Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 5 AS 270/05
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 8/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Das Schulgeld für den Besuch einer Waldorfschule gehört nicht zum Bedarf, der aus der Regelleistung sicherzustellen ist.
2.
Eine analoge Anwendung der Vorschriften des SGB XII kommt nicht in Betracht.
Das Schulgeld für den Besuch einer Waldorfschule gehört nicht zum Bedarf, der aus der Regelleistung sicherzustellen ist.
2.
Eine analoge Anwendung der Vorschriften des SGB XII kommt nicht in Betracht.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. September 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Der PKH-Antrag wird mangels Erfolgsaussichten abgewiesen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Übernahme von Sozialbeiträgen zum Schulgeld für den Besuch einer Waldorfschule.
Die 1990 geborene Klägerin zu 1) und der 1992 geborene Kläger zu 2) sind Halbwaisen und beziehen gemeinsam mit ihrer Mutter (Klägerin zu 3) seit dem 1. Januar 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Die Kläger wohnen in A. Die Kläger zu 1) und 2) besuchten seit Beginn ihrer Schulpflicht die R S Schule H-W. Hierfür hatten sie seit Januar 2005 einen Sozialbeitrag zum Schulgeld in Höhe von insgesamt 60,- Euro zu entrichten. Die Klägerin zu 1) wechselte im August 2006 auf eine staatliche Realschule. Der Kläger zu 2) ist weiterhin Schüler der Waldorfschule und strebt dort die Hochschulreife an. An der Höhe des Sozialbeitrags hat sich durch den Schulwechsel der Klägerin zu 1) nichts geändert.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2005 beantragte die Klägerin zu 3) die Übernahme des Sozialbeitrags zum Schulgeld in Höhe von 60,- Euro monatlich. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Februar 2005 (Widerspruchsbescheid vom 14. März 2005) ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Der jährliche Sozialbeitrag in Höhe von 60,- Euro sei durch die monatlichen Regelleistungen abgedeckt. Die Regelleistungen umfassten auch die Bedarfe für Sonstiges in Höhe von ca. 6 %. Es sei den Klägern daher zuzumuten, den Betrag hieraus zu bestreiten. Bei dem Sozialbeitrag handele es sich auch nicht um einen unabweisbaren Bedarf, der gemäß § 23 Abs. 1 SGB II in Form eines entsprechenden Darlehens gewährt werden könne. Die Kläger hätten die Möglichkeit, den jährlichen Beitrag aus den monatlichen Regelleistungen anzusparen.
Hiergegen haben die Kläger am 20. Mai 2005 Klage bei dem Sozialgericht Schleswig erhoben und gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) bei der Beklagten gestellt. Zur Begründung haben die Kläger geltend gemacht: Der Sozialbeitrag zum Schulgeld sei kein Jahresbeitrag. Es handele sich um vermindertes Schulgeld, das monatlich zu entrichten sei. Ein unabweisbarer Bedarf sei gegeben. Es sei ihnen nicht zumutbar, die vor acht bzw. sechs Jahren eingeschlagene Schullaufbahn abzubrechen. Wenn sie aus ihrem gewohnten Schulsystem und stabilen sozialen Gefüge herausgerissen würden, seien die psychosozialen Folgen nicht absehbar. Der Anspruch auf Übernahme des Sozialbeitrags folge aus § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Regelsatz nach dem SGB II umfasse nicht Ausgaben im Bereich des Bildungswesens. Es sei nicht zumutbar, dass die Kosten für Bildung zu Lasten der für andere Zwecke in den Regelsatz eingestellten Verbrauchsausgaben bestritten werden sollten. Das SGB XII enthalte eine Öffnungsklausel, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweislich seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Diesbezüglich bestehe im SGB II eine Regelungslücke.
Die Kläger haben beantragt:
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2005 zu verurteilen, ihnen als Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende Einzelbeihilfen für Schulgeld in Höhe von monatlich jeweils 60,00 Euro zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen. Der Umstand, dass die Sozialbeiträge monatlich zu entrichten seien, führe zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. September 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für den geltend gemachten Sozialbeitrag gebe es keine Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift des § 28 SGB II regle den Anspruch auf Sozialgeld im Rahmen des Systems der bedarfsdeckenden Grundsicherung abschließend. Von dieser Leistung seien grundsätzlich alle Bedarfe des täglichen Lebens abgedeckt. Hieraus müsse deshalb grundsätzlich auch das an die Waldorfschule zu entrichtende geminderte Schulgeld gezahlt werden. Zwar übersteige der monatlich zu entrichtende Sozialbeitrag den auf sonstige Bedarfe entfallenden Anteil an der Regelleistung in Höhe von 6 %. Ein Anspruch auf Gewährung von Einzelbeihilfen sei vorliegend jedoch nicht gegeben. Der Gesetzgeber habe diese in § 23 Abs. 3 SGB II nur in einem sehr begrenzten Umfange vorgesehen. Der Sozialbeitrag zum Schulgeld gehöre nicht zu den ausnahmsweise nicht von der Regelleistung umfassten und deshalb gesondert zu erbringenden Leistungen. Eine über den unmittelbaren Sinnzusammenhang hinausgehende erweiternde Auslegung der Vorschrift des § 23 Abs. 3 SGB II komme nicht in Betracht. Sie würde das vom Gesetzgeber gewollte System einer bedarfsorientierten Grundsicherung mit Gewährung starrer, grundsätzlich alle Bedarfe umfassender Regelsätze sprengen. Dieses System begegne im streitbefangenen Umfang auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sei daher nicht geboten, die die abweichende Festlegung von Bedarfen betreffende Vorschrift des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII im Wege der verfassungskonformen erweiternden Auslegung in das System des SGB II hinein zu interpretieren. Der Bedarf an schulischer Bildung könne vielmehr auch durch den Besuch staatlicher Regelschulen umfassend gedeckt werden, für die ein Schulgeld nicht zu entrichten sei. Die Härte eines Schulwechsels wiege nicht so schwer, dass sie außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos liege und deshalb von Verfassungs wegen eine Abkehr vom System der grundsätzlich alle Bedarfe umfassenden Regelleistung erforderlich mache.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer am 7. Dezember 2005 bei dem Sozialgericht eingegangenen Berufung. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie berufen sich insbesondere auf das verfassungsrechtlich geschützte Wahlrecht der Eltern und Kinder zwischen verschiedenen Schulformen und leiten hieraus ab, dass die §§ 23, 28 SGB II als Anspruchsgrundlagen verfassungskonform erweiternd dahingehend auszulegen seien, dass die Übernahme von Schulgeld für private Bildungseinrichtungen geboten sei. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung sei auch zu berücksichtigen, dass Art. 7 Abs. 4 Grundgesetz (GG) dem Schutz der Privatschulen diene.
Die Kläger beantragen:
1. das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2005 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, den Klägern zu 1) und 2) Einzelbeihilfen für Schulgeld in Höhe von monatlich 60,00 Euro als Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu gewähren, 3. hilfsweise, diese Leistungen als Darlehen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass sich die geltend gemachten Ansprüche der Kläger nicht aus dem SGB II herleiten lassen.
Die Kläger zu 1) und 2) können ihren Anspruch nicht auf § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II stützen. Das Schulgeld für private Schulen wird vom Sozialgeld nicht umfasst.
Nach § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch haben. Das Sozialgeld umfasst die sich aus § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II ergebenden Leistungen. Hierbei handelt es sich um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben (§ 20 Abs. 1 SGB II). Hieraus folgt, dass die durch § 20 SGB II gewährten Regelleistungen grundsätzlich nur der Deckung des ohne die Besonderheit des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehenden Bedarfs dienen (BVerwG, Urteil vom 22. August 1995, SGB 1995, 587 ff.; SG Berlin, Beschluss vom 30. März 2006 - S 34 AS 1840/06 ER, veröffentlicht in juris).
Diese Voraussetzungen liegen beim Schulgeld für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung nicht vor.
Der Bedarf an Schulbildung wird durch öffentliche Regelschulen ausreichend gedeckt.
Mit der Einrichtung der öffentlichen Regelschulen kommt der Staat seinem Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG nach, der u.a. darin besteht, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet und den verschiedenen Begabungsrichtungen Raum zur Entfaltung lässt (vg. BVerfGE 34, 182, 184). In Schleswig-Holstein ist - wie in allen Bundesländern - der Unterricht an den öffentlichen Schulen unentgeltlich. Die Schulgeldfreiheit für öffentliche Schulen ist ebenso wie die Einrichtung der öffentlichen Regelschulen auch eine Konkretisierung des Sozial-
staatsgebots des GG (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG). Sie stellt in Verbindung mit der Schulpflicht eine Leistung der staatlichen Daseinsvorsorge dar, die jedermann ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage zu Gute kommen soll und den Personenkreis einschließt, dem nach dem SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren ist. Für einen Rechtsanspruch gegen den Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer privaten Schule ist daher grundsätzlich kein Raum mehr. Die gesetzgeberische Gewährleistung der Schulgeldfreiheit an öffentlichen Regelschulen wirkt im Verhältnis zu den Vorschriften über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Sonderregelung, die in aller Regel einen anzuerkennenden Bedarf für die Übernahme von Schulgeld im Rahmen des notwendigen Lebensunterhalts nicht entstehen lässt (vgl. zum früher geltenden Recht nach dem BSHG Urteil des BVerwG vom 13. August 1992 - 5 C 70/88, veröffentlicht in juris).
Der geltend gemachte Bedarf der Kläger zu 1) und 2) lässt sich auch weder unmittelbar noch mittelbar aus dem elterlichen Grundrecht auf Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) oder der verfassungsrechtlich gewährleisteten Privatschulfreiheit (Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG) herleiten.
Den Klägern ist zwar einzuräumen, dass das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich die freie Wahl zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten und zugelassenen Schulformen einschließt. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Abwehrrecht gegen staatliche Maßnahmen, die beeinträchtigend in den grundrechtlich geschützten Bereich der Erziehung hineinwirken. Ob über dieses individuelle Abwehrrecht hinaus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG für sich allein oder in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip Ausgangspunkt für einen Leistungsanspruch auf finanzielle Unterstützung bei der Ausübung des Erziehungsrechts sein kann, kann offen bleiben. Denn in Gestalt der Schulgeldfreiheit an öffentlichen Regelschulen besteht bereits eine das Sozialstaatsgebot konkretisierende und die Chancengleichheit im Bildungswesen fördernde Leistung des Staates, die von laufenden Kosten des Schulbesuchs im täglichen Leben entlastet und auf diese Weise Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass das Grundgesetz darüber hinaus der elterlichen Entscheidung für Lehrinhalte und Bildungsziele außerhalb der öffentlichen Regelschule die existentielle Bedeutung einräumt, die es rechtfertigen könnte, dieses Erziehungsbedürfnis als Bestandteil der Grundsicherung für Arbeitssuchende anzuerkennen (vgl. zum früheren Recht der Sozialhilfe Urteil des BVerwG vom 13. August 1992 - 5 C 70/88 -, a.a.O.)
Entgegen der Auffassung der Kläger können die verfolgten Ansprüche auch nicht mit der Privatschulfreiheit aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG begründet werden. Diese Bestimmung legt dem Staat zwar die Pflicht auf, das private Ersatzschulwesen zu schützen (BVerfGE 75, 40). Diese Schutzpflicht findet jedoch ihren Grund in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Privatschulwesens, also in der Förderung individueller Freiheit der Ersatzschulträger, nicht aber in dem Recht der Eltern, für ihre Kinder eine private Ersatzschule zu wählen. Ein Leistungsanspruch ist auch nicht mittelbar über die aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates im Wege der Auslegung des § 20 SGB II zu begründen. Gegenstand der den Gesetzgeber treffenden Schutzpflicht ist der Bestand des Ersatzschulwesens als Institution und nicht der einzelne Hilfebedürftige, der diese Institution besucht. Die Schutzpflicht aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG kann daher nicht als Maßstab für den Umfang der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 20 SGB II herangezogen werden, deren Schutzsubjekt der Hilfebedürftige ist.
§ 20 SGB II erlaubt - anders als § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG bis zum 31. Dezember 2004 und § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII- keine von den Regelsätzen abweichende Bemessung der laufenden Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls. Eine Öffnungsklausel in Bezug auf die individuelle Bedarfssituation ist nicht vorgesehen. Sie lässt sich deshalb auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 SGB XII herleiten.
Es fehlt die erforderliche unbeabsichtigte Regelungslücke, die im Wege der Rechtsfortbildung oder der verfassungskonformen Auslegung zu Gunsten der Kläger zu 1) und 2) geschlossen werden könnte. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers schließt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 SG
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Übernahme von Sozialbeiträgen zum Schulgeld für den Besuch einer Waldorfschule.
Die 1990 geborene Klägerin zu 1) und der 1992 geborene Kläger zu 2) sind Halbwaisen und beziehen gemeinsam mit ihrer Mutter (Klägerin zu 3) seit dem 1. Januar 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Die Kläger wohnen in A. Die Kläger zu 1) und 2) besuchten seit Beginn ihrer Schulpflicht die R S Schule H-W. Hierfür hatten sie seit Januar 2005 einen Sozialbeitrag zum Schulgeld in Höhe von insgesamt 60,- Euro zu entrichten. Die Klägerin zu 1) wechselte im August 2006 auf eine staatliche Realschule. Der Kläger zu 2) ist weiterhin Schüler der Waldorfschule und strebt dort die Hochschulreife an. An der Höhe des Sozialbeitrags hat sich durch den Schulwechsel der Klägerin zu 1) nichts geändert.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2005 beantragte die Klägerin zu 3) die Übernahme des Sozialbeitrags zum Schulgeld in Höhe von 60,- Euro monatlich. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Februar 2005 (Widerspruchsbescheid vom 14. März 2005) ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Der jährliche Sozialbeitrag in Höhe von 60,- Euro sei durch die monatlichen Regelleistungen abgedeckt. Die Regelleistungen umfassten auch die Bedarfe für Sonstiges in Höhe von ca. 6 %. Es sei den Klägern daher zuzumuten, den Betrag hieraus zu bestreiten. Bei dem Sozialbeitrag handele es sich auch nicht um einen unabweisbaren Bedarf, der gemäß § 23 Abs. 1 SGB II in Form eines entsprechenden Darlehens gewährt werden könne. Die Kläger hätten die Möglichkeit, den jährlichen Beitrag aus den monatlichen Regelleistungen anzusparen.
Hiergegen haben die Kläger am 20. Mai 2005 Klage bei dem Sozialgericht Schleswig erhoben und gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) bei der Beklagten gestellt. Zur Begründung haben die Kläger geltend gemacht: Der Sozialbeitrag zum Schulgeld sei kein Jahresbeitrag. Es handele sich um vermindertes Schulgeld, das monatlich zu entrichten sei. Ein unabweisbarer Bedarf sei gegeben. Es sei ihnen nicht zumutbar, die vor acht bzw. sechs Jahren eingeschlagene Schullaufbahn abzubrechen. Wenn sie aus ihrem gewohnten Schulsystem und stabilen sozialen Gefüge herausgerissen würden, seien die psychosozialen Folgen nicht absehbar. Der Anspruch auf Übernahme des Sozialbeitrags folge aus § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Regelsatz nach dem SGB II umfasse nicht Ausgaben im Bereich des Bildungswesens. Es sei nicht zumutbar, dass die Kosten für Bildung zu Lasten der für andere Zwecke in den Regelsatz eingestellten Verbrauchsausgaben bestritten werden sollten. Das SGB XII enthalte eine Öffnungsklausel, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweislich seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Diesbezüglich bestehe im SGB II eine Regelungslücke.
Die Kläger haben beantragt:
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2005 zu verurteilen, ihnen als Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende Einzelbeihilfen für Schulgeld in Höhe von monatlich jeweils 60,00 Euro zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen. Der Umstand, dass die Sozialbeiträge monatlich zu entrichten seien, führe zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. September 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für den geltend gemachten Sozialbeitrag gebe es keine Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift des § 28 SGB II regle den Anspruch auf Sozialgeld im Rahmen des Systems der bedarfsdeckenden Grundsicherung abschließend. Von dieser Leistung seien grundsätzlich alle Bedarfe des täglichen Lebens abgedeckt. Hieraus müsse deshalb grundsätzlich auch das an die Waldorfschule zu entrichtende geminderte Schulgeld gezahlt werden. Zwar übersteige der monatlich zu entrichtende Sozialbeitrag den auf sonstige Bedarfe entfallenden Anteil an der Regelleistung in Höhe von 6 %. Ein Anspruch auf Gewährung von Einzelbeihilfen sei vorliegend jedoch nicht gegeben. Der Gesetzgeber habe diese in § 23 Abs. 3 SGB II nur in einem sehr begrenzten Umfange vorgesehen. Der Sozialbeitrag zum Schulgeld gehöre nicht zu den ausnahmsweise nicht von der Regelleistung umfassten und deshalb gesondert zu erbringenden Leistungen. Eine über den unmittelbaren Sinnzusammenhang hinausgehende erweiternde Auslegung der Vorschrift des § 23 Abs. 3 SGB II komme nicht in Betracht. Sie würde das vom Gesetzgeber gewollte System einer bedarfsorientierten Grundsicherung mit Gewährung starrer, grundsätzlich alle Bedarfe umfassender Regelsätze sprengen. Dieses System begegne im streitbefangenen Umfang auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sei daher nicht geboten, die die abweichende Festlegung von Bedarfen betreffende Vorschrift des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII im Wege der verfassungskonformen erweiternden Auslegung in das System des SGB II hinein zu interpretieren. Der Bedarf an schulischer Bildung könne vielmehr auch durch den Besuch staatlicher Regelschulen umfassend gedeckt werden, für die ein Schulgeld nicht zu entrichten sei. Die Härte eines Schulwechsels wiege nicht so schwer, dass sie außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos liege und deshalb von Verfassungs wegen eine Abkehr vom System der grundsätzlich alle Bedarfe umfassenden Regelleistung erforderlich mache.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer am 7. Dezember 2005 bei dem Sozialgericht eingegangenen Berufung. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie berufen sich insbesondere auf das verfassungsrechtlich geschützte Wahlrecht der Eltern und Kinder zwischen verschiedenen Schulformen und leiten hieraus ab, dass die §§ 23, 28 SGB II als Anspruchsgrundlagen verfassungskonform erweiternd dahingehend auszulegen seien, dass die Übernahme von Schulgeld für private Bildungseinrichtungen geboten sei. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung sei auch zu berücksichtigen, dass Art. 7 Abs. 4 Grundgesetz (GG) dem Schutz der Privatschulen diene.
Die Kläger beantragen:
1. das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2005 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, den Klägern zu 1) und 2) Einzelbeihilfen für Schulgeld in Höhe von monatlich 60,00 Euro als Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu gewähren, 3. hilfsweise, diese Leistungen als Darlehen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass sich die geltend gemachten Ansprüche der Kläger nicht aus dem SGB II herleiten lassen.
Die Kläger zu 1) und 2) können ihren Anspruch nicht auf § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II stützen. Das Schulgeld für private Schulen wird vom Sozialgeld nicht umfasst.
Nach § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch haben. Das Sozialgeld umfasst die sich aus § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II ergebenden Leistungen. Hierbei handelt es sich um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben (§ 20 Abs. 1 SGB II). Hieraus folgt, dass die durch § 20 SGB II gewährten Regelleistungen grundsätzlich nur der Deckung des ohne die Besonderheit des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehenden Bedarfs dienen (BVerwG, Urteil vom 22. August 1995, SGB 1995, 587 ff.; SG Berlin, Beschluss vom 30. März 2006 - S 34 AS 1840/06 ER, veröffentlicht in juris).
Diese Voraussetzungen liegen beim Schulgeld für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung nicht vor.
Der Bedarf an Schulbildung wird durch öffentliche Regelschulen ausreichend gedeckt.
Mit der Einrichtung der öffentlichen Regelschulen kommt der Staat seinem Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG nach, der u.a. darin besteht, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet und den verschiedenen Begabungsrichtungen Raum zur Entfaltung lässt (vg. BVerfGE 34, 182, 184). In Schleswig-Holstein ist - wie in allen Bundesländern - der Unterricht an den öffentlichen Schulen unentgeltlich. Die Schulgeldfreiheit für öffentliche Schulen ist ebenso wie die Einrichtung der öffentlichen Regelschulen auch eine Konkretisierung des Sozial-
staatsgebots des GG (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG). Sie stellt in Verbindung mit der Schulpflicht eine Leistung der staatlichen Daseinsvorsorge dar, die jedermann ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage zu Gute kommen soll und den Personenkreis einschließt, dem nach dem SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren ist. Für einen Rechtsanspruch gegen den Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer privaten Schule ist daher grundsätzlich kein Raum mehr. Die gesetzgeberische Gewährleistung der Schulgeldfreiheit an öffentlichen Regelschulen wirkt im Verhältnis zu den Vorschriften über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Sonderregelung, die in aller Regel einen anzuerkennenden Bedarf für die Übernahme von Schulgeld im Rahmen des notwendigen Lebensunterhalts nicht entstehen lässt (vgl. zum früher geltenden Recht nach dem BSHG Urteil des BVerwG vom 13. August 1992 - 5 C 70/88, veröffentlicht in juris).
Der geltend gemachte Bedarf der Kläger zu 1) und 2) lässt sich auch weder unmittelbar noch mittelbar aus dem elterlichen Grundrecht auf Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) oder der verfassungsrechtlich gewährleisteten Privatschulfreiheit (Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG) herleiten.
Den Klägern ist zwar einzuräumen, dass das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich die freie Wahl zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten und zugelassenen Schulformen einschließt. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Abwehrrecht gegen staatliche Maßnahmen, die beeinträchtigend in den grundrechtlich geschützten Bereich der Erziehung hineinwirken. Ob über dieses individuelle Abwehrrecht hinaus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG für sich allein oder in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip Ausgangspunkt für einen Leistungsanspruch auf finanzielle Unterstützung bei der Ausübung des Erziehungsrechts sein kann, kann offen bleiben. Denn in Gestalt der Schulgeldfreiheit an öffentlichen Regelschulen besteht bereits eine das Sozialstaatsgebot konkretisierende und die Chancengleichheit im Bildungswesen fördernde Leistung des Staates, die von laufenden Kosten des Schulbesuchs im täglichen Leben entlastet und auf diese Weise Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass das Grundgesetz darüber hinaus der elterlichen Entscheidung für Lehrinhalte und Bildungsziele außerhalb der öffentlichen Regelschule die existentielle Bedeutung einräumt, die es rechtfertigen könnte, dieses Erziehungsbedürfnis als Bestandteil der Grundsicherung für Arbeitssuchende anzuerkennen (vgl. zum früheren Recht der Sozialhilfe Urteil des BVerwG vom 13. August 1992 - 5 C 70/88 -, a.a.O.)
Entgegen der Auffassung der Kläger können die verfolgten Ansprüche auch nicht mit der Privatschulfreiheit aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG begründet werden. Diese Bestimmung legt dem Staat zwar die Pflicht auf, das private Ersatzschulwesen zu schützen (BVerfGE 75, 40). Diese Schutzpflicht findet jedoch ihren Grund in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Privatschulwesens, also in der Förderung individueller Freiheit der Ersatzschulträger, nicht aber in dem Recht der Eltern, für ihre Kinder eine private Ersatzschule zu wählen. Ein Leistungsanspruch ist auch nicht mittelbar über die aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates im Wege der Auslegung des § 20 SGB II zu begründen. Gegenstand der den Gesetzgeber treffenden Schutzpflicht ist der Bestand des Ersatzschulwesens als Institution und nicht der einzelne Hilfebedürftige, der diese Institution besucht. Die Schutzpflicht aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG kann daher nicht als Maßstab für den Umfang der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 20 SGB II herangezogen werden, deren Schutzsubjekt der Hilfebedürftige ist.
§ 20 SGB II erlaubt - anders als § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG bis zum 31. Dezember 2004 und § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII- keine von den Regelsätzen abweichende Bemessung der laufenden Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls. Eine Öffnungsklausel in Bezug auf die individuelle Bedarfssituation ist nicht vorgesehen. Sie lässt sich deshalb auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 SGB XII herleiten.
Es fehlt die erforderliche unbeabsichtigte Regelungslücke, die im Wege der Rechtsfortbildung oder der verfassungskonformen Auslegung zu Gunsten der Kläger zu 1) und 2) geschlossen werden könnte. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers schließt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 SG
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