine Begleitspondylose verzichtet werden kann. Eine solche ist die einer Höhenminderung an mehreren Bandscheiben bei monosegmentaler Chondrose im Bereich L4/5, die - wie Prof. Dr. R. dargelegt hat - im Fall des Klägers vorliegt. Auch Prof. Dr. W. will das Fehlen einer Begleitspondylose, wie zuletzt dargelegt, nicht als Ausschlusskriterium für eine BK 2108 ansehen (s. Stellungnahme vom 30. Januar 2006: "Dass die Begleitspondylose ein "K.O.-Kriterium" ist, wird im Übrigen in keiner meiner Stellungnahmen behauptet ...").

Der Krankheitsverlauf stellt sich keinesfalls so dar, dass der Kläger bereits 1973 Symptome einer bandscheibenbedingten Erkrankung zeigte, die heutigen Erkrankungen also belastungsunabhängig und allein wesentlich anlagebedingt sein müssen. Die Erkrankungen Anfang der 1970er-Jahre sind unspezifisch und lassen sich nicht als "Vorboten" einer bandscheibenbedingten Erkrankung ansehen. Der Diagnose "Lumbalsyndrom" oder "Lumbalgie" lassen sich zwanglos muskuläre Ursachen (etwa Muskelzerrungen oder Verspannungen) oder Blockierungen der Wirbelgelenke zuordnen. Dies entspricht auch den Angaben des Klägers, er habe als jüngster Auszubildender/Arbeiter schwere Lasten, wie etwa Zementsäcke, tragen müssen und dies habe zu Muskelverspannungen geführt. Auch Prof. Dr. W. hat dies zuletzt eingeräumt. Eine der Arbeitsunfähigkeitszeiten (5. bis 27. September 1978) ist zudem auf einen Unfall (Rückenprellung) zurückzuführen. Erst in den 1990er-Jahren, als die Beschwerden auch nach den Angaben des Klägers deutlich zunahmen, hat sich das heutige Krankheitsbild abgezeichnet. Die Argumentation von Prof. Dr. W. , der Beginn des Erkrankungsbildes sei auf Mitte der 1980er-Jahre festzulegen, erscheint dem Senat spekulativ, nachdem der Kläger in dieser Zeit noch ständig gearbeitet hat, erhebliche Erkrankungszeiten wegen Wirbelsäulebeschwerden erst später eintraten und der Kläger gegenüber den behandelnden Ärzten - mit Ausnahme eines unspezifischen "Hexenschusses" - Rückenschmerzen erst für die Zeit seit Anfang der 1990er-Jahre angegeben hat.

Ob eine Befundverschlechterung in der Zeit von 2000 bis 2004 vorliegt, kann dahingestellt bleiben. Prof. Dr. W. hat diese Veränderungen, da nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit erfolgt, als nicht berufsbedingt angesehen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der bis zur Berufsaufgabe eingetretene Zustand berufsunabhängig ist.

Als konkurrierender Faktor ist lediglich das erhebliche Übergewicht des Klägers (bei der gutachtlichen Untersuchung durch Prof. Dr. R.: 130 kg) zu erwägen. Der Senat schließt sich aber insoweit der Einschätzung von Prof. Dr. R. an, dass keine verlässlichen Daten für den Einfluss von Übergewicht auf die Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung vorliegen. Dieser Aspekt tritt daher zurück.

Der Kläger hat die körperliche Tätigkeit, wie im Verfahren wiederholt angegeben, seit Oktober 2000 aufgegeben. Die Zweifel der Beklagten teilt der Senat nicht. Allein der Umstand, dass er noch als Unternehmer bei der Beklagten versichert ist, ändert hieran nichts. Der Kläger hat dies im Berufungsverfahren nachvollziehbar mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes erklärt. Als Geschäftsführer/Gesellschafter einer Firma, bestehen auch ausreichende Möglichkeiten, ohne erheblichen, d. h. wirbelsäulenbelastenden Körpereinsatz, weiter beruflich tätig zu sein.

Nach all dem ist gerichtlich festzustellen, dass eine BK 2108 vorliegt. Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts ist entsprechend - auf eine gerichtliche Feststellung an Stelle einer Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung - zu ändern.

Ein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente besteht nicht. Insoweit ist die Berufung der Beklagten begründet.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, sog. Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Es wird keine MdE um 20 v. H. erreicht. Auch ein Stützrententatbestand ist nicht gegeben. Beim Kläger liegen lediglich endgradige Bewegungseinschränkung der LWS sowie Schmerzen und (zumindest zeitweise) Gefühlsstörungen im rechten Bein vor. Motorische Lähmungen bestehen nicht. Die Beschwerden sind insgesamt noch als leicht anzusehen und begründen daher nach dem Gutachten von Prof. Dr. R. , aber auch nach der - allerdings nur ansatzweise vorhandenen - einschlägigen sozialmedizinischen Literatur ("Konsensempfehlung", Tabelle 15; Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 582) lediglich eine MdE um 10 v. H. Entscheidend sind die funktionellen Auswirkungen, nicht, wie der Kläger teilweise ausgeführt hat, die röntgenologischen Befunden, wie zuletzt der Befundbericht des Radiologen K. vom 5. Oktober 2004.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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