L 10 U 4587/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 59/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4587/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. September 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Die am 1955 geborene Klägerin stürzte bei ihrer Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin am 29. Juni 2002 auf den ausgestreckten linken Arm. Dr. B., Chefarzt der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Kreiskrankenhauses S , bescheinigte Arbeitsfähigkeit ab 7. Juli 2002, danach nahm die Klägerin Erholungsurlaub bis 14. Juli 2000, danach arbeitete sie (nach eigenen Angaben nicht unter voller Belastung) bis 10. August 2002 und war dann erneut bis 21. August 2002 im Urlaub. Wegen weiterer Beschwerden wurde am 23. August 2002 eine Kernspintomographie durchgeführt und dabei eine partielle Ruptur der Supraspinatussehne links festgestellt. Eine Arthroskopie vom 27. November 2002, durchgeführt im Kreiskrankenhaus S , ergab eine kleine, undurchlässige Schleimhautläsion von ca. drei bis vier Millimeter im Bereich des Rotatorenmanschettenintervalls, jedoch keine größere Rissbildung.

Der Einschätzung von Dr. B. der Arbeitsunfall sei neben einem vorbestehenden Schaden an der Rotatorenmanschette eine wesentliche Teilursache der Gesundheitsbeeinträchtigung, widersprach Dr. L., Beratungsarzt der Beklagten, und nahm unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nur bis 6. Juli 2002 an. Eine zweite Arthroskopie am 6. Juni 2003, durchgeführt durch Dr. H., ergab ebenfalls keine größere Rissbildung.

Auf der Grundlage der Stellungnahme von Dr. L. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2003 und Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2003 die Gewährung einer Verletztenrente und sonstiger Leistungen über den 6. Juli 2002 hinaus ab.

Die Klägerin hat am 12. Januar 2004 Klage vor dem Sozialgericht Konstanz erhoben. Das Sozialgericht hat ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. H. eingeholt. Danach habe der Unfall zu einer Prellung der Schulter mit deutlicher Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenks geführt. Es sei zweifelhaft, ob der Unfall zu einer relevanten Rissbildung der Rotatorenmanschette geführt habe. Der Unfallmechanismus sei auch nicht geeignet, diese zu verursachen. Auch wenn ein Einriss der Rotatorenmanschette vorgelegen habe, so wäre dieser nicht primär für die Beschwerdesymptomatik verantwortlich. Arbeitsunfähigkeit habe bis 20. Juli 2002 bestanden. Nach dem 11. August 2002 bestehe keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mehr.

Mit Gerichtsbescheid vom 26. September 2005 hat das Sozialgericht, in Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von Dr. H. , die Klage abgewiesen. Die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis 20. Juli 2002 sei nicht nachvollziehbar, so dass statt dessen der Einschätzung von Dr. B. zu folgen sei. Damit bestehe kein Anspruch auf Verletztengeld (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buchsozialgesetzbuch [SGB VII]). Ein Anspruch auf Verletztenrente (§ 56 Abs. 1 SGB VII) bestehe ebenfalls nicht, da eine MdE um 20 v. H. über die 26. Wochen nach dem Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 4. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheid am 3. November 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, das Sozialgericht hätte nicht, zudem nicht "überraschend" durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen, nachdem mehrmals um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten worden war. Vor dem Arbeitsunfall sei sie beschwerdefrei gewesen und habe auch keine gefährlichen Sportarten oder Ähnliches betrieben. Bei ihr als Rechtshänderin seien auch der rechte Arm und das rechte Schultergelenk stärker belastet, Beschwerden habe sie aber links.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztengeld, Verletztenrente und Heilbehandlungskosten zu gewähren, hilfsweise ein weiteres Gutachten einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Dr. A., behandelnder Arzt der Klägerin, hat als sachverständiger Zeuge erklärt, dass sich aus den Unterlagen seines Praxisvorgängers Dr. K. keine Hinweise auf Behandlungen wegen einer Schultererkrankung ergeben würden. Dr. B., der die Klägerin seit 1995 behandelt, hat solche Erkrankungen ebenfalls verneint. Dr. H. hat ergänzend ausgeführt, dass er eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit von drei Wochen für angemessen halte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist nach §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Dabei unterstellt der Senat zugunsten der Klägerin, dass mit der Berufung von Anfang an auch die Verurteilung der Beklagten, eine Verletztenrente zu gewähren, begehrt werden sollte, obwohl im Schriftsatz, mit dem die Berufung eingelegt worden ist, nur von "Verletztengeld und sonstigen Leistungen" die Rede ist und mit der Berufungsbegründung auch ein hierauf beschränkter Berufungsantrag angekündigt worden ist. Den Fragen, ob in dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag eine zulässige Klageänderung (§§ 99, 153 Abs. 1 SGG) liegt und ob die Klage auch insoweit zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002, B 4 RA 20/01 R in SozR 3-1500 § 29 Nr. 1), muss daher nicht nachgegangen werden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Sozialgericht ist nicht berechtigt gewesen, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, denn die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG waren nicht erfüllt. Zwar weist die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts - spätestens nach dem Gutachten durch Dr. H. - weitgehend geklärt gewesen. Letzteres gilt jedoch nicht für die Frage des Klagebegehrens, denn der mit der Klageschrift angekündigte Klageantrag ("Verletztengeld im gesetzlichen Umfang sowie sonstige Leistungen im gesetzlichen Umfang") ist unklar. Das zeigt schon der erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals hinreichend deutlich vorgetragene Umstand, dass auch Heilbehandlung begehrt werde. Das Sozialgericht hätte also vor Erlass eines Gerichtsbescheids auf eine Erläuterung und Neufassung des Klageantrags in sachdienlicher Form hinwirken müssen (§ 105 Abs. 1 SGG). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist dies erfolgt und zugleich die von der Klägerin gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs - sofern sie vorgelegen haben sollte - geheilt worden. Der Senat sieht deswegen und um der Klägerin eine unnötige Verfahrensverlängerung zu ersparen von einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ab (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2001, B 4 RA 87/00 R in SozR 3-5050 § 22b Nr. 1).

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die geltend gemachten Leistungen dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt, weil die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nach den 6. Juli 2002 endete und auch sonst keine, für eine Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebliche Unfallfolge verblieben ist. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Unfallversicherungsrecht nach ständiger Rechtsprechung die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein müssen, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Der Nachweis einer mit Wahrscheinlichkeit durch den Arbeitsunfall verursachten wesentlichen Verletzung der Rotatorenmanschette, insbesondere ein Riss an der Supraspinatussehne, ist nicht geführt worden. Der Senat kann sich damit, dem Gutachten von Dr. H. folgend, nur von einer Prellung als Unfallfolge überzeugen. Dass nach dem Unfall festgestellte Gesundheitsbeeinträchtigungen vor dem Unfallgeschehen nicht zu ärztlichen Behandlungen geführt haben, und auch die Klägerin subjektiv keine Beschwerden bemerkte, steht dem nicht zwingend entgegen.

Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Verletztengeld ist gegenüber den Ausführungen des Sozialgerichts zu ergänzen, dass auch der Senat der Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit durch Dr. H. nicht folgt. Zum einen attestierte der behandelnde und damit den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit unmittelbar beurteilende Dr. B. Arbeitsunfähigkeit nur bis 6. Juli 2002, zum anderen war die Klägerin nach Urlaubsrückkehr ab 15. Juli 2002 tatsächlich berufstätig. Die von Dr. H. angeführte ärztliche Erfahrung ist somit durch den tatsächlichen Geschehensablauf und die zeitnahe unmittelbare Beurteilung durch Dr. B. widerlegt. Ohnehin wäre einem etwaigen Anspruch der Klägerin auf Verletztengeld das während des Erholungsurlaubs und der tatsächlichen Erwerbstätigkeit erzielte Arbeitsentgelt anzurechnen (§ 52 Nr. 1 SGB VII).

Einem Anspruch der Klägerin auf (weitere) Heilbehandlung (§§ 27 - 34 SGB VII) steht entgegen, dass der Unfall nur zu einer Prellung der Schulter geführt und die Beklagte die hierdurch verursachte Heilbehandlung erbracht hat. Aus diesem Grund scheidet auch ein Ersatz von Kosten der Klägerin aus, die entstanden sind, weil die Leistungen der Krankenkasse weniger weit gehen als dies bei einem Anspruch gegen die Beklagte der Fall wäre.

Da der Sachverhalt geklärt ist, bedarf es keiner Einholung eines weiteren Gutachtens, wie von der Klägerin hilfsweise beantragt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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