S 2 AS 2380/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 2380/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei einer Justizvollzugsanstalt handelt es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung.
2. Eine versicherungspflichtige Tätigkeit während der Haftzeit innerhalb der Justizvollzugsanstalt berührt den Anspruchsausschluss aufgrund von § 7 Abs. 4 SGB II a. F. nicht.
3. Unterbringungszeiten in unterschiedlichen stationären Einrichtungen sind jedenfalls dann zu addieren, wenn sie sich im Wesentlichen nahtlos aneinander anschließen, ohne dass es auf die verschiedenen Zwecke der jeweiligen Unterbringung ankommt.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Der Kläger befand sich vom ... bis zum ... zum Vollzug einer zeitigen Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ... Vom 21. Februar 2006 bis zum 8. August 2006 befand sich der Kläger in stationärer Therapie beim ... in ... Während seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt war der Kläger immer wieder erwerbstätig. In diesen Zeiten wurden auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet.

Am 4. Januar 2006 reichte der Kläger zunächst einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bei der Agentur für Arbeit ... ein; sodann stellte er einen neuerlichen Antrag am 23. Februar 2006 bei der Beklagten, die für seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort ... örtlich zuständig ist.

Unter dem 9. März 2006 teilte die Beklagte dem Kläger formlos mit, dass sein Antrag derzeit nicht bearbeitet werden könne, da derjenige keine Leistungen nach dem SGB II erhalte, der für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Dabei würden die Haftzeit und die voraussichtliche Dauer der stationären Einweisung zusammengerechnet, weil der Betroffene während der gesamten Dauer der Unterbringung nicht erwerbstätig sein oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Mit Bescheid vom 17. März 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, weil der Kläger nicht erwerbsfähig sei.

Gegen das Schreiben vom 9. März 2006 legte der Kläger unter dem 24. März 2006 Widerspruch ein mit der Begründung, dass die Haftzeit nicht der Therapiezeit hinzuzurechnen sei.

Mit Bescheid vom 13. Juni 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte legte dabei den Widerspruch gegen das formlose Schreiben vom 9. März 2006 als gegen den Bescheid vom 17. März 2006 gerichtet aus. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend so zu verstehen sei, dass die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten zu erbringen seien, in dem (prognostisch) zu erwarten sei, dass jemand wieder fähig sein werde, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Mit der am ... erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel, Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, weiter. Er ist der Ansicht, dass Justizvollzugsanstalten nicht als stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung zu werten seien. Im vorliegenden Falle erscheine die Wertung einer Justizvollzugsanstalt als stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II a.F. besonders zweifelhaft, da er während seiner Haftzeit für die dort geleistete Arbeit Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abgeführt habe. Im vorliegenden Fall sei schon daher eine andere Wertung zu treffen, weil er erwerbstätig gewesen sei, wenn auch nicht im freien Arbeitsmarkt. Zeiten, in denen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt würden, könnten keinesfalls mit Zeiten in einer stationären Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II a.F. zusammengezählt werden.

Der Kläger beantragt,

1. die Bescheide der Beklagten vom 9. März 2006 und vom 17. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 13. Juni 2006, Az.: 302 - BG-Nr. BG 0010588-W 385/06, aufzuheben, 2. die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu bewilligen und zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die mit Wirkung zum 1. August 2006 geänderte Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II lediglich den bereits von Anfang an vorhandenen Willen des Gesetzgebers klarstelle, dass die Justizvollzugsanstalten als stationäre Einrichtungen zu werten seien. Eine eventuelle Erwerbstätigkeit des Klägers bei der JVA sei schon daher unerheblich, da eine solche nicht als unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu qualifizieren wäre.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 7. März 2006 und vom 17. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2006 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Einem solchen Anspruch steht § 7 Abs. 4 SGB in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung entgegen. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II unter anderem nicht, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Dieser Anspruchsausschluss tritt ein, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Behörde bereits länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder voraussichtlich länger als sechs Monate untergebracht sein wird (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B; SG Reutlingen, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 3 KR 330/06 ER; SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger war vom ... bis zum ... in der Justizvollzugsanstalt ... und anschließend bis zum ... in stationärer Therapie beim ... in ... untergebracht. Damit war er sowohl am 4. Januar 2006, dem Tag der Antragstellung bei der Agentur für Arbeit ..., als auch am 23. Februar 2006, dem Tag der Antragstellung bei der Beklagten, länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht, wobei hinsichtlich der zweiten Antragstellung die Zeiten in der Justizvollzugsanstalt, bei der es sich um eine stationäre Einrichtung handelt (dazu unter a), mit denen in der stationären Therapie zusammenzurechnen sind (dazu unter b).

a) Bei einer Justizvollzugsanstalt handelt es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SBG II a.F. (ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01.07.2005, Az.: L 2 B 23/05 ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.11.2005, Az.: L 9 B 260/05 SO ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2006, Az.: L 8 AS 4144/06 ER-B; SG Würzburg, Beschluss vom 29.03.2005, Az.: S 10 AS 27/05 ER; SG Schleswig, Beschluss vom 25.05.2005, Az.: S 3 AS 173/05 ER; SG Reutlingen, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 3 KR 330/06 ER; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.06.2006, Az.: S 55 SO 173/06 ER; SG Reutlingen, Beschluss vom 26.06.2006, Az.: S 6 AS 2003/06 ER; SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER; Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2005, § 7 Rn. 34; a.A. LSG Niedersachsen, Beschluss vom 22.09.2005, Az.: L 8 AS 196/05 ER; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 07.03.2006, Az.: L 7 AS 423/05 ER [für die Untersuchungshaft]; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2006, Az.: L 7 AS 1128/06 ER-B; SG Nürnberg, Beschluss vom 09.05.2005, Az.: S 20 SO 106/05 ER; SG Konstanz, Beschluss vom 12.01.2006, Az.: S 5 AS 2/06 ER; SG Darmstadt, Urteil vom 12.04.2006, Az.: S 12 AS 143/05; anders jedenfalls für den Fall, dass der Betroffene Freigänger ist, auch SG Berlin, Beschluss vom 27.10.2005, Az.: S 94 AS 9350/05 ER; weitere Nachweise zum Streitstand bei SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER).

(1) Bereits der Wortlaut der Norm streitet hierfür (so auch SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER). Die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt ist schon vom allgemeinen Sprachverständnis her ganz selbstverständlich eine stationäre Unterbringung und die Justizvollzugsanstalt eine Einrichtung (so bereits SG Reutlingen, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 3 KR 330/06 ER). Als stationäre Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. kann nämlich jede vollstationäre Einrichtung aufgefasst werden, in der der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfebedürftigen die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B im Anschluss an Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2005, § 7 Rn. 34).

(2) Das Ergebnis dieser grammatischen Auslegung zu § 7 Abs. 4 SGB II a.F. wird gestützt durch objektiv-teleologische Argumente, die ihrerseits auf einer subjektiv-teleologischen, letztlich also genetischen Auslegung des gesamten Gesetzeswerkes beruhen (vgl. auch SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER).

Leitender Gedanke der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende, die sich in der Schaffung des SGB II realisiert hat, war für den Gesetzgeber das Ziel, "die Eigeninitiative von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch schnelle und passgenaue Eingliederung in Arbeit" zu unterstützen (siehe die Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Bundestags-Drucksache 15/1516, S. 2). Diese Zielsetzung prägt das gesamte Gesetzeswerk und findet in verschiedenen Normen ihren konkretisierenden Niederschlag. So bringt bereits der Name des Gesetzes zum Ausdruck, dass die Leistungsberechtigten arbeitsuchend seien müssen (vgl. auch SG Reutlingen, Beschluss vom 26.06.2006, Az.: S 6 AS 2003/06 ER). Sodann macht etwa § 1 SGB II deutlich, dass das Gesetz auf die Integration Erwerbsfähiger in den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist und nicht primär ein letztes Netz zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens darstellt (Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2005, § 1 Rn. 4). Die gesetzgeberische Intention des "Förderns durch Fordern" hat sich in verschiedenen Normen (zum Beispiel in § 2 Abs. 1 sowie § 9 Abs. 1 SGB II) manifestiert, die Pflichten des "erwerbsfähigen Hilfebedürftigen" statuieren; Personen, die keinen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt haben, können von diesem Normappell a priori nicht erfasst werden (so bereits SG Reutlingen, Beschluss vom 26.06.2006, Az.: S 6 AS 2003/06 ER).

Entsprechend werden Personen, die dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht zur Verfügung stehen, aus dem Kreis der Leistungsberechtigten herausgenommen. Dies gilt namentlich für Ausländer, soweit ihnen aufgrund ausländerrechtlicher Bestimmungen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II a.F.; vgl. dazu die Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Bundestags-Drucksache 15/1516, S. 52), und für Bezieher von Altersrente (§ 7 Abs. 4 SGB II); auch sie stehen dem allgemeinen Arbeitsmarkt (regelmäßig) nicht zur Verfügung, sondern sind endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden (vgl. Ausschussbericht auf Bundestags-Drucksache 15/1749, S. 31).

Diese Gesamtkonzeption des SGB II erhellt damit, dass Personen nicht leistungsberechtigt sind, die dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen (so auch SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER). Letzteres trifft für Personen, die zur Untersuchungshaft oder zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht sind, ersichtlich zu.

Für die Auslegung des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. ist also der Zweck des Leistungsausschlusses maßgebend. Auf den Zweck der Unterbringung kommt es hingegen nicht an (so aber LSG Niedersachsen, Beschluss vom 07.03.2006, Az.: L 7 AS 423/05 ER), weil dieser für den Leistungsausschluss, der nur an die Tatsache der Nichtverfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund einer stationären Unterbringung anknüpft, nicht aber an den Grund für diese Unterbringung, ohne jede Bedeutung ist.

(3) Die gegen dieses Auslegungsergebnis mit Blick auf verschiedene Normen des SGB XII bisweilen erhobenen systematischen Bedenken (siehe etwa LSG Niedersachsen, Beschluss vom 22.09.2005, Az.: L 8 AS 196/05 ER; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 07.03.2006, Az.: L 7 AS 423/05 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2006, Az.: L 7 AS 1128/06 ER-B; SG Nürnberg, Beschluss vom 09.05.2005, Az.: S 20 SO 106/05 ER; SG Darmstadt, Urteil vom 12.04.2006, Az.: S 12 AS 143/05) greifen nicht durch. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII können "entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des Bedarf außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden." § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII definiert sodann stationäre Einrichtungen als Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Hilfen erhalten. § 13 Abs. 2 SGB XII schließlich legt fest, dass Einrichtungen im Sinne des Abs. 1 alle Einrichtungen sind, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.

Angesichts dieser Legaldefinition gehen die Rechtsprechung und das Schrifttum in der Tat wohl übereinstimmend davon aus, dass Justizvollzugsanstalten nicht zu den Einrichtungen im Sinne des § 13 SGB XII gehören (siehe die Nachweise etwa bei LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2006, Az.: L 7 AS 1128/06 ER-B; ferner Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf [Hrsg.], SGB XII, 2005, § 13 SGB XII Rn. 7).

Für die Auslegung des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. ist dies jedoch im Ergebnis ohne Belang. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass identische Termini im Recht – zumal im selben Gesetz oder im selben Rechtsgebiet – auch eine gleiche Bedeutung haben. Dieser Grundsatz gilt indes nicht ausnahmslos. Das prominenteste Beispiel für die Durchbrechung dieser interpretationsleitenden Vermutung zugunsten einer einheitlichen Bedeutung bildet der Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung", der in Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG aufgrund des unterschiedlichen Verwendungskontextes jeweils eine unterschiedlichee Bedeutung hat (ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 6, 32 [37 f.]; vgl. im übrigen Murswiek, in: Sachs [Hrsg.], GG, 3. Aufl. 2003, Art. 2 Rn. 89; Höfling, ebenda, Art. 9 Rn. 44, sowie Herzog, in: Maunz/Dürig [Begr.], GG, Art. 20, Kapitel VI [1980] Rn. 9, jeweils mit weiteren Nachweisen insbesondere zur bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur). Eine solche Durchbrechung eines einheitlichen Begriffsverständnisses ist insbesondere dann möglich – teilweise sogar notwendig –, wenn der fragliche Terminus in unterschiedlichen Kontexten Verwendung findet. Insofern erlangt der Umstand Bedeutung, dass im Sozialhilferecht des SGB XII – ebenso wie im früheren Sozialhilferecht des BSHG – der Gesichtspunkt der "Arbeitssuche" keine zentrale Bedeutung hat (siehe bereits SG Reutlingen, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 3 KR 330/06 ER). Spielt die Frage der Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt im Sozialhilferecht also keine Rolle und ist daher dieser Aspekt für die dortigen Regelungen und ihre Auslegung ohne Belang, ist dies aber bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende von Bedeutung, fehlt es an der gemeinsamen Basis für eine einheitliche Auslegung.

Daran ändert sich auch nichts dadurch (anders aber LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.11.2005, Az.: L 9 B 260/05 SO ER; SG Nürnberg, Beschluss vom 09.05.2005, Az.: S 20 SO 106/05 ER), dass im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens § 7 Abs. 4 SGB II a.F. in Abweichung von der Formulierung des ursprünglichen Gesetzentwurfes eine Fassung erhielt, die sich ausdrücklich an die Terminologie des § 36 Abs. 1 des Entwurfes eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (Bundestags-Drucksache 15/1514) – des heutigen § 35 Abs. 1 SGB XII – anlehnen sollte (vgl. Ausschussbericht auf Bundestags-Drucksache 15/1749, S. 31). Zwar ist die erkennende Kammer durchaus der Ansicht, dass einem entsprechend eindeutig bekundeten Willen des Gesetzgebers bei der Normdeutung auch gegen eine objektiv-teleologische Auslegung Wirkung zu verschaffen wäre; jedoch lässt sich dem zitierten entstehungsgeschichtlichen Dokument ein solcher, über den Wunsch nach einer einheitlichen Terminologie auch den materiellen Gehalt betreffender gesetzgeberischer Wille nicht entnehmen. Es heißt in dem Ausschussbericht nämlich lediglich, dass der "Sprachgebrauch" harmonisiert werden solle. Daher vermag dieser punktuelle genetische Befund die auf die Gesamtmotivation des Gesetzgebers gestützte Auslegung nicht zu erschüttern. Umgekehrt fällt vielmehr auf, dass der Gesetzgeber bei § 7 Abs. 4 SGB II a.F. auf eine – das reine Wortlautverständnis im übrigen einschränkende – Legaldefinition wie § 13 Abs. 2 SGB XII verzichtet hat. Dies kann nicht gleichsam automatisch dadurch umgangen werden, dass die dortige Legaldefinition von der Rechtsprechung auf den hiesigen Verwendungskontext übertragen wird (so aber im Ergebnis LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.11.2005, Az.: L 9 B 260/05 SO ER; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 07.03.2006, Az.: L 7 AS 423/05 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2006, Az.: L 7 AS 1128/06 ER-B; SG Konstanz, Beschluss vom 12.01.2006, Az.: S 5 AS 2/06 ER; SG Darmstadt, Urteil vom 12.04.2006, Az.: S 12 AS 143/05). Vielmehr bedarf es einer eigenständigen Auslegung des Begriffs bei § 7 Abs. 4 SGB II a.F. (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L8 AS 1171/06 ER-B; SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER; a.A. SG Darmstadt, Urteil vom 12.04.2006, Az.: S 12 AS 143/05).

(4) Keine Bedeutung hat für diese Auslegung allerdings die Entscheidung des Gesetzgebers, durch § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II n.F. mit Wirkung zum 1. August 2006 den Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung explizit dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung gleichzustellen (vgl. aber LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2006, Az.: L 8 AS 4144/06 ER-B). Jedenfalls der jetzt handelnde 16. Deutsche Bundestag ist nicht in der Lage, das vom 15. Deutschen Bundestag erlassene Gesetz authentisch zu interpretieren und damit im Ergebnis (und zumal rückwirkend) bestimmen zu können, ob die inzwischen erfolgte Gesetzesänderung deklaratorische (darauf deutet die Tatsache der Novellierung als solche hin) oder konstitutive (dies legt der Wortlaut der Novellierung nahe) Bedeutung hat.

(5) Dass der Kläger schließlich während der Inhaftierung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist, ist ohne Belang, da dies nichts daran ändert, dass er dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Etwas anderes mag zwar gelten, wenn es sich um einen Freigänger handelt (vgl. SG Berlin, Beschluss vom 27.10.2005, Az.: S 94 AS 9350/05 ER); dies ist hier aber nicht der Fall.

Aus der oben dargelegten Ratio des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. folgt ohne weiteres, dass die sich im wesentlichen nahtlos aneinander anschließenden Unterbringungszeiten in verschiedenen stationären Einrichtungen addiert werden müssen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B; siehe bereits SG Reutlingen, Beschluss vom 01.03.2006, Az.: S 3 KR 330/06 ER; im Anschluss daran SG Dresden, Beschluss vom 28.07.2006, Az.: S 34 AS 1134/06 ER; ferner SG Reutlingen, Beschluss vom 26.06.2006, Az.: S 6 AS 2003/06 ER; offen lassend LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2006, Az.: L 7 AS 1128/06 ER-B; a.A. SG Nürnberg, Beschluss vom 09.05.2005, Az.: S 20 SO 106/05 ER), ohne dass es – wie bereits oben dargelegt – auch insofern von Belang ist, dass beide Unterbringungen unterschiedlichen Zwecken dienen sollen (darauf aber stellt SG Nürnberg, Beschluss vom 09.05.2005, Az.: S 20 SO 106/05 ER, ab).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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