L 6 AL 480/02

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 5 AL 274/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 480/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 19/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 12. März 2002 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2001 und 5. Februar 2001 - beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2001 - insoweit geändert, als Februar 2001 betroffen ist.
Die Beklagte wird verurteilt, hinsichtlich der Abzweigung für Februar 2001 den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagten hat dem Kläger ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Abzweigung vom an den Kläger gezahlten Arbeitslosengeld (- Alg -), die an die Beigeladene ausgezahlt worden ist.

Der 1963 geborene Kläger lebt getrennt von seiner Ehefrau und Mutter seiner beiden Töchter K. (1990) und E. (1993). Die Töchter leben bei der Mutter, die für sie das Kindergeld erhält. Die Beigeladene hat für die beiden Mädchen Unterhalt als Vorschuss gezahlt, weil der Kläger seiner Unterhaltspflicht – zunächst – nicht nachgekommen ist.

Der Kläger war zuletzt vor dem hier streitbefangenen Zeitraum vom 1. August 1999 bis 31. Dezember 2000 als KfZ-Mechaniker beitragspflichtig beschäftigt und erzielte dabei im Monat (ein schwankendes) Bruttoentgelt zwischen rund 2.900,00 DM und 4.500,00 DM. Am 22. Dezember 2000 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg unter Vorlage der Lohnsteuerkarte für 2000 (Steuerklasse I, 2,0 Kinderfreibeträge). Mit Bescheid vom 15. Januar 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für 360 Kalendertage in Höhe von 384,37 DM/Woche (entsprechend 54,91 DM/täglich) und legte dabei ein durchschnittliches Arbeitsentgelt in Höhe von 905,35 DM/Woche (= gerundetes Bemessungsentgelt - BME – i.H.v. 910,00 DM/Woche) sowie die Leistungsgruppe A, Kindermerkmal: 1, zugrunde.

Am 11. Januar 2001 war bei der Beklagten der Antrag des Beigeladenen auf Abzweigung von der dem Kläger bewilligten Geldleistungen gemäß § 48 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) mit der Begründung eingegangen, der Kläger sei seinen Unterhaltsverpflichtungen für die beiden Töchter nicht nachgekommen, weshalb der Beigeladene für die Kinder jeweils 296,00 DM/Monat Unterhalt an die Mutter zahle. Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 2001 zu einer beabsichtigten Abzweigung in Höhe von 19,52 DM/täglich an. Der Kläger machte geltend, dass er hohe eigene Belastungen habe.

Mit Bescheid vom 30. Januar 2001 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass sie mit Wirkung vom 1. Februar 2001 von dem ihm gezahlten Arbeitslosengeld täglich 12,05 DM einbehalten und an den Beigeladenen abführen werde. Mit "Änderungsbescheid" vom 5. Februar 2001 führte die Beklagte diese Kürzung auch in Form einer geänderten Bewilligung des Arbeitslosengeldes aus.

Der Kläger erhob Widerspruch (Fax vom 9. Februar 2001) und macht u. a. geltend, ihm verbliebe noch nicht einmal der Mindestselbstbehalt in Höhe von 1.500,00 DM/Monat. Die Beklagte überprüfte zunächst die Angemessenheit der Abzweigung im Rahmen einer internen Berechnung und wies sodann den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 13. März 2001 u. a. mit der Begründung zurück, es sei nur der Selbstbehalt für eine nicht erwerbstätige, zum Unterhalt verpflichtete Person nach der sog. "Düsseldorfer Tabelle" zu berücksichtigen, der 1.300,00 DM/Monat betrage. Den darüber hinausgehenden Teil der Einkünfte des Klägers habe sie abzweigen dürfen.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2001 hörte die Beklagte sodann den Kläger noch zu einer Erhöhung des Abzweigungsbetrages auf 19,52 DM/Tag an und erhöhte sodann zunächst mit Änderungsbescheid vom 7. Mai 2001 die Abzweigung mit der entsprechenden Reduzierung des Alg ... Nachdem der Kläger am 8. Mai 2001 erklärt hatte, dass das Kindergeld an seine Frau gezahlt werde, erlies die Beklagte unter dem 16. Mai 2001 einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem sie die Höhe des Abzweigungsbetrages wiederum auf 12,05 DM/täglich herabsetze.

Bereits am 6. April 2001 hatte der Kläger Klage beim Sozialgericht Marburg gegen den Bescheid vom 5. Februar 2001 – in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2001 -erhoben und zur Begründung u. a. geltend gemacht, ihm müsse mindestens der Selbstbehalt eines Erwerbstätigen verbleiben, wie er auch vom Amtsgericht/Familiengericht ihm zugebilligt worden sei; im Rahmen der Abzweigung nach § 48 SGB I dürfe kein geringerer Selbstbehalt zugrunde gelegt werden.

Durch Urteil vom 12. März 2002 hat das Sozialgericht – wegen Ausbleibens des Klägers und seines Bevollmächtigten nach Lage der Akten - die Klage abgewiesen und sich zur Begründung u. a. auf die eigene Rechtsprechung (Urteil vom 13. März 1998 - S 5 AL 496/97 -) sowie auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) berufen sowie ergänzend ausgeführt: Der notwendige Eigenbedarf (Selbstbehalt) habe gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern in der Zeit vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2001 bei einem nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen nach der Düsseldorfer Tabelle 1999 1.300,00 DM/Monat betragen. Dieser Betrag habe sich mit Wirkung von 1. Juli 2001 auf monatlich 1.425,00 DM erhöht (Düsseldorfer Tabelle 2001). Da die Beklagte im vorliegenden Fall mit Bescheid vom 7. Mai 2001 rückwirkend zum 1. Mai 2001 eine Abzweigung nicht mehr vorgenommen habe, sondern dem Kläger den vollen Betrag von 384,37 DM ausgezahlt habe, falle der - noch - streitbefangene Zeitraum vollständig unter die Gültigkeit der Düsseldorfer Tabelle 1999.

Gegen das seinem Bevollmächtigten gegen Empfangbekenntnis am 16. April 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. Mai 2002 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und dem erstinstanzlichen Klageverfahren und macht geltend, das zuständige Familiengericht in K. habe nach der maßgeblichen Düsseldorfer Tabelle den Selbstbehalt eines Erwerbstätigen in Höhe von 1.500,00 DM/Monat berücksichtigt. Der Kläger sei demnach nicht leistungsfähig für Unterhalt, weil bis zum 30. Juni 2001 der notwendige Eigenbedarf 1.500,00 DM und ab dem 1. Juli 2001 1.640,00 DM betragen habe. Es müsse auf die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Frankfurt am Main abgestellt werden, wobei der Kläger durch die Abzweigung nicht schlechter gestellt werden dürfe, als es der eigentlichen materiell-rechtlichen Unterhaltsforderung entspräche.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 12. März 2002, sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2001 und vom 5. Februar 2001- in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2001 - sowie den Änderungsbescheid vom 16. Mai 2001 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen.

Die Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf das erstinstanzliche Urteil, dass sie im Ergebnis und den Gründen für zutreffend hält. Klarstellend hat sie ausgeführt, dass der Bescheid vom 7. Mai 2001 hinfällig sei, weil er durch den Bescheid vom 16. Mai 2001 ersetzt worden sei.

Der Senat hat durch Beschluss vom 25. September 2003 den Kreisausschuss - Jugendamt - des Landkreises Marburg-Biedenkopf zum Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene hat mitgeteilt, dass aufgrund eines an ihn adressierten Bescheides – ebenfalls vom 30. Januar 2001 – an ihn Abzweigungsbeträge in folgender Höhe ausgezahlt worden seien: am 28. Februar 2001: 373,40 DM; am 2. April 2001: 373,54 DM; am 2. Mai 2001: 361,50 DM; am 30. Mai 2001: 373,56 DM sowie am 6. Juli 2001: 216,90 DM – insgesamt also: 1.698,90 DM.

Für den Sach- und Streitstand im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten (Kd.-Nr.: XXXXX) die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratungen des Senats am 8. Oktober 2003 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und statthaft und somit insgesamt zulässig (§§ 143 ff., 144 SGG). Im Streit steht der Abzweigungsbetrag in Höhe von 12,05 DM/täglich ab dem 1. Februar 2001. Nach den Zahlungsnachweisen in der Akte der Beklagten ist Alg jedenfalls bis zum 18. Juni 2001 gezahlt worden, woraus sich bei einem Abzweigungsbetrag von 12,05 DM/täglich für insgesamt 138 Leistungstage ein Betrag in Höhe von 1.662,90 DM errechnen würde. Damit ist die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG (1.000,- DM) jedenfalls erreicht. Der von der Beigeladenen mitgeteilte, an sie ausgezahlte Abführungsbetrag in Höhe von 1.698,90 DM ist geringfügig höher – er entspricht (rund) 141 Leistungstagen.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2001 sowie vom 5. Februar 2001 ("Änderungsbescheid") – beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2001 – mit welchen die durch Bescheid vom 15. Januar 2001 erfolgte Bewilligung von Alg geändert – im Sinne der Herabsetzung – worden ist. Nicht (mehr) Gegenstand des Verfahrens ist der Änderungsbescheid vom 7. Mai 2001 – der gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens hätte sein müssen -, weil der dort ausgewiesene Abzweigungsbetrag von 19,52 DM/täglich tatsächlich nicht einbehalten worden ist und der Bescheid vom 7. Mai 2001 durch den Änderungsbescheid vom 16. Mai 2001 aufgehoben worden war, wie die Beklagte durch die entsprechende Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat. Der Bescheid vom 16. Mai 2001 wiederum ist zwar nach Erhebung der Klage (6. April 2001) ergangen und hat durch Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2001 den Abzweigungsbetrag wiederum auf die ursprüngliche Höhe von 12.05 DM/täglich festgesetzt; er ist damit gem. § 96 SGG (jedoch nur als "Zweitbescheid") für die Zeit danach Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Die hier streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2001 und 5. Februar 2001 – in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2001 – (sowie vom 16. Mai 2001) sind nur insoweit rechtswidrig, als sie für Februar 2001 einen unzulässig hohen Abzweigungsbetrag festgesetzt haben. Insoweit konnte das Urteil des Sozialgerichts keinen Bestand haben und waren die Bescheide der Beklagten aufzuheben. Da der Beklagten bei der Festlegung des Abzweigungsbetrages durch § 48 SGB I ein Ermessensspielraum eingeräumt wird (vgl. BSG, Urt. vom 29. Okt. 1987 – 11b Rar 61/86 = SozR 1200 § 48 Nr. 13 m.w.N.) konnte die Beklagte gem. § 54 Abs. 2 und Abs. 4 SGG nur unter Aufhebung der Bescheide zur Neubescheidung nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Senats verurteilt werden. Im Übrigen erweisen sich die Bescheide der Beklagten und der darin ausgewiesene Abzweigungsbetrag als rechtens, weshalb insoweit das Urteil des Sozialgerichts Marburg zu bestätigen und die Berufung zurückzuweisen war.

Nach § 48 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an Kinder des Leistungsberechtigten – bzw. an eine Person oder Stelle, die den Kindern tatsächlich Unterhalt gewährt – auszahlen, wenn der Leistungsberechtigte diesen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Beim Alg handelt es sich um eine solche laufende Geldleistung i.S.v. § 48 Abs. 1 SGB I, weshalb grundsätzlich eine Abzweigung und Auszahlung zugunsten des Beigeladenen in Betracht kommt, wenn der Kläger – was hier nicht zweifelhaft ist – im streitbefangenen Zeitraum (d.h. in der Zeit zwischen dem 30. Januar und 18. Juni 2001) – keinen Unterhalt für seine beiden Töchter gezahlt hat. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen über Unterhaltszahlungen betreffen insoweit spätere Zeiträume.

Die von der Beklagten vorgenommene und – wie ausgeführt – in ihrem Ermessen stehende (BSG, a.a.O.) Abzweigung ist jedoch für den Monat Februar 2001 rechtsfehlerhaft erfolgt. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Alg nunmehr nach der Neuregelung im Dritten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB III) für Kalendertage gezahlt wird (§ 139 SGB III) ist dem Kläger für Februar 2001 nicht der maßgebliche Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle verblieben.

Die Bestimmung dieses Selbstbehaltes des Unterhaltsverpflichteten erfolgt im Anwendungsbereich des § 48 SGB I in Anlehnung an die familiengerichtliche Praxis unter Heranziehung geeigneter schematisierter Werte. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 29. Aug. 2002 – B 11 AL 95/01 R = SozR 3 – 1200 § 48 Nr. 4 m.w.N.) wird dabei die Praxis der Beklagten gebilligt, die sog. "Düsseldorfer Tabelle" als allgemein geeigneten Maßstab für die Berechnung des Selbstbehalts in den alten Bundesländern zugrunde zu legen. Dieser notwendige Selbstbehalt betrug für den vorliegend streitbefangenen Zeitraum ab Ende Januar 2001 noch nach der "Düsseldorfer Tabelle" mit Stand vom 1. Juli 1999 (FamRZ 1999, S. 776) für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen 1.300,- DM/Monat. Da der Kläger nach der familienrechtlichen Auffassung und familiengerichtlichen Praxis gehalten ist, alle verfügbaren Mittel gleichmäßig für den Unterhalt seiner Kinder zu verwenden (BSG, Urt. v. 13. Mai 1987 – 7 Rar 13/86 = SozR 1200 § 48 Nr. 11 m.w.N.) muss für den gesamten hier streitigen Zeitraum der in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesene notwendige Selbstbehalt gegenüber der zugunsten des Beigeladenen vorgenommenen Abzweigung geprüft werden. Ein höherer Selbstbehaltsbetrag ist erst mit der Neufassung der "Düsseldorfer Tabelle" mit Wirkung vom 1. Juni 2001 maßgeblich geworden.

Für den Monat Februar 2001 standen dem Kläger demnach ausweislich des Bescheides vom 15. Januar 2001 für 28 Kalendertage á 54,91 DM, insgesamt 1.537,48 DM, an Alg zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten – schematisch – vorgenommenen Errechnung des Kürzungsbetrages in Höhe von 12,05 DM/täglich standen dem Kläger demnach für den Monat Februar nur noch – tatsächlich – täglich 42,86 DM, d.h. für den Monat (42,86 DM x 28) ein Betrag in Höhe von 1.200,08 DM zur Verfügung. Damit war für diesen Kalendermonat – selbst nach den eigenen Maßstäben der Beklagten, die sie im Rahmen der Ermessensausübung anlegen darf – der Selbstbehalt eines Nicht-Erwerbstätigen in Höhe von 1.300,00 DM/Monat unterschritten. Demnach erweist sich die Ermessensausübung der Beklagten in den Bescheiden vom 30. Januar und 5. Februar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2001 sowie im "Zweitbescheid" vom 16. Mai insoweit als rechts-missbräuchlich, als die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen – nach ihren eigenen Maßstäben – nicht in zutreffender Weise Gebrauch gemacht hat. Nach Auffassung des Senats – insoweit in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des BSG – ist es der Beklagten im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens nicht verwehrt, pauschale Beträge in Anlehnung an die Rechtsprechung der Familiengerichte für die Festlegung des Selbstbehaltes zugrunde zu legen. Dabei darf sie aber weder von den eigenen – generellen – Maßstäben abweichen, weil sie insoweit unter Verletzung von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die Leistungsberechtigten nicht mehr gleich behandelt noch darf sie – unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung – von den Mindestsätzen abweichen, die in der maßgeblichen familienrechtlichen Literatur und familiengerichtlichen Rechtsprechung allgemein akzeptiert und zugrunde gelegt werden.

Insoweit mussten die Bescheide vom 30. Januar und 5. Februar 2001 hinsichtlich des Monates Februar 2001 aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt werden.

Dieses Ergebnis erscheint auch nicht unverhältnismäßig im Hinblick auf die Notwendigkeit der Beklagten, im Rahmen einer Massenverwaltung schematisierende Entscheidungen treffen zu müssen. Im Rahmen des § 48 SGB I ist stets eine Einzelfallprüfung und Einzelfallentscheidung – unter Berücksichtigung von Ermessensgesichtspunkten – erforderlich. Dabei sind Besonderheiten des Einzelfalles – insbesondere die Leistungsfähigkeit des Alg-Empfängers sowie dessen weitere Unterhaltsverpflichtungen – zu berücksichtigen, weshalb insoweit der Beklagten eine in gewissem Umfang gesteigerte Prüfungspflicht obliegt. Sie kann dieser Prüfungspflicht auch relativ einfach dadurch genügen, dass sie den verbleibenden täglichen Leistungssatz mit der Zahl der Kalendertage eines Monats multipliziert und auf diese Weise feststellen kann, ob der von ihr selbst zugrunde gelegte Selbstbehalt noch dem Leistungsberechtigten verbleibt. Bereits eine geringfügige Änderung des Abzweigungsbetrages kann dabei unter Umständen schon ausreichend dafür sein, dass die Beklagte die für die eigene Verwaltungspraxis selbst gesetzten Regeln einhalten kann.

Für die nachfolgenden Monate ist zur Überzeugung des Senats diese Selbstbehaltsgrenze eingehalten worden. Soweit für die Monate März und Mai 31 Kalendertage zu berücksichtigen waren, ergibt sich, dass dem Kläger – auch nach Abzug eines Abzweigungsbetrages von 12,05 DM/täglich – noch ein Betrag an Alg oberhalb der Grenze des Selbstbehaltes verblieben ist (42,86 DM x 31 = 1.328,66 DM). Auch bei Kalendermonaten mit lediglich 30 Tagen liegt der Leistungsbetrag des Alg so dicht am Selbstbehalt, dass insoweit von einem Ermessensfehlgebrauch zur Überzeugung des Senats nicht gesprochen werden kann (42,86 DM x 30 = 1.285,80 DM).

Für die Folgemonate (März, April, Mai und Juni 2001) durfte die Beklagte – entgegen der Auffassung des Klägers – auch zutreffend pauschal von dem Selbstbehalt in Höhe von 1.300,00 DM/Monat nach der "Düsseldorfer Tabelle 1999" ausgehen. Sie war insbesondere nicht verpflichtet, den höheren Selbstbehalt für Erwerbstätige zugrunde zu legen. Der Kläger war in dem streitbefangenen Zeitraum arbeitslos weil er andernfalls die Voraussetzungen für den Bezug von Alg nicht erfüllt hätte. Der höhere Selbstbehalt für die Erwerbstätigkeit soll einerseits – in pauschalierender Form – die Mehraufwendungen ausgleichen, die ein Erwerbstätiger regelmäßig hat, wenn er außerhalb der häuslichen Umgebung einer abhängigen Beschäftigung nachgeht (insbes. Fahrtkosten und Verpflegungskosen). Diese in typisierender Weise angenommenen Mehrkosten fallen aber bei einem Arbeitslosen gerade nicht an. Dieser ist vielmehr gehalten, sich an dem der Beklagten bekannten Wohnsitz regelmäßig und kalendertäglich zur Verfügung für Vermittlungsbemühungen der Beklagten bereit zu halten. Soweit im Rahmen der Arbeitssuche dem Arbeitslosen nachweislich besondere Kosten (Bewerbungskosten, Reisekosten) entstehen, können diese gem. §§ 45, 46 SGB III auf Antrag erstattet werden, wenn sie tatsächlich entstanden sind. Auch insoweit besteht nach dem Regelungskonzept des Arbeitsförderungsrechts keine Veranlassung, dem Arbeitslosen den – höheren – Selbstbehalt des Erwerbstätigen zu belassen. Darüber hinaus enthält die in der familiengerichtlichen Praxis festgelegte Erhöhung des Selbstbehaltes auch eine Anreizfunktion für den Unterhaltspflichtigen, sich durch Erwerbstätigkeit unterhaltsfähig zu machen und dabei zugleich – wenn auch nur geringfügig – höhere Mittel für den eigenen Lebensunterhalt zu erhalten. Unter beiden rechtlichen Gesichtspunkten – dem der Pauschalierung von Kosten und dem des Anreizes für eine Erwerbstätigkeit – kann dem Kläger zur Überzeugung des Senats kein höherer Selbstbehalt zugebilligt werden. Insoweit erweisen sich die Abzüge der Beklagten für die Monate März, April, Mai und Juni auch als rechtens, weshalb insoweit die Bescheide nicht zu beanstanden sind und das Urteil des Sozialgerichts Bestand haben konnte. Die Berufung musste insoweit zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; es war zu berücksichtigen, dass der Kläger in einem gewissen Umfang obsiegt hat, wobei die Beklagte wiederum nur zur Neubescheidung zu verurteilen war. Bei dieser Neubescheidung wird die Beklagte – im Rahmen des von ihr selbst festgesetzten Betrages für den Selbstbehalt – gleichwohl noch eine Abzweigung durchführen können und dürfen.

Der Senat misst der Frage der Pauschalierung des Selbstbehaltes und seiner Begrenzung für Arbeitslose, die zwangsläufig nicht erwerbsfähig sind, grundsätzliche Bedeutung bei, weshalb er gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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