L 3 SB 1243/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 4151/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1243/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. März 2006 wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) wegen wesentlicher Änderung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Bei dem am 3.8.1950 geborenen Kläger war zuletzt mit Bescheid vom 27.2.1996 ein GdB von 20 auf Grund der Behinderungen "Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Nacken-Schulter- und Thorakolumbalsyndrom" festgestellt worden. Ein in der Folgezeit gestellter Neufeststellungsantrag war mit Bescheid vom 21.2.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2002 unter Feststellung der Funktionsbeeinträchtigung "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule" abgelehnt worden.

Den streitgegenständlichen Neufeststellungsantrag des Klägers vom 3.1.2003 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.7.2003 ab. Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden nunmehr "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 20), Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 10)" festgestellt.

Dagegen hat der Kläger am 7.8.2003 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 16/28 und 31/40 der SG-Akte Bezug genommen) und hat sodann Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. B. vom 10.5.2004 mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 16.7.2004. Erhoben worden sind Halswirbelsäulenbeschwerden bei deutlichen degenerativen Veränderungen im Bereich der unteren Halswirbelsäule und kernspintomografisch nachgewiesener Spinalkanalstenose mit muskulärer Verspannung - Schweregrad mittel, Teil-GdB 20 -, degenerative Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit geringer Verschmälerung L 5/S 1 ohne Funktionseinschränkung und ohne momentane Schmerzangaben - Schweregrad geringfügig, Teil-GdB 10 -, Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und gelegentlich auch in der rechten Hüfte ohne Funktionseinschränkung bei radiologisch beginnender Coxarthrose beidseits - Schweregrad leicht, Teil-GdB 20 -, Schmerzen im Bereich beider Kniegelenke bei freier Beweglichkeit ohne Reizzustand und bei radiologisch unauffälligem Befund - Schweregrad leicht, Teil-GdB 10 -, ein Verdacht auf Epicondylitis radialis - Schweregrad geringfügig, Teil-GdB 0 -, ein Verdacht auf Achillodynie rechts - Schweregrad geringfügig, Teil-GdB 0 -, sowie Schultergelenksbeschwerden beidseits bei freier Funktion und geringen AC-Gelenksbeschwerden - Schweregrad geringfügig, Teil-GdB 10 -. Der Gesamt-GdB ist mit 30 bewertet worden.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ferner das orthopädische Sachverständigengutachten des den Kläger behandelnden Orthopäden Koch vom 13.6.2005 eingeholt worden. Diagnostiziert worden ist ein Hohlrundrücken, ein rezidivierendes Cerviko-Cephalgie-Syndrom, ein chronisch rezidivierendes degeneratives Cervicobrachialgiesyndrom, eine cerviko-lumbale Tendomyopathie bei paravertebralem Muskelhartspann mit Störung der vertebralen Muskelfunktionskette und Störung der cervicobrachialen Muskelfunktionskette beidseits, eine Dysbalance der Rumpfmuskulatur, ein chronisch rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom bei Flachrücken und Fehlhaltung der Halswirbelsäule, ein chronisch rezidivierendes Pseudoradikulärsyndrom im Lumbalbereich und Facettensyndrom bei Spondylarthrose L 3 bis S 1, eine rezidivierende Lumboischialgie beidseits bei Bandscheibenvorfall L 4-S 1 und Spinalkanalstenose L 3/L 4, eine Periarthritis humeroscapularis beidseits mit Impingementsyndrom beidseits bei Akromio-Clavicular-Arthrose beidseits sowie eine Retropatellararthrose mit Gonarthrose beidseits. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit zwei betroffenen Wirbelsäulenabschnitten betrage der Teil-GdB 40, für das Schulter-Arm-Syndrom betrage der Teil-GdB 20, für die Hüftarthrose beidseits 10 und für die Kniegelenke beidseits 20. Der Gesamt-GdB betrage für das orthopädische Fachgebiet 50.

Auf Grund eines vom Kläger vorgelegten Entlassungsberichts (Blatt 123 ff. der SG-Akte) hat die Beklagte ein Vergleichsangebot mit einem GdB von 30 ab März 2005 aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung beider Hüft- und Kniegelenke (Teil-GdB 10), Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 10)" unterbreitet, welches der Kläger nicht angenommen hat.

Das SG hat den Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 23.1.2006 ohne Kostentragungsverpflichtung verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 30 seit dem 1.3.2005 festzustellen, und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und maßgeblichen Rechtsvorschriften sowie unter Hinweis auf § 48 SGB X entschieden, dass beim Kläger hinsichtlich der Wirbelsäule Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (der Hals- und Lendenwirbelsäule) vorlägen, die mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Die übrigen Befunde bedingten allenfalls Teil-GdB von 10 und wirkten sich nicht auf den Gesamt-GdB aus. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Der Beklagte hat das Urteil mit Bescheid vom 9.3.2006 ausgeführt.

Gegen das ihm am 14.2.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.3.2006 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft unter Hinweis auf die orthopädischen Befunde weiterverfolgt.

Der Senat hat das in einem Rentenverfahren eingeholte chirurgisch-sozialmedizinische Gutachten von Dr. N. vom 5.1.2006 beigezogen. Beschrieben werden darin fortgeschrittene und die Altersnorm übersteigende Verschleißveränderungen der Halswirbelsäule, eine Foramenstenose und Spinalkanalstenose sowie ein chronisches Cephalo-Cervico-Brachialsyndrom ohne gesichertes derzeitiges neurologisches Defizit und mit abzuleitender mittelgradiger Bewegungs- und Belastungsminderung der Halswirbelsäule, die Altersnorm übersteigende Verschleißveränderungen der Lendenwirbelsäule mit Facettengelenkshypertrophien und Neuroforamina-Einengungen ohne Bandscheibenvorfall, ohne aktuelle belangvolle Wurzelreizsymptomatik oder sensomotorisches Defizit, eine Akromio-Clavicula-Arthrose beidseits mit endgradiger Kapselweichteilereizung/Periarthritis humeroscapularis beidseits, beginnende Verschleißveränderungen der Hüft- und Kniegelenke beidseits ohne derzeitige Bewegungseinschränkung bzw. gesicherte Reizzeichen oder erkennbare Funktionsminderung und ohne Einschränkung der sozialrechtlich geforderten Gehstrecke sowie ein arterieller Hypertonus, medikamentös behandelt und ohne Folgeerkrankungen. Dem Kläger ist auf der Basis dieses Gutachtens Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit von April 2005 bis März 2008 bewilligt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2006 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung bzw. Abänderung des Bescheides vom 13. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2003 sowie des Bescheides vom 9. März 2006 zu verurteilen, einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

Die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 9. März 2006 abzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf (wegen der Einzelheiten vgl. Blatt 45 der LSG-Akte) im Ergebnis für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Beim Kläger ist keine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse eingetreten, die einen höheren GdB als 30 bedingen würde. Der Ausführungsbescheid des Beklagten vom 9.3.2006, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist und über den der Senat auf Klage entscheidet, erweist sich damit als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Klage gegen den Bescheid vom 9.3.2006 war abzuweisen.

Die im vom SG von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachten bescheinigten mittelgradigen Einschränkungen der Halswirbelsäule und die weniger ausgeprägten und damit lediglich geringgradigen Einschränkungen der Lendenwirbelsäule werden in dem im Rentenverfahren eingeholten chirurgischen Gutachten von Dr. N. bestätigt. Daher ist - insoweit abweichend von der Einschätzung des SG - lediglich von mittelgradigen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt auszugehen. Nach Ziff. 26.18 (S. 116) der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) ist daher hierfür isoliert nur ein Teil-GdB 20 anzusetzen.

Die im Gutachten von Dr. N. ebenfalls bestätigten - leichtgradigen - Schulter-Arm-Befunde sind dann insoweit bereits mitberücksichtigt, als mit dem versorgungsärztlichen Dienst der Beklagten für diesen Komplex insgesamt ein GdB von 30 angenommen worden ist. Für sich betrachtet bedingen die Schulter-Arm-Befunde allerdings keinen höheren Teil-GdB als 10 (so zutreffend das Sachverständigengutachten Dr. B. bei darin berücksichtigter fehlender Bewegungseinschränkung).

Für die gleichfalls bestätigten leichtgradigen Befunde im Bereich von Knie- und Hüftgelenken ist nach Ziff. 26.18 (S. 124/126) der AHP jeweils kein höherer Teil-GdB als 10 anzusetzen. Wesentliche Funktionseinschränkungen wurden nämlich weder im Sachverständigengutachten von Dr. B. noch im Gutachten von Dr. N. beschrieben.

Aus den der dargestellten Gründen vermochte auch der Senat im Ergebnis den Feststellungen im Sachverständigengutachten des den Kläger behandelnden Orthopäden Koch nicht zu folgen. Insbesondere kann vorliegend nicht von schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten gesprochen werden. Bei der Tagung der Sektion Versorgungsmedizin am 22.4.1991 (Prot. vom 17.9.1991) erfolgte nämlich eine Klarstellung zu Ziff. 26.18 (Seite 116) der AHP in dem Sinne, dass selbst mittelgradige Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten lediglich mit einem GdB von 30 und nur schwere Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 40 zu bewerten seien. Wesentliche Funktionseinschränkungen im Bereich der Knie- und Schulterngelenke liegen - wie bereits ausgeführt - nicht vor.

Anhaltspunkte dafür, dass die übrigen Befunde zu Ungunsten des Klägers unrichtig bewertet wären, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Dies gilt zum einen für die vermutlich von der Halswirbelsäule ausgehenden Kopfschmerzen, hinsichtlich derer bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen hat, dass nach Ziff. 18 Abs. 8 (Seite 23/24) der AHP die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen, die üblicherweise vorhandenen Schmerzen und auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände berücksichtigen. Dies gilt aber auch für die im Gutachten von Dr. N. aufgeführte Hypertonie, die hier als eine solche leichter Form nach Ziff. 26.9 (Seite 75) der AHP höchstens mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten ist.

Ein anderes Ergebnis ist auch nicht aus dem Umstand abzuleiten, dass dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewährt worden ist. Denn die Frage der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung beurteilt sich grundsätzlich nach anderen Voraussetzungen als diejenige der GdB-Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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