L 4 KR 434/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 5962/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 434/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte der Klägerin EUR 9.991,09 für die in stationärer Behandlung im Krankenhaus S. vom 04. bis 07. Mai 2004 durchgeführte Magen-Bypass-Operation (MBO) zu erstatten hat.

Die am 1978 geborene Klägerin war bis zum 31. Januar 2004 bei der BKK Bauknecht (BKK) krankenversichert; seit 01. Januar 2005 ist sie bei der Beklagten, der Rechtsnachfolgerin der BKK (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet), versichert. Vom 11. November bis 19. Dezember 1991 führte die Klägerin eine stationäre Vorsorgemaßnahme in der Kurklinik H. in M. durch, während der sie ihr Gewicht von 68,2 auf 62,2 kg bei einer Größe von 163 cm verminderte (Bericht des Chefarztes Dr. M. vom 19. Dezember 1991). Auch im Hinblick auf ihr Übergewicht wurde sie dann vom 18. Januar bis 14. März 1994 stationär in der Fachklinik W. im A. behandelt; dort verminderte sie ihr Gewicht (Körpergröße 165 cm) von 79,0 auf 72,3 kg. Im Oktober 2000 wog die Klägerin ausweislich des Arztbriefs der Orthopäden Dres. W. und S. vom 07. November 2000 115 kg. Im Bericht vom 20. November 2003 gaben Facharzt für Chirurgie und Urologie Privatdozent (PD) Dr. M. und Facharzt für Chirurgie E., Chirurgische Praxis "Am Dornbusch", das Gewicht der Klägerin mit 113 kg (Body-Maß-Index [BMI] 42,52 kg/m²) an. Die Klägerin habe zuletzt unter hausärztlicher Kontrolle 1999 einen frustranen Diätversuch durchgeführt; dabei sei ein Gewichtsverlust von 30 kg erzielt worden; es sei jedoch nach einem kurzen Intervall zu einer Gewichtszunahme von 45 kg gekommen. Die Klägerin habe über eine "relative Süßsüchtigkeit" berichtet. Die Ärzte empfahlen die Durchführung einer operativen Behandlung wegen krankhafter Adipositas. Die praktische Ärztin S. hatte in ihrer Bescheinigung vom 14. November 2003 darauf hingewiesen, die Klägerin sei seit 1995 in ihrer hausärztlichen Behandlung. Aufgrund einer ausgeprägten Adipositas wolle sie eine MBO durchführen. Alle bisherigen Behandlungen, wie Kur, Ernährung, Training und Abmagerungsmittel, hätten keinerlei Wirkung erzielt. Es wäre daher angebracht, dass die Krankenkasse die Operationskosten übernehme. Unter Vorlage der Bescheinigung vom 14. November 2003 sowie des erwähnten Berichts vom 20. November 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten mit Schreiben vom 25. November 2003 die Übernahme der Kosten für eine MBO. Sie machte geltend, seit ihrer Kindheit sei sie zu dick, seit der Pubertät sehr stark übergewichtig. Bei einer Körpergröße von 165 cm habe sie ein Gewicht von 113 bis 116 kg. Sämtliche Diätversuche und Kuren seien bei ihr über kurz oder lang gescheitert. Mittlerweile leide sie an einer Adipositas des Grades III. Bei ihr bestünden erste Anzeichen für Folgekrankheiten, wie andauernde Hüftgelenksschmerzen und Gallensteine. Mit Hilfe einer Magenoperation könne sie ein Normalgewicht erreichen. Da sie sehr viel Süßigkeiten, auch Cola, zu sich nehme, sei sie ein "Sweater". Die geeignetste Methode sei für sie eine MBO. Die Beklagte erhob das Sozialmedizinische Gutachten des Dr. Mü. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in B. vom 12. Januar 2004, der zu dem Ergebnis gelangte, es bestehe dringend die Notwendigkeit der Behandlung des Übergewichts. Dies erfordere ein Konzept, welches aus einer Kalorienbeschränkung und Steigerung körperlicher Aktivitäten sowie einer intensiven, langfristig angelegten Ernährungsberatung und Schulung in Verbindung mit einer verhaltenstherapeutischen Begleitung mit dem Ziel einer Änderung der adipositasfördernden Ernährungs- und Lebensgewohnheiten bestehe. Die Behandlung im Sinne der Grundsätze der Stufentheorie, wie sie von namhaften Fachgesellschaften gefordert werde, sei bei der Klägerin bisher nicht ausreichend konsequent und lange durchgeführt worden. Die Operation könne erst bei nachgewiesenem Versagen der genannten konservativen Therapie erwogen werden. Mit Bescheid vom 21. Januar 2004 lehnte die Beklagte, die sich auf das genannte Sozialmedizinische Gutachten bezog, den Antrag ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Vom 04. bis 09. Mai 2004 ließ sie im Krankenhaus S. eine entsprechende MBO durchführen, wofür sie Kosten in Höhe von EUR 9.991,09 aufwandte. Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, das Bundessozialgericht (BSG) habe in den Urteilen vom 19. Februar 2003 ausgeführt, dass unter Hinweis auf die herrschende medizinische Fachliteratur ab einem BMI von 30 eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich sei, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen bestehe. Bei der Frage, inwieweit im Einzelfall die Voraussetzungen für eine operative Behandlung der extremen Adipositas gegeben seien, fordere das BSG eine Abwägung zwischen der erforderlichen vollstationären chirurgischen Behandlung gegenüber bestehenden Behandlungsalternativen unter Beachtung ihrer jeweiligen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit. Bei ihr seien die erforderlichen medizinischen Voraussetzungen für die Durchführung einer MBO erfüllt. Der BMI liege bei 42,5 kg/m². Es bestehe auch schon eine Überlastungssymptomatik im Bereich der rechten Hüfte mit einem Thorakalsyndrom; des Weiteren habe sie unter schmerzhaften Gallensteinen gelitten, die zur Entfernung der Gallenblase geführt hätten. Diese Erkrankungen seien ausschließlich kausal auf die Adipositaserkrankung zurückzuführen. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Behandlungserfolg konservativer Maßnahmen zur Verringerung des Körpergewichts um wenigstens 20 vom Hundert (v.H.) bei ebenfalls nur 20 v.H. der Fälle liege. Operative Maßnahmen hingegen erreichten diesen Wert in ungefähr 70 v.H. der Fälle. Durch die MBO werde einer Verschlimmerung ihres Gesundheitszustands entgegengetreten und bereits bestehende Erkrankungen würden gemildert. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten habe sie einen Anspruch auf die Operation. Dadurch werde häufigeren Krankmeldungen und dem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes vorgebeugt. Die Klägerin begehrte die Erstattung der Kosten für die durchgeführte Operation. Dabei habe es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme gehandelt. Denn sie habe die berechtigte Hoffnung gehabt, Ende Mai 2004 eine neue Arbeitsstelle antreten zu können. Die Beklagte erhob das nach Aktenlage erstattete weitere Sozialmedizinische Gutachten des Dr. Wi. vom MDK in H. vom 23. April 2004; auch dieser Arzt gelangte zu dem Ergebnis, eine Ausschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten sei nicht erkennbar. Die beantragte Leistung könne nicht als Ultima Ratio eingestuft werden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsausschusses vom 30. Juli 2004).

Deswegen erhob die Klägerin am 06. September 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Stuttgart. Sie wiederholte ihre Widerspruchsbegründung und trug ergänzend vor, die MBO zeichne sich gerade auch bei so genannten "Sweet-Eatern" durch eine hohe Effizienz aus, indem dadurch die Nahrungsaufnahme und Fettverdauung eingeschränkt werde. Die Ausführungen des MDK im Gutachten vom 23. April 2004 bezögen sich nicht auf eine MBO, sondern auf das Anlegen eines Magenbandes. Die Bezugnahme durch den MDK auf die "AWMF-Leitlinien" sei verfehlt. Bei beiden Vorgehensweisen handle es sich um vollkommen unterschiedliche Operationsmethoden. Das Magenband eigne sich tatsächlich nur wenig für Sweet-Eater, was jedoch für sie ohne Belang sei. Die Beklagte differenziere nicht, dass ein Sweet-Eater etwas völlig anderes sei als jemand, der unter dem so genannten Binge Eating (anfallsartiges Essen großer Mengen ohne Erbrechen) oder Bilumie (mit Erbrechen oder Einnahme von Abführmitteln als Kompensationshandlung) leide. Allein beim Vorliegen dieser beiden Erkrankungen wäre eine psychotherapeutische Betreuung indiziert. Die von der Beklagten vorgelegte "Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas" vom 21. März 2004 (Leitlinie 2004) wolle mit dem dualen Therapeutenansatz keine zwingende Voraussetzung für die Durchführung einer chirurgischen Therapie bei extremer Adipositas schaffen. Vielmehr komme es darauf an, dass mit dem Phänomen der Adipositas als Erkrankung vertraute Mediziner mit der präoperativen Indikationsstellung befasst würden. Dieses sei sowohl bei den indikationstellenden Medizinern der Chirurgischen Praxis "Am Dornbusch" als auch bei dem den Eingriff durchführenden Chirurgen Prof. Dr. W. der Fall, der Mitglied der Leitlinienkommission sei. Bei ihr hätte die Krankenhausbehandlung verordnet werden dürfen, da die ambulante Versorgung offensichtlich zur Erzielung des Heil- und Linderungserfolgs nicht ausgereicht hätte. Ihre Versuche der Gewichtsreduktion seien in der Vergangenheit erfolglos geblieben. Auch seien konservative Behandlungsmethoden bei so genannten "Sweet-Eatern", wie sie, zur Bekämpfung des Übergewichts weitgehend ungeeignet, wozu ein Sachverständigengutachten erhoben werden müsse. Die Klägerin gab im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG ihr aktuelles Gewicht mit 63 kg an und reichte verschiedene Unterlagen ein, darunter die Entlassungsmitteilung des Krankenhauses S. vom 07. Juni 2004 sowie die Rechnungen vom 19. Mai und 07. Juni 2004. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten und der Leitlinie 2004 entgegen. Für die präoperative Indikationsstellung sei nach dieser Leitlinie ein multidisziplinärer Therapieansatz unter Einbeziehung von mindestens zwei Therapeuten notwendig. Diese Voraussetzung sei nachweislich nicht erfüllt. Ferner habe die Klägerin bisher ebenfalls nicht belegen können, dass die konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft worden seien. Bei ihr bestehe auch eine Kontraindikation für eine adipositaschirurgische Maßnahme, die sich daraus ergebe, dass sie sich selbst als "Sweet-Eaterin" bezeichnet habe. Dies sei eine offensichtliche Essstörung. Das SG erhob am 11. Oktober 2005 eine telefonische Auskunft der Ärztin S., die auch noch folgende Unterlagen vorlegte: Arztbrief des Prof. Dr. W., Chefarzt der Chirurgie und Unfallchirurgie des Krankenhauses S., vom 09. Mai 2005 sowie die Berichte des PD Dr. M. vom 21. Juni 2004 (derzeitiges Gewicht 110 kg) und vom 28. April 2005 (derzeitiges Gewicht 75 kg). Mit Urteil vom 12. Oktober 2005 wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe des dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 29. Dezember 2005 zugestellten Urteils wird Bezug genommen.

Dagegen hat die Klägerin am 16. Januar 2006 mit Fernkopie Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie hat die "Evidenzbasierte Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas" (Version 2005, Leitlinie 2005) vorgelegt. Sie trägt vor, zu Unrecht verneine das SG die Ausschöpfung von vorhandenen konservativen Behandlungsmöglichkeiten. Die Leitlinie 2005 halte zur Therapie und Prävention vor der Indikationsstellung für einen chirurgischen Eingriff eine erfolglose konservative Behandlung von wenigstens sechs bis zwölf Monaten nach den hierfür vorgegebenen Qualitätsmerkmalen für ausreichend. Eine psychologische oder psychosomatische Behandlung werde nicht prinzipiell, sondern nur beim Verdacht von Essstörungen für erforderlich gehalten. Sie habe vor ihrer Entscheidung, die Adipositas chirurgisch behandeln zu lassen, nachweislich über einen Zeitraum von sieben Monaten erfolglos konservative Behandlungsmaßnahmen unternommen. Es erschließe sich aus den Entscheidungsgründen des SG-Urteils nicht, weswegen dies nicht ausreichend sein solle. Die Leitlinie 2005 enthalte kein Kriterium der Unmittelbarkeit. Sinn und Zweck des Erfordernisses von vorangegangenen konservativen Behandlungsmethoden sei es nur, dass der Betroffene versucht haben solle, ohne das Risiko eines chirurgischen Eingriffs sein Körpergewicht zu reduzieren. Gelinge ihm das nicht, sei der Nachweis erbracht, dass konservative Behandlungsmethoden im Fall des Betroffenen nicht zum gewünschten Erfolg geführt hätten. Dieses gelte auch für das Kriterium einer vorangegangenen psychologischen Betreuung. Sie bezweifle, dass bei ihr eine Essstörung vorgelegen habe. Das SG führe im Übrigen den Grundsatz der Eigenverantwortung für eine gesundheitsbewusste Lebensführung an und verweigere mit der Mutmaßung fehlender Eigenverantwortung bei ihr den Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung. Es ignoriere die Vielzahl möglicher anderer Ursachen für Übergewicht und Adipositas und unterstelle ihr eine Willensschwäche. Gerade deswegen, weil sie verantwortungsbewusst mit ihrer Gesundheit habe umgehen wollen, habe sie sich chirurgisch behandeln lassen. Bei dem vom BSG aufgestellten Kriterium der Ultima Ratio handle es sich ebenfalls nicht um eine starre Vorgabe in der Hinsicht, dass ein Betroffener vorab sämtliche Behandlungsmethoden und hierzu zur Verfügung stehenden Instrumentalien ausprobiert haben müsse, bevor er einen chirurgischen Eingriff begehre. Die Leitlinie 2005 begrenze den Anspruch auf eine Operation nicht bloß auf einzelne exotische Ausnahmefälle. Es müsse vielmehr davon ausgegangen werden, dass im Regelfall Personen mit einem BMI von mindestens 30 sich selbst nicht als gesund ansehen würden und um die Risiken des Übergewichts für ihren Körper wüssten. Sie habe nicht sämtliche Kriterien nach der aktuellen Leitlinie vor Durchführung des chirurgischen Angriffs erfüllt. Die Leitlinie 2005 sei eine zu beachtende Empfehlung, und zwar in der Form, dass bestimmt werde, wann spätestens ein chirurgischer Eingriff durchgeführt werden solle. Jedoch seien die darin angesprochenen Voraussetzungen dann nicht als allein maßgeblich anzusehen, wenn, wie bei ihr, bereits ernsthafte, durch die Adipositas bedingte Erkrankungen eingetreten seien und der Leidensdruck aufgrund des extremen Übergewichts groß geworden sei. Die Leitlinie 2005 könne auch nur dann eins zu eins angewendet werden, wenn ein Betroffener mit erheblichem Übergewicht von Beginn an entsprechend konservativ behandelt werde. Nach wie vor sei der Erfolg von konservativen Behandlungsmethoden deutlich geringer als bei chirurgischen Eingriffen. Ihr insoweit zuzumuten, sich zunächst auf weitere konservative Behandlungsmethoden verweisen zu lassen, um sich nach Ausbleiben des Erfolgs und einer in diesem Zusammenhang nicht auszuschließenden Verschlimmerung von bereits diagnostizierten Folgeerkrankungen sowie der Möglichkeit des Auftretens weiterer Erkrankungen letzten Endes doch noch einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen, könne nicht Sinn und Zweck einer sinnvollen Adipositas-Therapie sein. Es müsse ihr konkreter Einzelfall in Bezug auf den im Zeitpunkt des Eingriffs bereits angegriffenen Gesundheitszustand angemessen berücksichtigt werden. Im Jahre 2004 sei sie im Hinblick auf die Sicherung ihres Arbeitsverhältnisses auf eine erfolgreiche Behandlungsmethode angewiesen gewesen, um Fehlzeiten gering zu halten und sich nicht der Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes ausgesetzt zu sehen. Aufgrund des sehr erfolgreich verlaufenden chirurgischen Eingriffs sei es für sie kein Problem gewesen, den Arbeitsplatz zu erhalten. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass Prof. Dr. W., der die Operation durchgeführt habe, Mitglied der Leitlinienkommission gewesen sei. Dieser Arzt habe die Voraussetzungen für den chirurgischen Eingriff bejaht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2004 zu verurteilen, an sie EUR 9.991,09 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen nach § 13 Abs. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zu beurteilenden Anspruch auf Erstattung von EUR 9.991,09. Da die Beklagte nicht verpflichtet war, die Krankenhausbehandlung zur Durchführung der MBO als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten. Dies hat das SG in dem angegriffenen Urteil mit zutreffenden Gründen dargelegt, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird.

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Auch der Senat vermag nicht festzustellen, dass die im Mai 2004 - nach Erlass des Ablehnungsbescheids vom 21. Januar 2004 - mit dem Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion durchgeführte vollstationäre chirurgische Behandlung in einem Vertragskrankenhaus unter Berücksichtigung der konservativen Behandlungsalternativen (diätische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) und der maßgebenden Leitlinien der Fachgesellschaften als so genannte Ultima Ratio im Sinne der §§ 12 Abs. 1, 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V notwendig und wirtschaftlich war. Dabei handelte es sich bei der durchgeführten MBO, bei der ein kleiner Teilmagen mit einer unterschiedlich langen Dünndarmschlinge verbunden wird, sodass die Gewichtsabnahme einmal durch die Einschränkung der Nahrungszufuhr (restriktive Komponente), zum anderen über die Verkürzung des in Funktion befindlichen Dünndarms (Malabsorbtionskomponente) erreicht werden soll, um eine mittelbare Behandlung, mit der an sich an einem gesunden Organ angesetzt wurde. Als hier maßgebende Leitlinien der Fachgesellschaften (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 - B 1 KR 37/01 R - = SozR 4-2500 § 137c Nr. 1) zieht der Senat die von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas und der Deutschen Adipositasgesellschaft herausgegebene "Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas" (21. März 2004, Leitlinie 2004), von der Beklagten vorgelegt, sowie die von der Deutschen Adipositasgesellschaft, der Deutschen Diabetesgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin herausgegebene "evidenzbasierte Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas" (Version 2005, Leitlinie 2005), von der Klägerin vorgelegt, heran. Insoweit setzt die Leitlinie 2004 bei allen adipositaschirurgischen Maßnahmen voraus, dass "konservative Behandlungsmaßnahmen nachweislich nicht erfolgreich waren". Dazu rechnen "Therapieprogramme unter stationären Bedingungen, Rehabilitationsmaßnahmen (ambulant und/oder stationär), Selbsthilfegruppen wie Weight Watchers oder eigenverantwortliche Diätmaßnahmen unter ärztlicher Kontrolle", ferner auch Bewegungstherapie. Danach bestehen Kontraindikationen für adipositaschirurgische Maßnahmen u.a. bei Essstörungen. Nach der Leitlinie 2005 ist vor der Indikationsstellung für eine chirurgische Therapie wenigstens eine sechs- bis zwölfmonatige (erfolglose) konservative Behandlung erforderlich. Deren Programm soll die Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie umfassen, und zwar in zwei Phasen. In der ersten Phase stehe die Gewichtsreduktion im Vordergrund, während die zweite Gewichtsphase der Gewichtserhaltung mit langfristiger Ernährungsumstellung diene. Auch danach ist bei Patienten mit Verdacht auf eine Essstörung ein Psychiater oder Psychotherapeut zunächst hinzuzuziehen. Entsprechend diesen Kriterien ist nicht erkennbar, dass die Klägerin vor der ersten Diagnosestellung im November 2003 bzw. bis zur Durchführung der Operation im Mai 2004 im Erwachsenenalter erfolglos eine solche längerfristige konservative Behandlung, die aus Ernährungstherapie, Bewegungstherapie und Verhaltenstherapie bestand, erfolglos durchgeführt hat. Die 1991 und 1994 im Kindesalter bzw. im Alter als Heranwachsende durchgeführten stationären Maßnahmen, die nicht bewirkt hatten, dass bei der Klägerin das Gewicht von 62,2 bzw. 72,3 kg gehalten werden konnte, rechtfertigen nicht die Feststellung, dass bei der Klägerin die konservativen Behandlungsalternativen ausgeschöpft waren. Dies gilt auch nicht, soweit die Klägerin geltend macht, bei ihr sei ein 1999 unter hausärztlicher Kontrolle durchgeführter frustraner Diätversuch erfolglos geblieben. Die konservative Behandlung, bestehend aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie, hätte insoweit unter ärztlicher Kontrolle über den genannten Zeitraum unmittelbar vor der Diagnosestellung bzw. vor der Operation durchgeführt werden müssen. Die Operation erschien nicht als Ultima Ratio. Abgesehen davon ist nicht auszuschließen, dass bei der Klägerin im Hinblick auf die von ihr geltend gemachte Süßsüchtigkeit auch eine Essstörung vorlag, die die vorherige Heranziehung eines Psychiaters oder Psychotherapeuten erforderlich gemacht hätte. Darauf, dass in der Leitlinie 2004 darauf hingewiesen wird, dass chirurgische Verfahren zur Behandlung der Adipositas Grad III in gut dokumentierten Langzeitergebnissen eine Reduktion der Komorbidität und eine deutlich erhöhte Lebensqualität der von der extremen Adipositas betroffenen Menschen gezeigt hätten, kann sich die Klägerin zur Bejahung der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der durchgeführten Operation nicht berufen. Auch der bei ihr aufgrund der Operation eingetretene Erfolg, dass bei einem Gewicht vor der Operation von 122 kg nach der Operation, d.h. am 28. April 2005, ein solches von 75 kg dokumentiert ist, stützt die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht. Denn ebenso wie die konservativen Behandlungsmethoden setzt in jedem Fall auch ein Langzeiterfolg bei einer adipositaschirurgischen Maßnahme voraus, dass die zu verändernden Lebens- und Ernährungsbedingungen auf Dauer umgesetzt werden, d.h. dass die Energiebilanz auf Dauer so bemessen werden muss, dass das Körpergewicht konstant bleibt. Eine solche Verhaltensänderung hat die Klägerin vor der Operation nicht gezeigt, auch nicht unter ärztlicher Kontrolle in Angriff genommen. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, dass Prof. Dr. W., der bei der Klägerin die Operation im Krankenhaus S. durchgeführt hat, zu den Autoren der Leitlinie 2004 gehört.

Danach war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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