S 4 R 165/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 165/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 1/06 R
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger ab dem 01.07.2005 von dem zusätzlichen Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung mehr als 0,4 vom Hundert zu tragen hat.

Der am 00.00.00 geborene Kläger bezieht Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und ist Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der Rentner bei der Beigeladenen. Gegen die Rentenanpassungsmitteilung zum 00.00.00 (ohne Datum) erhob er Widerspruch. Durch den zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 0,9 %, der unter anderem der alleinigen Finanzierung des Krankengeldes diene, würden ihm Beiträge zugemutet, obwohl er zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf eine entsprechende Leistung, das heißt eine Krankengeldzahlung habe. Daher sei diese Beitragsforderung ab Juli 2005 rechtswidrig. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der zusätzliche Beitrag diene nicht der alleinigen Finanzierung des Krankengeldes. Er werde viel mehr – unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen und unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Krankengeld bestehe oder nicht – als Solidarbeitrag aller Mitglieder an den gestiegenen Gesamtkosten der gesetzlichen Krankenkassen erhoben.

Hiergegen richtet sich die am 22.11.2005 erhobene Klage. Der Kläger behauptet, aus den Gesetzesbegründungen des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ergebe sich, dass sich der zusätzliche Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung von 0,9 % anteilig zu 0,4 % entsprechend der Aufwendungen der Krankenkassen für den Zahnersatz sowie zu 0,5 % zur Finanzierung des Krankengeldes berechne. Die Klage betreffe daher lediglich den auf die Finanzierung des Krankengeldes entfallenden Anteil von 0,5 % des zum 01.07.2005 erhobenen zusätzlichen Beitragssatzes. Hierdurch werde der Gleichheitsgrundsatz verletzt. Der Kläger werde wie die anderen Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber den in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund benachteiligt. Mit seinen während des Erwerbslebens erfolgten Beitragszahlungen hätte er einen hinreichend großen Beitrag zur Solidargemeinschaft geleistet.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Abänderung der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2005 zu verurteilen, die Minderung des Rentenzahlbetrages ab dem 01.07.2005 insoweit zurückzunehmen, als hierbei eine Kürzung um mehr als 0,4 Prozentpunkte erfolgt ist,

hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, ein Bezug zu den Aufwendungen für das Krankengeld finde sich nur in der allgemeinen Gesetzesbegründung zum GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003. Bereits in der Einzelbegründung zu § 241 a Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sei im GMG ausdrücklich ausgeführt, dass es sich bei dem beabsichtigten Zusatzbeitrag von 0,5 % nicht um einen Beitrag zur Finanzierung des Krankengeldes handele, sondern um einen Beitrag "unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen". Diese Vorschrift sei durch das Gesetz zur Anpassung zur Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004 geändert worden. Auch in der Gesetzesbegründung dieses Gesetzes komme eindeutig zum Ausdruck, dass die Einnahmen aus dem zusätzlichen Beitrag von jetzt 0,9 % den Einnahmen der Krankenkassen unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen zuflössen". Es handele sich somit lediglich um eine Änderung der Beitragstragung. Das Verfassungsrecht gebiete es nicht, die unterschiedlichen Risiken der Versicherten in deren Beitragsbelastungen abzubilden. Der Gesetzgeber sei befugt, die unterschiedlichen Risiken auszugleichen. Vergleiche man die Umverteilungen, die zugunsten der Rentner wirkten, mit der Belastung durch den zusätzlichen Beitragssatz, so seien die Rentner durch den in der Krankenversicherung stattfindenden sozialen Ausgleich insgesamt nach wie vor begünstigt.

Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig. Der Kläger war gemäß § 249 a 2. Halbsatz SGB V verpflichtet, den zusätzlichen Beitrag allein zu tragen.

Der zusätzliche Beitrag liegt gemäß § 241 a SGB V in Höhe von 0,9 vom Hundert. § 241 a SGB V ist durch Artikel 1 Nr. 145 des GMG vom 14.11.2003 eingefügt worden und sah zunächst einen zusätzlichen Beitragssatz in Höhe von 0,5 von Hundert vor. Gleichzeitig war in Artikel 1 Nr. 36 dieses Gesetzes die Einführung einer besonderen Zahnersatzversicherung vorgesehen. Durch Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004 hat Artikel 1 Nr. 145 GMG und damit auch § 241 a SGB V mit Wirkung zum 01.07.2005 eine neue Fassung erhalten. Danach wird ein zusätzlicher Beitragssatz in Höhe von 0,9 vom Hundert erhoben. Nach der Gesetzesbegründung zu diesem Gesetz hatte sich bei der Vorbereitung der Umsetzung des GMG gezeigt, dass die Erhebung eines festen Beitrages in einer eigenen Zahnersatzversicherung mit Wahlmöglichkeiten zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen würde. Durch das neue Gesetz wurde nun die gesonderte Finanzierung des Zahnersatzes rückgängig gemacht. Die Versorgung mit Zahnersatz bleibt Teil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Die gesonderte Finanzierung des Zahnersatzes wurde ebenso wie die Wahlmöglichkeit zur privaten Krankenversicherung aufgehoben. § 241 a SGB V sieht damit – entgegen den Ausführungen von Klägerseite – keine rechtliche Beziehung zwischen dem zusätzlichen Beitragssatz und der Finanzierung bestimmter Leistungen, insbesondere des Krankengeldes, vor. Viel mehr ist in der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Anpassung zur Finanzierung von Zahnersatz (Drucksache 15/3681 S. 4) ausdrücklich geregelt, dass der von 0,5 auf 0,9 vom Hundert angehobene zusätzliche Beitragssatz den Einnahmen der Krankenkassen auch in dieser Höhe unabhängig von der Finanzierung einzelner Leistungen zufließt. Die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sollen sich in höherem Umfang an den gestiegenen Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung beteiligen. Lediglich die Arbeitgeber werden entlastet, da aufgrund des höheren zusätzlichen Beitragssatzes der allgemeine Beitragssatz sinken wird.

Eine Verfassungswidrigkeit des § 241 a SGB V ist nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG) liegt nicht vor. Danach ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über die Beitragsbemessung und – erhebung sind vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes am Versicherungsprinzip sowie am Solidaritätsprinzip zu messen (vergleiche BVerfGE 92,53,70 ff.). Es ist grundsätzlich die Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale er beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dass individuelle Verschiedenheiten bei der Beitragsgestaltung prinzipiell unberücksichtigt bleiben und dem gemäß der zusätzliche Beitragssatz von allen Mitgliedern zu leisten ist. Auch der Umfang der Leistungen steht, wie bereits oben ausgeführt – in keinem Zusammenhang mit der Höhe der gezahlten Beiträge. Individuelle Verschiedenheiten des leistungsrechtlichen Risikos bleiben bei der Beitragsgestaltung prinzipiell unberücksichtigt. Demgemäß steht umgekehrt aber auch der Umfang der Leistungen in keinem Zusammenhang mit der Höhe der gezahlten Beiträge.

Entgegen des Vortrages von Klägerseite kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger bereits in seinem Erwerbsleben in der Vergangenheit durch seine Beitragsleistung seiner Solidaritätsverpflichtung nachgekommen ist. Entscheidend ist, dass nach dem der Krankenversicherung zugrunde liegendem Umlageverfahren die derzeitigen Ausgaben durch die derzeitigen Einnahmen gedeckt werden.

Auch ein verfassungswidriger Eingriff in den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz, Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, liegt nicht vor. Die Erhebung des zusätzlichen Beitragssatzes durch §§ 241 a, 249 a 2. Halbsatz SGB V ist durch die Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gerechtfertigt. Der zusätzliche Beitragssatz bezweckt die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Krankenversicherung angesichts steigender Leistungsausgaben. Dies ist ein Gemeinwohlbelang von erheblichem Gewicht, der die Erhebung eines zusätzlichen Beitrages rechtfertigt (vergleiche SG Aachen, Urteil vom 21.12.2005, Aktenzeichen S 11 R 101/05, Gerichtsbescheid vom 11.01.2006, S 4 R 163/05)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG. Die Sprungrevision wurde gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob § 241 a SGB V verfassungsgemäß ist, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt und von allgemeiner Bedeutung. Eine nicht unbeträchtliche Personenzahl ist von der Erhebung des zusätzlichen Beitragssatzes betroffen. Er hat auch wirtschaftliche Auswirkungen, die die Interessen der Allgemeinheit eng berühren, nämlich die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Rechtskraft
Aus
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