Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 KR 960/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 81/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht rechtzeitig weitergeleiteter Beiträge geltend.
Der beklagte AOK-Bundesverband praktizierte in der streitbefangenen Zeit vom 1. Juli 1989 bis 31. Mai 1998 das Verfahren des zentralen Beitragseinzugs nach § 28 f Abs. 4 Sozialgesetz-buch (SGB) IV. Danach konnten Arbeitgeber mit zentraler Lohn- und Gehaltsabrechnung und Arbeitsstätten in den Bezirken mehrerer Ortskrankenkassen beim beklagten Verband bean-tragen, den Beitragsnachweis für die bei Ortskrankenkassen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten bei diesem (Verband) einzureichen. Wurde dem Antrag entsprochen, erhielt der Verband auch den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den er an die zuständigen Einzugsstellen arbeitstäglich weiterzuleiten hatte. Diese wiederum leiteten an den zuständigen Träger der Rentenversicherung und die Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit (Fremdversiche-rungsträger) die für diese gezahlten Beiträge weiter.
Der Beklagte erhielt im Rahmen des zentralen Beitragseinzugs im streitigen Zeitraum Beiträge in Höhe von rund 31 Milliarden DM. Die auf die einzelnen Einzugsstellen entfallenden Beträge leitete er durch Orderscheck per Briefpost an diese weiter. Durch die Anlage der bis zur Einlösung der Schecks auf den Konten verbleibenden Gelder erzielte er jährlich erhebliche Zinsgewinne.
Über die Berechtigung des Beklagten zur Weiterleitung der Beiträge durch Orderscheck traten zwischen dem Beklagten und den Fremdversicherungsträgern bald Meinungsverschiedenheiten auf. Die Fremdversicherungsträger, unterstützt durch den Bundsrechnungshof (BRH) und den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, vertraten die Auffassung, nach der maßgeb-lichen Beitragszahlungsverordnung (BZVO) habe die Weiterleitung der Beiträge durch Über-weisung zu erfolgen. Der Beklagte sah dies im Hinblick darauf, dass er nicht Einzugsstelle sei und Beiträge nicht an die Fremdversicherungsträger weiterzuleiten habe, anders. Die BZVO stehe der Anwendung des Orderscheckverfahrens durch ihn als Bundesverband nicht entgegen. Gleichwohl erklärte sich der Beklagte zu einem Vorteilsausgleich bereit, wenn sich bestätige, dass das Orderscheckverfahren zu Weiterleitungsverzögerungen führe.
Entsprechende Ermittlungen im Rahmen der Prüfung der zentralen Abrechnung der Gesamt-sozialversicherungsbeiträge beim Beklagten durch die Fremdversicherungsträger ergaben, dass das Orderscheckverfahren im Durchschnitt zu geringfügigen Verzögerungen der Weiterleitung führe. Die Fremdversicherungsträger – unter ihnen die Klägerin – einigten sich diesbezüglich so wie auch wegen anderer Weiterleitungsverzögerungen mit dem Beklagten auf einen Vor-teilsausgleich für die Zeit ab 1. September 1992 bis zum Auslaufen des Orderscheckverfahrens voraussichtlich Ende 1995. Der Beklagte hatte seine Absicht bekundet, den zentralen Beitrags-einzug bis dahin einzustellen. Der Vorteilsausgleich sollte unter Berücksichtigung des Anlage-zinssatzes für die Zeitverzögerungen erfolgen, die sich aus den durchschnittlichen Laufzeiten im Orderscheckverfahren im Verhältnis zu denen im Überweisungsverfahren ergaben. Einvernehmlich wurde eine durchschnittliche Laufzeit des Orderscheckverfahrens von 4,75 Tagen und des Überweisungsverfahrens von 4,42 Tagen zugrunde gelegt, mithin eine Laufzeitverzögerung von 0,33 Tagen. Für die Zeit bis zur Umstellung des Orderscheckver-fahrens sollten die Fremdversicherungsträger den entsprechend ermittelten Vorteilsausgleich für den Vormonat erhalten. Zwischen den Beteiligten war zum damaligen Zeitpunkt noch streitig, inwieweit grundsätzlich Zinsen aus Terminanlagen an die Fremdversicherungsträger auszukehren seien und ob der Beklagte insoweit zur Rechnungslegung verpflichtet sei. (Jedenfalls auch) wegen dieser Frage hatten die Fremdversicherungsträger Klage gegen den Beklagten erhoben, die Klägerin u. a. zum Az.: S 73 KR 926/94 (Sozialgericht Berlin).
Im weiteren Verlauf kam es nicht – wie vorgesehen – zur Umstellung des zentralen Beitrags-einzugs auf das vom Beklagten angestrebte "Hauskassenverfahren".
In seiner Prüfmitteilung vom 4. Dezember 1996 beanstandete der BRH erneut das vom Beklagten praktizierte Orderscheckverfahren. Nach seinen Ermittlungen ergaben sich beim Orderscheckverfahren durchschnittliche Geldlaufzeiten von 7,0 Kalendertagen, hingegen von nur 2,9 Kalendertagen bei beschleunigter (taggleicher) Überweisung, zu welcher der Beklagte bei Beträgen von über 100.000 DM verpflichtet gewesen wäre. Demnach sei eine Geldlaufverzögerung von 4,1 Kalendertagen festzustellen. Der BRH errechnete insoweit für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 31. Dezember 1995 einen Zinsausfall der Fremdversicherungsträger in Höhe von 15 bis 20 Millionen DM. Die Ermittlungen der Fremdversicherungsträger und des Beklagten zur Laufzeitverzögerung – so der BRH – seien fehlerhaft. Insbesondere seien unzutreffend die Laufzeiten im Orderscheckverfahren denen von normalen Banküberweisungen gegenübergestellt worden. Auch entsprächen die vereinbarten Zinssätze nicht dem geltenden Recht. Es handele sich um Schadensersatz wegen entgangener Zinsen, sodass gem. § 28 r SGB IV Zinsen in Höhe von 2 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank hätten gezahlt werden müssen. Die Fremdversicherungsträger hätten deshalb weitergehende Zinsausgleichsansprüche für die Jahre bis 1996 beim Beklagten geltend zu machen. Dieser sei gehalten, dass Orderscheckverfahren umgehend aufzugeben.
In einer Besprechung mit dem Beklagten am 28. April 1997 wiesen die Fremdversicherungs-träger darauf hin, dass der Beklagte im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Ent-scheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. März 1997 – 12 RK 11/96 – die aus der Anlage der Fremdgelder erzielten Zinsen auszukehren habe. Sie seien bereit, auch mit dem Beklagten auf der Grundlage einer von ihnen beschlossenen Mustervereinbarung eine Ver-einbarung im Rahmen des § 28 l Abs. 2 SGB IV zu treffen. Der Beklagte bekräftigte demgegenüber seine Auffassung, dass diese Rechtsprechung für ihn nicht einschlägig sei, weil er keine Einzugsstelle sei. Nach Einverständnis der Fremdversicherungsträger, dass die von ihm in der Zeit vom 1. September 1992 bis 31. Dezember 1996 bereits gezahlten Beträge auf die nach der beabsichtigten Vereinbarung zu zahlenden Beträge anzurechnen seien, stimmte er einem entsprechenden Abschluss jedoch zu. Festgelegt wurde ferner, dass bei Wegfall des Orderscheckverfahrens die vorgesehene Kündigungsregelung zu Gunsten des Beklagten geändert werden könne.
Am 30. April 1997 schloss der Beklagte mit den Fremdversicherungsträgern "über die Aufteilung der bei der Verwaltung von Fremdbeiträgen erzielten Gewinne nach § 28 l Abs. 2 SGB IV" folgende – auszugsweise wiedergegebene – Vereinbarung:
§ 1
Sofern bei der Verwaltung von Fremdbeiträgen Gewinne erzielt werden, wird der an die Fremdversicherungsträger abzuführende Anteil nach §§ 2 bis 4 ermittelt.
§ 2
Grundlage für die Berechnung der den einzelnen Fremdversicherungsträgern zustehenden Gewinne aus erzielten Zinsen sind 90 v. H. der Summen der tatsächlich an die Einzugsstellen weitergeleiteten Beiträge.
§ 3
Der Zinsberechnung werden 2,30 Tage zugrunde gelegt. § 6
(1) Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vereinbarung anhängigen Rechtsstreitigkeiten werden beendet. (2) Zum Ausgleich der Forderungen für die Zeit seit 1. Januar 1989 zahlt der AOK-Bundes-verband für die Kalenderjahre 1993 bis 1995 jeweils 40 v. H. des für das Kalenderjahr 1996 ermittelten Betrages, für 1996 erfolgt die Zinsberechnung gem. §§ 2 – 4 dieser Vereinbarung. Die Beträge werden mit Abschluss der Vereinbarung fällig. Anzurechnen sind die in der Zeit vom 01.09.1992 bis 30.11.1996 schon gezahlten Zinsausgleichsbeträge in Höhe von 748.804,11 DM.
§ 7
Diese Vereinbarung tritt am 1. Januar 1997 in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres, frühestens zum 31. Dezember 1999, gekündigt werden."
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als Aufsichtsbehörde des Beklagten vertrat nach dieser Vereinbarung die Auffassung, dass damit Nachteile, die aus dem Orderscheckver-fahren herrührten, ausgeschlossen seien, sodass der Anlass für eine aufsichtsrechtliche Weisung entfallen sei. Demgegenüber meinte der BRH in seinem Bericht vom 14. Oktober 1997, die Vereinbarung regele nur die Aufteilung der Zinsgewinne, die der Beklagte bei ordnungsgemäßer Abführung der Beiträge in der Zeit bis zur Weiterleitung erwirtschafte, dagegen nicht, wem die Zinsgewinne zustünden, die dem Beklagten durch die rechtswidrige Zahlung per Orderschecks zuflössen. Außerdem widersprach er der gemeinsamen Auffassung der Fremdversicherungsträger und des Beklagten zur Berechnung der Zinsausgleichszahlung-en. Nach Einschaltung des Rechnungsprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages, der dem BRH beipflichtete, schloss sich schließlich auch das BMG der Auffassung des BRH an, dass das Orderscheckverfahren rechtswidrig sei. Es sei nicht weiter zu tolerieren. Daraufhin teilte der Beklagte mit, das Verfahren werde im Laufe des Monats Mai 1998 eingestellt – was auch geschah – und kündigte die Vereinbarung vom 30. April 1997 im Hinblick darauf zum 31. Mai 1998. Mit Wirkung vom 1. Juni 1998 schlossen die Beteiligten eine neue Verein-barung ab, wobei in § 3 der Zinsberechnung 1,4 Tage zugrunde gelegt wurden.
Nach dem Scheitern vom BMG geforderter neuer Verhandlungen über den Vorteilsausgleich für die Zeit bis zum 31. Mai 1998 erhob die Klägerin am 2. Oktober 1998 beim Sozialgericht (SG) Berlin Leistungsklage und forderte Schadensersatz wegen Verzuges gemäß § 28 r i. V. m. § 28 f SGB IV in Höhe von 9.171.184,73 DM (= 4.689.152,29 EUR) nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung. Zeitgleich erhoben auch die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz und die Bundesagentur für Arbeit entsprechende Klagen. Die Klägerin hatte sich – gemeinsam mit den anderen beteiligten Fremdversicherungsträgern – schon im Rahmen der Auseinandersetzungen im Vorfeld der Klageerhebung den Standpunkt des BRH – nunmehr auch zur Berechnung und zum Umfang der zu fordernden Zinsausgleichszahlungen – zu Eigen gemacht. Daraus folge die Klageforderung. Ihr lägen anteilig weitergeleitete Gesamtsozialversicherungsbeiträge im streit-befangenen Zeitraum (1. Juli 1989 bis 31. Mai 1998) von rund 11,3 Milliarden DM zugrunde. Der Beklagte hielt hingegen an seiner Rechtsauffassung fest. Jedenfalls aber stünden entgegen der Ansicht der Klägerin die Vereinbarung vom 30. April 1997 und die hierauf geleisteten Ausgleichszahlungen dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch entgegen. Im Wege des Vergleichs habe § 6 Abs. 2 der Vereinbarung daher – unter Berücksichtigung der unterschied-lichen Rechtsauffassungen zu dem von ihm praktizierten Verfahren – etwaige Ansprüche der Klägerin erledigt. Hilfsweise berufe er sich auf den Einwand der Verwirkung. Die Klägerin habe während der gesamten streitgegenständlichen Zeit das von ihm praktizierte Verfahren toleriert. Forderungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1994 seien außerdem verjährt.
Durch Urteil vom 23. März 2004 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch lägen jedenfalls deshalb nicht vor, weil aufgrund der Zinsvereinbarung vom 30. April 1997 und der hierauf geleisteten Ausgleichszahlungen des Beklagten ein konkreter Schaden der Klägerin nicht ersichtlich sei. Dies gelte für den gesamten streitigen Zeitraum. Etwaige Schadensersatzansprüche, die durch pflichtwidriges Verhalten vor dem 1. Januar 1994 entstanden sein sollten, seien zudem verjährt.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zu Unrecht habe das SG im Hin-blick auf die Vereinbarung vom 30. April 1997 einen Schaden verneint. Die Vereinbarung habe weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem historischen und rechtlichen Kontext den Ersatz des durch das pflichtwidrige und schuldhafte Vorgehen des Beklagten verursachten wirtschaftlichen Schadens zum Gegenstand. Wie die Bezugnahme auf § 28 l Abs. 2 SGB IV ausweise, regele sie lediglich den Ausgleich der bei ordnungsgemäßer Weiterleitung und Verwaltung anfallenden Zinsgewinne. Sie habe ihren Grund in der diesbezüglichen Recht-sprechung des BSG, die in der Folgezeit zur Schaffung des § 28 l Abs. 2 SGB IV geführt habe, und orientiere sich bis in die Einzelheiten der gewählten Parameter an der hierfür von den Spitzengremien der Rentenversicherung beschlossenen Mustervereinbarung. Da das BSG festgestellt habe, dass ein Anspruch auf Auskehrung der bei der Verwaltung von Fremdbei-trägen erwirtschafteten Zinsgewinne grundsätzlich auch bei ordnungsgemäßer Weiterleitung gegeben sei, sei nunmehr auch der Beklagte bereit gewesen, eine Zinsvereinbarung mit den Fremdversicherungsträgern zu treffen. Hätten die Beteiligten hingegen auch den in § 28 r SGB IV abschließend geregelten Schadensersatzanspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Weiter-leitung und deshalb entgangener Zinsen zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht, wäre diese wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig gewesen. Denn die Ver-sicherungsträger hätten ihre Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Dies sei nicht ihrer Regelungsfreiheit durch öffentlich-rechtlichen Vertrag überlassen. Sie könnten auf Schadensersatzansprüche nicht völlig verzichten. Diese seien auch nicht (teilweise) verjährt. Wegen des vorsätzlichen Verhaltens des Beklagten gelte die 30-jährige Verjährungsfrist. Sie – die Klägerin – habe das vom Beklagten praktizierte Orderscheckverfahren seit 1990 wiederholt beanstandet. Deshalb gehe auch der Einwand der Verwirkung fehl.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr 4.689.152,29 EUR nebst 4 % Zinsen seit Klage-erhebung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er halte das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen bleibe er auch dabei, dass er sich nicht pflichtwidrig verhalten habe und folglich auch nicht schuldhaft. Mit Abschluss der Vereinbarung vom 30. April 1997 hätten alle seine mit der Materie betrauten Mitarbeiter davon ausgehen müssen, dass seine Vorgehensweise bei der Weiterleitung von Beiträgen rechtmäßig sei und mit der Verrechnung auf der Basis der Vereinbarung rechtmäßiges Verhalten impliziert gewesen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 82 KR 960/98 -) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin gegen den Beklagten kein Schadens-ersatzanspruch gemäß § 28 r SGB IV i. V. m. § 28 f Abs. 4 letzter Satz SGB IV zusteht.
Nach § 28 r Abs. 1 SGB IV ist die Einzugsstelle – und das gilt im Rahmen des zentralen Beitragseinzugs entsprechend auch für den Beklagten (§ 28 f Abs. 4 letzter Satz SGB IV) – dem Träger der Rentenversicherung und der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit schadensersatzpflichtig, wenn sie schuldhaft eine ihr nach "diesem Abschnitt" (Meldepflichten des Arbeitgebers, Gesamtsozialversicherungsbeitrag, §§ 28 a bis 28 r) auferlegte Pflicht verletzt (Satz 1). Die Schadensersatzpflicht wegen entgangener Zinsen beschränkt sich auf den sich aus Abs. 2 ergebenden Umfang (Satz 2). Nach § 28 r Abs. 2 SGB IV hat die Einzugsstelle – bzw. über § 28 f Abs. 4 SGB IV auch der Beklagte – Zinsen in Höhe von zwei von Hundert über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank (jetzt: Basiszinssatz nach § 247 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) zu zahlen, wenn Beiträge, Zinsen auf Beiträge oder Säumnis-zuschläge schuldhaft nicht rechtzeitig weitergeleitet werden.
Eine schadensverursachende schuldhafte Pflichtverletzung durch nicht rechtzeitige Weiter-leitung von Sozialversicherungsbeiträgen lässt sich für die streitige Zeit im Hinblick auf die Vereinbarung vom 30. April 1997 nicht feststellen.
Diese Vereinbarung beruht auf § 28 l Abs. 2 SGB IV, die am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist. Danach wird, soweit die Einzugsstellen bei der Verwaltung von Fremdbeiträgen Gewinne erzielen, deren Aufteilung durch Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen oder ihren Verbänden und den Trägern der Rentenversicherung oder dem Verband Deutscher Renten-versicherungsträger sowie der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit geregelt. Diese Vorschrift galt bei Abschluss der Vereinbarung vom 30. April 1997 zwar noch nicht für den Beklagten. Sie wurde erst durch das 4. Euro-Einführungsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2001 auf die vom Arbeitgeber mit dem Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags "beauftragten Stellen" (§ 28 f Abs. 4 SGB IV) – wie den Beklagten – ausgedehnt. Allerdings beruht die Schaffung des § 28 l Abs. 2 SGB IV auf der Rechtsprechung des BSG. Dieses hatte durch Urteil vom 22. September 1993 – 12 RK 16/91 – (= SozR 3 – 2200 § 1436 Nr. 1) die zwischen den Sozialversicherungsträgern streitige Frage, wem Gewinne aus der – selbst ordnungsgemäßen – Verwaltung von Fremdbeiträgen zustehen, in einem Rechtsstreit zwischen Einzugsstelle und Rentenversicherungsträger zu Gunsten des Letzteren entschieden und diese Rechtsprechung bei entsprechender Konstellation der Beteiligten durch weitere Urteile vom 13. März 1997 – u. a. 12 RK 11/96 – (= SozR 3 – 2400 § 28 l Nr. 1) bestätigt. Der Beklagte sah sich von dieser Rechtsprechung und der gesetzlichen Folgeregelung als Nichteinzugsstelle zwar nicht direkt betroffen, willigte aber im Hinblick auf den Grundgedanken dieser Recht-sprechung in eine entsprechende Vereinbarung – nämlich im Rahmen des § 28 l SGB IV – unter der weiteren Voraussetzung ein, dass die in der Vergangenheit bereits gezahlten Zins-ausgleichsbeträge angerechnet würden und Einvernehmen darüber besteht, dass bei Wegfall des Orderscheckverfahrens (gedacht war dabei an dessen Ablösung durch das vom Beklagten angestrebte Hauskassenverfahren) die Möglichkeit vorzeitiger Kündigung besteht.
Diese so zustande gekommene Regelung muss vor dem weiteren Hintergrund betrachtet werden, dass der Beklagte das Orderscheckverfahren stets als rechtmäßig verteidigt und die Fremdversicherungsträger sich darauf – schon in der Vergangenheit – insofern eingelassen haben, als sie sich mit dem Beklagten diesbezüglich auf Vorteilsausgleichsbeträge ohne Er-höhung nach Schadensersatzgesichtspunkten einigten (anders als in Fällen nicht arbeitstäglich weitergeleiteter Beiträge, in denen der Vorteilsausgleich zum Teil unter Ansatz des Diskont-satzes zuzüglich 2 % berechnet wurde). Ferner muss berücksichtigt werden, dass nach über-einstimmender Auffassung der Beteiligten noch bei Abschluss der Vereinbarung vom 30. April 1997 und darüber hinaus – entgegen den Annahmen des BRH – die Geldlaufverzögerung durch das Orderscheckverfahren geringfügig war, insbesondere deshalb, weil der Laufzeit des Orderscheckverfahrens lediglich die Laufzeit des Überweisungsverfahrens, nicht aber des beschleunigten Überweisungsverfahrens, gegenüber zu stellen war. Unter diesen Aspekten hatten die Fremdversicherungsträger das Orderscheckverfahren des Beklagten bei entsprechen-dem Vorteilsausgleich – unter Zurückstellung ihrer Forderung, das Verfahren aufzugeben – toleriert.
Die Vereinbarung vom 30. April 1997 stellt sich nach allem als Vergleichsvertrag dar, in dem die Beteiligten unter Hintanstellung ihrer konträren Rechtsauffassungen zur Rechtmäßigkeit des Orderscheckverfahrens einerseits und der Anwendbarkeit des § 28 l Abs. 2 SGB IV bzw. der ihn begründenden Rechtsprechung andererseits davon ausgehen, dass es sich auch bei den Gewinnen des Beklagten, die aus der Praktizierung des Orderscheckverfahrens herrühren, um Gewinne aus ordnungsgemäßer Verwaltung handelt und dass diese – wie die sonstigen Gewinne – nach Maßgabe des § 28 l Abs. 2 SGB IV auszugleichen sind und durch die entsprechenden Regelungen der Vereinbarung voll ausgeglichen werden.
Ansprüche aus § 28 r SGB IV, die den von der Vereinbarung erfassten Zeitraum betreffen, sind danach ausgeschlossen.
Die Vereinbarung war nach § 53 Abs. 1 SGB X zulässig und ist formgerecht schriftlich ge-schlossen worden (§ 56 SGB X). Sie ist auch nicht wegen Nichtigkeit unwirksam. Insbeson-dere verstößt sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB). Maßgeblich ist insoweit, ob eine zwingende Rechtsnorm besteht, die nach ihrem Sinn und Zweck die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges verbietet oder einen bestimmten Inhalt des Vertrages ausschließt. In Betracht kommt insoweit allein, ob etwa die Vorschrift des § 28 r Abs. 2 SGB IV die Zinsregelung in § 3 der Vereinbarung ausschließt. Das kann aber im Hinblick auf den Ver-gleichscharakter der Vereinbarung nicht angenommen werden. Nichts spricht dafür, dass die Beteiligten mit der Vereinbarung die Schadensersatzregelung des § 28 r Abs. 2 SGB IV unterlaufen wollten (so auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen im das Parallelver-fahren der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz betreffenden Urteil vom 5. Oktober 2004 - L 5 KR 223/02 -, auf dessen diesbezügliche den Beteiligten bekannte Ausführungen, die sich der Senat zu Eigen macht, im Übrigen verwiesen wird). Der gegenteilige Standpunkt der Klägerin entbehrt danach der Grundlage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht rechtzeitig weitergeleiteter Beiträge geltend.
Der beklagte AOK-Bundesverband praktizierte in der streitbefangenen Zeit vom 1. Juli 1989 bis 31. Mai 1998 das Verfahren des zentralen Beitragseinzugs nach § 28 f Abs. 4 Sozialgesetz-buch (SGB) IV. Danach konnten Arbeitgeber mit zentraler Lohn- und Gehaltsabrechnung und Arbeitsstätten in den Bezirken mehrerer Ortskrankenkassen beim beklagten Verband bean-tragen, den Beitragsnachweis für die bei Ortskrankenkassen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten bei diesem (Verband) einzureichen. Wurde dem Antrag entsprochen, erhielt der Verband auch den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den er an die zuständigen Einzugsstellen arbeitstäglich weiterzuleiten hatte. Diese wiederum leiteten an den zuständigen Träger der Rentenversicherung und die Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit (Fremdversiche-rungsträger) die für diese gezahlten Beiträge weiter.
Der Beklagte erhielt im Rahmen des zentralen Beitragseinzugs im streitigen Zeitraum Beiträge in Höhe von rund 31 Milliarden DM. Die auf die einzelnen Einzugsstellen entfallenden Beträge leitete er durch Orderscheck per Briefpost an diese weiter. Durch die Anlage der bis zur Einlösung der Schecks auf den Konten verbleibenden Gelder erzielte er jährlich erhebliche Zinsgewinne.
Über die Berechtigung des Beklagten zur Weiterleitung der Beiträge durch Orderscheck traten zwischen dem Beklagten und den Fremdversicherungsträgern bald Meinungsverschiedenheiten auf. Die Fremdversicherungsträger, unterstützt durch den Bundsrechnungshof (BRH) und den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, vertraten die Auffassung, nach der maßgeb-lichen Beitragszahlungsverordnung (BZVO) habe die Weiterleitung der Beiträge durch Über-weisung zu erfolgen. Der Beklagte sah dies im Hinblick darauf, dass er nicht Einzugsstelle sei und Beiträge nicht an die Fremdversicherungsträger weiterzuleiten habe, anders. Die BZVO stehe der Anwendung des Orderscheckverfahrens durch ihn als Bundesverband nicht entgegen. Gleichwohl erklärte sich der Beklagte zu einem Vorteilsausgleich bereit, wenn sich bestätige, dass das Orderscheckverfahren zu Weiterleitungsverzögerungen führe.
Entsprechende Ermittlungen im Rahmen der Prüfung der zentralen Abrechnung der Gesamt-sozialversicherungsbeiträge beim Beklagten durch die Fremdversicherungsträger ergaben, dass das Orderscheckverfahren im Durchschnitt zu geringfügigen Verzögerungen der Weiterleitung führe. Die Fremdversicherungsträger – unter ihnen die Klägerin – einigten sich diesbezüglich so wie auch wegen anderer Weiterleitungsverzögerungen mit dem Beklagten auf einen Vor-teilsausgleich für die Zeit ab 1. September 1992 bis zum Auslaufen des Orderscheckverfahrens voraussichtlich Ende 1995. Der Beklagte hatte seine Absicht bekundet, den zentralen Beitrags-einzug bis dahin einzustellen. Der Vorteilsausgleich sollte unter Berücksichtigung des Anlage-zinssatzes für die Zeitverzögerungen erfolgen, die sich aus den durchschnittlichen Laufzeiten im Orderscheckverfahren im Verhältnis zu denen im Überweisungsverfahren ergaben. Einvernehmlich wurde eine durchschnittliche Laufzeit des Orderscheckverfahrens von 4,75 Tagen und des Überweisungsverfahrens von 4,42 Tagen zugrunde gelegt, mithin eine Laufzeitverzögerung von 0,33 Tagen. Für die Zeit bis zur Umstellung des Orderscheckver-fahrens sollten die Fremdversicherungsträger den entsprechend ermittelten Vorteilsausgleich für den Vormonat erhalten. Zwischen den Beteiligten war zum damaligen Zeitpunkt noch streitig, inwieweit grundsätzlich Zinsen aus Terminanlagen an die Fremdversicherungsträger auszukehren seien und ob der Beklagte insoweit zur Rechnungslegung verpflichtet sei. (Jedenfalls auch) wegen dieser Frage hatten die Fremdversicherungsträger Klage gegen den Beklagten erhoben, die Klägerin u. a. zum Az.: S 73 KR 926/94 (Sozialgericht Berlin).
Im weiteren Verlauf kam es nicht – wie vorgesehen – zur Umstellung des zentralen Beitrags-einzugs auf das vom Beklagten angestrebte "Hauskassenverfahren".
In seiner Prüfmitteilung vom 4. Dezember 1996 beanstandete der BRH erneut das vom Beklagten praktizierte Orderscheckverfahren. Nach seinen Ermittlungen ergaben sich beim Orderscheckverfahren durchschnittliche Geldlaufzeiten von 7,0 Kalendertagen, hingegen von nur 2,9 Kalendertagen bei beschleunigter (taggleicher) Überweisung, zu welcher der Beklagte bei Beträgen von über 100.000 DM verpflichtet gewesen wäre. Demnach sei eine Geldlaufverzögerung von 4,1 Kalendertagen festzustellen. Der BRH errechnete insoweit für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 31. Dezember 1995 einen Zinsausfall der Fremdversicherungsträger in Höhe von 15 bis 20 Millionen DM. Die Ermittlungen der Fremdversicherungsträger und des Beklagten zur Laufzeitverzögerung – so der BRH – seien fehlerhaft. Insbesondere seien unzutreffend die Laufzeiten im Orderscheckverfahren denen von normalen Banküberweisungen gegenübergestellt worden. Auch entsprächen die vereinbarten Zinssätze nicht dem geltenden Recht. Es handele sich um Schadensersatz wegen entgangener Zinsen, sodass gem. § 28 r SGB IV Zinsen in Höhe von 2 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank hätten gezahlt werden müssen. Die Fremdversicherungsträger hätten deshalb weitergehende Zinsausgleichsansprüche für die Jahre bis 1996 beim Beklagten geltend zu machen. Dieser sei gehalten, dass Orderscheckverfahren umgehend aufzugeben.
In einer Besprechung mit dem Beklagten am 28. April 1997 wiesen die Fremdversicherungs-träger darauf hin, dass der Beklagte im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Ent-scheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. März 1997 – 12 RK 11/96 – die aus der Anlage der Fremdgelder erzielten Zinsen auszukehren habe. Sie seien bereit, auch mit dem Beklagten auf der Grundlage einer von ihnen beschlossenen Mustervereinbarung eine Ver-einbarung im Rahmen des § 28 l Abs. 2 SGB IV zu treffen. Der Beklagte bekräftigte demgegenüber seine Auffassung, dass diese Rechtsprechung für ihn nicht einschlägig sei, weil er keine Einzugsstelle sei. Nach Einverständnis der Fremdversicherungsträger, dass die von ihm in der Zeit vom 1. September 1992 bis 31. Dezember 1996 bereits gezahlten Beträge auf die nach der beabsichtigten Vereinbarung zu zahlenden Beträge anzurechnen seien, stimmte er einem entsprechenden Abschluss jedoch zu. Festgelegt wurde ferner, dass bei Wegfall des Orderscheckverfahrens die vorgesehene Kündigungsregelung zu Gunsten des Beklagten geändert werden könne.
Am 30. April 1997 schloss der Beklagte mit den Fremdversicherungsträgern "über die Aufteilung der bei der Verwaltung von Fremdbeiträgen erzielten Gewinne nach § 28 l Abs. 2 SGB IV" folgende – auszugsweise wiedergegebene – Vereinbarung:
§ 1
Sofern bei der Verwaltung von Fremdbeiträgen Gewinne erzielt werden, wird der an die Fremdversicherungsträger abzuführende Anteil nach §§ 2 bis 4 ermittelt.
§ 2
Grundlage für die Berechnung der den einzelnen Fremdversicherungsträgern zustehenden Gewinne aus erzielten Zinsen sind 90 v. H. der Summen der tatsächlich an die Einzugsstellen weitergeleiteten Beiträge.
§ 3
Der Zinsberechnung werden 2,30 Tage zugrunde gelegt. § 6
(1) Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vereinbarung anhängigen Rechtsstreitigkeiten werden beendet. (2) Zum Ausgleich der Forderungen für die Zeit seit 1. Januar 1989 zahlt der AOK-Bundes-verband für die Kalenderjahre 1993 bis 1995 jeweils 40 v. H. des für das Kalenderjahr 1996 ermittelten Betrages, für 1996 erfolgt die Zinsberechnung gem. §§ 2 – 4 dieser Vereinbarung. Die Beträge werden mit Abschluss der Vereinbarung fällig. Anzurechnen sind die in der Zeit vom 01.09.1992 bis 30.11.1996 schon gezahlten Zinsausgleichsbeträge in Höhe von 748.804,11 DM.
§ 7
Diese Vereinbarung tritt am 1. Januar 1997 in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres, frühestens zum 31. Dezember 1999, gekündigt werden."
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als Aufsichtsbehörde des Beklagten vertrat nach dieser Vereinbarung die Auffassung, dass damit Nachteile, die aus dem Orderscheckver-fahren herrührten, ausgeschlossen seien, sodass der Anlass für eine aufsichtsrechtliche Weisung entfallen sei. Demgegenüber meinte der BRH in seinem Bericht vom 14. Oktober 1997, die Vereinbarung regele nur die Aufteilung der Zinsgewinne, die der Beklagte bei ordnungsgemäßer Abführung der Beiträge in der Zeit bis zur Weiterleitung erwirtschafte, dagegen nicht, wem die Zinsgewinne zustünden, die dem Beklagten durch die rechtswidrige Zahlung per Orderschecks zuflössen. Außerdem widersprach er der gemeinsamen Auffassung der Fremdversicherungsträger und des Beklagten zur Berechnung der Zinsausgleichszahlung-en. Nach Einschaltung des Rechnungsprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages, der dem BRH beipflichtete, schloss sich schließlich auch das BMG der Auffassung des BRH an, dass das Orderscheckverfahren rechtswidrig sei. Es sei nicht weiter zu tolerieren. Daraufhin teilte der Beklagte mit, das Verfahren werde im Laufe des Monats Mai 1998 eingestellt – was auch geschah – und kündigte die Vereinbarung vom 30. April 1997 im Hinblick darauf zum 31. Mai 1998. Mit Wirkung vom 1. Juni 1998 schlossen die Beteiligten eine neue Verein-barung ab, wobei in § 3 der Zinsberechnung 1,4 Tage zugrunde gelegt wurden.
Nach dem Scheitern vom BMG geforderter neuer Verhandlungen über den Vorteilsausgleich für die Zeit bis zum 31. Mai 1998 erhob die Klägerin am 2. Oktober 1998 beim Sozialgericht (SG) Berlin Leistungsklage und forderte Schadensersatz wegen Verzuges gemäß § 28 r i. V. m. § 28 f SGB IV in Höhe von 9.171.184,73 DM (= 4.689.152,29 EUR) nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung. Zeitgleich erhoben auch die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz und die Bundesagentur für Arbeit entsprechende Klagen. Die Klägerin hatte sich – gemeinsam mit den anderen beteiligten Fremdversicherungsträgern – schon im Rahmen der Auseinandersetzungen im Vorfeld der Klageerhebung den Standpunkt des BRH – nunmehr auch zur Berechnung und zum Umfang der zu fordernden Zinsausgleichszahlungen – zu Eigen gemacht. Daraus folge die Klageforderung. Ihr lägen anteilig weitergeleitete Gesamtsozialversicherungsbeiträge im streit-befangenen Zeitraum (1. Juli 1989 bis 31. Mai 1998) von rund 11,3 Milliarden DM zugrunde. Der Beklagte hielt hingegen an seiner Rechtsauffassung fest. Jedenfalls aber stünden entgegen der Ansicht der Klägerin die Vereinbarung vom 30. April 1997 und die hierauf geleisteten Ausgleichszahlungen dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch entgegen. Im Wege des Vergleichs habe § 6 Abs. 2 der Vereinbarung daher – unter Berücksichtigung der unterschied-lichen Rechtsauffassungen zu dem von ihm praktizierten Verfahren – etwaige Ansprüche der Klägerin erledigt. Hilfsweise berufe er sich auf den Einwand der Verwirkung. Die Klägerin habe während der gesamten streitgegenständlichen Zeit das von ihm praktizierte Verfahren toleriert. Forderungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1994 seien außerdem verjährt.
Durch Urteil vom 23. März 2004 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch lägen jedenfalls deshalb nicht vor, weil aufgrund der Zinsvereinbarung vom 30. April 1997 und der hierauf geleisteten Ausgleichszahlungen des Beklagten ein konkreter Schaden der Klägerin nicht ersichtlich sei. Dies gelte für den gesamten streitigen Zeitraum. Etwaige Schadensersatzansprüche, die durch pflichtwidriges Verhalten vor dem 1. Januar 1994 entstanden sein sollten, seien zudem verjährt.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zu Unrecht habe das SG im Hin-blick auf die Vereinbarung vom 30. April 1997 einen Schaden verneint. Die Vereinbarung habe weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem historischen und rechtlichen Kontext den Ersatz des durch das pflichtwidrige und schuldhafte Vorgehen des Beklagten verursachten wirtschaftlichen Schadens zum Gegenstand. Wie die Bezugnahme auf § 28 l Abs. 2 SGB IV ausweise, regele sie lediglich den Ausgleich der bei ordnungsgemäßer Weiterleitung und Verwaltung anfallenden Zinsgewinne. Sie habe ihren Grund in der diesbezüglichen Recht-sprechung des BSG, die in der Folgezeit zur Schaffung des § 28 l Abs. 2 SGB IV geführt habe, und orientiere sich bis in die Einzelheiten der gewählten Parameter an der hierfür von den Spitzengremien der Rentenversicherung beschlossenen Mustervereinbarung. Da das BSG festgestellt habe, dass ein Anspruch auf Auskehrung der bei der Verwaltung von Fremdbei-trägen erwirtschafteten Zinsgewinne grundsätzlich auch bei ordnungsgemäßer Weiterleitung gegeben sei, sei nunmehr auch der Beklagte bereit gewesen, eine Zinsvereinbarung mit den Fremdversicherungsträgern zu treffen. Hätten die Beteiligten hingegen auch den in § 28 r SGB IV abschließend geregelten Schadensersatzanspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Weiter-leitung und deshalb entgangener Zinsen zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht, wäre diese wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig gewesen. Denn die Ver-sicherungsträger hätten ihre Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Dies sei nicht ihrer Regelungsfreiheit durch öffentlich-rechtlichen Vertrag überlassen. Sie könnten auf Schadensersatzansprüche nicht völlig verzichten. Diese seien auch nicht (teilweise) verjährt. Wegen des vorsätzlichen Verhaltens des Beklagten gelte die 30-jährige Verjährungsfrist. Sie – die Klägerin – habe das vom Beklagten praktizierte Orderscheckverfahren seit 1990 wiederholt beanstandet. Deshalb gehe auch der Einwand der Verwirkung fehl.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr 4.689.152,29 EUR nebst 4 % Zinsen seit Klage-erhebung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er halte das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen bleibe er auch dabei, dass er sich nicht pflichtwidrig verhalten habe und folglich auch nicht schuldhaft. Mit Abschluss der Vereinbarung vom 30. April 1997 hätten alle seine mit der Materie betrauten Mitarbeiter davon ausgehen müssen, dass seine Vorgehensweise bei der Weiterleitung von Beiträgen rechtmäßig sei und mit der Verrechnung auf der Basis der Vereinbarung rechtmäßiges Verhalten impliziert gewesen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 82 KR 960/98 -) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin gegen den Beklagten kein Schadens-ersatzanspruch gemäß § 28 r SGB IV i. V. m. § 28 f Abs. 4 letzter Satz SGB IV zusteht.
Nach § 28 r Abs. 1 SGB IV ist die Einzugsstelle – und das gilt im Rahmen des zentralen Beitragseinzugs entsprechend auch für den Beklagten (§ 28 f Abs. 4 letzter Satz SGB IV) – dem Träger der Rentenversicherung und der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit schadensersatzpflichtig, wenn sie schuldhaft eine ihr nach "diesem Abschnitt" (Meldepflichten des Arbeitgebers, Gesamtsozialversicherungsbeitrag, §§ 28 a bis 28 r) auferlegte Pflicht verletzt (Satz 1). Die Schadensersatzpflicht wegen entgangener Zinsen beschränkt sich auf den sich aus Abs. 2 ergebenden Umfang (Satz 2). Nach § 28 r Abs. 2 SGB IV hat die Einzugsstelle – bzw. über § 28 f Abs. 4 SGB IV auch der Beklagte – Zinsen in Höhe von zwei von Hundert über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank (jetzt: Basiszinssatz nach § 247 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) zu zahlen, wenn Beiträge, Zinsen auf Beiträge oder Säumnis-zuschläge schuldhaft nicht rechtzeitig weitergeleitet werden.
Eine schadensverursachende schuldhafte Pflichtverletzung durch nicht rechtzeitige Weiter-leitung von Sozialversicherungsbeiträgen lässt sich für die streitige Zeit im Hinblick auf die Vereinbarung vom 30. April 1997 nicht feststellen.
Diese Vereinbarung beruht auf § 28 l Abs. 2 SGB IV, die am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist. Danach wird, soweit die Einzugsstellen bei der Verwaltung von Fremdbeiträgen Gewinne erzielen, deren Aufteilung durch Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen oder ihren Verbänden und den Trägern der Rentenversicherung oder dem Verband Deutscher Renten-versicherungsträger sowie der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit geregelt. Diese Vorschrift galt bei Abschluss der Vereinbarung vom 30. April 1997 zwar noch nicht für den Beklagten. Sie wurde erst durch das 4. Euro-Einführungsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2001 auf die vom Arbeitgeber mit dem Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags "beauftragten Stellen" (§ 28 f Abs. 4 SGB IV) – wie den Beklagten – ausgedehnt. Allerdings beruht die Schaffung des § 28 l Abs. 2 SGB IV auf der Rechtsprechung des BSG. Dieses hatte durch Urteil vom 22. September 1993 – 12 RK 16/91 – (= SozR 3 – 2200 § 1436 Nr. 1) die zwischen den Sozialversicherungsträgern streitige Frage, wem Gewinne aus der – selbst ordnungsgemäßen – Verwaltung von Fremdbeiträgen zustehen, in einem Rechtsstreit zwischen Einzugsstelle und Rentenversicherungsträger zu Gunsten des Letzteren entschieden und diese Rechtsprechung bei entsprechender Konstellation der Beteiligten durch weitere Urteile vom 13. März 1997 – u. a. 12 RK 11/96 – (= SozR 3 – 2400 § 28 l Nr. 1) bestätigt. Der Beklagte sah sich von dieser Rechtsprechung und der gesetzlichen Folgeregelung als Nichteinzugsstelle zwar nicht direkt betroffen, willigte aber im Hinblick auf den Grundgedanken dieser Recht-sprechung in eine entsprechende Vereinbarung – nämlich im Rahmen des § 28 l SGB IV – unter der weiteren Voraussetzung ein, dass die in der Vergangenheit bereits gezahlten Zins-ausgleichsbeträge angerechnet würden und Einvernehmen darüber besteht, dass bei Wegfall des Orderscheckverfahrens (gedacht war dabei an dessen Ablösung durch das vom Beklagten angestrebte Hauskassenverfahren) die Möglichkeit vorzeitiger Kündigung besteht.
Diese so zustande gekommene Regelung muss vor dem weiteren Hintergrund betrachtet werden, dass der Beklagte das Orderscheckverfahren stets als rechtmäßig verteidigt und die Fremdversicherungsträger sich darauf – schon in der Vergangenheit – insofern eingelassen haben, als sie sich mit dem Beklagten diesbezüglich auf Vorteilsausgleichsbeträge ohne Er-höhung nach Schadensersatzgesichtspunkten einigten (anders als in Fällen nicht arbeitstäglich weitergeleiteter Beiträge, in denen der Vorteilsausgleich zum Teil unter Ansatz des Diskont-satzes zuzüglich 2 % berechnet wurde). Ferner muss berücksichtigt werden, dass nach über-einstimmender Auffassung der Beteiligten noch bei Abschluss der Vereinbarung vom 30. April 1997 und darüber hinaus – entgegen den Annahmen des BRH – die Geldlaufverzögerung durch das Orderscheckverfahren geringfügig war, insbesondere deshalb, weil der Laufzeit des Orderscheckverfahrens lediglich die Laufzeit des Überweisungsverfahrens, nicht aber des beschleunigten Überweisungsverfahrens, gegenüber zu stellen war. Unter diesen Aspekten hatten die Fremdversicherungsträger das Orderscheckverfahren des Beklagten bei entsprechen-dem Vorteilsausgleich – unter Zurückstellung ihrer Forderung, das Verfahren aufzugeben – toleriert.
Die Vereinbarung vom 30. April 1997 stellt sich nach allem als Vergleichsvertrag dar, in dem die Beteiligten unter Hintanstellung ihrer konträren Rechtsauffassungen zur Rechtmäßigkeit des Orderscheckverfahrens einerseits und der Anwendbarkeit des § 28 l Abs. 2 SGB IV bzw. der ihn begründenden Rechtsprechung andererseits davon ausgehen, dass es sich auch bei den Gewinnen des Beklagten, die aus der Praktizierung des Orderscheckverfahrens herrühren, um Gewinne aus ordnungsgemäßer Verwaltung handelt und dass diese – wie die sonstigen Gewinne – nach Maßgabe des § 28 l Abs. 2 SGB IV auszugleichen sind und durch die entsprechenden Regelungen der Vereinbarung voll ausgeglichen werden.
Ansprüche aus § 28 r SGB IV, die den von der Vereinbarung erfassten Zeitraum betreffen, sind danach ausgeschlossen.
Die Vereinbarung war nach § 53 Abs. 1 SGB X zulässig und ist formgerecht schriftlich ge-schlossen worden (§ 56 SGB X). Sie ist auch nicht wegen Nichtigkeit unwirksam. Insbeson-dere verstößt sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB). Maßgeblich ist insoweit, ob eine zwingende Rechtsnorm besteht, die nach ihrem Sinn und Zweck die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges verbietet oder einen bestimmten Inhalt des Vertrages ausschließt. In Betracht kommt insoweit allein, ob etwa die Vorschrift des § 28 r Abs. 2 SGB IV die Zinsregelung in § 3 der Vereinbarung ausschließt. Das kann aber im Hinblick auf den Ver-gleichscharakter der Vereinbarung nicht angenommen werden. Nichts spricht dafür, dass die Beteiligten mit der Vereinbarung die Schadensersatzregelung des § 28 r Abs. 2 SGB IV unterlaufen wollten (so auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen im das Parallelver-fahren der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz betreffenden Urteil vom 5. Oktober 2004 - L 5 KR 223/02 -, auf dessen diesbezügliche den Beteiligten bekannte Ausführungen, die sich der Senat zu Eigen macht, im Übrigen verwiesen wird). Der gegenteilige Standpunkt der Klägerin entbehrt danach der Grundlage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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