S 94 AS 11129/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
94
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 11129/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 4. Dezember 2006 wird angelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Übernahme der vollständigen Miete im Wege der einstweiligen Anordnung.

Bis Mai 2005 stand der Antragsteller im Leistungsbezug durch das JobCenter Essen. Er schloss gemeinsam mit Herrn K. am 23. Mai 2006 einen Mietvertrag mit der GESOBAU über eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der L. Straße, Wohnfläche 71,02 qm beginnend ab 1. Juni 2006. Die Miete beträgt monatlich 372,03 Euro. Die Wohnung wird mit einer Gasetagenheizung beheizt, monatlich sind derzeit 104,- Euro Abschläge an die GASAG zu zahlen.

Auf den Antrag des Antragstellers vom 6. Juli 2006 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 11. August 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 6. Juli 2006 bis 31. Januar 2007 (monatlich 572,71 Euro = 345,- Euro Regelleistung, und 229,71 Euro Kosten der Unterkunft).

Am 26. Oktober 2006 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Übernahme der vollständigen Miete durch den Antragsgegner. Sein Mitbewohner sei im Juli 2006 arbeitsbedingt nach Österreich gegangen, obwohl vereinbart gewesen sei, dass er von dort die hälftige Miete weiterzahlt und bald wieder nach B zurückkehrt, habe er die Mietzahlung bald nach seiner Abreise eingestellt. E sei zwischenzeitlich nicht mehr zu erreichen, nunmehr sei ein Rückstand von 372,03 Euro entstanden. Am 7. November 2006 wandte sich der Antragsteller erneut wegen der Mietzahlung an den Antragsgegner unter Vorlage einer Auszugsmitteilung an den Vermieter.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist am 4. Dezember 2006 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Der Antragsteller bzw. sein Bevollmächtigter macht geltend, sein Mitbewohner sei bereits Ende Juni/ Anfang Juli 2006 arbeitsbedingt nach Österreich gegangen, um dort eine befristete Tätigkeit aufzunehmen. Er habe nur eine Reisetasche zurückgelassen. Obwohl vereinbart gewesen sei, dass er von dort aus seine hälftige Miete weiterzahlt und bald nach B zurückkehrt, habe er die Mietzahlungen bald nach seiner Abreise eingestellt, sich nicht mehr gemeldet und auch nicht erreichbar. Die Arbeit in Österreich habe er nicht mehr. Dadurch sei die monatliche Miete in Höhe von 372,03 Euro offen. Der Vermieter sei erst bereit, den Mietvertrag zu ändern, wenn er eine Abmeldung vom LEA vorlegen könne. Nach Auskunft des Bürgeramtes werde dies 6-8 Wochen in Anspruch nehmen. Der Antragsteller habe Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe, der Antragsteller hafte gegenüber dem Vermieter für die gesamte Miete.

Der Antragsteller beantragt nur noch, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten der Unterkunft und Heizung des Antragstellers vollständig, ohne Anrechnung der Anteile des ehemaligen Mitbewohners, für die Zeit ab Eingang des Antrags vom 1. Dezember 2006 beim Sozialgericht zu gewähre.

Der Antragsteller beantragt zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Nach § 86b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Entsprechend § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung, der nach § 86b Absatz 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz Anwendung findet, sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Von einem Anordnungsanspruch ist auszugehen, wenn die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 11. März 2005, Az: 1 BvR 2298/04, Fundstelle juris) ist für den Fall, dass eine volle Sachverhaltsaufklärung im Eilverfahren nicht möglich ist eine Folgenabwägung durchzuführen. Einstweiliger Rechtsschutz ist dann zu gewähren, wenn dem Antragsteller bei Versagung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Je schwerer die sich aus der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtspositionen zurückgestellt werden. Die gerichtliche Prüfung muss dabei eingehend genug sein, um den Antragsteller vor erheblichen und unzumutbaren, anders weder abwendbaren noch reparablen Nachteilen effektiv zu schützen.

Das Gericht hält vorliegend einen Anordnungsanspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit für nicht gegeben. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der vollen Mietkosten für die Wohnung in der L. Straße in B nach dem Auszug seines Mitbewohners.

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Satz 3 der Vorschrift bestimmt, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Die tatsächlichen Unterkunftskosten belaufen sich hier auf den hälftigen Mietzins für die Wohnung (= 186,02 Euro monatlich, zuzüglich Heizkosten). Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller vom Vermieter auf die vollen Unterkunftskosten im Wege der gesamtschuldnerischen Haftung in Anspruch genommen werden kann bzw. genommen wird. Jedenfalls hat der Antragsteller im Innenverhältnis einen Freistellungsanspruch gegenüber seinem Mitbewohner auf Zahlung des hälftigen Mietanteils. Herr K. ist bislang nicht aus dem Mietverhältnis entlassen. Die tatsächlichen Unterkunftskosten des Antragstellers belaufen sich damit weiterhin nur auf den hälftigen Mietanteil zuzüglich des Anteils an den Abschlägen für die Gasabschläge.

Eine Verpflichtung des Antragsgegners, den vollen Mietzins zu übernehmen, würde faktisch eine Schuldenübernahme bedeuten. Die Grundsicherungsleistungen bezwecken jedoch nicht, einen wirtschaftlich gegenwärtig wertlosen, weil nicht durchsetzbaren, Anspruch gegenüber dem Mitbewohner durch einen Anspruch auf staatliche Hilfeleistung zu ersetzen. Dies würde eine ungerechtfertigte Besserstellungen gegenüber geringer verdienenden Arbeitnehmern ohne Anspruch auf Grundsicherungsleistung bedeuten.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich auch maßgeblich von dem Abhilfebeschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Az. L 10 B 906/06 AS ER PKH), den der Bevollmächtigte des Antragstellers hier eingereicht hat. Dort steht den Schuldnern des Mietzinses (als Mietvertragspartei) kein zivilrechtlicher Anspruch auf Erstattung der anteiligen Miete gegenüber ihren Kindern zu. Insoweit erscheint es gerechtfertigt, die Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen entsprechend den tatsächlichen Gegebenheiten vorzunehmen.

Im Übrigen vermag die Kammer ein Erhaltungsinteresse des Antragstellers an der Wohnung nicht zu bejahen. Der Antragsteller ist gehalten, die – für eine Person – unangemessenen Unterkunftskosten zu senken, auch ein Wohnungswechsel ist ihm zuzumuten. Nach Ziffer 4 der nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch erlassenen Ausführungsvorschrift vom 7. Juni 2005 – AV-Wohnen- (Amtsblatt von Berlin, S. 3743) ist für eine Person eine Bruttowarmmiete von bis zu 360,- Euro monatlich angemessen. Dieser Betrag wird vorliegend erheblich überschritten. Die durch die AV-Wohnen festgelegten Angemessenheitsgrenzen hält die Kammer für beanstandungsfrei. Auf dem Berliner Wohnungsmarkt sind genügend Wohnungen innerhalb dieses Kostenrahmens erhältlich. Wenn die monatlich anfallenden Mietkosten unangemessen hoch sind, kann die Wohnung nicht dauerhaft erhalten werden, ein Erhaltungsinteresse besteht dann nicht (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. August 2006, AZ. L 7 SO 2938/06, Fundstelle - juris für den Fall der Schuldenübernahme; ebenso Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2006, Az. L 25 B 738/06 AS ER, unveröffentlicht). Ein vergleichbarer Fall ist hier gegeben.

Es kommt auch nicht darauf an, ob der Antragsteller zukünftig alleiniger Mieter der Wohnung werden könnte. Eine derartige Änderung des Mietvertrages bedürfte nach § 22 Absatz 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch der vorherigen Zusicherung des Antragsgegners, andernfalls wären weiterhin nur die bisherigen Kosten zu übernehmen.

Auch unter Einstellung der grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers ist keine andere Entscheidung zu treffen. Gegenwärtig ist eine Räumungsklage nicht anhängig, der Antragsteller ist von Obdachlosigkeit nicht bedroht. Gründe, die ihm – ggf. durch Umzug – eine Senkung der Unterkunftskosten unmöglich machen, sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie orientiert sich am Ausgang der Sachentscheidung.

Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe war nicht stattzugeben. Nach § 73a Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe entsprechend auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Gemäß § 114 Zivilprozessordnung erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Erfolgsaussicht ist aus den vorstehenden Gründen nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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