L 10 U 2282/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 964/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2282/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. März 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in allen Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente sowie die Neufeststellung psychischer Beschwerden als Unfallfolge.

Der am 1939 geborene Kläger kroatischer Staatsangehörigkeit erlitt am 29. Oktober 1985 bei seiner Tätigkeit als Bauhelfer einen Arbeitsunfall, als Verschalungsplatten (Schalplatten) auf ihn fielen. Die Beklagte gewährte eine vorläufige Verletztenrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. ab 28. Juli 1986. Nachdem im zweiten Rentengutachten eine Besserung der Unfallfolgen und eine MdE um nur noch 10 v. H. festgestellt wurde, entzog die Beklagte die vorläufige Verletztenrente mit Ablauf des Monats Juli 1987 und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab. Als Unfallfolgen wurden eine anteilige Muskelminderung am rechten Ober- und Unterschenkel, Bewegungseinschränkung am rechten Kniegelenk, leichte Verstreichung der Kniegelenkskonturen rechts, Hypersensibilität im Narbenbereich des rechten Kniegelenkes, geringfügige mediale Kniebandinstabilität nach kombinierter Kniebandverletzung rechts anerkannt. Die dagegen erhobene Klage wurde abgewiesen (Sozialgericht Stuttgart [SG], S 6 U 2051/87), wegen Fristversäumung die hiergegen erhobene Berufung vom Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG; L 7 U 1579/91) als unzulässig verworfen. Das SG hatte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und der beim Kläger vorhandenen und erstmalig im Juni 1987 (von Dr. O. ) diagnostizierten ängstlich-depressiven Symptomatik verneint.

Einen ersten Überprüfungsantrag vom Mai 1995, mit der ein ängstlich-depressives Syndrom als weitere Unfallfolge geltend gemacht wurde, wies die Beklagte ab und stellte als Unfallfolgen etwas vermehrte geringgradige Auszackungen am medialen und lateralen Patellarand rechts im Vergleich zu links, endgradige Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenks, anteromediale Instabilität, die muskulär gut kompensiert wird, fest (Bescheid vom 28. Oktober 1996). Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (SG Stuttgart, S 6 U 1764/97), die gegen das Urteil des SG erhobene Berufung (L 7 U 308/99) nahm der Kläger nach richterlichem Hinweis wieder zurück.

Den zweiten Überprüfungsantrag vom 2. November 1999 wies die Beklagte, u. a. nach Einholung von Auskünften der Nervenärztin Dr. O. und der praktischen Ärztin Dr. L.-P. , mit Bescheid vom 27. Juni 2000 und Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2001, am 29. Januar 2001 zur Post aufgegeben, ab.

Dagegen hat der Kläger am 28. Februar 2001 Klage vor dem SG erhoben. Dr. K. , Oberarzt am K. S. , hat in seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobenen chirurgischen Gutachten als Unfallfolgen eine anteromediale Instabilität des rechten Kniegelenks bei muskulär kompensierbarer ventraler Instabilität sowie eine endgradige Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenks festgestellt und die MdE mit 10 v. H. eingeschätzt. Prof. Dr. T. , Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des B. S. , hat in seinem von Amts wegen eingeholten Gutachten eine leicht- bis mäßiggradige depressive Störung mit Somatisierungsneigung festgestellt, die allerdings nicht unfallbedingt, sondern aufgrund einer Fehlverarbeitung der isolierten sozialen Situation eingetreten sei. Der Kläger hat eine Stellungnahme des in Zagreb tätigen Neuropsychiaters Dr. S. vom 17. November 2002 vorgelegt. Danach leide er u. a. unter einem posttraumatischen Stresssyndrom, das seine Erwerbsfähigkeit "auf das Niveau bis 30 %" mindere. Mit Urteil vom 13. März 2003 hat das Sozialgericht Stuttgart, gestützt insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. T. , die Klage abgewiesen.

Gegen das ihm am 16. April 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Mai 2003 Berufung eingelegt und insbesondere auf eine unfallbedingte posttraumatische Belastungsreaktion hingewiesen. Der Unfall sei für ihn ein katastrophales Ereignis gewesen, es sei nicht nur eine, sondern ein ganzer Stapel Schalplatten auf ihn gefallen, u. a. sei er auf den Kopf gefallen. Unmittelbar nach dem Unfall sei er bewusstlos gewesen. Unter anderem leide er unter Angstträumen und Schlafstörungen.

Prof. Dr. T. hat in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner Einschätzung festgehalten. Das LSG hat die Berufung des Klägers daraufhin mit Beschluss vom 20. Juli 2004 zurückgewiesen. Diesen Beschluss hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 12. April 2005 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und das LSG zurückverwiesen. Bemängelt worden ist, dass den Beweisanträgen des Klägers zum Unfallhergang und der Art und Weise seiner Unfallverletzungen nicht nachgegangen worden sei.

M. J. und A. H. , frühere Arbeitskollegen des Klägers, sind am 3. August 2005 als Zeugen vernommen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift Bezug genommen. Dr. O. hat die von ihr erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen mitgeteilt. Prof. Dr. T. hat sich ergänzend dahingehend geäußert, dass auch bei Berücksichtigung des weiteren Vorbringens des Klägers und der Aussagen der gehörten Zeugen - auch bei alternativer Berücksichtigung verschiedener tatsächlicher Varianten des Unfallhergangs - es dabei bleibe, dass bei dem Kläger zu keinem Zeitpunkt eine nennenswert ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vorgelegen habe. Dr. O. hat weitere Einzelheiten zu den von ihr erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen mitgeteilt.

Der Kläger hat sich inhaltlich gegen die gutachtliche Einschätzung von Prof. Dr. T. gewandt. Diese sei nicht überzeugend, ja sogar widersprüchlich. Ein Ablehnungsantrag des Klägers gegen Prof. Dr. T. ist mit Beschluss vom 10. August 2006 für unbegründet bzw. unzulässig erklärt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. März 2003 sowie den Bescheid vom 27. Juni 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2001 aufzuheben, festzustellen, dass Folge des Arbeitsunfalls vom 29. Oktober 1985 auch eine posttraumatische Belastungsstörung ist, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen, auch der vorgenannten früheren Gerichtsverfahren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtung-, Feststellungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4, § 55 Abs. 1 Nr. 3, § 56 SGG) zulässig. Sie ist aber nicht begründet, da eine posttraumatische Belastungsstörung nicht nachgewiesen ist und auch nicht wegen sonstiger Unfallfolgen eine rentenberechtigende MdE erreicht wird.

Obgleich hier die Gewährung von Rente auch für einen Zeitraum ab Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) im Streit steht, kommen noch die bis 31. Dezember 1996 geltenden Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Anwendung, da das SGB VII nach seinem § 212 nur für Versicherungsfälle nach seinem Inkrafttreten gilt und der Ausnahmefall des § 214 Abs. 3 SGB VII, dass die Rente erstmals nach dem 31. Dezember 1996 festzusetzen war, nicht vorliegt.

Unter "erstmals festzusetzen" ist nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, B 2 U 1/00 R) auch eine Rente ablehnende Entscheidung zu verstehen, sodass es für die Frage der Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts ausschließlich darauf ankommt, ob die erste tatsächliche Entscheidung über die Leistung durch Bescheid - gleich welchen Inhalts und unabhängig vom späteren Schicksal des Bescheids (bestandskräftig oder geändert) - bis zum 31. Dezember 1996 erfolgte (BSG, a.a.O.). Im Ergebnis bedeutet dies (Urteil des Senats vom 29. Juni 2006, L 10 U 3308/03), dass altes Recht jedenfalls dann anwendbar bleibt, wenn unter der Geltung der RVO einmal durch Bescheid entschieden wurde. Dies gilt unabhängig davon, welches Schicksal der Bescheid nahm, ob ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X, ein Verfahren nach § 48 SGB X oder wegen einer Verschlechterung (aber - weil ursprünglich die Leistung versagt wurde - mangels vorliegendem Dauerverwaltungsakt unabhängig von § 48 SGB X) ein "originäres" Verfahren durchgeführt wird und ob sich der geltend gemacht Leistungsanspruch jeweils (auch) auf Zeiträume vor oder ab dem 1. Januar 1997 bezieht (Senatsurteil a.a.O.).

Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Die MdE richtet sich nach dem konkreten Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (BSG, Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 31/02 R; vgl. jetzt: § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Weitergehende, zu einer Erhöhung der MdE führende Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet liegen nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen, auch dem Gutachten von Dr. K. , nicht vor. Die zuletzt mit Bescheid vom 28. Oktober 1996 festgestellten Unfallfolgen sind unverändert. Hiervon geht wohl auch der Kläger nicht (mehr) aus. Daher ist allein die Frage, ob der Unfall zu einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer sonstigen belangvollen nervenärztlichen Gesundheitsbeeinträchtigung geführt hat, von Bedeutung. Diese Frage ist zu verneinen.

Der Senat geht aufgrund der Aussagen der gehörten Zeugen von folgendem Unfallhergang und folgenden (unmittelbaren) Unfallfolgen aus: Beim Transport eines Stapels Schalplatten, jede etwa 2,50 m auf 1,25 m groß und etwa 90 bis 100 kg schwer, löste sich ein Sicherungsbolzen. Es fielen sechs bis acht Schalplatten auf den Kläger, der auf einem Stapel Kanthölzer zum Liegen kam, und bedeckten ihn etwa bis unterhalb der Brust. Der Kläger wurde neben der unstreitigen Verletzung am rechten Bein auch am rechten Arm verletzt. Als der Zeuge M. J. den Stapel Schalplatten mit einer Eckschiene nach etwa 10 bis 20 Minuten hochhob, konnte der Kläger von alleine herausrutschen.

Diese Feststellungen lassen sich auf Grund der Aussagen der Zeugen M. J. und A. H. treffen. Schmerzen an der rechten Hand wurden auch im Durchgangsarztbericht von Dr. Ö. erwähnt. Dabei übersieht der Senat nicht, dass auch auf Grund der langen Zeit seit dem Unfallereignis die Erinnerung der Zeugen unsicher ist und der Zeuge A. H. mit "99 %-iger Sicherheit" glaubt angeben zu können, der Zeuge M. J. sei während des eigentlichen Unfallhergangs gar nicht anwesend gewesen. Der Senat unterstellt hier - zu Gunsten des Klägers - dass sich der Zeuge A. H. insoweit geirrt hat und legt die Angaben des Zeugen J. zu Grunde.

Nicht von den Zeugenaussagen getragen und daher nicht zur Überzeugung des Senats festzustellen ist, dass der Kläger auch bewusstlos war. Die Zeugen haben dies nicht bestätigt. Vielmehr hat der Zeuge J. angegeben, der Kläger habe vor Schmerzen geschrien. Seine weitere Angabe, später sei der Kläger still gewesen, lässt sich nicht als Bewusstlosigkeit des Klägers interpretieren. Denn der Zeuge hat in diesem Zusammenhang und auf die ausdrückliche Frage, ob der Kläger bewusstlos gewesen sei lediglich mitgeteilt, der Kläger habe wohl einen Schock gehabt und starke Schmerzen. Der Zeuge H. hat eine Bewusstlosigkeit des Klägers ausdrücklich verneint. Auch er hat sich an Schmerzäußerungen des Klägers erinnert. Deshalb ist davon auszugehen, dass keine Bewusstlosigkeit eintrat, was mit den ersten Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. T. übereinstimmt.

Die Zeugen haben ebenfalls nicht bestätigen können, dass der Kläger am Kopf verletzt wurde. Der Zeuge J. - anders als der Zeuge H. Augenzeuge des Vorgangs - hat noch nicht einmal bestätigt, dass der Kläger den Kopf anschlug. Hierüber - insbesondere was Verletzungsspuren oder entsprechende Beschwerdeangaben des Klägers anbelangt - findet sich auch nichts im Durchgangsarztbericht vom 29. Oktober 1995.

Angesichts dieser Beweislage sieht der Senat keinen Anlass für die Vernehmung des Zeugen A. D V.(oder D V.), der ebenfalls beim Unfallhergangs anwesend gewesen und heute an einem unbekannten Aufenthaltsort (möglicherweise in I. ) leben soll. Auch der Kläger hat auf diese Vernehmung verzichtet.

Der Verlauf der Erkrankung des Klägers auf nervenärztlichem Fachgebiet stellt sich so dar, dass sich erste Hinweise auf eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung im Juni 1987 zeigten, als sich der Kläger in die Behandlung von Dr. O. begab. In den folgenden zeitnahen ärztlichen Äußerungen wird eine reaktiv-depressive Verstimmung nach Arbeitsunfall erwähnt. An Beschwerden wurden damals innere Unruhe, allgemeine Labilität, depressive Stimmung und Einschränkung der Leistungsfähigkeit festgestellt. Dr. O. hat gegenüber dem Senat (bei ihr fehlenden Originalunterlagen) auf Albträume und Nachhallerinnerungen sowie ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten des Klägers hingewiesen. Diese Befunde sind jedoch erstmals in ärztlichen Bescheinigungen von Anfang der 1990er-Jahre erwähnt und inhaltlich nicht näher ausgestaltet.

Die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung auf Grund des Arbeitsunfalls sind damit nicht erfüllt. Dies ergibt sich aus den ergänzenden gutachtlichen Äußerungen von Prof. Dr. T. , die in Übereinstimmung mit den einschlägigen sozialmedizinischen Äußerungen (vgl. nur Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 229; Fabra, MedSach 2006, 26) stehen. Der gegenteiligen Ansicht von Dr. O. und Dr. S. ist daher nicht zu folgen. Dr. S. hat seine Ansicht nicht in einer der argumentativen Grundlage eines Gutachtens gemäßen Weise begründet. Er hat insbesondere lediglich und ungeprüft die Angaben des Klägers (u.a. eine halbstündige Bewusstlosigkeit, Vorhandensein psychischer Symptome zeitnah nach dem Unfall) sowie die ihm vom Kläger vorgelegten Unterlagen berücksichtigt und damit Tatsachen zu Grunde gelegt, von deren Vorliegen sich der Senat gerade nicht überzeugen kann. Dr. O. hat zwar für ihre Einschätzung die Kriterien des ICD 10 zu Grunde gelegt und bejaht. Sie hat aber auf Nachfrage des Senats die von ihr angenommenen Kriterien der Alpträume, Nachhallerinnerungen und des Vermeidungsverhaltens nicht inhaltlich konkretisieren können, weil die entsprechenden Befundunterlagen nicht mehr vorhanden sind und sie sich an konkrete Einzelheiten nicht mehr erinnern kann. Ihre Beurteilung kann daher mangels konkreter Befunde nicht nachvollzogen werden.

Zwar mag der Kläger das Unfallereignis insbesondere durch das nicht nur kurzzeitige "Eingeklemmtsein" unter den Schalplatten, als schwerwiegender und bedrohlicher empfunden haben, als sich bisher dargestellt hat, so dass der Senat mit Prof. Dr. T. das "Traumakriterium" als eine (von mehreren) Voraussetzungen für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zugunsten des Klägers als erfüllt annimmt.

Nicht nachgewiesen ist jedoch, dass es sich bei den Erinnerungen des Klägers an das Unfallereignis tatsächlich um Nachhallerinnerungen im Sinne der klassischen Symptome einer posttraumatische Belastungsstörung (mit Angstträumen, Tagträumen von außergewöhnlicher Schwere, körperlichen Reaktionen, vgl. Fabra, a. a. O., S. 27) handelte. Aus eigener Erinnerung - schriftliche Unterlagen liegen ihr nicht mehr vor - hat Dr. O. lediglich angeben können, der Kläger habe berichtet, er müsse immer wieder an den Unfall denken. Damit können aber nicht mehr als bloße "einfache" Erinnerungen an den Unfallhergang als nachgewiesen angesehen werden, die - so Prof. Dr. T. zutreffend - die Anforderungen an die für eine posttraumatische Belastungsstörung typischen Nachhallerinnerungen nicht erfüllt.

Auch von einem Vermeidungsverhalten des Klägers ist mangels konkreter Angaben von Dr. O. und sonstiger Anhaltspunkte nicht auszugehen. Dass der Kläger, wie Dr. O. erinnerlich ist, nach eigenen Angaben sehr zurückgezogen lebte und keine Aktivitäten entwickelte, ist zu unspezifisch, um diesen Befund bejahen zu können. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht unabdingbar, sondern - wie Prof. Dr. T. ausgeführt hat - lediglich häufig bei Probanden mit posttraumatischem Belastungssyndrom zu beobachten. Als widersprüchlich kann diese Einschätzung vom Senat im Gegensatz zum Kläger nicht gesehen werden. Da es an dem Kriterium im Fall des Klägers fehlt, spricht dies aber zumindest nicht für ein posttraumatisches Belastungssyndrom.

Insbesondere fehlt es aber an einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Die posttraumatische Belastungsstörung folgt dem Trauma regelmäßig unmittelbar, selten mit einer Latenz bis zu sechs Monaten (so Prof. Dr. T. , vgl. auch Schönberger/Mertens/Valentin, a. a. O.). Der Kläger begab sich jedoch erst nach einer Zeit von rund 20 Monate in nervenärztliche Behandlung. In sämtlichen ärztlichen Berichten zuvor sind an keiner Stelle psychische Auffälligkeiten beschrieben. Die ursprünglich und sogar noch bis Anfang der 1990er-Jahre gestellten Diagnosen von Dr. O. weisen im Übrigen gerade nicht auf eine posttraumatische Belastungsreaktion, sondern lediglich auf eine depressive Verstimmung hin.

Einer persönlichen Vernehmung von Dr. O. bedarf es nicht, nachdem sie selbst keine Originalbefunde mehr hat, sie sich schriftlich als sachverständige Zeugin geäußert und dabei ausdrücklich erklärt hat, sie könne mangels Unterlagen und Erinnerung keine weiteren Einzelheiten darlegen.

Aus dem Vorbringen von B. H. , Dolmetscherin und Vertraute des Klägers, vermag der Senat in Übereinstimmung mit Prof. Dr. T. keine für die hier zu entscheidende Frage wesentlichen Gesichtspunkte ersehen.

Wie Prof. Dr. T. sieht der Senat auch keinen wesentlichen Zusammenhang des Unfallereignisses mit der beim Kläger vorhandenen leicht- bis mittelgradigen depressiven Störung, nachdem erhebliche, in der Abwägung überwiegende Konkurrenzursachen (Arbeitslosigkeit, soziale Entwurzelung, mangelhafte Sprachkenntnisse, Verlust von Bezugspersonen) vorliegen. Zwar hat der Kläger bereits gegenüber dem SG die entsprechenden, von Prof. Dr. T. im Rahmen der Anamnese erhobenen Umstände versucht zu relativieren, doch hat der Sachverständige in Kenntnis dieser Einwände die Richtigkeit seiner Darstellung als Ergebnis der Angaben des Klägers im Rahmen der Exploration bestätigt. Auch wenn die Ehe des Klägers intakt ist und familiäre Probleme nicht bestehen, steht doch fest, dass die Familie des Klägers in K. lebt. Auch wenn die Ehefrau des Klägers regelmäßig zu Besuch kommt, befindet sich der Kläger mangels anderer sozialer Kontakte und wegen fehlender Kenntnis der deutschen Sprache in einer sozialen Isolation. Diesen Umstand hat Prof. Dr. T. in seine Beurteilung einbezogen und hierauf die depressive Störung zurückgeführt. Der Senat hält dies für überzeugend.

Da das Sozialgericht somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, ist auch die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved