L 6 SB 3412/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1683/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3412/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 8. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) des 1947 geborenen Klägers.

Das Versorgungsamt Ravensburg (VA) stellte mit Bescheid vom 13. Dezember 2002 in Ausführung des im Rechtsstreit S 1 SB 88/02 vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) abgegebenen Anerkenntnisses vom 11. November 2002 den GdB des Klägers mit 50 ab 12. Juni 2001 fest. Dabei wurden als Funktionsbeeinträchtigungen eine Depression und funktionelle Kreislaufstörungen berücksichtigt. Dem Anerkenntnis lagen die vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 18. März 2002 und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 27. Juli 2002 zugrunde. Dr. B. hatte den Kläger als ganz wesentlich in seiner gesamten Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit eingeschränkt bei Hinzutreten mittel- bis schwergradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten beschrieben und den GdB auf 70 geschätzt. Dr. R. hatte eine essentielle Hypotonie mit Neigung zu ausgeprägten hypotonen Regulationen und eine aufgrund einer Neigung zu depressiven Verstimmungen ausgeprägte Überinterpretation körperlicher Befindlichkeitsstörungen angegeben und den GdB auf 50 geschätzt. Unter Auswertung dieser Angaben hatte Dr. F. in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 4. November 2002 für die Depression und funktionelle Kreislaufstörungen den GdB mit 50 in Ansatz gebracht.

Der Kläger beantragte am 16. Februar 2004 die Neufeststellung seines GdB. Die bereits festgestellten Behinderungen hätten sich verschlimmert und neu aufgetreten seien eine Handgelenkserkrankung links, eine Schultergelenkserkrankung beidseits, eine Hüftgelenksarthrose und ein Spreizfuß beidseits. Das VA holte die ärztlichen Befundscheine des (Unfall-)Chirurgen Dr. F. vom Februar 2004, von Dr. R. vom 28. Februar 2004 und von Dr. B. vom 18. März 2004 ein. Dr. F. beschrieb eine eingeschränkte Beweglichkeit des linken Handgelenks und führte aus, bzgl. Schulter- und Hüftgelenksbeschwerden sei der Kläger nicht in seiner Behandlung gewesen. Dr. R. erwähnte eine Behandlung wegen depressiver Verstimmung. Dr. B. führte aus, der Umstand, dass sich die Ehefrau des Klägers bedingt durch eine langjährige Trennung vom Kläger vollkommen entfremdet habe, habe zu einer massiven Verschlechterung im psycho-physischen Befinden geführt. Bereits zuvor sei es beim Kläger bei etwas schwankendem Verlauf zu einer völlig chronifizierten depressiven Entwicklung mit resignativer Grundstimmung, schwerer Selbstwertkränkung, Verlust der Lebensfreude bis hin zur Lebensunlust, Interessenverlust und depressiven Antriebs- und Konzentrationsstörungen gekommen. Insgesamt sei der Kläger in seinem gesamten Erlebnis- und Gestaltungsvermögen, einhergehend mit schwerwiegenden sozialen Anpassungsschwierigkeiten, schwer beeinträchtigt. OMedR N. brachte in der vä Stellungnahme vom 26. April 2004 als Funktionsbeeinträchtigungen eine Depression und funktionelle Kreislaufstörungen (Teil-GdB 50) sowie eine Funktionsbehinderung des linken Handgelenks (Teil-GdB 10) in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 50. Hierauf gestützt lehnte das VA den Antrag mit Bescheid vom 28. April 2004 ab.

Dagegen erhob der Kläger am 30. April 2004 Widerspruch. Dr. E. führte in der vä Stellungnahme vom 11. Juni 2004 aus, der ärztliche Befundschein von Dr. B. vom 18. März 2004 belege keine wesentliche Verschlimmerung. Von einer seelischen Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten könne unverändert nicht ausgegangen werden. Hierauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2004 zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 16. Juli 2004 Klage zum SG. Er legte den Befundbericht von Dr. B. vom 4. Juni 2004 vor. Das SG zog mit der sachverständige Zeugenauskunft von Dr. B. vom 10. Juli 2003, dem psychiatrischen Gutachten von Dr. M. vom 13. Oktober 2003 und dem orthopädischen Gutachten von Dr. B. vom 15. Dezember 2003 mehrere im Rahmen eines auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichteten Klageverfahrens angefallenen ärztlichen Unterlagen bei. Dr. B. hatte ausgeführt, die Beschwerdesymptomatik bestehe ohne durchgreifende Besserungstendenzen unverändert fort, wobei es jetzt zu einer massiven Verschlechterung gekommen sei. Die durch die Ehegattin des Klägers vollzogene Scheidung habe zu dieser massiven Verschlechterung im psycho-physischen Befinden geführt. Dr. M. hatte einen chronischen Verstimmungszustand bei schwer belastenden familiären und wirtschaftlichen Problemen diagnostiziert. Durch diese Störungen sei der Kläger aber in seinem Leistungsvermögen im Erwerbsleben nicht beeinträchtigt. Bei der durchgeführten Untersuchung hätten sich nicht die geringsten Hinweise auf krankhafte psychische Störungen ergeben. Es sei zwar zutreffend, dass der Kläger in hohem Maße unter seiner stark erschwerten Lebenssituation leide. Es sei aber eher der Eindruck entstanden, dass der Kläger auf diese Lebensumstände in einer psychisch gesunden Weise reagiere. Eine Depression, die als krankhaft gewertet werden müsste, sei in der durchgeführten psychiatrischen Untersuchung in keiner Weise in Erscheinung getreten. Dr. B. hatte eine mittelgradige Funktionsbehinderung des linken Handgelenks, ein Supraspinatussehnensyndrom beider Schultergelenke ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigung, eine initiale Arthrose beider Hüftgelenke ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigung und eine Spreizfußdeformität ohne Funktionsbehinderung diagnostiziert. Die berufliche Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei für leichte Tätigkeiten in quantitativer Hinsicht nicht eingeschränkt. In Auswertung dieser Unterlagen brachte Dr. G. in der vom Beklagten vorgelegten vä Stellungnahme vom 17. November 2004 als Funktionsbehinderungen eine depressive Verstimmung und psychovegetative Störungen (Teil-GdB 20) sowie eine Funktionsbehinderung des linken Handgelenks (Teil-GdB 20) in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB mit 30 ab Oktober 2003.

Mit Urteil vom 8. Juli 2005 verurteilte das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2004, den GdB ab Februar 2004 mit 60 festzustellen, und wies die Klage im Übrigen ab. Eine wesentliche Änderung sei darin zu sehen, dass als weitere Behinderung Funktionsbeeinträchtigungen am linken Handgelenk hinzugekommen seien. Diese seien mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Dagegen habe sich die Depression des Klägers weder gravierend verschlechtert noch wesentlich gebessert, weshalb weiterhin von einem Teil-GdB von 50 auszugehen sei.

Der Kläger hat am 17. August 2005 gegen das ihm am 25. August 2005 zugestellte Urteil des SG Berufung eingelegt. Er hat die Stellungnahme des Beratungsarztes der Landesversicherungsanstalt Oberbayern Dr. K. vom 25. Juli 2005 und den ärztlichen Entlassungsbericht der Rheumaklinik B. W. vom 4. Juni 2004 über die vom 7. bis zum 28. April 2004 durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt. Der Kläger hat ausgeführt, ihm sei nunmehr aufgrund einer Bescheinigung von Dr. B. vom 4. Juli 2004 eine Erwerbsminderungsrente von der Landesversicherungsanstalt Oberbayern angeboten worden. Aus dem ärztlichen Entlassungsbericht der Rheumaklinik B. W. gehe im Übrigen hervor, dass der orthopädische Befund durchaus nicht so gravierend sei, dass dieser die Landesversicherungsanstalt Oberbayern zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer veranlasst hätte. Ausschlaggebend sei vielmehr einzig und allein die Bewertung der Ausführungen des Dr. B. gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 8. Juli 2005 und den Bescheid vom 28. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2004 weiter abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 80 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat die vä Stellungnahmen von Dr. S. vom 2. und 8. September 2005 vorgelegt. Man könne - trotz gewisser Bedenken - aufgrund der geschilderten Symptomatik weder die Unrichtigkeit des bisher festgestellten GdB konstatieren, noch könne man den Nachweis einer wesentlichen Besserung erbringen.

Der Senat hat die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. B. vom 10. Januar 2006 eingeholt. Erschwerend zur weitgehenden Entfremdung von seiner Ehefrau sei hinzugetreten, dass sein ältester Sohn im vergangenen Jahr plötzlich verstorben sei. Auch wenn der Kläger seit seinem im Jahr 2003 angetretenen Heimaturlaub wieder Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie habe, sei dennoch von einer schwerwiegenden sozialen Anpassungsschwierigkeit auszugehen mit krankheitsbedingt stark gefährdeter Berufstätigkeit, einhergehend mit schwerwiegenden familiären Problemen. Insgesamt sei es zwar unter Berentung mit dadurch bedingter Möglichkeit der Familienzusammenführung zu einer gewissen Besserung gekommen. Keinesfalls sei jedoch eine durchgreifende Stabilisierung im gesundheitlichen Befinden anzunehmen.

Im Oktober 2006 hat der Kläger angegeben, er halte sich seit Mai 2006 in der Türkei auf und werde frühestens im Januar 2007 in das Bundesgebiet zurückkehren.

Der Senat hat den Beteiligten am 25. Oktober 2006 mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, die Beteiligten Gelegenheit erhalten haben, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen höheren GdB als 60. Denn es ist seit dem Anerkenntnis vom 11. November 2002 in den zugrunde liegenden Verhältnissen keine derartige Änderung eingetreten, dass sich der GdB von 50 auf über 60 erhöht hätte.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP haben zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf einen höheren GdB als 60.

Auf orthopädischem Fachgebiet liegt beim Kläger eine mittelgradige Funktionsbehinderung des linken Handgelenks mit Schwellneigung und Gefühlsstörung am streck-speichenseitigen Daumen- und Mittelhandbereich vor. Diese Funktionsbehinderung entspricht einem GdB von 20. Denn nach den AP beträgt der GdB für Bewegungseinschränkungen des Handgelenks geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 30-0-40 Grad) 0 bis 10 und stärkeren Grades 20 bis 30 (AP, 26.18, Seite 120). Beim Kläger liegt ein Bewegungsmaß in den Handgelenken handrückwärts/hohlhandwärts rechts von 50-0-40 und links von 25-0-20 Grad sowie ellenwärts/speichenwärts rechts von 10-0-20 und links von 10-0-10 Grad vor. Unter Berücksichtigung der zusätzlich diagnostizierten Schwellneigung und Gefühlsstörung am streck-speichenseitigen Daumen- und Mittelhandgelenk ist der GdB für diesen Bereich insgesamt mit 20 angemessen bewertet. Insoweit stützt sich der Senat auf die vä Stellungnahme von Dr. G. vom 17. November 2004 und das Gutachten von Dr. B. vom 15. Dezember 2003. Weitere Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet GdB-relevanten Grades liegen nicht vor. Insbesondere hat Dr. B. in seinem Gutachten ausgeführt, das Suprasspinatussehnensyndrom beider Schultergelenke, die initiale Arthrose beider Hüftgelenke und die Spreizfußdeformität beidseits bedingten keine wesentliche Funktionsbehinderung. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

In Bezug auf das psychiatrische Fachgebiet lässt es der Senat dahinstehen, ob entsprechend der Einschätzung von Dr. M. in ihrem Gutachten vom 13. Oktober 2003 überhaupt eine krankhafte psychische Störung vorliegt. Denn nach Überzeugung des Senats ist hier jedenfalls keine wesentliche Veränderung eingetreten, die einen höheren GdB als 50 bedingt. Nach den AP beträgt der GdB für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen 0 bis 20, für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) 30 bis 40, für schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50 bis 70 und für schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100 (AP 26.3 Seite 48). Aus den sachverständigen Zeugenauskünften von Dr. B. ergeben sich für den Senat keine genügenden Anhaltspunkte für eine schwere Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Der Kläger hat sich zwischen Frühjahr und Oktober 2005 nicht mehr bei Dr. B. in Behandlung befunden. Nach Ansicht des Senats führt der Leidensdruck eines unter schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten leidenden psychisch Kranken zu einem häufigeren und insbesondere regelmäßigen Aufsuchen eines Facharztes auf psychiatrischem Fachgebiet. Des Weiteren gibt der Senat zu bedenken, dass der Kläger seit vielen Jahren in der Lage ist, seinen - wenn auch bescheidenen - Haushalt selbstständig zu führen. Im Übrigen lebt der Kläger nach eigenen Angaben seit Mai 2006 wieder in seinem Heimatland, sodass infolge des Wegfalls der familiären Trennung von einer psychischen Stabilisierung ausgegangen werden kann.

Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze ergibt sich aus dem Teil-GdB von 20 für die Funktionsbehinderung im linken Handgelenk und einem Teil-GdB von allenfalls 50 für die psychiatrische Erkrankung ein Gesamt-GdB von allenfalls 60. Daher hat das SG mit seinem Urteil vom 8. Juli 2005 die über einen GdB von 60 hinausgehende Klage zu Recht abgewiesen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved