Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 180/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 63/06 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Es wird festgestellt, dass das Sozialgericht Düsseldorf die Antragsgegnerin zu Recht mit Beschluss vom 16. August 2006 verpflichtet hat, die Kosten für eine Monatspackung "Mutaflor 100 mg KMR 100" zu übernehmen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu einem Sechstel.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (ASt.) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung der Antragsgegnerin (AG’in) zur Übernahme der Kosten des von der behandelnden Ärztin Frau Dr. C auf Privatrezept verordneten, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels "Mutaflor".
Der am 00.00.1976 geborene, arbeitslose ASt. bezieht laufende Leistungen zu seinem Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er ist bei der AG’in pflichtversichert. Seit Jahren leidet er an einem Atopie-Syndrom mit polyvalenten Typ-1-Sensibilisierungen und nachgewiesener Nahrungsmittelallergie, zudem unter einer Anorexia nervosa mit wiederholten Phasen massiven Gewichtsverlustes, Durchfällen, Bauchschmerzen, Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen sowie zwischenzeitlich Schwächeanfällen, die in den letzten Jahren wiederholt zu stationären Aufnahmen geführt haben.
Erstmals im Januar 2004 bemühte er sich bei der AG’in und in der Folgezeit wiederholt erfolglos unter Vorlage von Verordnungen und Attesten der behandelnden Ärzte Dres. C und I um die Übernahme der Kosten für das verordnete Medikament. Zur Begründung verwiesen diese darauf, dass wegen der jahrelang nur sehr unzureichenden und unausgewogenen Ernährung von einer gestörten Darmflora auszugehen sei, die sich unter der seit Anfang November 2003 begonnenen, zu diesem Zeitpunkt noch rezeptierbaren Behandlung mit "Mutaflor" allmählich regenerniere. Der ASt. beginne an Körpergewicht zuzunehmen; sein Allgemeinzustand werde besser. Eine Sanierung der Darmflora mittels "Mutaflor" über einen Zeitraum von sechs Monaten sei ratsam.
Die AG’in lehnte den entsprechenden Antrag des ASt. mit Bescheid vom 17.11.2004 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass es in den Arzneimittel-Richtlinien (AMR) eine Ausnahmeregelung zu dem in "Mutaflor" enthaltenen Wirkstoff (Bakterienstamm E. coli Stamm Nissle 1917) gebe, und zwar zur Behandlung einer Colitis ulcerosa in der Remissionsphase bei Unverträglichkeit von "Mesalazin". Diese Indikation sei bei dem ASt. offensichtlich nicht gegeben. Die Voraussetzungen für eine Verordnung und daran anknüpfend für eine Kostenübernahme (KÜ) lägen daher nicht vor. Bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf ist diesbezüglich ein Hauptsacheverfahren anhängig (Az.: S 8 KR 3/05), im Rahmen dessen das erforderliche Vorverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Im ersten Quartal des Jahres 2005 hatte der ASt. bereits ein einstweiliges Anordnungsverfahren beim SG Düsseldorf und Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) erfolglos durchgeführt (Az.: S 8 KR 2/05 ER, SG Düsseldorf; L 2 B 27/05 KR ER, LSG NRW). Dieses Verfahren hatte sich jedoch auf die Übernahme von Kosten für die Versorgung mit "Mutaflor" für einen vollständig in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezogen, in dem die AG in dem ASt. das Arzneimittel übergangsweise zur Verfügung gestellt hatte. Auf entsprechenden richterlichen Hinweis hatte der ASt. die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des SG zurückgenommen.
Im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98, Sozialrecht -SozR- 4-2500 § 27 Nr. 5) und unter Berücksichtigung des weiterhin andauernden Hauptsacheverfahrens hat er im Juni 2006 erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die privatärztliche Verordnung der praktischen Ärztin Dr. C vom 02.08.2006 über "Mutaflor 100 mg KMR 100" vorgelegt. Zur Begründung hat der ASt. geltend gemacht, dieses Arzneimittel sei in der Vergangenheit von zwei ambulant behandelnden Ärzten (Dres. C und I) und im Rahmen von zwei stationären Behandlungen im Interdisziplinären Therapiezentrum PsoriSol und im Klinikum M verordnet worden und stelle die einzige und alternativlose Möglichkeit zur Behandlung der zerstörten Darmflora dar. Aufgrund der bis zur Änderung der Gesetzeslage zum 01.01.2004 möglichen Verordnung von "Mutaflor" sei es zu einer Gewichtszunahme von 63 kg auf 72 kg und einer Besserung seines Gesundheitszustandes gekommen. Infolge der Unterbrechung der Therapie habe sich wiederum eine schwerwiegende Krankheitssituation entwickelt mit einer drohenden Auslösung von Magersucht. Er wiege wiederum nur noch 60 kg bei 188 cm Körpergröße. Als Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sei er nicht in der Lage, den Kostenaufwand in Höhe von ca. 90 EUR monatlich für das Medikament aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Bereits in der Vergangenheit habe er anderen notwendigen alltäglichen Zahlungsverpflichtungen, wie z. B. der Begleichung der Telefonrechnung, nicht nachkommen können. Die Zahlung höherer Leistungen zur Finanzierung der Arzneimittel sei abgelehnt worden. "Mutaflor" habe er deshalb allenfalls sporadisch und in großen Abständen beschaffen können. Auch das von ihm selbst finanzierte, ebenfalls nicht verschreibungspflichtige Medikament "Pentatop", ein Medikament zur Behandlung von Allergien, habe lediglich eine weitere Gewichtsabnahme stoppen, jedoch nicht zu einer Besserung des Gesundheitszustandes führen können. Dieses Medikament müsse zudem dauerhaft eingenommen werden, "Mutaflor" dagegen nur über einen bestimmten Zeitraum. Mit "Mutaflor" solle die Darmflora wieder aufgebaut und damit eine breitere Nahrungsmittelverträglichkeit erreicht werden, ohne dass weiterhin ein Antiallergikum eingenommen werden müsse. Von einem Therapieversuch mit "Mesalazin" hätten die behandelnden Ärzte Dres. I abgeraten. Es stehe ihm auch unter Berücksichtigung der AMR ein Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament "Mutaflor" zu, da diese unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes lediglich einen Missbrauch hätten ausschließen sollen. Die Versorgung mit "Mutaflor" sei jedoch dringend erforderlich. Sein Allgemeinzustand habe sich derart verschlechtert, dass er zumeist bettlägerig sei und wegen der ständigen Durchfälle kaum das Haus verlassen könne.
Der ASt. hat schriftsätzlich beantragt,
die AG in zu verpflichten, die Kosten für das Medikament "Mutaflor" zur Behandlung einer Nahrungsmittelunverträglichkeit bzw. symptomatischen Nahrungsmittelallergie (begleitet von einer anorexia nervosa) zu übernehmen.
Die AG’in hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung hat sie auf den ihrer Auffassung nach zutreffenden angefochtenen Bescheid Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Ein Anspruch auf KÜ für "Mutaflor" bestehe unter Berücksichtigung der maßgeblichen AMR nicht. Die behandelnden Ärzte hätten zu prüfen, ob nicht unter Berücksichtigung der in den AMR formulierten Ausnahmen - Punkt 16.1. bis 16.9. - eine vertragsärztliche Verordnung des Medikaments erfolgen sollte. Darüber hinaus stünden nach den Ausführungen des Dr. I andere begleitende Maßnahmen wie Ernährungsberatung und Psychotherapie zur Verfügung, die der ASt. jedoch nicht in Anspruch genommen habe. Im Hinblick auf die seltenen Konsultationen der behandelnden Ärzte sei eine besondere Eilbedürftigkeit nicht nachvollziehbar.
Mit Beschluss vom 16.08.2006 hat SG die AG in verpflichtet, vorläufig die Kosten für eine Packung "Mutaflor 100 mg KMR 100" gegen Vorlage der Originalverordnung zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen darauf abgestellt, dass bezüglich der Versorgung des ASt. mit "Mutaflor" unter Berücksichtigung der Bescheinigungen der Dres. C und I ein Anordnungsgrund gegeben sei. Auf die Beendigung des sich voraussichtlich noch über längere Zeit hinziehenden Hauptsacheverfahrens könne der ASt. nicht verwiesen werden. Ohne Einnahme von "Mutaflor" erscheine eine dringend erforderliche zeitnahe Gewichtszunahme und zumindest Linderung der angegebenen Beschwerden einschließlich der angegebenen Schwächeanfälle ausgeschlossen. Darüber hinaus drohe ohne die Einnahme des weiteren Arzneimittels "Pentatop", das der ASt. in unregelmäßigen Abständen unter Inkaufnahme von entstehenden Schulden selbst finanziere, ein weiterer bedrohlicher Gewichtsverlust. Ausweislich der in den Vorprozessen vorgelegten Unterlagen über seinen Bezug von Leistungen nach dem SGB II sei der Vortrag, das Arzneimittel nicht selber finanzieren zu können, glaubhaft.
Es sei auch ein Anordnungsanspruch gegeben. Dem ASt. stehe ein Anspruch auf Versorgung mit medizinisch notwendigen Medikamenten gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) zu.
Der Anspruch sei nicht gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen, sondern vielmehr gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 i. V. m. den AMR gegeben. Denn bei dem Medikament "Mutaflor" handele es sich um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelte. Die bei dem ASt. vorliegende Nahrungsmittelunverträglichkeit, die zu Durchfällen mit Gewichtsverlust, Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen führe, stelle eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende und damit schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V sowie der AMR dar. Dies ergebe sich vorliegend insbesondere daraus, dass nach den AMR ein Ausnahmefall auch bei einer Colitis ulcerosa in der Remissionsphase gegeben sei. Die Behandlung der Nahrungsmittelunverträglichkeit bzw. der Durchfälle mittels "Mutaflor" entspreche auch dem Therapiestandard; denn dem ASt. sei das Medikament übereinstimmend von mindestens vier Ärzten verordnet, verabreicht bzw. empfohlen worden, und zwar zweimal ambulant, zweimal stationär. Jedenfalls stelle diese Behandlung unter Berücksichtigung der mehrfachen ärztlichen Empfehlungen und der vom ASt. glaubhaft geschilderten und von Dr. C mit Attest vom 06.01.2004 bestätigten tatsächlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes in der Vergangenheit keine bloß entfernt liegende Heilungsmöglichkeit dar.
Auch wenn die AMR die Verschreibung von "Mutaflor" zur Behandlung von Durchfällen aufgrund einer Nahrungsmittelunverträglichkeit nicht ausdrücklich anführten, so seien sie unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 (a. a. O.) erweiternd auszulegen. Ihrem gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Auftrag würden sie nur gerecht werden, wenn sie die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen mit als Therapiestandard geltenden notwendigen Medikamenten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gewährleisteten; denn das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 06.12.2005 ausgeführt, dass beitragsverpflichtete Versicherte Anspruch auf Behandlung zur Wahrung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit hätten. Vorliegend sei das Grundrecht des ASt. auf körperliche Unversehrtheit betroffen. Diese Auslegung der AMR widerspreche in diesem Fall darüber hinaus nicht der Intention des Gesetzgebers. Dieser habe mit dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus der krankenversicherungsrechtlichen Versorgung dem einzelnen Versicherten lediglich einen sozialverträglichen und niedrigen Kostenaufwand auferlegen wollen (Bundestags-Drucksache -BT-Drucks.- 15/1525, S. 86). Für eine Monatspackung "Mutaflor" in verordneter Größe ("Mutaflor 100 mg KMR 100") seien jedoch 90,77 Euro aufzuwenden, die ein Empfänger von Leistungen nach dem SGB II nicht tragen könne. Jede andere Auslegung führe zur Verfassungswidrigkeit der Norm.
Auch die vom BVerfG mit Beschluss vom 22.11.2002 (Az.: 1 BvR 1586/02, Neue Zeitschrift für Sozialrecht -NZS- 2003, 253) geforderte Abwägung zwischen den hier widerstreitenden Interessen - keine bzw. relativ geringfügige finanzielle Belastung der Versichertengemeinschaft einerseits und die Eröffnung einer relativ kurzfristig Erfolg versprechenden Behandlungsmöglichkeit einer schwerwiegenden Erkrankung andererseits - stütze den Anspruch des ASt. im vorliegenden Verfahren. Dieser könne auch nicht auf alternative Behandlungsmöglichkeiten verwiesen werden. Die Erkrankung des ASt. unterfalle nicht dem Anwendungsbereich von "Mesalazin". Darüber hinaus bezweifelten die behandelnden Ärzte Dres. I die Verträglichkeit dieses Arzneimittels beim ASt. "Pentatop" stelle ebenso wie "Mutaflor" ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament dar, das dem ASt. ebenfalls nicht vertragsärztlich verordnet werden könne. Darüber hinaus reiche die Wirkung von "Pentatop" nicht so weit im Sinne einer Besserung wie diejenigen von "Mutaflor". Auch sei bei der Einnahme mit stärkeren Nebenwirkungen zu rechnen. Die von der AG’in propagierte Behandlung mittels Psychotherapie könne naturgemäß nur längerfristig zu einem Erfolg führen. Dasselbe gelte für die angebotene Ernährungsberatung, die ebenfalls kurzfristig kein Äquivalent für die durch "Mutaflor" bewirkte Erweiterung der Verträglichkeit von Nahrungsmitteln darstellen könne. Darüber hinaus habe selbst die AG’in die Maßnahmen der Psychotherapie und Ernährungsberatung als lediglich "begleitende" Maßnahmen bezeichnet.
Gegen den ihr am 22.08.2006 zugestellten Beschluss hat die AG in am 11.09.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung trägt die AG in ergänzend vor, es fehle sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund. Eine KÜ für das Arzneimittel "Mutaflor" sei gemäß § 34 i. V. m. §§ 31 und 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen. Die einzige in den AMR vorgesehene Ausnahmeregelung, die eine Verordnung ermögliche, sei nach Angaben der behandelnden Ärzte nicht gegeben. Auf die Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2006 aber könne der Anspruch auf KÜ nicht gestützt werden. Es fehle an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass sich der ASt. einer regelmäßigen ärztlichen Behandlung entziehe und nur zwecks Verordnung von "Mutaflor" bei Dr. C vorspreche. Auch benötige der ASt. "Mutaflor" nicht zur Abwendung einer lebensbedrohlichen Situation. Es gebe in hinreichendem Umfang alternative vertragsärztliche Behandlungsmethoden, die den ASt. - bis auf Zuzahlungen in geringer Höhe - finanziell nicht belasteten. Zumindest müsse die Kostenentscheidung des SG geändert werden; denn das SG sei mit der Verpflichtung zur Versorgung mit einer einzigen Monatspackung weit hinter dem Antrag des ASt. auf zeitlich uneingeschränkte Versorgung zurückgeblieben.
Im Hinblick auf das mit weiterem Beschluss des SG vom 11.09.2006 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR für den Fall, dass keine KÜ bis zum 21.09.2006 erfolgen sollte, hat die AG in vorläufig die Kosten für eine Monatspackung "Mutaflor" übernommen. An der eingelegten Beschwerde hält sie dennoch fest. Sie habe ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, dass der Beschluss des SG vom 16.08.2006 rechtswidrig sei; denn es sei zu erwarten, dass der ASt. auf der Grundlage dieses Beschlusses bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens regelmäßig jeden Monat erneut eine KÜ geltend machen werde. Bezüglich des Folgezeitraumes sei bei dem SG Düsseldorf bereits ein weiteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren anhängig.
Die AG in hat ursprünglich schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Beschluss des SG Düsseldorf vom 16.08.2006 zu ändern und den Antrag des ASt. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie beantragt nunmehr schriftsätzlich sinngemäß,
festzustellen, dass das SG sie mit Beschluss vom 16.08.2006 zu Unrecht verpflichtet habe, die Kosten für eine Monatspackung "Mutaflor 100 mg KMR 100" zu übernehmen.
Der ASt. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Feststellungsantrag der AG in zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf den aus seiner Sicht zutreffenden erstinstanzlichen Beschluss.
Der Senat hat ergänzend einen Befundbericht von Frau Dr. C vom 23.10.2006 eingeholt. Danach liegt bei dem ASt. eine schwierige psychische und familiäre Situation vor. Multiple Lebensmittelunverträglichkeiten seien aus der Vergangenheit bekannt. Das aktuelle Gewicht des ASt. kenne sie nicht. Bei ca. 190 cm Größe und einem Gewicht zwischen 60 und 70 kg sei er jedenfalls stark untergewichtig. "Mutaflor" sei allergenarm und daher bei Allergieanamnese unbedingt zu bevorzugen. Das Arzneimittel stabilisiere die Bakterienflora des Darms und damit die maximale effiziente Verdauung zur Aufnahmebereitschaft der Nährstoffe über die Darmwände. Eine kontinuierliche Gabe sei mit einer Therapiepause (z. B. drei Monate Therapie und ein Monat Auslassversuch) möglich. Um einen dauerhaften Erfolg der Therapie zu gewährleisten sei auch eine ausgewogene Ernährung notwendig. Davon könne bei dem ASt. derzeit nicht ausgegangen werden (Lebensmittelunverträglichkeiten, Alleinversorger, große finanzielle Eingeschränktheit). Bei langzeitigem Absetzen des Wirkstoffes könnten eine erhöhte Infektanfälligkeit und Allergie bedingte körperliche Reaktionen, wie Kreislaufinstabilität, Schmerzsyndrom, Hautreaktionen, ausgelöst werden. Zwecks Prophylaxe gegenüber schwerwiegenden Folgeerkrankungen durch chronische Mangelernährung bei vorhandener Untergewichtigkeit sei eine Kurmaßnahme in einer psychosomatischen Klinik dringend indiziert.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Vorprozessakten des SG Düsseldorf (Az.: S 8 KR 2/05 ER; S 8 KR 3/05) Bezug genommen, die dem Senat vorlagen und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
II.
Die Beschwerde der AG in hat - bis auf die Änderung der Kostenentscheidung - keinen Erfolg. Zwar bestehen gegen deren Zulässigkeit trotz der zwischenzeitlich durch die vollzogene KÜ eingetretenen Erledigung keine Bedenken; denn ein Feststellungsinteresse der AG’in ist nicht zu leugnen. Es ist bereits ein weiteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren bezüglich der KÜ für einen Folgemonat vor dem SG anhängig. Bei unveränderter Sachlage wird sich die Entscheidung des SG in dieser Rechtssache kaum von der bereits getroffenen unterscheiden.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit Beschluss vom 16.08.2006 die AG in verpflichtet, dem ASt. gegen Vorlage der Originalverordnung vom 02.08.2006 die Kosten für eine Packung "Mutaflor 100 mg KMR 100" vorläufig zu übernehmen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erfolgen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind insoweit glaubhaft zu machen, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient vorläufigen Regelungen. Nur wenn dies zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, weil dem Rechtschutzsuchenden ein bestimmter Anspruch zusteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht -BVerwG-, Beschl. vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99, www.jurisweb.de, RdNr. 24 f.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b RdNr. 31 m. w. N.), ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie hier von dem ASt. begehrt wird, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.08.1999, a. a. O.; Meyer-Ladewig, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschlüsse vom 16.10.2002 - L 16 KR 219/02 ER -, vom 13.05.2004 - L 16 B 20/04 KR ER -, vom 29.11.2005 - L 16 B 90/05 -, vom 06.04.2006 - L 16 B 3/06 KR ER - sowie vom 11.07.2006 - L 16 B 43/06 KR ER -, siehe www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Zwar vermag der Senat einen solch hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des ASt. im Hauptsacheverfahren derzeit nicht zu erkennen. Vielmehr stellt sich der Ausgang dieses Verfahrens bei der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, insbesondere im Hinblick auf die sich aufdrängenden Ermittelungen in medizinischer Hinsicht, als offen dar. Die bislang befragten behandelnden Ärzte des ASt. konnten aufgrund der nur sporadischen Vorstellung des ASt. zu Behandlungszwecken keine detaillierten Angaben zum Krankheitsbild, u. a. zum Vorliegen einer Colitis ulcerosa, und zu Behandlungsalternativen sowie zum Vorliegen einer lebensgefährlichen Erkrankung, machen. Es ist nicht auch nicht auszuschließen, dass das ungewöhnliche Verhalten des ASt., dem es offensichtlich gesundheitlich sehr schlecht geht, auf eine psychische Beeinträchtigung zurückzuführen ist. Auch diese Umstände wird das SG – neben den Erwägungen zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 34 SGB V und der AMR – in seine Entscheidung im Hauptsacheverfahren einzubeziehen haben. Der AG’in sollte ebenfalls an einer schnellen Beendigung des Hauptsachverfahrens gelegen sein und sie sollte sich veranlasst sehen, vorrangig das Vorverfahren einem Abschluss zuzuführen.
Mit dem SG ist der Senat jedoch der Auffassung, dass eine entsprechend dem Fortgang des Hauptsacheverfahrens - bei unveränderter Sachlage weiterhin - von Monat zu Monat eine vorläufige KÜ durch die AG’in zwingend erforderlich ist, da die sonst zu erwartenden Nachteile für den ASt. unzumutbar wären. Dieser leidet seit Jahren an einer zumindest die Lebensqualität offensichtlich nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung, die ihn trotz seines noch nicht fortgeschrittenen Lebensalters zu einer sehr passiven Lebensweise zwingt. Er trägt glaubhaft vor, dass er sich aufgrund des mittlerweile wieder erreichten starken Untergewichts kaum noch außer Haus begeben könne, ständig liegen müsse und unter häufigen Durchfällen leide. Es ist mit der behandelnden Arztin Dr. C zu befürchten, dass sich eine chronische Magersucht und erhebliche Folgeerkrankungen entwickeln, soweit diese nicht bereits eingetreten sind. Im Verhältnis dazu sind die Kosten für eine Behandlung mit "Mutaflor", die in der Vergangenheit nach Bekunden der behandelnden Ärzte zu einer deutlichen Besserung des Gesamtzustandes und Erhöhung des Gewichts geführt haben, mit rd. 90 EUR für eine Monatspackung als verhältnismäßig gering einzustufen. Damit bestehen nach Auffassung des Senates auch am Vorliegen eines Anordnungsgrundes keine Zweifel.
Der Beschwerde war daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der ASt. einen Anspruch auf zeitlich unbegrenzte Versorgung mit "Mutaflor" geltend gemacht, das SG aber nur - im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache zutreffende - KÜ für lediglich einen Monat zugesprochen hat.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (ASt.) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung der Antragsgegnerin (AG’in) zur Übernahme der Kosten des von der behandelnden Ärztin Frau Dr. C auf Privatrezept verordneten, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels "Mutaflor".
Der am 00.00.1976 geborene, arbeitslose ASt. bezieht laufende Leistungen zu seinem Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er ist bei der AG’in pflichtversichert. Seit Jahren leidet er an einem Atopie-Syndrom mit polyvalenten Typ-1-Sensibilisierungen und nachgewiesener Nahrungsmittelallergie, zudem unter einer Anorexia nervosa mit wiederholten Phasen massiven Gewichtsverlustes, Durchfällen, Bauchschmerzen, Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen sowie zwischenzeitlich Schwächeanfällen, die in den letzten Jahren wiederholt zu stationären Aufnahmen geführt haben.
Erstmals im Januar 2004 bemühte er sich bei der AG’in und in der Folgezeit wiederholt erfolglos unter Vorlage von Verordnungen und Attesten der behandelnden Ärzte Dres. C und I um die Übernahme der Kosten für das verordnete Medikament. Zur Begründung verwiesen diese darauf, dass wegen der jahrelang nur sehr unzureichenden und unausgewogenen Ernährung von einer gestörten Darmflora auszugehen sei, die sich unter der seit Anfang November 2003 begonnenen, zu diesem Zeitpunkt noch rezeptierbaren Behandlung mit "Mutaflor" allmählich regenerniere. Der ASt. beginne an Körpergewicht zuzunehmen; sein Allgemeinzustand werde besser. Eine Sanierung der Darmflora mittels "Mutaflor" über einen Zeitraum von sechs Monaten sei ratsam.
Die AG’in lehnte den entsprechenden Antrag des ASt. mit Bescheid vom 17.11.2004 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass es in den Arzneimittel-Richtlinien (AMR) eine Ausnahmeregelung zu dem in "Mutaflor" enthaltenen Wirkstoff (Bakterienstamm E. coli Stamm Nissle 1917) gebe, und zwar zur Behandlung einer Colitis ulcerosa in der Remissionsphase bei Unverträglichkeit von "Mesalazin". Diese Indikation sei bei dem ASt. offensichtlich nicht gegeben. Die Voraussetzungen für eine Verordnung und daran anknüpfend für eine Kostenübernahme (KÜ) lägen daher nicht vor. Bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf ist diesbezüglich ein Hauptsacheverfahren anhängig (Az.: S 8 KR 3/05), im Rahmen dessen das erforderliche Vorverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Im ersten Quartal des Jahres 2005 hatte der ASt. bereits ein einstweiliges Anordnungsverfahren beim SG Düsseldorf und Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) erfolglos durchgeführt (Az.: S 8 KR 2/05 ER, SG Düsseldorf; L 2 B 27/05 KR ER, LSG NRW). Dieses Verfahren hatte sich jedoch auf die Übernahme von Kosten für die Versorgung mit "Mutaflor" für einen vollständig in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezogen, in dem die AG in dem ASt. das Arzneimittel übergangsweise zur Verfügung gestellt hatte. Auf entsprechenden richterlichen Hinweis hatte der ASt. die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des SG zurückgenommen.
Im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98, Sozialrecht -SozR- 4-2500 § 27 Nr. 5) und unter Berücksichtigung des weiterhin andauernden Hauptsacheverfahrens hat er im Juni 2006 erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die privatärztliche Verordnung der praktischen Ärztin Dr. C vom 02.08.2006 über "Mutaflor 100 mg KMR 100" vorgelegt. Zur Begründung hat der ASt. geltend gemacht, dieses Arzneimittel sei in der Vergangenheit von zwei ambulant behandelnden Ärzten (Dres. C und I) und im Rahmen von zwei stationären Behandlungen im Interdisziplinären Therapiezentrum PsoriSol und im Klinikum M verordnet worden und stelle die einzige und alternativlose Möglichkeit zur Behandlung der zerstörten Darmflora dar. Aufgrund der bis zur Änderung der Gesetzeslage zum 01.01.2004 möglichen Verordnung von "Mutaflor" sei es zu einer Gewichtszunahme von 63 kg auf 72 kg und einer Besserung seines Gesundheitszustandes gekommen. Infolge der Unterbrechung der Therapie habe sich wiederum eine schwerwiegende Krankheitssituation entwickelt mit einer drohenden Auslösung von Magersucht. Er wiege wiederum nur noch 60 kg bei 188 cm Körpergröße. Als Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sei er nicht in der Lage, den Kostenaufwand in Höhe von ca. 90 EUR monatlich für das Medikament aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Bereits in der Vergangenheit habe er anderen notwendigen alltäglichen Zahlungsverpflichtungen, wie z. B. der Begleichung der Telefonrechnung, nicht nachkommen können. Die Zahlung höherer Leistungen zur Finanzierung der Arzneimittel sei abgelehnt worden. "Mutaflor" habe er deshalb allenfalls sporadisch und in großen Abständen beschaffen können. Auch das von ihm selbst finanzierte, ebenfalls nicht verschreibungspflichtige Medikament "Pentatop", ein Medikament zur Behandlung von Allergien, habe lediglich eine weitere Gewichtsabnahme stoppen, jedoch nicht zu einer Besserung des Gesundheitszustandes führen können. Dieses Medikament müsse zudem dauerhaft eingenommen werden, "Mutaflor" dagegen nur über einen bestimmten Zeitraum. Mit "Mutaflor" solle die Darmflora wieder aufgebaut und damit eine breitere Nahrungsmittelverträglichkeit erreicht werden, ohne dass weiterhin ein Antiallergikum eingenommen werden müsse. Von einem Therapieversuch mit "Mesalazin" hätten die behandelnden Ärzte Dres. I abgeraten. Es stehe ihm auch unter Berücksichtigung der AMR ein Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament "Mutaflor" zu, da diese unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes lediglich einen Missbrauch hätten ausschließen sollen. Die Versorgung mit "Mutaflor" sei jedoch dringend erforderlich. Sein Allgemeinzustand habe sich derart verschlechtert, dass er zumeist bettlägerig sei und wegen der ständigen Durchfälle kaum das Haus verlassen könne.
Der ASt. hat schriftsätzlich beantragt,
die AG in zu verpflichten, die Kosten für das Medikament "Mutaflor" zur Behandlung einer Nahrungsmittelunverträglichkeit bzw. symptomatischen Nahrungsmittelallergie (begleitet von einer anorexia nervosa) zu übernehmen.
Die AG’in hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung hat sie auf den ihrer Auffassung nach zutreffenden angefochtenen Bescheid Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Ein Anspruch auf KÜ für "Mutaflor" bestehe unter Berücksichtigung der maßgeblichen AMR nicht. Die behandelnden Ärzte hätten zu prüfen, ob nicht unter Berücksichtigung der in den AMR formulierten Ausnahmen - Punkt 16.1. bis 16.9. - eine vertragsärztliche Verordnung des Medikaments erfolgen sollte. Darüber hinaus stünden nach den Ausführungen des Dr. I andere begleitende Maßnahmen wie Ernährungsberatung und Psychotherapie zur Verfügung, die der ASt. jedoch nicht in Anspruch genommen habe. Im Hinblick auf die seltenen Konsultationen der behandelnden Ärzte sei eine besondere Eilbedürftigkeit nicht nachvollziehbar.
Mit Beschluss vom 16.08.2006 hat SG die AG in verpflichtet, vorläufig die Kosten für eine Packung "Mutaflor 100 mg KMR 100" gegen Vorlage der Originalverordnung zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen darauf abgestellt, dass bezüglich der Versorgung des ASt. mit "Mutaflor" unter Berücksichtigung der Bescheinigungen der Dres. C und I ein Anordnungsgrund gegeben sei. Auf die Beendigung des sich voraussichtlich noch über längere Zeit hinziehenden Hauptsacheverfahrens könne der ASt. nicht verwiesen werden. Ohne Einnahme von "Mutaflor" erscheine eine dringend erforderliche zeitnahe Gewichtszunahme und zumindest Linderung der angegebenen Beschwerden einschließlich der angegebenen Schwächeanfälle ausgeschlossen. Darüber hinaus drohe ohne die Einnahme des weiteren Arzneimittels "Pentatop", das der ASt. in unregelmäßigen Abständen unter Inkaufnahme von entstehenden Schulden selbst finanziere, ein weiterer bedrohlicher Gewichtsverlust. Ausweislich der in den Vorprozessen vorgelegten Unterlagen über seinen Bezug von Leistungen nach dem SGB II sei der Vortrag, das Arzneimittel nicht selber finanzieren zu können, glaubhaft.
Es sei auch ein Anordnungsanspruch gegeben. Dem ASt. stehe ein Anspruch auf Versorgung mit medizinisch notwendigen Medikamenten gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) zu.
Der Anspruch sei nicht gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen, sondern vielmehr gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 i. V. m. den AMR gegeben. Denn bei dem Medikament "Mutaflor" handele es sich um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelte. Die bei dem ASt. vorliegende Nahrungsmittelunverträglichkeit, die zu Durchfällen mit Gewichtsverlust, Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen führe, stelle eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende und damit schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V sowie der AMR dar. Dies ergebe sich vorliegend insbesondere daraus, dass nach den AMR ein Ausnahmefall auch bei einer Colitis ulcerosa in der Remissionsphase gegeben sei. Die Behandlung der Nahrungsmittelunverträglichkeit bzw. der Durchfälle mittels "Mutaflor" entspreche auch dem Therapiestandard; denn dem ASt. sei das Medikament übereinstimmend von mindestens vier Ärzten verordnet, verabreicht bzw. empfohlen worden, und zwar zweimal ambulant, zweimal stationär. Jedenfalls stelle diese Behandlung unter Berücksichtigung der mehrfachen ärztlichen Empfehlungen und der vom ASt. glaubhaft geschilderten und von Dr. C mit Attest vom 06.01.2004 bestätigten tatsächlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes in der Vergangenheit keine bloß entfernt liegende Heilungsmöglichkeit dar.
Auch wenn die AMR die Verschreibung von "Mutaflor" zur Behandlung von Durchfällen aufgrund einer Nahrungsmittelunverträglichkeit nicht ausdrücklich anführten, so seien sie unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 (a. a. O.) erweiternd auszulegen. Ihrem gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Auftrag würden sie nur gerecht werden, wenn sie die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen mit als Therapiestandard geltenden notwendigen Medikamenten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gewährleisteten; denn das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 06.12.2005 ausgeführt, dass beitragsverpflichtete Versicherte Anspruch auf Behandlung zur Wahrung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit hätten. Vorliegend sei das Grundrecht des ASt. auf körperliche Unversehrtheit betroffen. Diese Auslegung der AMR widerspreche in diesem Fall darüber hinaus nicht der Intention des Gesetzgebers. Dieser habe mit dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus der krankenversicherungsrechtlichen Versorgung dem einzelnen Versicherten lediglich einen sozialverträglichen und niedrigen Kostenaufwand auferlegen wollen (Bundestags-Drucksache -BT-Drucks.- 15/1525, S. 86). Für eine Monatspackung "Mutaflor" in verordneter Größe ("Mutaflor 100 mg KMR 100") seien jedoch 90,77 Euro aufzuwenden, die ein Empfänger von Leistungen nach dem SGB II nicht tragen könne. Jede andere Auslegung führe zur Verfassungswidrigkeit der Norm.
Auch die vom BVerfG mit Beschluss vom 22.11.2002 (Az.: 1 BvR 1586/02, Neue Zeitschrift für Sozialrecht -NZS- 2003, 253) geforderte Abwägung zwischen den hier widerstreitenden Interessen - keine bzw. relativ geringfügige finanzielle Belastung der Versichertengemeinschaft einerseits und die Eröffnung einer relativ kurzfristig Erfolg versprechenden Behandlungsmöglichkeit einer schwerwiegenden Erkrankung andererseits - stütze den Anspruch des ASt. im vorliegenden Verfahren. Dieser könne auch nicht auf alternative Behandlungsmöglichkeiten verwiesen werden. Die Erkrankung des ASt. unterfalle nicht dem Anwendungsbereich von "Mesalazin". Darüber hinaus bezweifelten die behandelnden Ärzte Dres. I die Verträglichkeit dieses Arzneimittels beim ASt. "Pentatop" stelle ebenso wie "Mutaflor" ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament dar, das dem ASt. ebenfalls nicht vertragsärztlich verordnet werden könne. Darüber hinaus reiche die Wirkung von "Pentatop" nicht so weit im Sinne einer Besserung wie diejenigen von "Mutaflor". Auch sei bei der Einnahme mit stärkeren Nebenwirkungen zu rechnen. Die von der AG’in propagierte Behandlung mittels Psychotherapie könne naturgemäß nur längerfristig zu einem Erfolg führen. Dasselbe gelte für die angebotene Ernährungsberatung, die ebenfalls kurzfristig kein Äquivalent für die durch "Mutaflor" bewirkte Erweiterung der Verträglichkeit von Nahrungsmitteln darstellen könne. Darüber hinaus habe selbst die AG’in die Maßnahmen der Psychotherapie und Ernährungsberatung als lediglich "begleitende" Maßnahmen bezeichnet.
Gegen den ihr am 22.08.2006 zugestellten Beschluss hat die AG in am 11.09.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung trägt die AG in ergänzend vor, es fehle sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund. Eine KÜ für das Arzneimittel "Mutaflor" sei gemäß § 34 i. V. m. §§ 31 und 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen. Die einzige in den AMR vorgesehene Ausnahmeregelung, die eine Verordnung ermögliche, sei nach Angaben der behandelnden Ärzte nicht gegeben. Auf die Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2006 aber könne der Anspruch auf KÜ nicht gestützt werden. Es fehle an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass sich der ASt. einer regelmäßigen ärztlichen Behandlung entziehe und nur zwecks Verordnung von "Mutaflor" bei Dr. C vorspreche. Auch benötige der ASt. "Mutaflor" nicht zur Abwendung einer lebensbedrohlichen Situation. Es gebe in hinreichendem Umfang alternative vertragsärztliche Behandlungsmethoden, die den ASt. - bis auf Zuzahlungen in geringer Höhe - finanziell nicht belasteten. Zumindest müsse die Kostenentscheidung des SG geändert werden; denn das SG sei mit der Verpflichtung zur Versorgung mit einer einzigen Monatspackung weit hinter dem Antrag des ASt. auf zeitlich uneingeschränkte Versorgung zurückgeblieben.
Im Hinblick auf das mit weiterem Beschluss des SG vom 11.09.2006 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR für den Fall, dass keine KÜ bis zum 21.09.2006 erfolgen sollte, hat die AG in vorläufig die Kosten für eine Monatspackung "Mutaflor" übernommen. An der eingelegten Beschwerde hält sie dennoch fest. Sie habe ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, dass der Beschluss des SG vom 16.08.2006 rechtswidrig sei; denn es sei zu erwarten, dass der ASt. auf der Grundlage dieses Beschlusses bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens regelmäßig jeden Monat erneut eine KÜ geltend machen werde. Bezüglich des Folgezeitraumes sei bei dem SG Düsseldorf bereits ein weiteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren anhängig.
Die AG in hat ursprünglich schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Beschluss des SG Düsseldorf vom 16.08.2006 zu ändern und den Antrag des ASt. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie beantragt nunmehr schriftsätzlich sinngemäß,
festzustellen, dass das SG sie mit Beschluss vom 16.08.2006 zu Unrecht verpflichtet habe, die Kosten für eine Monatspackung "Mutaflor 100 mg KMR 100" zu übernehmen.
Der ASt. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Feststellungsantrag der AG in zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf den aus seiner Sicht zutreffenden erstinstanzlichen Beschluss.
Der Senat hat ergänzend einen Befundbericht von Frau Dr. C vom 23.10.2006 eingeholt. Danach liegt bei dem ASt. eine schwierige psychische und familiäre Situation vor. Multiple Lebensmittelunverträglichkeiten seien aus der Vergangenheit bekannt. Das aktuelle Gewicht des ASt. kenne sie nicht. Bei ca. 190 cm Größe und einem Gewicht zwischen 60 und 70 kg sei er jedenfalls stark untergewichtig. "Mutaflor" sei allergenarm und daher bei Allergieanamnese unbedingt zu bevorzugen. Das Arzneimittel stabilisiere die Bakterienflora des Darms und damit die maximale effiziente Verdauung zur Aufnahmebereitschaft der Nährstoffe über die Darmwände. Eine kontinuierliche Gabe sei mit einer Therapiepause (z. B. drei Monate Therapie und ein Monat Auslassversuch) möglich. Um einen dauerhaften Erfolg der Therapie zu gewährleisten sei auch eine ausgewogene Ernährung notwendig. Davon könne bei dem ASt. derzeit nicht ausgegangen werden (Lebensmittelunverträglichkeiten, Alleinversorger, große finanzielle Eingeschränktheit). Bei langzeitigem Absetzen des Wirkstoffes könnten eine erhöhte Infektanfälligkeit und Allergie bedingte körperliche Reaktionen, wie Kreislaufinstabilität, Schmerzsyndrom, Hautreaktionen, ausgelöst werden. Zwecks Prophylaxe gegenüber schwerwiegenden Folgeerkrankungen durch chronische Mangelernährung bei vorhandener Untergewichtigkeit sei eine Kurmaßnahme in einer psychosomatischen Klinik dringend indiziert.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Vorprozessakten des SG Düsseldorf (Az.: S 8 KR 2/05 ER; S 8 KR 3/05) Bezug genommen, die dem Senat vorlagen und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
II.
Die Beschwerde der AG in hat - bis auf die Änderung der Kostenentscheidung - keinen Erfolg. Zwar bestehen gegen deren Zulässigkeit trotz der zwischenzeitlich durch die vollzogene KÜ eingetretenen Erledigung keine Bedenken; denn ein Feststellungsinteresse der AG’in ist nicht zu leugnen. Es ist bereits ein weiteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren bezüglich der KÜ für einen Folgemonat vor dem SG anhängig. Bei unveränderter Sachlage wird sich die Entscheidung des SG in dieser Rechtssache kaum von der bereits getroffenen unterscheiden.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit Beschluss vom 16.08.2006 die AG in verpflichtet, dem ASt. gegen Vorlage der Originalverordnung vom 02.08.2006 die Kosten für eine Packung "Mutaflor 100 mg KMR 100" vorläufig zu übernehmen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erfolgen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind insoweit glaubhaft zu machen, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient vorläufigen Regelungen. Nur wenn dies zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, weil dem Rechtschutzsuchenden ein bestimmter Anspruch zusteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht -BVerwG-, Beschl. vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99, www.jurisweb.de, RdNr. 24 f.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b RdNr. 31 m. w. N.), ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie hier von dem ASt. begehrt wird, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.08.1999, a. a. O.; Meyer-Ladewig, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschlüsse vom 16.10.2002 - L 16 KR 219/02 ER -, vom 13.05.2004 - L 16 B 20/04 KR ER -, vom 29.11.2005 - L 16 B 90/05 -, vom 06.04.2006 - L 16 B 3/06 KR ER - sowie vom 11.07.2006 - L 16 B 43/06 KR ER -, siehe www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Zwar vermag der Senat einen solch hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des ASt. im Hauptsacheverfahren derzeit nicht zu erkennen. Vielmehr stellt sich der Ausgang dieses Verfahrens bei der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, insbesondere im Hinblick auf die sich aufdrängenden Ermittelungen in medizinischer Hinsicht, als offen dar. Die bislang befragten behandelnden Ärzte des ASt. konnten aufgrund der nur sporadischen Vorstellung des ASt. zu Behandlungszwecken keine detaillierten Angaben zum Krankheitsbild, u. a. zum Vorliegen einer Colitis ulcerosa, und zu Behandlungsalternativen sowie zum Vorliegen einer lebensgefährlichen Erkrankung, machen. Es ist nicht auch nicht auszuschließen, dass das ungewöhnliche Verhalten des ASt., dem es offensichtlich gesundheitlich sehr schlecht geht, auf eine psychische Beeinträchtigung zurückzuführen ist. Auch diese Umstände wird das SG – neben den Erwägungen zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 34 SGB V und der AMR – in seine Entscheidung im Hauptsacheverfahren einzubeziehen haben. Der AG’in sollte ebenfalls an einer schnellen Beendigung des Hauptsachverfahrens gelegen sein und sie sollte sich veranlasst sehen, vorrangig das Vorverfahren einem Abschluss zuzuführen.
Mit dem SG ist der Senat jedoch der Auffassung, dass eine entsprechend dem Fortgang des Hauptsacheverfahrens - bei unveränderter Sachlage weiterhin - von Monat zu Monat eine vorläufige KÜ durch die AG’in zwingend erforderlich ist, da die sonst zu erwartenden Nachteile für den ASt. unzumutbar wären. Dieser leidet seit Jahren an einer zumindest die Lebensqualität offensichtlich nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung, die ihn trotz seines noch nicht fortgeschrittenen Lebensalters zu einer sehr passiven Lebensweise zwingt. Er trägt glaubhaft vor, dass er sich aufgrund des mittlerweile wieder erreichten starken Untergewichts kaum noch außer Haus begeben könne, ständig liegen müsse und unter häufigen Durchfällen leide. Es ist mit der behandelnden Arztin Dr. C zu befürchten, dass sich eine chronische Magersucht und erhebliche Folgeerkrankungen entwickeln, soweit diese nicht bereits eingetreten sind. Im Verhältnis dazu sind die Kosten für eine Behandlung mit "Mutaflor", die in der Vergangenheit nach Bekunden der behandelnden Ärzte zu einer deutlichen Besserung des Gesamtzustandes und Erhöhung des Gewichts geführt haben, mit rd. 90 EUR für eine Monatspackung als verhältnismäßig gering einzustufen. Damit bestehen nach Auffassung des Senates auch am Vorliegen eines Anordnungsgrundes keine Zweifel.
Der Beschwerde war daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der ASt. einen Anspruch auf zeitlich unbegrenzte Versorgung mit "Mutaflor" geltend gemacht, das SG aber nur - im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache zutreffende - KÜ für lediglich einen Monat zugesprochen hat.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.
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