L 4 J 19/96

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 J 145/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 J 19/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 58/97
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rückzahlung einer Witwenrente bei nach ausländischem Recht rechtswirkamer bestehenden Erstehe.
Der in Deutschland lebende Kläger muß die ihm bewilligte Witwerrente zurückzahlen. Er war nach dem Tode seiner zweiten Ehefrau nicht Witwer, da er immer noch mit seiner ersten Ehefrau nach marokkanischem Recht rechtswirksam verheiratet gewesen ist. Er darf nicht besser gestellt werden als jeder zuvor monogam lebende Witwer, der im Falle der Wiederheirat den Anspruch auf Witwerrente verliert.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. November 1997 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. November wird zurückgewiesen und der Tenor des Urteils des Sozialgerichts wie folgt gefaßt: "Die Bescheide der Beklagten vom 25. Mai 1993 und 17 März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 1994 werden aufgehoben."
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. November 1995 abgeändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme eines Witwerrentenbescheides wegen zweiter (polygamer) Ehe.

Der 1932 in Marokko geborene Kläger lebt seit 1962 in der Bundesrepublik Deutschland und hat eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Er war seit 1956 in erster Ehe verheiratet mit M., die vom 17.09.1942 bis 02.09.1996 gelebt hat. Sie hatte sieben gemeinsame Kinder mit dem Kläger, lebte seit 1988 in Deutschland, übte keine versicherungspflichtige Beschäftigung aus und beaufsichtigte zuletzt die Kinder des Klägers aus seiner zweiten Ehe. In zweiter Ehe war der Kläger seit 13.02.1972 verheiratet mit A., die von 1947 (entweder 00.00.1947 oder 31.12.1947) bis 25.01.1988 gelebt hat. Sie war in der Bundesrepublik versicherungspflichtig tätig von 1972 bis 1987. Dieser Ehe entstammen drei 1971 und 1980 geborene Kinder. Beide Ehen waren nach marokkanischem Recht geschlossen. Nach eigenen Angaben hat der Kläger dann nicht mehr geheiratet.

Nach dem Tode seiner zweiten Ehefrau, der Versicherten, beantragte er am 21.03.1988 die Gewährung von Witwerrente. Dazu legte er eine Heiratsbescheinigung des Generalkonsulats des Königreichs Marokko vom 27.01.1988 und einen Auszug aus dem Todesregister vom gleichen Tage vor. Im Antragsvordruck der Beklagten bezeichnete er sich als Witwer und beantwortete alle Fragen. Dieser Vordruck enthält keine Fragen zu einer polygamen Ehe. Von sich aus machte der Kläger keine Angaben dazu, daß er außer mit der Versicherten mit einer weiteren Frau verheiratet war und daß diese Ehe über den Tod der zweiten Ehefrau hinaus bestand. Daraufhin gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 09.08.1988 dem Kläger Witwerrente gemäß § 1264 Abs. 2 in Verbindung mit § 1268 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Rente begann mit dem 25.01.1988 und betrug ab 01.09.1988 monatlich DM 446,31.

Durch eine Mitteilung der AOK Mönchengladbach erfuhr die Beklagte im November 1992, daß der Kläger anderweitig verheiratet war: Er habe nämlich in seiner Aufenthaltserlaubnis von 1989 als Ehefrau die 1942 geborene M. angegeben. Unter Hinweis auf § 24 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) schrieb die Beklagte den Kläger an und bat um Stellungnahme sowie Übersendung einer beglaubigten Fotokopie der Heiratsurkunde. Außerdem stellte sie die Zahlung der Rente mit Ablauf November 1992 ein. Nach einer Notiz der Beklagten über ein Telefongespräch mit dem Kläger am 17.11.1992 teilte dieser mit, daß er nicht verheiratet sei. Am 20.11.1992 erschien der Kläger bei der Beklagten und erklärte, daß er nicht wieder geheiratet habe und deshalb die Wiederanweisung der Witwerrente erwarte. Nach einem Vermerk vom 20.11.1992 schilderte der Kläger sodann, daß er seine erste Frau in den 60er Jahren in Marokko geheiratet habe und die zweite Frau 1971; seine erste Frau sei hier in der Bundesrepublik zur Beaufsichtigung der Kinder. Nochmals schriftlich unter dem 17.11.1992 erklärte der Kläger, daß er nach 1988 nicht mehr geheiratet habe; die Fotokopie der Heiratsurkunde brauche er nicht beizulegen, sondern nur schriftlich mitzuteilen, daß er "nicht verheiratet" sei; er möchte die Witwerrente weitergezahlt haben. Auf erneute Bitte der Beklagten erklärte der Kläger bei einer Vorsprache am 03.12.1992, daß die erste Ehe noch nicht aufgelöst sei, und legte die Heiratsurkunde betreffend die erste Frau vor.

Mit Anhörungsschreiben vom 22.04.1993 setzte die Beklagte den Kläger darüber in Kenntnis, daß sie beabsichtige, den Witwerrentenbescheid vom 09.08.1988 zurückzunehmen und den für die Zeit vom 25.01.1988 bis 30.11.1992 zu Unrecht gezahlten Betrag in Höhe von DM 29.078,20 zurückzufordern. Der Kläger könne sich nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes berufen, da er grobfahrlässig gehandelt habe, indem er verschwiegen habe, noch mit seiner ersten Frau verheiratet zu sein. Ihm hätte bekannt sein müssen, daß er keinen Witwerstatus besitze, da dem deutschen Recht die Mehrehe fremd sei und lediglich der Tod des einzigen Ehepartners eine Witwereigenschaft zu begründen vermöge. Sollte der Kläger tatsächlich an seinen Witwerstatus geglaubt haben, hätte er seine erste Ehe im Rentenantrag erwähnen können. Dies habe er jedoch unterlassen. Aufgrund seiner langen Aufenthaltsdauer in Deutschland und der damit verbundenen Kenntnis des europäischen Kultur- und Rechtskreises hätten ihm die vorgenannten Erwägungen zumindest laienhaft bekannt sein müssen. Zudem enthalte der Bescheid den Hinweis auf seine Mitteilungspflicht bei einer Wiederheirat. Aus diesem Hinweis hätte er erkennen können, daß der Bescheid rechtswidrig gewesen sei. Ihm hätte sich der Vergleich aufdrängen müssen, daß einer Wiederheirat die Fortdauer einer bereits bestehenden Ehe gleichstehe. Soweit eine Wiederheirat zum Wegfall der Witwereigenschaft führe, gelte dies erst recht, wenn der Antragsteller weiter verheiratet sei. Nunmehr nahm der Kläger dazu im April 1993 dergestalt Stellung, daß er sich als Witwer betrachtet habe, daß er zum Ausfüllen des Formulars überhaupt nicht in der Lage gewesen sei und es deshalb mit einem früheren Arbeitskollegen seiner verstorbenen Ehefrau ausgefüllt habe, daß er alle Angaben wahrheitsgemäß beantwortet habe und daher Vertrauensschutz genieße. Eine Frage nach einer weiteren Ehe habe das Formular nicht enthalten.

Mit Bescheid vom 25.05.1993 nahm die Beklagte den Bescheid vom 09.08.1988 nach § 45 SGB X zurück und forderte nach § 50 SGB X die Erstattung des bisher gezahlten Rentenbetrages. Dagegen legte der Kläger am 17.06.1993 Widerspruch ein und berief sich darauf, daß er Witwer sei und ihm keine grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden könne; außerdem seien polygame Ehen nach ausländischem Recht gemäß § 34 SGB I als wirksam anzusehen. Ihren Bescheid vom 25.05.1993 ergänzte die Beklagte durch den Bescheid vom 17.03.1994 und stellte darin Ermessenserwägungen gemäß § 45 SGB X an: Im Regelfall seien die Interessen des Leistungsempfängers durch die Einschränkungen in § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ausreichend berücksichtigt. Eine unbillige Härte liege hier nicht vor. Die rechtswidrige Rentengewährung gehe allein auf das schuldhafte Verhalten des Klägers zurück. Da er zudem über Arbeitseinkommen verfüge bzw. verfügt habe, seien ihm auch keine anderen Sozialleistungen aufgrund der Rentengewährung entgangen. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des vorliegenden Sachverhaltes sei daher der Bescheid nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 25.05.1993 wies die Beklagte unter Einbeziehung des Bescheides vom 17.03.1994 durch Widerspruchsbescheid vom 16.06.1994 zurück und wiederholte ihre Auffassung zu § 45 X; seine wirtschaftlichen Interessen könne er in einem eventuell sich anschließenden Vollstreckungsverfahren geltend machen (Stundung, Ratenzahlung).

Mit der am 14.07.1994 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, daß polygame Ehen nach § 34 SGB I wirksam seien und es deshalb an der Rechtswidrigkeit des Witwerrentenbescheides vom 09.08.1988 fehle. Im übrigen genieße er Vertrauensschutz, weil ihm keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Er habe keine Kenntnisse des deutschen Rechts.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.05.1993 unter Einbeziehung des Bescheides vom 17.03.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.1994 zu verurteilen, ihm Witwerrente ab Dezember 1992 weiter zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, daß der Kläger nicht besser gestellt werden könne als ein deutscher Witwer, der wieder geheiratet habe. Vertrauenschutz genieße der Kläger nicht, denn immerhin lebe er seit 1962 in der Bundesrepublik, so daß er wissen müsse, daß er als Witwerrentenberechtigter nicht verheiratet sein dürfe.

In dem Erörterungstermin vom 23.06.1995 hat das Sozialgericht (SG) den Kläger angehört. Ein Dolmetscher war nicht anwesend.

Durch Urteil vom 13.11.1995 hat das SG dem Klageantrag entsprechend die angefochtenen Bescheide aufgehoben und im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Bescheid vom 09.08.1988 zurückzunehmen, weil dieser nicht rechtswidrig sei. Nach den damals gültigen Vorschriften der §§ 1263 ff RVO habe der Kläger Anspruch auf Witwerrente gehabt. Er sei rechtswirksam auch mit seiner zweiten Ehefrau verheiratet gewesen. Denn Art. 30 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) finde auf im Ausland geschlossene polygame Ehen keine Anwendung. Wie sich dieser Umstand auf den Anspruch auf Witwerrente auswirke, wenn die versicherte Ehefrau gestorben sei, sei gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Im deutsch-marokkanischen Sozialversicherungsabkommen finde sich insoweit keine Vereinbarung. In § 34 Abs. 2 SGB I sei lediglich die Frage geregelt, wie zu verfahren sei, wenn ein Versicherter nach seinem Tode mehrere Ehefrauen hinterlasse. Sozialrechtlich sei damit aber die Gültigkeit einer im Ausland geschlossenen polygamen Ehe anerkannt. Der vorliegende Fall sei mangels anderer gesetzlicher Vorschriften nach § 34 Abs. 1 SGB I zu lösen. Dabei sei entscheidend auf die Unterhaltspflichten in der Ehe einzugehen. Auch die polygame Ehe des Klägers sei in diesem Sinne von allen Ehepartnern durch eine gegenseitige Unterhaltspflicht geprägt gewesen. Deshalb könne der Kläger diejenigen Sozialleistungen beanspruchen, die als Surrogat für einen entgangenen Unterhalt dienten. Denn Hinterbliebenenrenten in der gesetzlichen Rentenversicherung hätten Unterhaltsersatzfunktion. Mit dem Tode der in Deutschland versicherungspflichtig tätig gewesenen zweiten Ehefrau sei das nach islamischem Recht in Form einer polygamen Ehe gestaltete familiäre System gegenseitigen Unterhaltes in einer Weise beeinträchtigt worden, die es gebiete, auch hier Ersatz für den aufgrund des Todes der Versicherten entgangenen Unterhalt zu schaffen. Der Kläger habe auch die Eigenschaft eines Witwers ungeachtet der Tatsache inne, daß er aufgrund der polygamen Ehe noch eine weitere Ehefrau besitze.

Gegen das ihr am 18.01.1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.01.1996 Berufung eingelegt.

Nach dem Tode auch der ersten Ehefrau hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 04.06.1997 ab 01.10.1996 die große Witwerrente gewährt. Daraufhin hat der Kläger den Rechtsstreit für die Zeit ab 01.10.1996 für erledigt erklärt.

Zur Begründung ihrer Berufung weist die Beklagte daraufhin, daß es zu keiner Besserstellung der polygamen Ehe gegenüber der vom deutschen Recht allein gebilligten Ein-Ehe kommen dürfe. Soweit die Ehefrauen in der polygamen Mehrehe zu schützen seien, habe dem der Gesetzgeber in § 34 Abs. 2 SGB I Rechnung getragen. Für den vorliegenden Fall bestehe eine solche Regelung nicht, so daß es dabei bleiben müsse, daß der Kläger nicht Witwer gewesen sei.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. November 1995 teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit sie den Anspruch nicht durch Bescheid vom 04. Juni 1997 anerkannt hat.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, daß das angefochtene Urteil zutreffend sei, weil er im Hinblick auf die verstorbene Versicherte Witwer gewesen sei. Hier sei auch zu berücksichtigen, daß er nach der anderen Ehefrau keine Witwerrente beziehen könne, weil diese nicht versicherungspflichtig tätig gewesen sei. Es fehlten aber auch die Voraussetzungen des § 45 SGB X, weil er weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt habe.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gestand der Entscheidungsfindung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 und 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Bescheide vom 25.03.1993 und 17.03.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.1994 aufgehoben. Diese Bescheide sind im Ergebnis nicht rechtswidrig. Der Kläger hatte für die allein noch im Streit stehende Zeit vom 25.01.1988 bis 30.09.1996 keinen Anspruch auf Gewährung von Witwerrente. Darüberhinaus haben auch die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme der rechtswidrigen Begünstigung für die Vergangenheit vorgelegen.

Nachdem die Beklagte die begehrte Witwerrente ab 01.10.1996 gewährt hat und der Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt worden ist, war lediglich zu entscheiden, ob der Kläger für die Zeit bis September 1996 Anspruch auf Witwerrentengewährung hatte. Das ist nicht der Fall, weil der Kläger im streitigen Zeitraum nicht Witwer, sondern noch - wenn auch mit einer anderen Frau als der verstorbenen Versicherten - verheiratet war, so daß, wie die Beklagte zu Recht meint, die Voraussetzungen von § 1264 Abs. 2 in Verbindung mit § 1268 Abs.2 RVO (heute § 46 SGB VI) nicht erfüllt waren.

Für eine andere Auslegung des Begriffs "Witwer" in dieser Bestimmung zugunsten des Klägers besteht kein Anlaß. Während die mehreren Ehegatten eines Ehepartners, in der Regel also islamische Frauen, die nach ihrem Heimatrecht wirksam polygam verheiratet sind, durch § 34 Abs. 2 SGB I (vgl. dazu auch Bundestags-Drucksache 10/504, S. 96, 97 und BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 9 und Nr. 26) geschützt werden und hier tatsächlich auch schützenswerte Interessen vorliegen, gibt es für den - einen und regelmäßig männlichen - Partner der mehreren Ehegatten keine vergleichbare gesetzliche Bestimmung. Er ist aber auch, solange er nicht schlechter gestellt wird als monogame Ehegatten - und das wird der Kläger nicht, weil von ihm keine zusätzlichen Voraussetzungen verlangt werden - im Hinblick auf seine mehreren Ehegatten nicht schützenswert. Das begründet sich ausreichend schon damit, daß das deutsche Recht die polygame Ehe nicht kennt und eine solche schon deshalb keiner irgendwie schützenden Regelungen bedarf (vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 02.09.1996, Az. 25 A 2106/94, InfAuslR 97, 82; OVG Lüneburg, Urteil vom 06.07.1992, Az. 7 L 3634/91, InfAuslR 92, 364; BVerwG, Beschluss vom 04.04.1986, Az 1 A 10/86, BayVBl 86, 633, und BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, Az. 1 C 33/81,BVerwGE 71, 228).

Gegen ein Absehen von einem dem deutschen Recht allein entsprechenden Begriff des Witwers spricht aber darüber hinaus und ebenso zwingend, daß der Kläger bei Bejahung eines Witwerrentenanspruches besser gestellt würde als ein deutscher monogamer Versicherter, der sich nach dem Tode der versicherten Ehefrau wieder verheiratet. Denn dieser erfüllt vom Zeitpunkt der Wiederverheiratung an nicht mehr die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwerrente. Für eine solche Besserstellung des Klägers, der nach dem Tode der Versicherten unzweifelhaft nicht unverheiratet war - denn gegen die Wirksamkeit der ersten Ehe bestehen keine Bedenken , gäbe es keinen vernünftigen Grund.

In letzter Konsequenz könnte sich ein Mohammedaner auf diese Weise mehrere Witwerrenten verschaffen, was dem Ehebild im deutschen bürgerlichen und Sozialrecht zuwiderliefe.

In im Ergebnis nicht zu beanstandender Weise hat die Beklagte auch den somit rechtswidrigen begünstigenden Rentenbescheid vom 09.08.1988 zurückgenommen. Sämtliche weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit im Sinne der zweiten Alternative des § 45 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGB X liegen vor.

Der Kläger genießt keinen Vertrauensschutz, weil jedenfalls die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gegeben sind. Denn in mindestens grobfahrlässiger Weise hat er in wesentlicher Beziehung unvollständige Angaben gemacht. Wenn auch der Fragebogen zum Rentenantrag - verständlicherweise - keine Fragen zum Vorliegen einer polygamen Ehe enthält, hätte der Kläger von sich aus bei Rentenantragstellung 1988 darauf hinweisen müssen, daß er zwar nicht wiederverheiratet, aber noch mit einer anderen Ehefrau weiter verheiratet war. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, daß nach einem über 25-jährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik auch dem relativ einfach strukturierten Kläger klar sein mußte, daß die Tatsache der polygamen Ehe bei der Frage der Witwerrentengewährung Probleme bereiten würde.

Es gibt aber auch Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger vorsätzlich geschwiegen hat, wie sein Verhalten im November 1992 zeigt. Dort hat er nämlich - immer noch - versucht, die Tatsache der seit 1956 bestehenden und seit 1972 polygamen Ehe solange wie möglich zu verschweigen.

Die Fristen der Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 2 des § 45 SGB X sind gewahrt. Ermessen ist in einer nicht zu beanstandenden Weise ausgeübt worden. Die Erstattungsforderung ergibt sich danach zwingend aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Eine Berücksichtigung des Zeitraumes ab 01.10.1996 war nicht erforderlich, nachdem der Kläger insoweit das Verfahren für erledigt erklärt hat. Es besteht auch kein Zweifel daran, daß die Beklagte auch ohne Rechtsstreit die begehrte Rente nach dem Tode der ersten Ehefrau gewährt hätte.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen worden.
Rechtskraft
Aus
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