L 22 B 1673/06 R PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 R 363/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 B 1673/06 R PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 14. September 2006 geändert. Der Klägerin wird für die am 05. Juli 2006 erhobene Untätigkeitsklage Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B, Fstraße , P, beigeordnet.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache die Höhe des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.

Die Beklagte gewährte der Klägerin zunächst mit Bescheid vom 26. Januar 2006 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung seit 01. Oktober 2005. Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 06. Februar 2006 Widerspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Eine Begründung werde anschließend erfolgen. Unter dem 13. Februar 2006 erteilte die Beklagte einen weiteren Rentenbescheid nunmehr wegen voller Erwerbsminderung mit einem Rentenbeginn am 01. April 2006. Auch gegen diesen Bescheid wurde am 14. März 2006 Widerspruch eingelegt. Rente sei ab 01. Oktober 2005 zu gewähren. Zudem sei in der Rente ein Rentenabschlag enthalten, die Rente aus den Entgeltpunkten sei zu 100 % auszuzahlen.

Die Beklagte trat in Ermittlungen zu geringfügigen Arbeitsentgelten (vom 28. März 2006 - Bl. 69 des Widerspruchsvorgangs) und prüfte zudem die Abrechnung des Nachzahlungsanspruchs. Unter dem 03. Juli 2005 führte sie eine "Abhilfeprüfung" zum Widerspruch vom 06. Februar 2006 mit dem Ergebnis durch, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werden könne. Unter dem 04. Juli 2006 verfügte der zuständige Referent ein aufklärendes Schreiben an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, welches anschließend am 11. Juli 2007 gefertigt wurde.

Am 05. Juli 2006 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Neuruppin erhoben und beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Rentenbescheides vom 13. Februar 2006 zu verurteilen, den von der Klägerin beantragten Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zu erteilen.

Zugleich beantragte sie,

der Klägerin ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren.

Zum Antrag auf Prozesskostenhilfe fügte sie die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei.

Die Klage sei als Untätigkeitsklage zulässig, da die Klägerin seit Einlegung des Widerspruchs nichts mehr von der Sache gehört habe. Innerhalb von drei Monaten sei weder an den Prozessbevollmächtigten noch an die Klägerin selbst irgendeine Meldung gegangen. Über den ordnungsgemäß erhobenen Widerspruch sei ohne zureichenden Grund in der für die Bearbeitung angemessenen Frist nicht entschieden worden; seit Einreichung des Widerspruchs seien fast vier Monate vergangen.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen (Schriftsatz vom 22. August 2006), dass eine sinnvolle Nachprüfung angefochtener Bescheide nur erfolgen könne, wenn bekannt sei, welche Einwendungen erhoben würden und hierzu eine konkrete Begründung erfolge. Sie habe zur Prüfung des Widerspruchs die Entgelte aus der Zeit vom 14. bis 15. Mai 1999 und vom 03. bis 05. Juli 1999 prüfen müssen, die Ermittlungen dauerten an, weshalb über den Widerspruch zurzeit nicht entschieden werden könne. Trotz Akteneinsicht sei eine medizinische Begründung des Begehrens nicht erfolgt. Bei einem Leistungsvermögen von drei bis sechs Stunden täglich beginne gemäß § 101 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die Rente bei dem angenommenen Leistungsfall am 30. September 2005 zwingend am 01. April 2006. Zu den maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen, die die Rentenhöhe bestimmten, sei ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) am 16. Mai 2006 ergangen, welches sich mit der Minderung des Zugangsfaktors bei der Inanspruchnahme von Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrente mit einem Rentenbeginn vor Vollendung des 60. Lebensjahres auseinandersetze. Die Urteilsbegründung liege den Rentenversicherungsträgern noch nicht vor. Auch insoweit könne über den Widerspruch zurzeit nicht entschieden werden.

Mit Beschluss vom 14. September 2006 hat das Sozialgericht entschieden:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts B wird abgelehnt.

Gemäß § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), der gemäß § 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechend gelte, habe eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen könne, Anspruch auf Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheine. Die vorliegende Klage habe keine hinreichende Erfolgsaussicht. Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 SGG sei die Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von sechs Monaten (im Widerspruchsverfahren drei Monaten) zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor, eine Untätigkeit im oben genannten Sinne sei der Beklagten nicht vorzuwerfen. Hinsichtlich des Rentenbeginns sei dieser bei dem festgestellten Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten von drei bis sechs Stunden gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI zwingend vorgeschrieben. Neue medizinische Sachverhalte seien nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Frage der Minderung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten habe die Beklagte in Ansehung der noch ausstehenden Urteilsgründe in dem von ihr genannten Revisionsverfahren (BSG - B 4 RA 22/05 R) bislang keine inhaltlichen Ausführungen machen können, so dass auch diesbezüglich eine Untätigkeit wegen des Vorliegens eines sachlichen Grundes nicht zu erkennen sei. Die Berücksichtigung eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses von 1996 bei 1998 bei der Rentenberechnung könne kraft Gesetzes nicht erfolgen, denn insoweit habe Versicherungsfreiheit bestanden.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 05. Oktober 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Die überlange Verfahrensdauer liege schon deshalb ohne zureichenden Grund vor, weil die Beklagte weder der Klägerin noch ihrem Prozessbevollmächtigten einen Grund genannt habe. Das hätte sie jedoch tun müssen. Auch im Hinblick auf das Urteil B 4 RA 22/05 R des BSG, das noch ausstehe, werde keine Entschuldigung zu sehen sein. Die Beklagte hätte sich auf dieses Verfahren beim BSG berufen müssen, um der Klägerin Gelegenheit zu geben auszuführen, dass dieses eventuell im vorliegenden Falle wegen seiner Besonderheiten nicht vergleichbar und nicht anwendbar sein werde.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 SGG zulässig, sie ist auch begründet. Die Untätigkeitsklage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen.

Hinreichende Erfolgsaussicht einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG liegt bezogen auf die Entscheidung über einen Widerspruch vor, wenn hierüber ohne zureichenden Grund in der als angemessen anzusehenden Frist von drei Monaten nicht entschieden worden ist. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist insoweit also nicht im Hinblick auf das letztlich mit dem Widerspruch beziehungsweise der Klage verfolgte Ziel zu beurteilen, sondern allein danach, ob über den Widerspruch in angemessener Zeit nicht entschieden worden ist. Der Senat vermag vorliegend einen zureichenden Grund für die Verzögerung der Entscheidung über den Widerspruch jedenfalls in Bezug auf den im Wesentlichen geltend gemachten Rentenbeginn sowie die Hinzuverdienstgrenzen nicht zu erkennen. Dies rechtfertigt es jedenfalls insoweit eine Untätigkeitsklage zu erheben.

Hinsichtlich des Rentenbeginns ist selbst nach Auffassung der Beklagten kein Grund ersichtlich, dass nicht entschieden werden konnte: Der Widerspruch wäre aus ihrer Sicht (und im Hinblick auf § 101 Abs. 1 SGB VI wohl zu Recht) in jedem Falle zurückzuweisen gewesen.

Die Auswertung einer Entscheidung des BSG durch die Beklagte ist grundsätzlich kein zureichender Grund für die Verzögerung einer Widerspruchsentscheidung. Die Beklagte hat sich als Versicherungsträger eine Meinung zu den maßgeblichen Vorschriften zu bilden. Eine Aussetzung von Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren für die Dauer des Meinungsbildungsprozesses ist in den insoweit maßgeblichen Vorschriften zum Verwaltungsverfahren (Sozialgesetzbuch Zehntes Buch SGB X ) nicht vorgesehen. Deshalb kann insoweit eine Verzögerung nur im Einvernehmen mit den Beteiligten hingenommen werden.

Hinsichtlich der Berücksichtigung von (geringfügigen) Entgelten weist die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. August 2006 darauf hin, dass kraft Gesetzes Versicherungsfreiheit bestanden habe, weshalb dem Widerspruch nicht abgeholfen werden könne. Allerdings dauerten die Ermittlungen zu den tatsächlich bezogenen Entgelten an, weshalb über den Widerspruch zurzeit nicht entschieden werden könne. Auch insoweit bestehen zumindest erhebliche Zweifel, dass über den Widerspruch nicht entschieden werden konnte, denn die Beklagte teilte zunächst mit, dass Versicherungsfreiheit vorgelegen haben dürfte, sie aber dennoch zur Entgelthöhe ermittle. Aus diesem Vortrag wird jedenfalls nicht ersichtlich, von welchem Entgeltzeitraum sie ausgeht, insbesondere ob es sich um ein Tagesentgelt, Monatsentgelt oder Jahresentgelt handeln soll, nach denen sich eine mögliche Geringfügigkeit beurteilen soll.

Insgesamt ist lediglich ansatzweise ein zureichender Grund für die Verzögerung des Widerspruchsverfahrens hinsichtlich der Ermittlung des maßgeblichen Entgelts für das Jahr 1999 zu erkennen. Dies hatte die Klägerin allerdings im Widerspruchsverfahren so nicht geltend gemacht. Sie hatte lediglich entsprechende Unterlagen vorgelegt und erst anschließend – mit anderer Begründung – Einwendungen gegen den Rentenbescheid vorgebracht.

Ob die Klägerin letztlich mit ihrem Anliegen auf früheren Rentenbeginn oder eine höhere Rente erfolgreich sein wird, ist für die hinreichende Erfolgsaussicht der Untätigkeitsklage nicht entscheidend. Es liegt dabei im Ermessen der Klägerin, die Erledigung der Hauptsache nach Erteilung des Widerspruchsbescheides zu erklären, wobei insoweit ein voller Erfolg der Untätigkeitsklage zu sehen wäre. Die Klägerin kann auch im Wege der Klageänderung ihre Einwendungen gegen die erteilten Bescheide weiterverfolgen (hierzu: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage, § 88 Rdnrn. 11 ff) und erst in diesem Falle käme es für eine insoweit zu prüfende Prozesskostenhilfe auf die Erfolgsaussicht nach materiellem Recht an.

Wenn es auch seitens der Klägerin möglich gewesen wäre, vor Klageerhebung bei der Beklagten nachzufragen, weshalb bisher nicht entschieden worden ist beziehungsweise wann mit einer Entscheidung gerechnet werden kann, erscheint die ohne derartige Nachfrage erhobene Klage jedenfalls nicht im Sinne von § 114 ZPO mutwillig. Dies wäre dann gegeben, wenn ein Beteiligter, der für die Kosten selbst aufkommen müsse, den Prozess nicht oder nicht in diesem Umfang führen würde (Meyer-Ladewig u.a. aaO. § 73 a Rdnr. 8). Die Möglichkeit von Untätigkeitsklagen ohne vorherige Anfrage bei der Beklagten wird insoweit regelmäßig auch von Personen in Anspruch genommen, die keine Prozesskostenhilfe hierfür beantragen. Die fehlende Rückfrage wird aber bei der Kostenentscheidung gegenüber der Beklagten zu beachten sein.

Im Übrigen steht außer Streit, dass die Beklagte seit Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 13. Februar 2006 und Begründung des Widerspruchs mit Schriftsatz vom 14. März 2006 nicht innerhalb von drei Monaten entschieden hat. Die Dreimonatsfrist war am 14. Juni 2006 abgelaufen, die Klage ist am 05. Juli 2006 erhoben worden.

Auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind erfüllt. Die Klägerin verfügt über ein Renteneinkommen von 544,17 EUR. Hiervon ist der Unterhaltsfreibetrag in Höhe von 380,00 EUR abzusetzen und (die Klägerin ist verheiratet) die Hälfte der Kosten für Unterkunft und Heizung (459,39 EUR), was einen für ihren Lebensunterhalt erforderlichen Betrag von 609,69 EUR ergäbe. Ihr tatsächlich vorhandenes Einkommen in Höhe von 544,17 EUR unterschreitet damit den erforderlichen Betrag zum Lebensunterhalt um 65,52 EUR. Für die Prozessführung einsetzbares Einkommen ist deshalb nicht vorhanden. Der Klägerin ist damit ratenfreie Prozesskostenhilfe für die Zeit ab 05. Juli 2006 unter Beiordnung von Rechtsanwalt A B zu bewilligen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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