Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 492/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 1/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 26/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" in Nr. 4.3 der Allgemeinen Bestimmungen EBM 1996 kann auf den Begriff „Versorgungsschwerpunkt“ nach Nr. 30600 EBM 2005 nicht vollständig übertragen werden. Entscheidend ist, dass im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit vorliegt, die die Spezialisierung zum Ausdruck bringt, und dass auch die Leistung in absoluten Zahlen in nennenswertem Umfang erbracht werden, da nur dann die für das Fachgebiet atypische Spezialisierung gewährleistet, dass der Arzt die Methode so beherrscht wie die Arztgruppen, die allein aufgrund ihrer Weiterbildung für ein bestimmtes Fachgebiet diese Leistung erbringen können. Ein Schwerpunkt ist in erster Linie am Anteil der Patienten zu messen ist, die proktologisch nach Nr. 755 EBM ´96 behandelt wurden. Bei Abrechnungshäufigkeiten eines Urologen von 237 bis 327 mal und zwischen 14 und 18 mal auf 100 Behandlungsfälle im Quartal gegenüber der Fachgruppe, in der die Leistung bei über 150 Praxen nur von höchstens bis zu 16 Praxen erbracht wird mit Häufigkeiten von 1 bis 3 mal auf 100 Behandlungsfälle liegt ein „Versorgungsschwerpunkt“ nach Nr. 30600 EBM 2005 vor.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 26.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2006 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistung nach Nr. 30600 EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff. zu erteilen.
3. Die Beklagten hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die Gerichtskosten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 30600 EBM 2005 (Proktologischer Basiskomplex) aus dem Abschnitt IV "Arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen" des EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff.
Der Kläger ist als Facharzt für Urologie zur vertragsärztlichen Versorgung seit Dezember 1988 mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Am 05.10.2005 beantragte er die Genehmigung zur Abrechnung der Nr. 30600 EBM 2005 mit dem Hinweis, er sei seit 1986 proktologisch tätig.
Mit Bescheid vom 26.10.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger proktologische Leistungen vor dem 31.12.2002 (Abschnitt C VI EBM´96) nicht in einem Umfang von wenigstens 30 % Punktzahlanteil erbracht habe.
Hiergegen legte der Kläger am 07.11.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, er sei seit 1997 Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie und nehme regelmäßig an deren Fortbildungsveranstaltungen teil. Im Rahmen seiner schon in Rumänien begonnenen chirurgischen Ausbildung sei er bereits in großem Umfang proktologisch tätig geworden. Der Schwerpunkt könne nicht allein am Punktzahlumfang gemessen werden. Er führe eine große Einzelpraxis mit 1.500 bis 1.700 Kassenpatienten. Er sei operativ tätig, führe Laborleistungen durch und betreue mehrere Altersheime urologisch, weshalb sein Gesamtpunktzahlvolumen deutlich über dem Durchschnitt der Fachgruppe liege. In absoluten Zahlen zeige sich jedoch, dass er ausgesprochen umfangreich proktologisch tätig sei. Aus der von ihm eingereichten Auflistung proktologischer Leistungen könne ersehen werden, dass er eine große Anzahl von Patienten proktologisch betreue.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2006, zugestellt am 09.03., wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung führte sie aus, aufgrund der fachgruppenspezifischen Abrechnungssystematik des EBM 2005 sei die fachgruppenspezifische Zuordnung der Leistungen maßgebend. Von einem Facharzt für Urologie könne die Nr. 30600 EBM 2005 entsprechend Kap. 26.1 Nr. 3 i.V.m. den Vorgaben in Abschnitt 30.6 EBM 2005 nur berechnet werden, wenn ein durch die KV genehmigter Versorgungsschwerpunkt nachweisbar sei. Nach einem Vorstandsbeschluss müsse hierfür in der Zeit bis zum 31.12.2002 ein proktologischer Leistungsanteil von 30 % vorliegen. In den Quartalen I bis IV/02 liege der Anteil im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl bei 10,01 %, 11,98 %, 11,32 % bzw. 12,00 %. Eine Genehmigung könne nach dem Vorstandsbeschluss auch dann erteilt werden, wenn eine mindestens einjährige Weiterbildung im Bereich Proktologie nachgewiesen werde. Trotz Hinweis im Schreiben vom 14.11.2005 habe der Kläger keine entsprechenden Nachweise vorgelegt. Sicherstellungsgründe für eine Genehmigung lägen nicht vor, da andere Facharztgruppen in ausreichender Zahl im Planungsbereich des Klägers zur Verfügung stünden. Die Abrechnungsgenehmigung und bisherige Erbringung der Leistungen begründe keinen Bestandsschutz. Vertrauen könne nur solange bestehen, bis die KV auf die Änderung der Verwaltungspraxis hinweise.
Hiergegen hat der Kläger am 23.03.2006 die Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor, die einschränkende Genehmigungspraxis widerspreche den Vorgaben im EBM 2005. Ein pauschaler Wert von 30 % mache für einen Versorgungsschwerpunkt keinen Sinn. Bei einer Bewertung mit vielen Punkten sei dann ein Versorgungsschwerpunkt leichter nachweisbar. Mit rund 10 % des Gesamthonorars liege ein Versorgungsschwerpunkt vor. Es gehe um die Qualifikation. Er habe die strittigen Leistungen in der Vergangenheit kontinuierlich erbracht. Die Proktologie gehöre von Alters her zum Kernbereich der urologischen Versorgung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistung nach Nr. 30600 EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff. zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt vor, für eine Schwerpunkttätigkeit seien 30 % der Gesamtleistung, was nicht mit dem Honorar gleichzusetzen sei, erforderlich. Nach der Rechtsprechung des BSG sei dies ein gesicherter Prozentsatz. Aufgrund des Antragsdatums könnte eine Genehmigung frühestens zum Quartal III/05 erteilt werden. Der Zeitaufwand schlage sich in der Punktezahl nieder. Eine Schwerpunkttätigkeit könne sich nicht nur auf die Fallzahl beziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 26.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2006 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 30600 EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff.
Nach dem ab 01.04.2005 geltenden EBM 2005 sind die abrechnungsfähigen Leistungen drei Bereichen zugeordnet: arztgruppenübergreifenden allgemeinen Leistungen, arztgruppenspezifischen Leistungen und arztgruppenübergreifenden spezielle Leistungen. Arztgruppenspezifische Leistungen unterteilen sich in Leistungen des hausärztlichen und des fachärztlichen Versorgungsbereichs. In den arztgruppenspezifischen Kapiteln bzw. Abschnitten sind entweder durch Aufzählung der Leistungspositionen in den jeweiligen Präambeln oder Auflistung im Kapitel bzw. Abschnitt alle von einer Arztgruppe berechnungsfähigen Leistungen angegeben. Arztgruppenspezifische Leistungen können nur von den in der Präambel des entsprechenden Kapitels bzw. Abschnitts genannten Vertragsärzten, die die dort aufgeführten Kriterien erfüllen, berechnet werden (Abschnitt I 1.2.2 EBM 2005). Abrechnungsfähige Leistungen, deren Berechnung an ein Gebiet, einen Schwerpunkt (Teilgebiet), eine Zusatzbezeichnung oder sonstige Kriterien gebunden ist, setzen das Führen der Bezeichnung, die darauf basierende Zulassung und/oder die Erfüllung der Kriterien voraus (vgl. Abschnitt I 1.2 bis 1.5 EBM 2005).
Die vom Kläger begehrten Leistungen nach Nr. 30600 (Proktologischer Basiskomplex, 230 Punkte) gehört zum Kapitel 30 EBM 2005. Es handelt sich um Leistungen nach Abschnitt IV und damit um arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen. Die Abrechnung von Leistungen dieses Kapitels sind vom Nachweis besonderer Qualifikationen abhängig. Nach der Präambel zu Kapitel 30.6 EBM 2005 "Proktologie" ist die Leistung nach der Nr. 30600 nur von Fachärzten für Chirurgie, Fachärzten für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Fachärzten für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie berechnungsfähig, von Fachärzten für Allgemeinmedizin, Fachärzten für Innere Medizin und Fachärzten für Urologie - wie der Kläger – nur dann, wenn sie einen durch die zuständige Kassenärztliche Vereinigung genehmigten Versorgungsschwerpunkt nachweisen können.
Streitig zwischen den Beteiligten ist nur die Frage, ob der Kläger proktologische Leistungen im Umfang eines "Versorgungsschwerpunktes" erbracht hat bzw. erbringt. Hierbei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der vollumfänglich gerichtlich nachprüfbar ist. Ein Beurteilungsspielraum kommt der Beklagten nicht zu. Die Regelung begründet auch ein subjektives Recht des einzelnen Arztes (vgl. zu den EBM-Budget-Regelungen zuletzt BSG, Urt. v. 22.03.2006 – B 6 KA 80/04 R –, zitiert nach juris, Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 16.05.2001 – B 6 KA 53/00 R – SozR 2500 § 87 Nr. 31 = MedR 2002, 165, juris, Rdnr. 20 f.).
Die Kammer vermochte der Auffassung der Beklagten, Anteile von 10 bis 12 % an proktologischen Leistungen in der Vergangenheit genügen jedenfalls diesen Anforderungen nicht, ein Versorgungsschwerpunktes liege erst dann vor, wenn die Proktologie 30 % der Gesamttätigkeit ausmache, nicht zu folgen.
Zutreffend geht die Beklagte zunächst davon aus, dass, wird auf vergangene Abrechnungen abgestellt, auf den Umfang der bisher abgerechneten Leistungen abzustellen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aber nicht auf den Anteil der aller Leistungen nach Abschnitt C VI (Nrn. 360 – 374) EBM ´96 und Nr. 755 EBM ´96 am Punktezahlvolumen abgestellt werden.
Der Begriff "Versorgungsschwerpunkt" bringt zum Ausdruck, dass dieser Bereich einen wesentlichen Teil der ärztlichen Praxistätigkeit ausmachen muss. Es muss gerade die Versorgung von Patienten, die die von Nr. 30600 EBM 2005 erfassten Leistungen benötigen, einen Schwerpunkt, d. h. einen wesentlichen Anteil bilden.
Zur Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" in Nr. 4.3 der Allgemeinen Bestimmungen EBM 1996 hat das BSG als Voraussetzung eine im Leistungsangebot der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung angesehen, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl der Praxis hat. Dies erfordert vom Leistungsvolumen her, dass bei dem Arzt das durchschnittliche Punktzahlvolumen je Patient in dem vom Budget erfassten Bereich die Budgetgrenze übersteigt, und zudem, dass bei ihm im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit vorliegt, die zwar allein noch nicht ausreicht, aber immerhin ein Indiz für eine entsprechende Spezialisierung darstellt (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 22.03.2006 – B 6 KA 80/04 R – aaO., Rdnr. 15). Diese Rechtsprechung kann auf den hier strittigen Begriff "Versorgungsschwerpunkt" in dieser Weise nicht vollständig übertragen werden, da die Proktologie gerade für die Arztgruppen, bei denen dieses zusätzliche Erfordernis vorliegen muss, nicht zum typischen Inhalt ihres Fachbereichs gehört und angesichts der Punktezahl für die Leistung nach 30600 EBM 2005 nennenswerte Anteile am Gesamtpunktzahlvolumen nicht zu erzielen sind. Bei der von der Beklagten gewählten Vorgabe würde diese Ausnahmemöglichkeit daher zwangsläufig ins Leere laufen. Entscheidend ist für die Kammer, dass im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit vorliegt, die die Spezialisierung zum Ausdruck bringt, und dass auch die Leistung in absoluten Zahlen in nennenswertem Umfang erbracht wurde, da nur dann die für das Fachgebiet atypische Spezialisierung gewährleistet, dass der Arzt die Methode so beherrscht wie die Arztgruppen, die allein aufgrund ihrer Weiterbildung für ein bestimmtes Fachgebiet diese Leistung erbringen können.
Die Kammer geht davon aus, dass ein Schwerpunkt in erster Linie am Anteil der Patienten zu messen ist, die proktologisch behandelt werden. Insofern ist nach der insoweit fachkundig besetzten Kammer allein auf die Leistungen nach Nr. 755 EBM ´96 abzustellen, da die Nr. 360 EBM ´96 eine eher typisch urologische Leistung ist – so wird diese Leistung z. B. im Quartal von allen 152 urologischen Praxen mit einer Abrechnungshäufigkeit von 25 Leistungen auf 100 Fälle erbracht - und die übrigen Leistungen des Abschnitt C VI EBM´96 besondere Leistungen beinhalten, die nicht ohne weiteres mit der Nr. 30600 EBM 2005 verglichen werden können. Der Kläger hat die Leistung nach Nr. 755 EBM ´96 im Vergleich mit seiner Fachgruppe wie folgt erbracht:
I/02 II/02 III/02 IV/02
Fallzahl des Klägers 1.651 1.779 1.690 1.794
Nr. 755 EBM ´96 absolut 237 327 280 19
Nr. 755 EBM ´96 auf 100 Fälle 14 18 17 1
Fallzahl der Fachgruppe 1.164 1.158 1.137 1.197
Zahl der Praxen 152 152 153 153
Zahl der abrechnenden Praxen 17 2 17 2
Nr. 755 EBM ´96 auf 100 Fälle durch Abrechner 3 10 2 1
Hieraus ergibt sich, dass neben dem Kläger nur eine bis 16 weitere Praxen von insgesamt über 150 Praxen die Leistung erbracht hat. Die Häufigkeit der Leistungserbringung der abrechnenden Praxen einschließlich der Praxis des Klägers liegt dabei zwischen 1 und 10 Leistungen auf 100 Behandlungsfälle, in der Regel zwischen 1 bis 3 Leistungen auf 100 Behandlungsfälle, da der erhöhte Anteil im Quartal II/02 wesentlich auf den Kläger zurückzuführen sein dürfte. Abgesehen vom Quartal IV/02 hat der Kläger die Leistung 237 bis 327 mal erbracht bzw. zwischen 14 und 18 mal auf 100 Behandlungsfälle. Damit weicht der Kläger signifikant von seiner Fachgruppe ab. Mit in der Regel über 200 Leistungen im Quartal hat er die Nr. 755 EBM auch in ausreichendem Maße erbracht, um von einer Schwerpunktbildung sprechen zu können. Der insofern fachkundig mit einem Facharzt für Hautkrankheiten, also einem Arzt aus dem Fachgebiet, das die Leistungen nach Nr. 30600 EBM 2005 erbringen darf, besetzten Kammer ist bekannt, dass z. B. Hautärzte im Regelfall in einer geringeren Häufigkeit entsprechende Leistungen erbringen.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistung nach Nr. 30600 EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff. zu erteilen.
3. Die Beklagten hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die Gerichtskosten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 30600 EBM 2005 (Proktologischer Basiskomplex) aus dem Abschnitt IV "Arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen" des EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff.
Der Kläger ist als Facharzt für Urologie zur vertragsärztlichen Versorgung seit Dezember 1988 mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Am 05.10.2005 beantragte er die Genehmigung zur Abrechnung der Nr. 30600 EBM 2005 mit dem Hinweis, er sei seit 1986 proktologisch tätig.
Mit Bescheid vom 26.10.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger proktologische Leistungen vor dem 31.12.2002 (Abschnitt C VI EBM´96) nicht in einem Umfang von wenigstens 30 % Punktzahlanteil erbracht habe.
Hiergegen legte der Kläger am 07.11.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, er sei seit 1997 Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie und nehme regelmäßig an deren Fortbildungsveranstaltungen teil. Im Rahmen seiner schon in Rumänien begonnenen chirurgischen Ausbildung sei er bereits in großem Umfang proktologisch tätig geworden. Der Schwerpunkt könne nicht allein am Punktzahlumfang gemessen werden. Er führe eine große Einzelpraxis mit 1.500 bis 1.700 Kassenpatienten. Er sei operativ tätig, führe Laborleistungen durch und betreue mehrere Altersheime urologisch, weshalb sein Gesamtpunktzahlvolumen deutlich über dem Durchschnitt der Fachgruppe liege. In absoluten Zahlen zeige sich jedoch, dass er ausgesprochen umfangreich proktologisch tätig sei. Aus der von ihm eingereichten Auflistung proktologischer Leistungen könne ersehen werden, dass er eine große Anzahl von Patienten proktologisch betreue.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2006, zugestellt am 09.03., wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung führte sie aus, aufgrund der fachgruppenspezifischen Abrechnungssystematik des EBM 2005 sei die fachgruppenspezifische Zuordnung der Leistungen maßgebend. Von einem Facharzt für Urologie könne die Nr. 30600 EBM 2005 entsprechend Kap. 26.1 Nr. 3 i.V.m. den Vorgaben in Abschnitt 30.6 EBM 2005 nur berechnet werden, wenn ein durch die KV genehmigter Versorgungsschwerpunkt nachweisbar sei. Nach einem Vorstandsbeschluss müsse hierfür in der Zeit bis zum 31.12.2002 ein proktologischer Leistungsanteil von 30 % vorliegen. In den Quartalen I bis IV/02 liege der Anteil im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl bei 10,01 %, 11,98 %, 11,32 % bzw. 12,00 %. Eine Genehmigung könne nach dem Vorstandsbeschluss auch dann erteilt werden, wenn eine mindestens einjährige Weiterbildung im Bereich Proktologie nachgewiesen werde. Trotz Hinweis im Schreiben vom 14.11.2005 habe der Kläger keine entsprechenden Nachweise vorgelegt. Sicherstellungsgründe für eine Genehmigung lägen nicht vor, da andere Facharztgruppen in ausreichender Zahl im Planungsbereich des Klägers zur Verfügung stünden. Die Abrechnungsgenehmigung und bisherige Erbringung der Leistungen begründe keinen Bestandsschutz. Vertrauen könne nur solange bestehen, bis die KV auf die Änderung der Verwaltungspraxis hinweise.
Hiergegen hat der Kläger am 23.03.2006 die Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor, die einschränkende Genehmigungspraxis widerspreche den Vorgaben im EBM 2005. Ein pauschaler Wert von 30 % mache für einen Versorgungsschwerpunkt keinen Sinn. Bei einer Bewertung mit vielen Punkten sei dann ein Versorgungsschwerpunkt leichter nachweisbar. Mit rund 10 % des Gesamthonorars liege ein Versorgungsschwerpunkt vor. Es gehe um die Qualifikation. Er habe die strittigen Leistungen in der Vergangenheit kontinuierlich erbracht. Die Proktologie gehöre von Alters her zum Kernbereich der urologischen Versorgung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistung nach Nr. 30600 EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff. zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt vor, für eine Schwerpunkttätigkeit seien 30 % der Gesamtleistung, was nicht mit dem Honorar gleichzusetzen sei, erforderlich. Nach der Rechtsprechung des BSG sei dies ein gesicherter Prozentsatz. Aufgrund des Antragsdatums könnte eine Genehmigung frühestens zum Quartal III/05 erteilt werden. Der Zeitaufwand schlage sich in der Punktezahl nieder. Eine Schwerpunkttätigkeit könne sich nicht nur auf die Fallzahl beziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 26.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2006 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 30600 EBM 2005 für die Quartale ab II/05 ff.
Nach dem ab 01.04.2005 geltenden EBM 2005 sind die abrechnungsfähigen Leistungen drei Bereichen zugeordnet: arztgruppenübergreifenden allgemeinen Leistungen, arztgruppenspezifischen Leistungen und arztgruppenübergreifenden spezielle Leistungen. Arztgruppenspezifische Leistungen unterteilen sich in Leistungen des hausärztlichen und des fachärztlichen Versorgungsbereichs. In den arztgruppenspezifischen Kapiteln bzw. Abschnitten sind entweder durch Aufzählung der Leistungspositionen in den jeweiligen Präambeln oder Auflistung im Kapitel bzw. Abschnitt alle von einer Arztgruppe berechnungsfähigen Leistungen angegeben. Arztgruppenspezifische Leistungen können nur von den in der Präambel des entsprechenden Kapitels bzw. Abschnitts genannten Vertragsärzten, die die dort aufgeführten Kriterien erfüllen, berechnet werden (Abschnitt I 1.2.2 EBM 2005). Abrechnungsfähige Leistungen, deren Berechnung an ein Gebiet, einen Schwerpunkt (Teilgebiet), eine Zusatzbezeichnung oder sonstige Kriterien gebunden ist, setzen das Führen der Bezeichnung, die darauf basierende Zulassung und/oder die Erfüllung der Kriterien voraus (vgl. Abschnitt I 1.2 bis 1.5 EBM 2005).
Die vom Kläger begehrten Leistungen nach Nr. 30600 (Proktologischer Basiskomplex, 230 Punkte) gehört zum Kapitel 30 EBM 2005. Es handelt sich um Leistungen nach Abschnitt IV und damit um arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen. Die Abrechnung von Leistungen dieses Kapitels sind vom Nachweis besonderer Qualifikationen abhängig. Nach der Präambel zu Kapitel 30.6 EBM 2005 "Proktologie" ist die Leistung nach der Nr. 30600 nur von Fachärzten für Chirurgie, Fachärzten für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Fachärzten für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie berechnungsfähig, von Fachärzten für Allgemeinmedizin, Fachärzten für Innere Medizin und Fachärzten für Urologie - wie der Kläger – nur dann, wenn sie einen durch die zuständige Kassenärztliche Vereinigung genehmigten Versorgungsschwerpunkt nachweisen können.
Streitig zwischen den Beteiligten ist nur die Frage, ob der Kläger proktologische Leistungen im Umfang eines "Versorgungsschwerpunktes" erbracht hat bzw. erbringt. Hierbei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der vollumfänglich gerichtlich nachprüfbar ist. Ein Beurteilungsspielraum kommt der Beklagten nicht zu. Die Regelung begründet auch ein subjektives Recht des einzelnen Arztes (vgl. zu den EBM-Budget-Regelungen zuletzt BSG, Urt. v. 22.03.2006 – B 6 KA 80/04 R –, zitiert nach juris, Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 16.05.2001 – B 6 KA 53/00 R – SozR 2500 § 87 Nr. 31 = MedR 2002, 165, juris, Rdnr. 20 f.).
Die Kammer vermochte der Auffassung der Beklagten, Anteile von 10 bis 12 % an proktologischen Leistungen in der Vergangenheit genügen jedenfalls diesen Anforderungen nicht, ein Versorgungsschwerpunktes liege erst dann vor, wenn die Proktologie 30 % der Gesamttätigkeit ausmache, nicht zu folgen.
Zutreffend geht die Beklagte zunächst davon aus, dass, wird auf vergangene Abrechnungen abgestellt, auf den Umfang der bisher abgerechneten Leistungen abzustellen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aber nicht auf den Anteil der aller Leistungen nach Abschnitt C VI (Nrn. 360 – 374) EBM ´96 und Nr. 755 EBM ´96 am Punktezahlvolumen abgestellt werden.
Der Begriff "Versorgungsschwerpunkt" bringt zum Ausdruck, dass dieser Bereich einen wesentlichen Teil der ärztlichen Praxistätigkeit ausmachen muss. Es muss gerade die Versorgung von Patienten, die die von Nr. 30600 EBM 2005 erfassten Leistungen benötigen, einen Schwerpunkt, d. h. einen wesentlichen Anteil bilden.
Zur Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" in Nr. 4.3 der Allgemeinen Bestimmungen EBM 1996 hat das BSG als Voraussetzung eine im Leistungsangebot der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung angesehen, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl der Praxis hat. Dies erfordert vom Leistungsvolumen her, dass bei dem Arzt das durchschnittliche Punktzahlvolumen je Patient in dem vom Budget erfassten Bereich die Budgetgrenze übersteigt, und zudem, dass bei ihm im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit vorliegt, die zwar allein noch nicht ausreicht, aber immerhin ein Indiz für eine entsprechende Spezialisierung darstellt (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 22.03.2006 – B 6 KA 80/04 R – aaO., Rdnr. 15). Diese Rechtsprechung kann auf den hier strittigen Begriff "Versorgungsschwerpunkt" in dieser Weise nicht vollständig übertragen werden, da die Proktologie gerade für die Arztgruppen, bei denen dieses zusätzliche Erfordernis vorliegen muss, nicht zum typischen Inhalt ihres Fachbereichs gehört und angesichts der Punktezahl für die Leistung nach 30600 EBM 2005 nennenswerte Anteile am Gesamtpunktzahlvolumen nicht zu erzielen sind. Bei der von der Beklagten gewählten Vorgabe würde diese Ausnahmemöglichkeit daher zwangsläufig ins Leere laufen. Entscheidend ist für die Kammer, dass im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit vorliegt, die die Spezialisierung zum Ausdruck bringt, und dass auch die Leistung in absoluten Zahlen in nennenswertem Umfang erbracht wurde, da nur dann die für das Fachgebiet atypische Spezialisierung gewährleistet, dass der Arzt die Methode so beherrscht wie die Arztgruppen, die allein aufgrund ihrer Weiterbildung für ein bestimmtes Fachgebiet diese Leistung erbringen können.
Die Kammer geht davon aus, dass ein Schwerpunkt in erster Linie am Anteil der Patienten zu messen ist, die proktologisch behandelt werden. Insofern ist nach der insoweit fachkundig besetzten Kammer allein auf die Leistungen nach Nr. 755 EBM ´96 abzustellen, da die Nr. 360 EBM ´96 eine eher typisch urologische Leistung ist – so wird diese Leistung z. B. im Quartal von allen 152 urologischen Praxen mit einer Abrechnungshäufigkeit von 25 Leistungen auf 100 Fälle erbracht - und die übrigen Leistungen des Abschnitt C VI EBM´96 besondere Leistungen beinhalten, die nicht ohne weiteres mit der Nr. 30600 EBM 2005 verglichen werden können. Der Kläger hat die Leistung nach Nr. 755 EBM ´96 im Vergleich mit seiner Fachgruppe wie folgt erbracht:
I/02 II/02 III/02 IV/02
Fallzahl des Klägers 1.651 1.779 1.690 1.794
Nr. 755 EBM ´96 absolut 237 327 280 19
Nr. 755 EBM ´96 auf 100 Fälle 14 18 17 1
Fallzahl der Fachgruppe 1.164 1.158 1.137 1.197
Zahl der Praxen 152 152 153 153
Zahl der abrechnenden Praxen 17 2 17 2
Nr. 755 EBM ´96 auf 100 Fälle durch Abrechner 3 10 2 1
Hieraus ergibt sich, dass neben dem Kläger nur eine bis 16 weitere Praxen von insgesamt über 150 Praxen die Leistung erbracht hat. Die Häufigkeit der Leistungserbringung der abrechnenden Praxen einschließlich der Praxis des Klägers liegt dabei zwischen 1 und 10 Leistungen auf 100 Behandlungsfälle, in der Regel zwischen 1 bis 3 Leistungen auf 100 Behandlungsfälle, da der erhöhte Anteil im Quartal II/02 wesentlich auf den Kläger zurückzuführen sein dürfte. Abgesehen vom Quartal IV/02 hat der Kläger die Leistung 237 bis 327 mal erbracht bzw. zwischen 14 und 18 mal auf 100 Behandlungsfälle. Damit weicht der Kläger signifikant von seiner Fachgruppe ab. Mit in der Regel über 200 Leistungen im Quartal hat er die Nr. 755 EBM auch in ausreichendem Maße erbracht, um von einer Schwerpunktbildung sprechen zu können. Der insofern fachkundig mit einem Facharzt für Hautkrankheiten, also einem Arzt aus dem Fachgebiet, das die Leistungen nach Nr. 30600 EBM 2005 erbringen darf, besetzten Kammer ist bekannt, dass z. B. Hautärzte im Regelfall in einer geringeren Häufigkeit entsprechende Leistungen erbringen.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved