L 18 V 20/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 V 1/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 20/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9a V 37/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.10.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung von Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1927 in Österreich geborene Kläger wurde am 15.01.1945 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und erlitt am 23.02.1945 eine Splitterverletzung des rechten Kniegelenks. Bis zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit am 25.07.1995 bezog er Entschädigungsleistungen von österreichischen Versorgungsbehörden. Das Landesinvalidenamt für Kärnten stellte mit Bescheid vom 30.01.1947 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - um 50 vH fest und gewährte dem Kläger ab dem 01.12.1945 Leistungen nach der Versehrtenstufe II. Ab dem 01.04.1949 erhielt er Leistungen nach der Versehrtenstufe I (Bescheid vom 04.02.1949). Das Landesinvalidenamt hatte eine Besserung der Verletzungsfolgen und eine MdE um 40 vH festgestellt. Vom 01.01.1950 bis 31.07.1995 bezog der Kläger eine Beschädigtenrente nach einer MdE von 40 vH (Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 20.07.1950 und Entziehungsbescheid des Bundessozialamtes W. vom 05.09.1995).

Mit Bescheid vom 05.03.1996 und Widerspruchsbescheid vom 12.11.1996 anerkannte der Beklagte nach Einholung ärztlicher Gutachten als Folgen einer Schädigung im Sinne des BVG "1. Peronaeuslähmung und Tibialisteillähmung links mit Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk sowie im linken Kniegelenk nach Granatsplitterverletzung des linken Kniegelenkes. 2. Reizlose, mit der Unterlage zum Teil verwachsene Narben im Bereich des linken Kniegelenks nach Granatsplitterverletzung" und gewährte für die Zeit ab 01.08.1995 Beschädigtenversorgung nach einer MdE von 40 vH.

Die Anträge des Klägers vom 26.11.2002 und 06.12.2002, die Entscheidung vom 05.03.1996 aufzuheben und den Versorgungsanspruch neu festzustellen, lehnte der Beklagte nach Einholung eines neurologischen Gutachtens vom 29.12.2003 und eines chirurgischen Gutachtens vom 15.05.2005 ab (Bescheid vom 06.09.2005). Hinsichtlich der anerkannten Schädigungsfolgen sei keine Verschlimmerung eingetreten. Eine wesentliche Änderung der MdE habe sich nicht ergeben.

Zuvor hatte sich der Kläger mit Schreiben vom 03.12.2004, Eingang am 24.12.20024, an das Bundessozialgericht (BSG) gewandt und gebeten, eine vorzeitige Entscheidung in seiner Versorgungsangelegenheit herbeizuführen. Das BSG hat das Vorbringen des Klägers als Untätigkeitsklage gewertet und den Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) Würzburg verwiesen (Beschluss vom 27.01.2005).

Im Klageverfahren hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 06.09.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 50 vH zu zahlen. Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.10.2005 als unzulässig abgewiesen. Für die Untätigkeitsklage sei der Kläger nicht rechtsschutzbedürftig, da der Beklagte den Bescheid vom 06.09.2005 erlassen habe. Der Übergang zur Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage scheitere daran, dass ein Widerspruchsverfahren nicht nachgeholt worden sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Folgeschäden seiner im Jahr 1945 erlittenen Verletzungen seien zu entschädigen. In Anwendung von deutschen Versorgungsgesetzen sei ihm nach Kriegsende eine MdE von 50 vH zuerkannt worden. Nach Aufhebung dieser Gesetze sei er 1950 von den österreichischen Behörden auf eine MdE von 40 vH zurückgestuft worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.10.2005 und den Bescheid des Beklagten vom 06.09.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 50 vH zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Allerdings könne die Berufung als Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.09.2005 behandelt werden.

Der Kläger hat hierzu im Erörterungstermin am 24.05.2006 erklärt, dass er nicht wünsche, dass eine Widerspruchsentscheidung des Beklagten herbeigeführt wird.

Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte einen weiteren Neufeststellungsantrag des Klägers vom 19.01.2006 mit Bescheid vom 27.07.2006 abgelehnt. Aus den von den behandelnden Ärzten eingeholten Befundberichten habe sich eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vom 05.03.1996 maßgebend gewesen seien, nicht ergeben.

Der Senat hat die Akten des Beklagten einschließlich der Akten des österreichischen Bundessozialamts - W., Niederösterreich Burgenland - beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf diese Akten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen.

Zu entscheiden ist allein über Zulässigkeit der erstinstanzlichen Klage. Der Kläger hat nach Erlass des Bescheides vom 06.09.2005 die zunächst erhobene Untätigkeitsklage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen diesen Bescheid fortgeführt. Hierin liegt eine zulässige Klageänderung, nach dem sich der Beklagte auf die Änderung eingelassen hat (§ 99 Abs 1 und 2 SGG). Dieser Bescheid vom 06.09.2005 ist Gegenstand des Berufungsverfahrens. Der Bescheid vom 27.07.2006, mit dem der Beklagte den weiteren Neufeststellungsantrag vom 19.01.2006 abgelehnt hat, ist dagegen nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dieser neue Bescheid hat den nach Klageänderung angefochtenen Bescheid vom 06.09.2005 weder abgeändert noch ersetzt (§§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG). Auch Gründe der Prozessökonomie sprechen nicht für eine Einbeziehung des Bescheides vom 27.07.2006, da - wie noch auszuführen ist - die Klage gegen den Bescheid vom 06.09.2005 unzulässig ist. Dies hat zur Folge, dass nicht zumindest ein Teil des in der ersten Instanz erhobenen Klageanspruches einer sachlichen Prüfung des Berufungsgerichts zugänglich ist und eine Sachprüfung im Berufungsverfahren allein hinsichtlich des Bescheides vom 27.07.2006 zu erfolgen hätte.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Klage mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig ist. Die vom Kläger zunächst erhobene Untätigkeitsklage war nach Erlass des Bescheides vom 06.09.2005 unzulässig, da die Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Abs 1 SGG auf die Verurteilung der Behörde zur Bescheiderteilung und nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes mit einem bestimmten Inhalt gerichtet ist (BSGE 73, 244, 247; 75, 56, 58).

Zwar hat der Kläger hieraus die prozessualen Konsequenzen gezogen und die Klage unter Klageänderung als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage fortgesetzt, nachdem der für ihn ungünstige Bescheid vom 06.09.2005 ergangen ist. Allerdings setzt nach § 78 Abs 1 und 3 SGG die Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Durchführung eines Vorverfahrens voraus. Die Durchführung des Vorverfahrens ist Prozessvoraussetzung und ist auch beim Übergang von der Untätigkeitsklage zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erforderlich (BSG SozR Nr 5 zu § 80 SGG; Meyer-Ladewig/Keller-Leitherer, Kommentar zum SGG, 8.Aufl, RdNr 12 zu § 88; HK-SGG/Binder, 2.Aufl, RdNr 16 zu § 88). Dies erfordert auch der Zweck des Vorverfahrens, der Verwaltung die Gelegenheit zu geben, Fehlentscheidungen selbst zu korrigieren und damit zugleich im Sinne einer Filterfunktion dem Interesse der Entlastung der Gerichte zu dienen. An der Durchführung des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 06.09.2005 fehlt es vorliegend, so dass die Klage als unzulässig abzuweisen war.

Die Nachholung des Vorverfahrens war nicht deshalb entbehrlich, weil sich der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren auf die Klageänderung rügelos eingelassen und die Abweisung der Klage beantragt hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Beklagte nach Klageänderung nicht zu erkennen gegeben hat, dass in einem Widerspruchsbescheid voraussichtlich keine andere Entscheidung erfolgen würde. Darüber hinaus ist seit der Entscheidung des BSG vom 03.03.1999 (SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1) nicht mehr davon auszugehen, dass in derartigen Fällen die Klageerwiderung als Widerspruchsbescheid gesehen werden kann. Die Festlegung des Beklagten auf einen bestimmten Standpunkt macht auch aus prozessökonomischen Gründen einen Widerspruchsbescheid nicht überflüssig. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut § 78 Abs 1 Satz 1 SGG und aus dem Zweck des Vorverfahrens als Filterfunktion zur Entlastung der Gerichte, dass die Durchführung des Vorverfahrens eine unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung darstellt.

Die Nachholung des Vorverfahrens im Laufe des Berufungsverfahrens scheiterte an dem Willen des Klägers, eine Widerspruchsentscheidung des Beklagten herbeizuführen. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass in der Berufungseinlegung gleichzeitig die Einlegung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 06.09.2005 gesehen werden kann. Insofern hat das Gericht den Beteiligten die Gelegenheit zu geben, das fehlende Vorverfahren nachzuholen (vgl BSGE 20, 199, 200 f; 25, 66, 68 f). Jedoch hat der Kläger im Berufungsverfahren deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Berufung nicht auch als Widerspruch anzusehen ist und dass er auf die Durchführung eines Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 06.09.2005 verzichtet.

Nach alledem ist die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden und daher die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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