L 14 B 68/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 11129/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 68/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2006 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an den Antragsteller für den Monat Dezember 2006 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 324 Euro und für Januar 2007 in Höhe von 360 Euro zu erbringen. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht und der Beschwerde gewährt und Rechtsanwalt K K beigeordnet, Raten aus dem Einkommen oder Vermögen sind nicht zu zahlen. Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Der 1963 geborene Antragsteller bezog zum 1. Juni 2006 zusammen mit S K eine in der L Straße gelegene 71 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung zu einer monatlichen Miete von 372,03 Euro. Die Wohnung ist mit einer Gasetagenheizung ausgestattet, als monatliche Abschlagszahlung für die Gaslieferungen verlangte das Versorgungsunternehmen (GASAG) 104 Euro.

Am 6. Juli 2006 beantragte der Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Er legte den gemeinsam mit S K geschlossenen Mietvertrag und die Abschlagsanforderung der GASAG vor und gab an, Untermieter zu sein. Die monatliche Untermiete betrage 186,02 Euro. Durch Bescheid vom 11. August 2006 bewilligte der Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 6. bis 31. Juli 2006 in Höhe von 496,35 Euro und für die Zeit von August 2006 bis Januar 2007 in Höhe von monatlich 572,71 Euro. Als Kosten der Unterkunft waren monatlich 186,01 Euro für Grundmiete und 41,70 Euro für Heizung berücksichtigt.

Am 26. Oktober 2006 beantragte der Antragsteller die Übernahme der vollständigen Unterkunftskosten in Höhe von 372,03 Euro monatlich. S K sei im Juli 2006 nach Ö verzogen und zahle verabredungswidrig seinen Mietanteil nicht weiter. Der Antragsteller legte eine Mahnung des Vermieters über einen Rückstand von 372,03 Euro vor. Den Antrag auf Übernahme der vollen Miete wiederholte der Antragsteller durch Schreiben vom 7. November 2006 und wies darauf hin, dass S K nicht mehr zu erreichen sei und er den Auszug beim Bezirksamt Mitte gemeldet habe.

Mit dem am 4. Dezember 2006 beim Sozialgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung der vollständigen Miete (einschließlich Heizkosten). Der Antragsgegner habe dieses Begehren mündlich abgelehnt.

Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 20. Dezember 2006 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowie die von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Anordnungsanspruch bestehe. Die tatsächlichen Unterkunftskosten beliefen sich auf den halben Mietzins, da der Antragsteller einen Freistellungsanspruch gegen S K habe. Dieser sei bisher nicht aus dem Mietverhältnis entlassen. Die Übernahme des vollen Mietzinses bedeute faktisch eine Schuldenübernahme. Da die Gesamtmiete die für eine Person geltende Grenze der Angemessenheit übersteige, bestehe auch kein schützenswertes Erhaltungsinteresse an der Wohnung.

Gegen den ihm am 28. Dezember 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die (bereits) am 21. Dezember 2006 eingegangene Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Der Antragsteller trägt vor, dass sich aus dem Gesetz zunächst ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung ergebe. Seinem Vermieter gegenüber hafte er als Gesamtschuldner für die volle Miete. Der Freistellungsanspruch gegen den Mitmieter mindere die tatsächlichen Kosten nicht. Auch wenn die Kosten nicht angemessen seien, bestehe der Anspruch in voller Höhe für eine Übergangszeit. S K, der nur mit seiner Zustimmung aus dem Mietvertrag entlassen werden könne, sei nicht erreichbar. Nach fristloser Kündigung der Wohnung wegen Zahlungsverzugs durch den Vermieter drohe ihm – dem Antragsteller - ein negativer Schufa-Eintrag.

Der Antragsteller beantragt (nach dem Sinn seines Vorbringens), den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für die Zeit ab Eingang des mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2006 gestellten Antrags bei dem Sozialgericht die Kosten der Unterkunft und Heizung vollständig ohne Anrechnung des Anteile des (ehemaligen) Mitbewohners zu erbringen, sowie ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren vor dem Sozialgericht und der Beschwerde zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für die Monate Dezember 2006 und Januar 2007 höhere Kosten der Unterkunft und Heizung zu erbringen.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der erforderliche Anordnungsanspruch ergibt sich hier aus § 22 SGB II. Nach dieser Vorschrift werden Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Die tatsächlichen Aufwendungen des Antragstellers für die von ihm bewohnte Wohnung belaufen sich auf 372,03 Euro monatlicher Miete und 104,- Euro monatlicher Vorauszahlung für Gas. Die Höhe der Miete ergibt sich aus dem Mietvertrag, aus dem der Antragsteller entsprechend § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches als Gesamtschuldner haftet. Gegenüber der GASAG haftet er ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Begrüßungsschreibens des Unternehmens sogar als alleiniger Schuldner. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts mindern sich die tatsächlichen Aufwendungen des Antragstellers nicht durch einen Ausgleichungsanspruch gegen den (ehemaligen) Mitmieter S K. Denn dieser Anspruch ist wirtschaftlich wertlos. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er S K zur Zeit nicht erreichen kann. Dann hat er auch nicht die Möglichkeit, den Ausgleichungsanspruch im Innenverhältnis des Gesamtschuldverhältnisses durchzusetzen.

Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind jedoch nicht in voller Höhe zu erbringen, weil sie das Maß des Angemessenen übersteigen. "Angemessenheit” ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der richterlichen Nachprüfung unterliegt. Entsprechend vermögen die von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Berlin erlassenen Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) den Senat nicht zu binden. Sie geben aber Hinweise darauf, was in der Praxis für angemessen gehalten wird (Beschluss des erkennenden Senats vom 31. Juli 2006 - L 14 B 168/06 AS ER). Nach Nr. 4 Abs. 2 der AV-Wohnen ist für den Antragsteller mit einem 1-Personen-Haushalt angemessen lediglich eine Warmmiete von 360 Euro monatlich. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Bewertung jedenfalls im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz insoweit anzuschließen, als auch er die von dem Antragssteller gegenwärtig genutzte Wohnung für unangemessen groß (71 qm) und teuer (476 Euro einschließlich Heizkostenzuschlag) hält.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind die Aufwendungen bereits für die Monate Dezember 2006 und Januar 2007 nicht mehr in voller Höhe zu erbringen. Die genannte Vorschrift bestimmt, dass Aufwendungen, welche den angemessenen Umfang übersteigen, so lange zu berücksichtigen sind, wie es nicht möglich oder zumutbar ist, sie zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Aus der Formulierung "in der Regel" ergibt sich, dass die sechs Monate keine feste Grenze sind, sondern die Übergangsfrist im Einzelfall länger, aber auch kürzer sein kann. Vorliegend spricht alles für eine verkürzte Übergangsfrist. Der Antragsteller musste bereits kurz nach Bezug der Wohnung erkennen, dass er die Wohnung infolge des Auszugs von S K künftig allein zu finanzieren hatte. Irgendwelche Umstände, diese Wohnung beizubehalten, etwa eine Bindung an das Wohnumfeld, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen, zumal zu diesem Zeitpunkt die Mietdauer noch sehr kurz war. Der Antragsteller war zudem alleinstehend und ohne Beschäftigung, was die Durchführung eines Umzuges erleichtert hätte. Deswegen war ihm zuzumuten, sich beim Vermieter um die Beendigung des Mietverhältnisses zu bemühen und anschließend eine andere Wohnung mit angemessener Miete zu beziehen oder auf andere Weise die Wohnungskosten zu vermindern (etwa durch Untervermietung). Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller bisher entsprechende Anstrengungen unternommen hat. Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, vom Antragsgegner noch nicht auf die Obliegenheit einer Senkung der Unterkunftskosten hingewiesen worden zu sein. Denn er hat es selbst versäumt, dem Antragsgegner die Änderung der Nutzungsverhältnisse in der Wohnung zeitnah mitzuteilen und ihm so die Möglichkeit genommen, noch im Juli oder August 2006 entsprechende Umzugsforderungen zu erheben. Jedenfalls ab Dezember 2006 bestand deswegen nur noch Anspruch auf Erstattung der angemessenen Aufwendungen. Deren Grenze sieht der Senat – zumindest in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Anlehnung an die AV-Wohnen – bei einem Betrag von mehr als 360,- Euro im Monat überschritten. Nur bis zu dieser Grenze kann der Antragsteller also Erfolg hinsichtlich der Übernahme seiner tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung haben.

Leistungen sind – entsprechend dem gestellten Antrag – ab dem Tag des Eingangs des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht am 4. Dezember 2006 zu gewähren. Für die Zeit ab Februar 2007 ist der Antragsgegner nicht zu Leistungen verpflichtet worden, weil den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen ist, dass der Antragsteller bereits einen Fortzahlungsantrag gestellt hat und ob überhaupt weiter ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II besteht. Im Übrigen handelt es sich um einen neuen Bewilligungszeitraum.

Nach alledem war der Beschwerde teilweise stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG und berücksichtigt das Ergebnis in der Sache.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den – bedürftigen – Antragsteller unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten beruht auf § 73 a SGG iVm § 114 der Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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