L 9 U 4963/06 A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4963/06 A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Ablehnungsantrag des Klägers vom 21. September 2006 gegen Richterin H. wird für begründet erklärt.

Gründe:

I.

Im zugrunde liegenden Verfahren vor dem Sozialgericht ist die Anerkennung einer HIV-Infektion als Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV - streitig.

Der Kläger ist nach abgeschlossenem Medizinstudium und nach Beschäftigungen in verschiedenen Krankenhäusern seit 2001 als Arzt in der Abteilung Anästhesie eines Krankenhauses beschäftigt. Der Kläger ist verheiratet und Vater eines Kindes.

Am 4. März 2003 zeigte der damalige Betriebsarzt des Krankenhauses der Beklagten an, dass der Kläger an einer akuten HIV-Infektion leide, die von PD Dr. K. antiretroviral therapiert werde. Infektionszeitpunkt sei mutmaßlich Ende Juli 2002 gewesen. Der positive HIV-Test datiere auf September 2002. Aufgrund einer angeblich im Op. zugezogenen Nadelstichverletzung und dem Umgang mit infektiösem Material im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit sei die Berufskrankheit Nr. 3101 (HIV-Infektion) anzunehmen. Weiter hieß es auf dem Meldeformular "Arbeitgeber soll nichts erfahren !!".

In seinen Angaben zum Vorgang berichtete der Kläger, seine jetzige Erkrankung habe sich erstmals im August 2002 durch Hyperthermie (bis 38,5° C), Bauchschmerzen, Diarrhoe, Hautausschlag und Lymphadenopathie bemerkbar gemacht. Seit September 2002 werde er von PD Dr. K. behandelt. Im Juli 2002 sei er mit der Behandlung zweier HIV-positiver Patienten in Berührung gekommen. Dabei habe er sich eine Stichverletzung mit einer Kanüle aus dem Kanülenabwurfbehälter zugezogen. Es bestand Einverständnis, sich bei PD Dr. K. näher wegen der Erkrankung zu informieren; eine Unterrichtung des Arbeitgebers würde aber in jedem Fall abgelehnt.

Daraufhin zog die Beklagte ein von der Krankenversicherung geführtes Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei. Darin waren bis zum 1. April 2002 keine Erkrankungen und Behandlungen registriert. Die Diagnose "Aids-Erkrankung" taucht unter dem Diagnoseschlüssel "042" erstmals mit Abrechnungen von November und Dezember 2002 für den Behandlungszeitraum ab September 2002 auf.

Der anschließend von der Beklagten befragte, den Kläger behandelnde Arzt PD. Dr. K. gab an, den Kläger erstmals am 27. September 2002 behandelt zu haben. Dabei habe er folgenden Befund festgestellt: klinisch einige bis ca. 1 cm große Lymphknoten zervikal und in der rechten Leiste, ansonsten unauffällig, laborchemisch HIV-Antikörper positiv, HI-Viruslast 3 Mio. copies/ml, T4-Helferzellen 456/µl. Der Kläger werde seither auf Dauer antiretroviral therapiert; diese Therapie sei fortzuführen. Der Behandlungsverlauf sei bislang als unkompliziert zu bezeichnen. Am 21. März 2003 habe die HI-Viruslast noch 610 copies/ml bei T4-Helferzellen von 985/µl gelegen. Die anamnestischen Angaben des Klägers seien schlüssig. Das im August 2002 aufgetretene Krankheitsbild sei eindeutig mit einer akuten HIV-Infektion vereinbar. Die laborchemische Diagnostik vom September 2002 beweise die HIV-Infektion. Der serologische Verlauf spreche für eine kürzliche Infektion. Eine Nachuntersuchung einer Serumprobe des Klägers von Januar 2001 habe negative HIV-Antikörper aufgewiesen. Der Infektionszeitpunkt müsse deshalb zwischen Dezember 2000 und August 2002 liegen.

Im Folgenden legte der Kläger einen anonymisierten Befundbericht über einen in der Zeit vom Mai bis Juli 2002 im Krankenhaus stationär behandelten Patienten zu den Akten der Beklagten vor. Die für diesen Patienten gestellten Diagnosen lauteten u. a. HIV-positiv.

Daraufhin bat die Beklagte den Kläger u. a. um weitere Auskünfte, insbesondere zur geltend gemachten Nadelstichverletzung, über einen weiteren von ihm im Krankenhaus als Anästhesist betreuten HIV-positiven Patienten sowie um die Erteilung des Einverständnisses zur Beteiligung des Staatlichen Gewerbearztes am Verfahren. In der Folge kam es im Juli 2003 zu einer Vorsprache des Klägers auf der Dienststelle der Beklagten, die protokollgemäß dokumentiert wurde. Anlässlich dieser Besprechung machte der Kläger folgende Angaben: Er sei weiterhin als Anästhesist tätig und übe daneben noch Notarzttätigkeiten für das ihn beschäftigende Krankenhaus aus. Für beide Tätigkeiten trage er Handschuhe; dies sei bei invasiven Tätigkeiten auch vorgeschrieben. Den Befundbericht über den HIV-positiven Patienten, der zwischenzeitlich verstorben sei, habe er der Beklagten anonym zugeleitet. Ob er bei der Operation dieses Patienten anwesend gewesen sei oder ihn behandelt habe, wisse er nicht mehr genau. Nachforschungen in den damaligen Einsatzplänen und OP-Belegungsplänen seien nicht möglich, da dann die Gefahr bestehe, dass vom Arbeitgeber nachgefragt werde, wofür die Informationen benötigt würden. An einen zweiten HIV-positiven Patienten könne er sich nur noch insoweit erinnern, als bei diesem ein Leistenbruch operativ versorgt worden sei. Die Stichverletzung habe er zwar bemerkt, aber nicht gemeldet oder im Verbandbuch registrieren lassen. Er habe sie zunächst als Bagatelle abgetan und sich erst im nachhinein daran erinnert, dass er sich an einer unbekannten, blutkontaminierten Hohlnadel im Abwurfbehälter gestochen habe. Es komme vor, dass diese Behälter nicht rechtzeitig geleert würden, so dass dann eine Nadel herausstehe. Insofern sei auch der sog. "Spenderpatient" unbekannt.

Der im Anschluss daran von der Beklagten befragte ehemalige Betriebsarzt des Krankenhauses teilte im August 2003 schriftlich mit, dass die Tätigkeit in der Anästhesieabteilung des Krankenhauses als Tätigkeit mit erhöhter Infektionsgefahr einzustufen sei. Der vom Kläger beschriebene Mechanismus der Stichverletzung sei zudem plausibel und nachvollziehbar. Zwar stehe auf jedem Narkosewagen ein spezieller Kanülenabwurfbehälter, doch ab einer gewissen Füllung ragten die Viggonadeln öfters aus der Öffnung heraus. Eine Stichverletzung sei deshalb durchaus möglich. Ergänzend gab er auf telefonische Nachfrage der Beklagten an, dass der Kläger auch viele Notarztschichten belegt habe und außerdem häufig in notärztlicher Bereitschaft eingesetzt worden sei. Aus seiner Erinnerung heraus habe der Kläger monatlich mindestens 10 Schichten als Notarzt abgeleistet. Ein Zusammenhang zwischen der HIV-Infektion und der Tätigkeit des Klägers sei hinreichend wahrscheinlich. Eine innerbetriebliche Ermittlung sei deshalb nicht sinnvoll.

Im Jahre 2002 und 2003 bei der Ehefrau des Klägers durchgeführte HIV-Tests förderten jeweils negative Ergebnisse zu Tage.

Auf den vom Kläger vorgelegten Monatsabrechnungen des ihn beschäftigenden Krankenhauses fanden sich regelmäßig erhebliche Zusatzbezüge für Bereitschafts- und ab Januar 2002 auch für Noteinweisungsdienste.

Nunmehr beauftragte die Beklagte PD Dr. K., Universität W. den Kläger internistisch zu untersuchen und zu begutachten. Im Gutachten vom 18. Februar 2004 kam PD Dr. K. zu folgenden Ergebnissen: Der Kläger habe am Untersuchungstag über gelegentliche Schmerzen im Epigastrium und Sodbrennen geklagt. Ansonsten habe er gänzliche Beschwerdefreiheit und normale Leistungsfähigkeit angegeben. Klinisch habe sich der Kläger mit vollkommen regelhaften Befund präsentiert. Laborchemisch sei eine HIV-1-Infektion mit aktuell minimaler HI-Viruslast von 180 copies/ml und normalem Immunstatus nachzuweisen gewesen. Damit sei die HIV-Infektion des Klägers mit Sicherheit nachgewiesen. Klinisch sei die HIV-Infektion vollkommen asymptomatisch. Auch wenn der Arbeitsunfall als solcher nicht dokumentiert worden sei und bislang keine eindeutige Index-Person identifiziert worden sei, so machten die berufliche Exposition zum Blut im Rahmen der erlittenen Nadelstichverletzung und das Vorkommen von HIV-Infizierten im Tätigkeitsbereich des Klägers einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der eingetretenen HIV-Infektion hinreichend wahrscheinlich. Für anderweitige Infektionsrisiken ergäben sich im Übrigen auch keinerlei Anhaltspunkte. Die vorbestehenden Virus-Hepatitiden A, B und C habe der Kläger sicherlich bereits in Kasachstan akquiriert; sie seien sämtlich ausgeheilt. Die HIV-Infektion habe sich Ende Juli 2002 ereignet und sei im August 2002 im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung mit Beginn des akuten HIV-Infektions-Syndroms eingetreten. Die antiretrovirale Behandlung sei fortzuführen, weitere Maßnahmen seien nicht erforderlich. Wesentliche Folgen habe die HIV-Infektion nicht ausgelöst. Die MdE werde auf 10 v.H. geschätzt. Eine Änderung der Folgen der Berufskrankheit sei insbesondere bei Versagen der derzeitigen Behandlung möglich. Eine Nachuntersuchung solle in 12 bis 18 Monaten erfolgen.

Daraufhin holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme vom Allgemeinmediziner und Tropenarzt Dr. J., ein. Mit Stellungnahme vom 13. April 2004 teilte Dr. J. mit, die HIV-Infektion des Klägers sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers und des ehemaligen Betriebsarztes stehe die berufliche Exposition des Klägers zu Blut ebenso fest, wie die Tatsache, dass im Krankenhaus im Sommer des Jahres 2002 an Aids erkrankte oder HIV-positive Patienten behandelt worden seien. Eine Stichverletzung, wie sie der Kläger beschrieben habe, sei plausibel und nachvollziehbar. Wahrscheinlich sei es zu der HIV-Infektion des Klägers etwa Ende Juli 2002 gekommen, weil etwa Ende August 2002 eine hochfieberhafte Erkrankung aufgetreten sei, die rückblickend als "akute HIV-Krankheit" gewertet werden müsse. Nach neueren Untersuchungen komme es bei 81% der beruflich Infizierten in den ersten drei bis acht Wochen nach der Ansteckung zu einer akuten HIV-Krankheit (schweres fieberhaftes Krankheitsbild). Wenn ein solches Ereignis dokumentiert sei und in zeitlichem Zusammenhang mit dem dokumentierten/vermuteten Expositionszeitpunkt stehe, habe es ähnlich wie eine entsprechende Serokonversion fast Beweischarakter. Beim Kläger sei die Serokonversion bewiesen, während die Kanülenstichverletzung und die akute HIV-Krankheit glaubhaft gemacht worden seien. Daher werde vorgeschlagen, die HIV-Infektion des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen. Die MdE beim Kläger bewerte er - abweichend von PD Dr. K. - mit 20 v.H ... Maßgeblich dafür sei für ihn, dass die erforderliche dauernde antiretrovirale Behandlung, obgleich vom Kläger bislang gut vertragen, eine erhebliche Belastung darstelle. Außerdem ergebe sich aus der beruflichen Situation des Klägers - Verheimlichung der HIV-Infektion gegenüber dem neuen Betriebsarzt und dem Arbeitgeber wegen befürchteter Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses - eine besondere psychosoziale Belastung. Das Geheimhalten der HIV-Infektion erfordere einen erheblichen psychischen und organisatorischen Aufwand. Hinzu komme, dass der Kläger auch den Arbeitgeber faktisch nicht wechseln könne, weil im Rahmen von Einstellungsuntersuchungen immer die Gefahr bestehe, dass die HIV-Infektion offenbar werde. Als Folge der Berufskrankheit HIV könne der Kläger seinen Beruf am gegenwärtigen Arbeitsplatz mit Einschränkungen weiter ausüben, dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Gesundheitsberufe stehe er aber faktisch nicht mehr zur Verfügung. Dadurch sei er in seiner Berufsfreiheit erheblich eingeschränkt. Daher schätze er die MdE des Klägers ab September 2002 auf 20 v.H. bis 30 v.H. Weitere Ermittlungen halte er nicht für angezeigt. Den Beruf des Anästhesisten könne der Kläger grundsätzlich weiter ausüben, da Anästhesisten regelmäßig nicht Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr verrichteten. Im Fall des Klägers sei allerdings problematisch, dass niemand - auch nicht der gegenwärtige Betriebsarzt - über die HIV-Infektion unterrichtet sei. Ferner sei nach Aktenlage nicht beurteilbar, wie die Anästhesistenarbeit im Krankenhaus im Hinblick auf erforderliche Reanimationen, Notfälle in der zentralen Notaufnahme und im Notarztdienst konkret organisiert sei. Zur Klärung dieser Fragen werde zur fachlichen und rechtlichen Absicherung des Klägers vorgeschlagen, eine Fallkonferenz im anonymen Verfahren und in einer entfernten Stadt einzuschalten. Beratend könnte der frühere Betriebsarzt hinzugezogen werden. Außer dessen Person blieben alle andere Personen anonym; außerdem seien sämtliche Hinweise auf das Krankenhaus und die Person des Klägers zu anonymisieren. Mit alledem müsse sich der Kläger aber vorab einverstanden erklären.

In einem internen Aktenvermerk der Beklagten vom 12. Juli 2004 wurde nach einer Besprechung des Falls auf Geschäftsführerebene festgehalten, dass die Beklagte die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Ziffer 3101 BKV als nicht erfüllt ansieht, da der ursächliche Zusammenhang der HIV-Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit nachgewiesen worden sei. Aufgrund des fehlenden Einverständnisses des Klägers seien Vor-Ort Ermittlungen zur Feststellung der konkreten Infektionsquelle nicht möglich, so dass letztlich unklar geblieben sei, ob tatsächlich ein entsprechender invasiver Kontakt zu einem möglichen HIV-positiven Patienten bestanden habe. Weiter hieß es wörtlich: "Ein rechtfertigender Notstand und somit das Recht zur Information des Gesundheitsamtes liegt nicht vor, da gegen die weitere Ausübung der Tätigkeit als Anästhesist keine Bedenken bestehen und die Tätigkeit als Notarzt bei gewissenhafter Verwendung doppelter Indikatorhandschuhe und entsprechender Therapie ohne wesentliche Gefährdung für Dritte ausgeübt werden kann. Es sollte allerdings kein Hinweis über die interne Prüfung des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) bzw. die dem Versicherten noch möglichen Berufsausübungen in den Bescheid aufgenommen werden, da hierdurch möglicherweise ein Freibrief erteilt wird. Diese Einschätzung basiert auf einer Stellungnahme von Herrn Dr. S., Abt. Prävention der Beklagten sowie von Herrn Dr. H., Universität W."

Mit Bescheid vom 4. August 2004 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziffer 3101 BKV mit der Begründung ab, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der HIV-Infektion und der beruflichen Tätigkeit des Klägers sei nicht nachgewiesen.

Den vom Kläger dagegen am 30. August 2004 unter Bezugnahme auf die abweichende Auffassung des Gutachters PD Dr. K. und des Beratungsarztes Dr. J. erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es: Es könne nicht nachvollzogen werden, in welchem Umfang z.B. invasive Tätigkeiten mit Nadeln, Venen- oder Arterienkathetern und Injektionskanülen erfolgt seien. Gefährdende Arbeitsbereiche oder Tätigkeiten seien nicht bewiesen. Auch Stichverletzungen seien nicht nachgewiesen. Eine Exposition zu Blut sei daher auch nicht automatisch gegeben, wenn - wie vorgetragen - generell Handschuhe getragen worden seien. Vom Betriebsarzt sei zwar bestätigt worden, dass der Kläger Notarztschichten belegt habe, doch fehlten auch hier dokumentierende Unterlagen wie Einsatzpläne und Patientenunterlagen.

Am 3. Mai 2005 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht.

Der Kläger bezog sich erneut auf die sachverständigen Ausführungen von PD Dr. K. und Dr. J. sowie die Stellungnahme des Betriebsarztes. Dass er sich, nachdem er der ursprünglich kleinen Stichverletzung keinerlei Bedeutung beigemessen habe, nach langer Zeit nicht mehr exakt daran erinnern könne, dass die Stichverletzung bei seinem medizinischen Mitwirken gerade an einem individualisierbaren Patienten aufgetreten sei, spreche vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit als Anästhesist und Notarzt nicht gegen, sondern für seine Glaubwürdigkeit. Er habe als Anästhesist monatlich vier bis sechs Bereitschaftsdienste und daneben noch zehn Schichten Notarztdienst absolviert. Allein diese Tätigkeiten vermittelten ein Risikopotential, das für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Infektion ausreiche, denn auch wenn das Krankenhaus nicht zu den primären Anlaufstellen von HIV-positiven Erkrankten gehöre, sei neben der Zahl der registrierten Erkrankten auch in der dortigen Gegend die Dunkelziffer ausreichend groß, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung bei einer leichten Stichverletzung bei der Arbeit als Notfallmediziner oder Anästhesist zu begründen. Dies sei gutachtlich durch Dr. J. zu klären. Die personelle Besetzung des Anästhesie- und Notfallbereiches des Krankenhauses begründe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er den dokumentierten HIV-positiven Patienten in jedem Fall betreut habe, zumal der Patient nahezu acht Wochen im Krankenhaus stationär behandelt worden sei. Dies könne der Betriebsarzt bestätigen. Soweit die Beklagte behaupte, er habe regelmäßig mit Handschuhen gearbeitet, treffe dies erst für die Zeit ab dem Bekanntwerden seiner HIV-Infektion zu. Zuvor habe er nicht stets Handschuhe getragen, was auch jetzt dann der Fall sei, wenn aus medizinischen Gründen keine zeitliche Möglichkeit bestehe, vor einer Tätigkeit noch Handschuhe anzuziehen.

Am 4. August 2005 wurde der Fall vor dem SG erörtert. Nachdem der Kläger auf eine weitere Aufklärungsverfügung vom 24. November 2005 nicht reagiert hatte, hörte das SG die Beteiligten unter dem 29. März 2006 zur beabsichtigten Entscheidung des Falls durch Gerichtsbescheid an. Ein solcher erging in der Folge nicht. Vielmehr erteilte Richterin H. mit Verfügung vom 21. August 2006 folgenden schriftlichen Hinweis:

"Das Gericht weist darauf hin, dass es für Ermittlungen beim Arbeitgeber des Klägers nicht dessen Einverständnis benötigt. Es wird daher dem Kläger eine Frist bis zum 22. September 2006 zur Stellungnahme über den weiteren Verfahrensfortgang gesetzt. Danach wird das Gericht Ermittlungen von Amts wegen vornehmen.

Zudem ergeht folgender richterlicher Hinweis:

Das Gericht sieht nach eingehender und umfassender Prüfung des Sachverhalts eine Pflicht des Gerichts nach § 34 StGB zur Meldung der HIV-Infektion des Klägers an den Träger des Krankenhauses als gegeben an. Dieser Entscheidung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Vorliegend besteht nach dem medizinischen Sachverhalt eine latente Gefahr für die Gesundheit der vom Kläger behandelten Patienten. Dieser ist als Anästhesist und Notfallarzt tätig. Nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts vom 19.01.2001 Nr. 3 gehören Operationen mit den Fingern in der Nähe spitzer Instrumente zu den Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr. Aus dem Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts vom 19.10.2001 Nr. 42 wird die Tätigkeit in der Anästhesie und Notfallmedizin als besondere berufliche Gefährdung aufgeführt. Nach der Aussage von des Betriebsarztes sind die Anästhesisten in der Klinik des Klägers sowohl für die Notaufnahme als auch für die Intensivstation tätig. Somit bestehe durch die Anästhesistentätigkeit eine erhöhte Infektionsgefahr. Auch der beschriebene Ansteckungsmechanismus sei nach den örtlichen Gegebenheiten nachvollziehbar. Der Kläger habe häufig Notarztschichten verrichtet. Der Kläger hat selbst in einem Telefongespräch bestätigt, dass Blutkontakte bei Rettungseinsätzen nicht auszuschließen sind. Der Beratungsarzt Dr. J. führte in seiner Stellungnahme vom 13.04.2004 aus, dass die Tätigkeit eines Anästhesisten keine Tätigkeit mit erhöhter Übertragungsgefahr darstelle. Er könne allerdings nicht die konkrete Arbeitssituation des Klägers beurteilen und insbesondere keine Stellungnahme dazu nehmen, ob dies auch für Notarzteinsätze gelte. Die Beklagte hat unter Maßgabe, dass bei der Notarzttätigkeit doppelte Handschuhe getragen werden, einen rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB verneint. Dies ist jedoch dem Kläger nach seinen Ausführungen in der Klagebegründung auf Bl. 17 der Gerichtsakte nicht immer möglich.

Aus der im Verfahren von Klägerseite vorgetragenen und in den medizinischen Berichten bestätigten Gefährdung durch seine Tätigkeit ergibt sich jedoch im Gegenschluss auch eine erhebliche, unmittelbare Gefährdung der Ansteckung der Patienten. Gerade die Aussage in der Klagebegründung vom 20.06.2005, dass der Kläger nach Möglichkeit Handschuhe trage, dies jedoch manchmal unterbleibt, wenn aus medizinischen Gründen hierzu keine Zeit mehr besteht, beweist, dass es dem Kläger nicht immer möglich ist, die erforderlichen Hygienemaßnahmen einzuhalten und dies angesichts der gefährdenden Tätigkeit als Notarzt und Anästhesist eine erhebliche Übertragungsgefahr zur Folge hat. Es besteht daher eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit und damit für Leib und Leben der Patienten durch die berufliche Tätigkeit des Klägers.

Die Gefahr der Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter ist auch gegenwärtig, da es jederzeit möglich ist, dass im Notfall nicht mehr die erforderlichen Hygienemaßnahmen eingehalten werden können und somit eine unmittelbare Übertragungsgefahr entsteht.

Durch die Meldung der Erkrankung besteht für den Kläger die Gefahr, dass er berufliche Nachteile erleidet. Diese Beeinträchtigung seiner Interessen ist jedoch nach einer Interessenabwägung gerechtfertigt. Auf der einen Seite steht die Gefahr der Übertragung der Erkrankung des Klägers auf seine Patienten, auf der anderen Seite die Gefahr, berufliche Nachteile zu erleiden. Nach Ansicht des Gerichts überwiegt im vorliegenden Fall der Schutz von Leib und Leben der Patienten wesentlich das Interesse des Klägers am Schutz vor beruflichen Nachteilen. Nach den Gesamtumständen besteht eine erhebliche unmittelbare Übertragungsgefahr gerade durch das Tätigkeitsfeld des Klägers und der nicht auszuschließenden Möglichkeit, dass die Infektionsschutzmaßnahmen nicht eingehalten werden. Der Kläger hat dies in seinem Vortrag bestätigt, auch wenn er dies natürlich auf die Gefahr der Ansteckung durch einen infizierten Patienten bezog. Diese Gefahr besteht jedoch auch im Verhältnis vom Kläger als Träger des Virus zu den Patienten. Die befürchtete Reaktion des Arbeitgebers ist dagegen noch völlig unklar. Nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (vgl. Bulletin 34/99) und den Ausführungen von Dr. J. ist eine so genannte Fallkonferenz zu bilden und die Infektionsgefahren bei der jetzigen Tätigkeit und die Möglichkeit einer Umsetzung auf eine andere Tätigkeit zu prüfen. Dass der Kläger womöglich aus arbeitsrechtlicher Sicht verpflichtet gewesen wäre, die Erkrankung zu melden und sein Arbeitgeber angesichts des seit der Erstinfektion vergangenen Zeitraumes und der unterbliebenen Offenbarung arbeitsrechtliche Konsequenzen überlegen könnte, kann für die vorliegende Entscheidung nicht von Relevanz sein. Im Gegenzug ist auch zu befürchten, dass es bereits zu einer Ansteckung eines Patienten kam. Danach überwiegt der Schutz der Gesundheit der Patienten wesentlich das Interesse des Klägers an einer Nichtoffenbarung seiner Erkrankung und den Schutz vor den möglichen Konsequenzen.

Die Meldung ist auch die einzige Möglichkeit, die Gefahr von den Patienten abzuwenden, da der Kläger bisher nicht von sich aus bereit ist, die Erkrankung zu offenbaren. Sie ist daher nach den gegebenen Umständen erforderlich und angemessen.

Das Gericht beabsichtigt daher unabhängig vom weiteren Fortgang des Verfahrens eine Meldung an den Träger des Krankenhauses vorzunehmen.

Diese Meldung wird ebenfalls nach Ablauf der Stellungnahmefrist am 22.09.2006 ergehen."

Daraufhin lehnte der Kläger Richterin H. mit Schreiben vom 21. September 2006 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Durch die beabsichtigte gerichtliche Anfrage beim Arbeitgeber werde sein Begehren, seine Erkrankung als berufsbedingt anzuerkennen und finanzielle Nachteile ausgeglichen zu bekommen, ad absurdum geführt, denn eine weitere Berufsausübung werde ihm faktisch schlichtweg unmöglich gemacht. Wenn ein derartiger Schritt solchermaßen seinen Interessen zuwiderlaufe, könne das Gericht nicht gegen seinen erklärten Willen von Amts wegen ermitteln. Vielmehr habe es, sollte es die vorgelegten Beweismittel nicht für ausreichend erachten, den Kläger für beweisfällig zu erklären und die Klage abzuweisen.

Auch hinsichtlich der geplanten Meldung der HIV-Erkrankung an den Arbeitgeber aufgrund von § 34 StGB sei ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit gegeben. Das Gericht verkenne auch hier die Reichweite des Rechtfertigungsgrundes und habe sich im Übrigen mit der Problematik des Falls offenkundig nicht ausreichend auseinandergesetzt. Er sei sich seiner menschlichen und medizinischen Verantwortung als HIV-positiver Arzt stets bewusst und achte ständig darauf, dass er nicht durch Unachtsamkeit sein Schicksal und seine Erkrankung auf Patienten übertrage, die sich von ihm einen Beitrag zur Heilung und Gesundung erwarteten. Deshalb beschränke er sich seit geraumer Zeit auf die normale Anästhesietätigkeit und den Dienst in der Notaufnahme und habe die Bereitschaftsdiensttätigkeit als Notarzt aufgegeben. Im normalen Dienst träten ganz überwiegend nur internistische Notfälle auf. In den seltenen Notfällen trage er stets doppelte Handschuhe. Außerdem sei er nochmals auf seine klinisch regelmäßig überwachte und manifest minimale Viruslast an HIV hinzuweisen. Im Übrigen werde auf die auch von der Beklagten ausgewertete Fachliteratur für HIV-Infizierte im Gesundheitsdienst Bezug genommen.

In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 26. September 2006 hat Richterin H. ausgeführt, sie halte sich nicht für befangen. Das Gericht habe die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Ermittlungen beim Arbeitgeber des Klägers über das Vorkommen von HIV-Patienten im Ansteckungszeitraum seien nicht vom Einverständnis des Klägers abhängig und zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich. Der unabhängig von dem weiteren Verfahrensfortgang erteilte Hinweis auf eine Pflicht des Gerichts, die Erkrankung des Klägers dem Arbeitgeber nach § 34 StGB zu melden, sei nach umfassender Würdigung und Abwägung der Sach- und Rechtslage insbesondere unter Einbeziehung des bisherigen Vortrags des Klägers zur Einhaltung von Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit ergangen.

II.

Das zulässige Ablehnungsgesuch hat in der Sache Erfolg.

1. Nach § 60 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§§ 60 Abs.1 S.1 SGG , 42 Abs. 2 ZPO). Ein solcher Grund, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, liegt dann vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter von seinem Stand aus bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass dazu haben kann, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Aufl. § 60 Rn. 7). Dies ist nur dann der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 35, 171 (172); 82, 30 (38); 98, 134 (137); 101, 46 (51); 102, 122 (125)). Das Misstrauen muss aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich sein (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, S.186/14). Es kommt weder darauf an, ob die Befürchtung eines Prozessbeteiligten, der Richter sei ihm gegenüber voreingenommen, begründet ist, noch auf die subjektive Meinung des abgelehnten Richters, ob er befangen sei oder nicht (vgl. BVerfG, a.a.O.; Zöller-Vollkommer, ZPO, 24. Auflage, § 42 Rn. 9).

Der Gesetzgeber hat durch die Möglichkeit der Richterablehnung nämlich nicht nur eine tatsächlich parteiliche Rechtspflege verhindern, sondern darüber hinaus auch schon den für einen Prozessbeteiligten nach den Umständen nahe liegenden oder doch verständlichen Argwohn vermeiden wollen, der Richter werde nicht unparteilich entscheiden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten.

Die Einhaltung dieses Prüfungsmaßstabs ist aus verfassungsrechtlichen Gründen unabdingbar. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG neben seiner Funktion, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist, einen wesentlichen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 (213 f.); 21, 139 (145 f.); 30, 149 (153); 40, 268 (271); 82, 286 (298); 89, 28 (36)). Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005, 2 BvR 625/01 u. a., BVerfGK 5, 269 (284 f.)).

Nach allgemeiner Auffassung kann die Ablehnung allerdings nicht erfolgreich auf die Verfahrensweise oder die Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden. Denn im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit oder Voreingenommenheit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Es können sich aber im Einzelfall - wie hier - beide Aspekte überschneiden. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass falsche Sachbehandlung Befangenheit nicht zu begründen vermag, ist indessen dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen - insbesondere verfassungsrechtlichen - Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 7. November 2005, L 5 AR 137/05 AS ER, juris-dok.; KG Berlin, KGR Berlin 2006, 816 f.; KGR Berlin, 2005, 140, OLGR Schleswig 2006, 55; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 42 Rn. 9, 24, 28 m. w. N.). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 (49); 82, 159 (197); 87, 282 (286)) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.

2. An diesen Prüfungsmaßstäben orientiert, ist der gegen die Richterin H. gerichtete Antrag auf Feststellung der Befangenheit - auch unter Berücksichtigung der dem Fall zugrunde liegenden komplexen Rechtslage - begründet, weil sich beim Kläger aufgrund der Verfahrensführung von Richterin H. nach dem von ihr verfassten Hinweisschreiben vom 21. August 2006 bei vernünftiger Würdigung aller Umstände der Eindruck hat einstellen können, die Richterin begegne dem anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen. Damit hat die Richterin - auch durch die Verfahrensleitung - den Schein gesetzt, es an der notwendigen Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung fehlen zu lassen.

Auf die Hinweisverfügung vom 21. August 2006 hat der Kläger formal fristgerecht innerhalb der ihm gesetzten Äußerungsfrist reagiert, die Befangenheit der Richterin geltend gemacht und - im Ergebnis zutreffend - gerügt, dass das von der Richterin geäußerte Verständnis zur Reichweite des Amtsermittlungsgrundsatzes im sozialgerichtlichen Verfahren (a.) ebenso wie die von ihr geltend gemachte Pflichtenkollisionslage nach § 34 StGB (b.) berechtigte, aus Sicht eines vernünftigen Betrachters nachvollziehbare Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit (c.) haben aufkommen lassen. a) Amtsermittlung im sozialgerichtlichen Verfahren heißt gemäß § 103 SGG, dass das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht und die Beteiligten dabei hinzuzieht, ohne an deren Vorbringen oder Beweisanträge gebunden zu sein. Die Vorschrift entspricht wortlautgleich § 86 Abs. 1 VwGO. Zur Heranziehung der Beteiligten im Rahmen der Amtsermittlung gehören deren Mitwirkungspflichten, die sich etwa auf der Entbindung behandelnder Ärzte von der Schweigepflicht, die Wahrnehmung ambulanter ärztlicher Untersuchungstermine zur sachverständigen Begutachtung, die Benennung von Zeugen mit ladungsfähiger Anschrift oder die Herausgabe von Arztunterlagen erstrecken (vgl. nur Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl., 2005, § 103 Rn. 14a; Pawlak, in Hennig, SGG, Kommentar zum SGG, Loseblatt, 1996, § 103 Rn. 51 f. m.w.N. der Rechtsprechung). Erschwert ein Kläger durch seine fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts oder macht er sie durch sein Verhalten unmöglich, so kann er später nicht rügen, das Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt (Bayerisches Landessozialgericht, Breith. 2000, 478-481 und juris-dok; Leitherer, a.a.O., Rn. 16 unter Verweisung auf BSG SozR § 103 Nr. 56). Aufgrund der dienenden Funktion der Amtsermittlung sind medizinische Beweiserhebungen gegen den erklärten Willen eines Versicherten nach § 103 SGG - soweit sie über Begutachtungen nach Aktenlage hinausgehen - nicht möglich und damit grundsätzlich unzulässig. Die Folgen der Nichterweislichkeit von Gesundheitsstörungen wegen mangelnder Mitwirkung gehen zu Lasten des Klägers. In sozialgerichtlichen Verfahren ist der Grundsatz der objektiven Beweislast zu beachten, wonach jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Ein Beteiligter muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist (Leitherer, a.a.O., Rn. 19a m.w.N.; Pawlak, a.a.O., § 103 Rn. 57, 70) und diese Ungewissheit - auch - auf seinem Verhalten beruht.

Vorliegend lehnt der Kläger Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG ab, die darauf zielen, bei seinem Arbeitgeber Auskünfte einzuholen und sie für die Frage der Anerkennung der beim Kläger nachgewiesenen HIV-Infektion als Berufskrankheit nach BK Nr. 3101 auszuwerten. Mit der angekündigten gerichtlichen Befragung des Arbeitgebers zu im Beschäftigungskrankenhaus des Klägers behandelten HIV-positiven Patienten würde diesem über die Angabe des Anlasses für die Fragestellung die HIV-Infektion des Klägers und damit eine fundamentale, zu dessen persönlichem Lebensbereich gehörende Gesundheitstatsache zwangsläufig offenbar. Dagegen beruft sich der Kläger in der Sache zu Recht auf den strafgesetzlich nach § 203 Abs. 2 StGB bewehrten Schutz von Privatgeheimnissen, den Umstand, dass HIV-Infektionen nur anonym und nur aus epidemiologischen Gründen meldepflichtig sind sowie auf ein arbeitsvertragliches Recht, die Information allenfalls dem für seinen Arbeitgeber zuständigen Betriebsarzt offenbaren zu müssen. Vor diesem Hintergrund sind Amtsermittlungen, in deren Folge dem Arbeitgeber des Klägers dessen HIV-Infektion zwangsläufig offenbar wird, nicht nur nicht geboten, sondern unzulässig und damit von der sozialgerichtlichen Verfahrensordnung nicht gedeckt.

Im Einzelnen: Zur Beurteilung der Frage, ob es von Amts wegen zulässig ist, den Arbeitgeber durch Befragung mittelbar über die HIV-Infektion des Klägers zu unterrichten, ist es zunächst erforderlich, die Rechtslage zu den Meldepflichten und Untersuchungspflichten bei einer HIV-Infektion näher zu betrachten. Nach § 7 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045 - IfSG) ist eine HIV-Infektion nichtnamentlich zu melden. Meldepflichtig gegenüber dem Robert-Koch-Institut (§ 10 Abs. 4 Satz 1 IfSG) sind nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 IfSG die Leiter von Medizinaluntersuchungsämtern und sonstige private oder öffentliche Untersuchungsstellen einschließlich der Krankenhauslaboratorien. Eine generelle Meldepflicht gegenüber dem Betriebsarzt, Vorgesetzten oder Arbeitgebern des Infektionsträgers ist gesetzlich nicht vorgesehen; eine solche Pflicht würde auch dem Gebot der anonymen, rein epidemiologisch begründeten Meldepflicht widersprechen, wie sie für die HIV-Infektion schon seit der bis heute geltenden Laborberichtsverordnung vom 18. Dezember 1987 (BGBl. I S. 2819) fort gilt. Ziel der allein anonymisierten Meldung von HIV-Infektionen ist es, einen irrational angstgeleiteten Umgang mit Trägern der HIV-Infektion auszuschließen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 1987, 1 BvR 842/87, NJW 1987, 2287 f. - HIV-Meldepflicht verfassungsrechtlich nicht geboten). Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Untersuchungspflicht auf HIV. Der Ausschuss Arbeitsmedizin beim Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat es im November 1987 ausdrücklich abgelehnt, die HIV-Infektion in den Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 42 (Infektionskrankheiten) aufzunehmen (vgl. BT- Drucksache 11/7200 S. 209). Dabei ist es bis heute geblieben. Es besteht lediglich ein Untersuchungsangebot zum Ausschluss einer HIV-Infektion nach beruflicher Exposition nach § 2a UVV Gesundheitsdienst. Auch § 15 BioStoffV i.V.m. Anhang IV, welcher eine Einstellungsuntersuchung zwingend vorschreibt, wenn ein Bewerber bei seiner künftigen Tätigkeit in der Human- oder Zahnmedizin, der Wohlfahrtspflege sowie in Unfall- und Rettungsdiensten der Gefahr einer Ansteckung mit Hepatitis-B/Hepatitis-C-Viren ausgesetzt ist, enthält keine Überprüfung auf HIV (vgl. hierzu im Einzelnen: Jacobs, Arbeitsrechtliche Probleme bei der Einstellung, Beschäftigung und Kündigung HIV-, HBV- oder HIV-infizierter Arbeitnehmer im Gesundheitsdienst, in Roß/Roggendorf, Übertragungsrisiko von HBV, HCV und HIV durch infiziertes medizinisches Personal, Pabst Science Publishers, 2004, S. 96 (100/101)).

Schwieriger ist die arbeitsrechtliche Situation im Bundesgebiet zu beurteilen, zumal einschlägige obergerichtliche Entscheidungen - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen sind oder nicht veröffentlich worden sind. Grundsätzlich können Beschäftigte, die wie der Kläger im Gesundheitswesen tätig und ansteckungsfähige Träger einer HIV-Infektion - aber noch nicht an AIDS erkrankt - sind, nach der in der Fachliteratur übereinstimmend vertretenen Meinung aus medizinisch-fachlicher Sicht ihre Berufe bei Einhaltung der tätigkeitsbezogenen Schutzmaßnahmen aus hygienisch-infektiologischer Sicht jedenfalls grundsätzlich ohne Gefährdung von Patienten weiter ausüben (J., Betriebsärztinnen/-ärzte und chronisch infiziertes Personal, in Praktische Arbeitsmedizin, 2005, S. 9 (9, 14); ders., Chronisch infiziertes HBV-, HCV-, HIV-infiziertes Personal im Gesundheitsdienst, in ASUMed 2004, 428 (432); Roß/Roggendorf, Übertragungsrisiko von HBV, HCV und HIV durch infiziertes medizinisches Personal, Pabst Science Publishers, 2004, S. 119 (122)). Die bislang dokumentierten Fälle zeigen, dass bei ärztlichen Tätigkeiten ohne erhöhte HIV-Übertragungsgefahr - einschließlich gewöhnlicher Operationen - bei Einhaltung der üblichen Sicherheits- und Hygienestandards eine HIV-Übertragung nahezu ausgeschlossen ist (Jacobs, a. a.O., S. 96 (99) m. w. N., Schulze-Röbbecke, Prävention der Übertragung von HBV, HCV und HIV von medizinischem Personal auf Patienten, in Roß/Roggendorf, a. a. O., S. 53 (61 "Risiko extrem niedrig")). Tätigkeitsbeschränkungen zum Schutze Dritter (Patienten und anderer Arbeitnehmer) werden allein für so genannte "gefahrgeneigte Tätigkeiten" ("exposure-prone procedures" = EPPs) und Operationen mit erhöhter Übertragungsgefahr durch das medizinische Personal empfohlen (vgl. Roß/Roggendorf, a. a. O., S. 119 (122)). Solche Tätigkeiten üben Chirurgen aus, etwa wenn sie bei beengtem Operationsfeld mit unterbrochener Sichtkontrolle oder mit den Fingern oder Händen "blind" in der Nähe spitzer oder scharfer Instrumente arbeiten oder Operationen durchführen, die besonders lange dauern (J., 2005, a. a. O.; Jacobs, in Roß/Roggendorf, a. a. O., S. 96 (97)). Auch hier wird das Übertragungsrisiko allerdings als "äußerst gering" bewertet (Roß/Roggendorf, a a. O., S. 119 (122); J., 2004, a. a. O. S. 428). Eine Tätigkeit mit erhöhter HIV-Übertragungsgefahr übt der Kläger als Anästhesist nach der Einschätzung von Dr. J. nicht aus; die einem Chirurgen im Hinblick auf möglichen Blutkontakt mit Patienten vergleichbare Notarzttätigkeit hat er seinen glaubhaften Angaben zufolge aufgegeben.

Entsprechend dem Vorstehenden wird eine selbständige arbeitsrechtliche Offenbarungspflicht eines HIV-infizierten Mitarbeiters im Gesundheitsdienst gegenüber seinem Arbeitgeber nur für medizinisches Personal bejaht, das Operationen mit erhöhter HIV-Übertragungsgefahr ausführt (Jacobs, in Roß/Roggendorf, a. a. O., S. 96 (100, 102)). Zu dieser Gruppe wird man den Kläger als Anästhesisten nicht zählen können. Im Fall des Klägers kommt hinzu, dass er sich zeitgerecht nach Bekanntwerden seiner Infektion gegenüber dem damaligen Betriebsarzt seines Arbeitgebers offenbart hat, obgleich ungeklärt ist, ob er dazu rechtlich überhaupt verpflichtet gewesen ist (dagegen etwa J., 2005, a. a. O. S. 9 (14)). Damit ist die HIV-Infektion des Klägers im betriebsärztlichen Bereich seines Arbeitgebers bekannt und dokumentiert geworden. Der Betriebsarzt hat sich im Fall des Klägers an seine Schweigepflicht gebunden gesehen, wie aus der von ihm verfassten BK-Anzeige hervorgeht. Dieser Umstand spricht wesentlich dafür, dass der Kläger die aus hygienisch-infektiologischer Sicht erforderlichen Schutzmaßnahmen bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit eingehalten hat - seit Bekanntsein der HIV-Infektion durchgängige Nutzung doppelter Handschuhe, regelmäßige Blutuntersuchungen etc. - und weiterhin einhält, wie von ihm vorgetragen worden ist. Die Tatsache, dass sich der Kläger dem Nachfolger mangels eines entsprechenden Vertrauensverhältnisses nicht nochmals persönlich offenbart hat und somit möglicherweise augenblicklich keine betriebsärztliche Überwachung der Tätigkeit des Klägers in Bezug auf die HIV-Infektion stattfindet, führt zu keiner anderen Beurteilung, zumal Dr. J. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13. April 2004 insoweit eine Verfahrensweise aufgezeigt hat, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Schließlich sind aus medizinischer Sicht im Fall des Klägers folgende weitere Umstände mit zu berücksichtigen: Der Kläger hat bislang eine konstant niedrige HIV-Viruslast; außerdem ist er klinisch völlig beschwerdefrei (Gutachten PD Dr. K., 18. Februar 2004). Weder der behandelnde Arzt und Gutachter PD Dr. K. noch der Beratungsarzt der Beklagten, der Tropenarzt Dr. J., haben Bedenken gegen eine weitere Beschäftigung des Klägers als Anästhestist im Krankenhausdienst geäußert. Dr. J. hat - wie noch auszuführen ist - lediglich die Durchführung einer anonymen Fallkonferenz unter Beiziehung des früheren Betriebsarztes angeregt. Darüber hinaus hat sich die Beklagte eingehend bis hin zur Geschäftsführerebene mit dem Fall des Klägers befasst und ist ihrerseits nach weiterer medizinischer Abklärung unter weiterer Einbeziehung von Dr. H. von der Universität W. zu dem am 12. Juli 2004 aktenkundig dokumentierten Ergebnis gekommen, dass "gegen die Ausübung der Tätigkeit (des Klägers) als Anästhesist" (und sogar als Notarzt) keine durchgreifenden Bedenken bestehen. Dabei ist ferner zu beachten, dass dieses von der Beklagten einzelfallbezogen gewonnene Ergebnis der generellen Beschlusslage des Bundesverbandes der Unfallkassen - Ausschuss "Rechtsfragen" der Konferenz der Geschäftsführer/innen 18./19. März 2002 in Bamberg (Bl. 57-61 Behördenakte) - entspricht. Danach ist zur Anzeige der Hepatitis B-/C- oder HIV-Infektion eines Versicherten durch UV-Träger zusammenfassend zu sagen: "Der UV-Träger hat weder eine Meldepflicht noch ein Melderecht ... Der Versicherte hat auch keinerlei Verpflichtungen, das Gesundheitsamt oder seinen Arbeitgeber mit dem Ziel besonderer Ansteckungsvorkehrungen zu informieren".

Zusammenfassend ist nach alldem festzustellen: Die beschriebenen Maßnahmen von der nur anonymen öffentlich-rechtlich begründeten Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz über die nur eingeschränkten arbeitsvertraglichen Offenbarungspflichten des Versicherten bis hin zur Überwachung der Einhaltung der aus hygienisch-infektiologischer Sicht erforderlichen Schutzstandards haben das Ziel, HIV-infiziertes medizinisches Personal bei Minimierung des Infektionsrisikos soweit wie möglich im Beruf zu belassen. Angesichts der umfassenden amtsärztlichen Kompetenzen nach § 31 IfSG, die bis zu einem beruflichen Tätigkeitsverbot reichen und damit dem verfassungsrechtlichen Auftrag zum Schutz von Leib und Leben von allen betroffenen Personenkreisen - Patienten, Mitarbeitern und Infizierten - nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gerecht werden, besteht auch kein Bedarf für zusätzliches außergesetzliches Handeln, das Tätigkeitsbeschränkungen von HIV-Virusträgern auslösen könnte.

b) Aus diesen vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die von Richterin H. für sich in Anspruch genommene Notstandslage nach § 34 StGB zur Begründung einer Offenbarungspflicht im Hinblick auf die von Amts wegen gewonnene, grundsätzlich der Geheimhaltungspflicht gemäß § 203 Abs. 2 Ziffer 1 StGB i.V.m. § 11 Abs. 1 Ziffer 2 StGB unterliegende Erkenntnis - HIV-Infektion des Klägers - gegenüber dessen Arbeitgeber zum Schutz von Dritten - Mitarbeitern und Patienten - nicht besteht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB - Begehung einer Tat in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder ein anderes Rechtsgut, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt - liegen nicht vor, denn eine gegenwärtige, anders als durch Verletzung der Rechte des Klägers nicht abwendbare Gefahr für die Gesundheit und das Leben der dem Kläger anvertrauten Patienten ist nicht gegeben. Vielmehr hat Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 13. April 2004 den auch die Rechte des Klägers in ausreichendem Maße berücksichtigenden Weg gewiesen, der eine Übertragungsgefahr von den vom Kläger betreuten Patienten im Rahmen des Möglichen fernhält. Er hat vorgeschlagen, dass - unter der Annahme, dass der derzeitige Betriebsarzt über die Infektion des Klägers nicht informiert ist - eine anonyme Fallkonferenz unter Einbeziehung des früheren Betriebsarztes die Arbeitssituation des Klägers im Einzelnen klärt und Empfehlungen hinsichtlich bestimmter Tätigkeitseinschränkungen gibt. Dabei hat er aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit eines Anästhesisten, wie bereits dargelegt, grundsätzlich keine Tätigkeit mit erhöhter Übertragungsgefahr ist, während einzelne konkrete Tätigkeitsbereiche des Klägers - die Notaufnahme und vor allem der Notarztdienst - genauer untersucht werden müssten. Den Notarztdienst hat der Kläger aber nach seinen glaubhaften Angaben aufgegeben, sodass überprüfungsbedürftig allenfalls die Tätigkeit in der Notaufnahme wäre, die aber nach den Angaben des Klägers vorrangig internistische Notfälle ohne invasive Tätigkeit umfasst.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass - entgegen den Ausführungen in dem richterlichen Hinweisschreiben vom 21. August 2006 - das Risiko der HIV-Übertragung von Patienten auf das medizinische Personal deutlich das, wie dargelegt, äußerst geringe Übertragungsrisiko in umgekehrter Richtung übersteigt (Schulze-Röbbecke, in Roß/Roggendorf, a. a. O. S. 53 (60)). Der Senat hat nach dem Inhalt der vorliegenden Akten auch keinen Zweifel daran, dass sich der Kläger, wie auch von ihm selbst vorgetragen, seiner ethischen Verpflichtung bewusst ist, angesichts seiner Infektion mit der entsprechenden Verantwortlichkeit zu handeln. Auf die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen setzt auch der Gesetzgeber, wenn er nach wie vor keine namentliche Meldepflicht für HIV-Infektionen eingeführt hat (vgl. Parzeller/Bratzke, Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, Dt. Ärzteblatt 2000; 97: A 2364 (2370)). Allein die Tatsache, dass im Schriftsatz vom 20. Juni 2005 ausgeführt wird, es komme auch nach der Kenntnis seines Infektionsstatus dazu, dass er eine Tätigkeit ohne Handschuhe verrichte, wenn aus medizinischen Gründen keine zeitliche Möglichkeit bestehe, Handschuhe anzuziehen, offenbart kein uneinsichtiges Verhalten des Klägers, das eine Mitteilung seiner Krankheit an den Arbeitgeber über die Ausnahmeregelung des § 34 StGB rechtfertigen könnte (vgl. Klöcker, Schweigepflicht des Betriebsarztes im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen, MedR 2001, 183, (186); Jacobs, Der kranke Arzt: Virale Hepatitiden im Gesundheitswesen - Möglichkeiten und Pflichten zur Vermeidung der Übertragung von Personal auf Patient aus arbeitsrechtlicher Sicht, MedR 2002, S. 140 (143)).

Die Richterin H. ist berufen gewesen, mit der erforderlichen professionellen Distanz einer Unbeteiligten und Neutralen über den Rechtsstreit des Klägers zur Frage der Anerkennung einer Berufskrankheit zu entscheiden. Mit den angekündigten Maßnahmen auf der Grundlage der von ihr angenommenen Notstandslage hat sie diese Rolle verlassen. Als Richterin ist sie aber nicht berufen, Sinn- und Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu einem aus ihrer subjektiven Sicht bestmöglichen Gesundheitsschutz anzustellen. Sie hat vielmehr die Aufgabe, nach den Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 97 GG unabhängig und unparteilich auf gleicher Distanz zu den Beteiligten Recht zu sprechen und damit einen Beitrag zum verfassungsrechtlich nach Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten effektiven Rechtsschutz zu leisten. Bei alledem kommt hinzu, dass sich die Richterin mit der Meldung der HIV-Infektion des Klägers an den Arbeitgeber unter Berufung auf die allgemeine strafgesetzliche Notstandslage nach § 34 StGB außerhalb des vom so genannten Richterprivileg nach Art. 97 GG gedeckten verfahrensleitenden Prozessverhaltens begeben würde.

c) Bei der Beurteilung der Frage, ob aus Sicht eines vernünftigen Betrachters nachvollziehbare Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin bestehen, ist auch zu berücksichtigen , dass die von der Richterin beabsichtigten Maßnahmen im Nachhinein nicht mehr korrigierbar wären. Auch wenn eine fehlerhafte Anschauung geltenden Rechts - für sich genommen - wie oben unter 1) näher dargelegt - Befangenheit im Sinn von § 42 ZPO nicht zu begründen vermag, gilt im vorliegenden Fall, dass weder eine Überprüfung der Reichweite des Amtsermittlungsgrundsatzes durch das Rechtsmittelgericht noch ein etwaiger sonstiger Rechtsbehelf gegen die auf die angenommene Notstandslage nach § 34 StGB gestützten Maßnahmen diese ungeschehen machen könnten. Einem ruhigen und besonnenen Betrachter nicht mehr vermittelbar ist nach der Diskussion des geltenden Rechts die Annahme der Richterin, die Offenbarung der HIV-Infektion des Klägers gegenüber dem Arbeitgeber sei die "einzige Möglichkeit, die Gefahr von den Patienten abzuwenden", da der Kläger bisher nicht von sich aus bereit sei, die Erkrankung offen zu legen. Abgesehen davon, dass sich eine Rechtspflicht des Klägers zur Anzeige seiner Infektion gegenüber dem Arbeitgeber nicht hat nachweisen lassen und ein anderer, beiden Rechtspositionen gerecht werdender Weg von Dr. J. aufgezeigt worden ist, erweckt die Richterin den Eindruck, ein von dem Kläger auf von ihm behandelte Patienten ausgehendes HIV-Übertragungsrisiko besser einschätzen zu können als alle mit dem Fall des Klägers befassten medizinischen Sachverständigen der Beklagten und verschiedene auf HIV-Infektionen und Krankenhaushygiene spezialisierte Ärzte (Dr. J., Hamburg, Dr. H., W., PD Dr. K., W. und nicht zuletzt der Betriebsarzt. Der weitere Hinweis, die Meldung über die HIV-Erkrankung des Klägers an den Krankenhausträger "unabhängig von weiteren Fortgang des Verfahrens" - also wohl auch bei einer etwaigen Rücknahme der Klage oder nach Entscheidung über den Fall - vornehmen zu wollen, perpetuiert und vertieft die Fehleinschätzung ihrer Kompetenzen im gerichtlichen Verfahren. Diese Einschätzung ist - angesichts der überaus sorgfältigen und abgewogenen Ermittlungs- und Entscheidungstätigkeit der Beklagten, die in der Behördenakte penibel dokumentiert ist - nur aufgrund eines subjektiv geprägten Umgangs mit HIV-Infizierten nachvollziehbar. Eben diese - medizinisch nicht begründbare - Gefahr, auf die auch das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss vom 28. Juli 1987, 1 BvR 842/87, NJW 1987, 2287 f.) frühzeitig aufmerksam gemacht hat, hat den Gesetzgeber bestimmt, für HIV-Infektionen eine nur anonyme Meldepflicht einzuführen und im Übrigen auf Aufklärung und Selbstverantwortung zu setzen. Dass diese legislative Einschätzung zu einer Gefährdung für die Güter Leben und Leib von Patienten und medizinischem Personal im Sinn von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geführt hat, wird heute, angesichts der epidemiologischen Entwicklung der HIV-Infektionen im Bundesgebiet - annähernd zwanzig Jahre nach Einführung des anonymisierten Meldeverfahrens - nicht ernsthaft mit belastungsfähigen Zahlen belegt werden können.

Im Ergebnis führt mithin die dargelegte besondere Art der rechtsfehlerhaften Beurteilung in Verbindung mit der begründeten subjektiven Sicht des Klägers, die Richterin H. begegne seinem Fall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz, zum Erfolg des Befangenheitsantrags.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 60 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved