L 1 Kr 647/89

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kr 647/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zur Übernahme anfallender Kosten für Saunabesuche des Klägers verpflichtet ist.

Der am geborene Kläger, der Mitglied der beklagten Ersatzkasse ist, leidet an einer interstitiellen Nephritis. Am legte er der Beklagten zum Zwecke der Kostenerstattung drei Quittungen über 23 Saunabesuche vor. Außerdem beantragte er die Übernahme künftig anfallender Kosten für drei Saunabesuche pro Woche. Hierzu bezog er sich auf eine ärztliche Bescheinigung des vom in der es heißt, "daß die Nierenschädigung bei dem Patienten metabolische Azidosen bewirkt, die er über vermehrte Anregung der Perspiratio sensibilis in der Sauna gut kompensieren kann, weshalb wir dem Patienten zu diesen Maßnahmen ca. dreimal wöchentlich raten.”

Durch Bescheid vom lehnte die Beklagte die beantragte Kostenerstattung und – Übernahme mit der Begründung ab, daß nach den Arzt-/Zahnarztverträgen und den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln in der Kassenärztlichen Versorgung eine Verordnung von Saunabesuchen zu Lasten der Kassen nicht möglich sei. Deshalb entfalle auch eine Kostenübernahme.

Den hiergegen am erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, daß bei ihm eine tubuläre Funktionsminderung der Nieren mit Steinbildungstendenz vorliege. In der Sauna werde bei ihm je Anwendung bis zu 4 Liter Flüssigkeit durch Schweißabsonderung ausgeschwemmt. Dies bedeute eine wirksame Entlastung der Nieren und des Kreislaufs. Das Wirkungsprinzip beruhe – ähnlich wie die Peritonealdialyse – auf Diffusionsvorgängen mittels einer natürlichen Membran (der Haut), bei der aktive Sekretionsprozesse durch die Schweißdrüsen eine zusätzliche günstige Rolle spielten. Damit sei die Wirkung der Saunaanwendungen als Heilmittel erwiesen.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom ).

Mit der hiergegen am erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, daß mit der fachärztlich empfohlenen Saunabehandlung nicht eine Besserung des Allgemeinbefindens erreicht, sondern eine Verschlimmerung des bei ihm bestehenden Nierenleidens verhindert werden solle. Dies sei Aufgabe der gesetzlich normierten Krankenhilfe. Es komme nicht darauf an, daß der Saunabesuch nicht im Heilmittelkatalog enthalten sei.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers Beweis erhoben über den Gesundheitszustand des Klägers und zu der Frage, ob Saunabäder als Heilmaßnahmen gezielt zur Bekämpfung der Krankheit des Klägers eingesetzt werden können und zu erwarten ist, daß damit eine ggf. drohende Verschlimmerung verhütet werden kann. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen fachinternistischen Gutachten vom ausgeführt, daß es gesicherte Behandlungsmethoden bei der interstitiellen Nephritis derzeit nicht gebe. Die dem Kläger empfohlenen Saunabäder seien geeignet, das Gesamtkrankheitsbild zu protrahieren, jedoch nicht ursächlich zu beeinflussen.

Durch Urteil vom die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Kosten des Klägers für zwei Saunabesuche pro Woche zu erstatten und weiterhin in diesem Umfang zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß der Kläger Anspruch auf Kostenerstattung und künftige Kostenübernahme für Saunabesuche habe, sofern hierfür entsprechende ärztliche Verordnungen vorlägen. Innerhalb des Leistungsrahmens der Krankenpflege gehörten gezielte Saunaanwendungen in die Kategorie der Heilmittel. Auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens sei das Gericht davon überzeugt, daß die gezielten Saunaanwendungen geeignet seien, die Krankheit des Klägers in dem Sinne günstig zu beeinflussen, daß eine Verschlimmerung vermieden werde. Der Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, daß sich im Falle des Klägers die Sauna als mögliche prophylaktische Maßnahme einerseits und zur Besserung der Gesamtsituation andererseits anbiete. Er habe ausdrücklich festgestellt, daß die Saunabäder geeignet seien, das Krankheitsbild zu protrahieren, also zu verzögern. Damit werde auch die allgemeine Abwehr des Klägers erhöht und es könne die Gabe von teuren Antibiotika dadurch entfallen. Die regelmäßigen Saunaanwendungen dienten der gezielten Therapie seiner Krankheit und seien geeignet, eine Verschlimmerung seiner Nierenerkrankung zu verhüten.

Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am zugestellte Urteil richtet sich ihre mit Schriftsatz vom – eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am – eingelegte Berufung, mit der sie Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage verfolgt. Die Beklagte tritt insbesondere der Auffassung des Sozialgerichts entgegen, Saunaanwendungen als Heilmittel zu qualifizieren. Dies seien Mittel der Gesundheitspflege, die das allgemeine Wohlbefinden steigerten. Aufwendungen hierfür seien dem Eigenverantwortungsbereich jedes einzelnen zuzurechnen. Der Sachverständige habe im übrigen dargelegt, daß Saunabäder nicht geeignet seien, das Gesamtkrankheitsbild ursächlich zu beeinflussen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich hierzu auf sein bisheriges Vorbringen.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Leistungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Ausschlußgründe sind nicht gegeben. Insbesondere handelt es sich bei den hier streitigen Ansprüchen nicht um einmalige Leistungen oder um Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (§ 144 Abs. 1 Nrn. 1, 2 SGG).

Die Berufung ist auch sachlich begründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte zur Kostenübernahme für Saunabesuche in der Vergangenheit und für künftige Saunabesuche zu verpflichten.

Als Krankenpflege (Krankenbehandlung) ist u.a. ärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln zu gewähren; sie muß ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen jedoch nicht überschreiten (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Abs. 2 Reichsversicherungsordnung – RVO – in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung – a.F. –, der gemäß § 507 Abs. 4 RVO a.F. auch für Ersatzkassen galt; §§ 12 Abs. 1, 27 Nrn. 1, 3 Sozialgesetzbuch (Fünftes Buch) – Gesetzliche Krankenversicherung –). Die Beteiligten streiten hier um die Zweckmäßigkeit einer Heilmittelversorgung (überwiegend von außen auf den Körper wirkende Mittel), d.h. darüber, ob die hier streitige Saunabehandlung geeignet ist, die Krankheit des Klägers zu heilen, zu bessern, zu lindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Ein Heilmittel ist dann als zweckmäßig im Sinne der §§ 182 Abs. 2 RVO a.F., 12 Abs. 1 SGB V anzusehen, wenn es nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung geeignet ist, auf die Krankheit in dem genannten Sinne einzuwirken (vgl. BSG, Urt. v. 9. Februar 1989 – 3 RK 19/87 –, NJW 1989, S. 2349 m.w.N.).

Nach diesen Voraussetzungen ist ein Anspruch des Klägers – entgegen der Auffassung des Sozialgerichts – vorliegend nicht gegeben. Dies folgt zur Überzeugung des erkennenden Senats aus dem Ergebnis der im erstinstanzlichen Verfahren auf Antrag des Klägers (§ 109 Abs. 1 SGG) durchgeführten Beweisaufnahme. Danach besteht bei dem Kläger u.a. eine interstitielle Nephritis mit Einschränkung der Nierenfunktion und beginnender Insuffizienz. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen fachinternistischen Gutachten vom darauf hingewiesen, daß es bei dieser Erkrankung derzeit keine gesicherten Behandlungsmethoden gebe. Es sei für ausreichende Trinkmengen zu sorgen; bei zunehmender Niereninsuffizienz sei außerdem eine Einschränkung der Proteinaufnahme erforderlich. Daneben stünden Allgemeinmaßnahmen, die sich auf die "Begünstigung der Ausscheidung von sauren Stoffwechselendprodukten beschränkten.” Bei der Beantwortung der Frage, ob Saunabesuche als Heilmaßnahmen gezielt zur Bekämpfung der Krankheit des Klägers eingesetzt und eine ggf. drohende Verschlimmerung verhütet werden kann, führt der Sachverständige aus, daß die Saunabäder nach seiner Auffassung nicht geeignet seien, das Gesamtkrankheitsbild "ursächlich zu beeinflussen”. Die therapeutische Wirkung soll danach allein darin bestehen, eine Protrahierung (Verzögerung) des Krankheitsbildes zu bewirken. Dies aber reicht entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht aus, um Saunabesuche der gesetzlich normierten Kategorie der Heilmittel zuzuordnen. Der Sachverständige hat insoweit keinen Zweifel daran gelassen, daß mit Saunabädern eine Heilung, Verhütung einer Verschlimmerung oder eine Linderung von Krankheitsbeschwerden, worauf es allein ankommt, nicht erreicht werden kann. Die mit dem Saunabesuch prognostizierte Verzögerung eines bei dem Kläger bestehenden Krankheitsbildes erfüllt diese Anforderungen nicht. Demzufolge liefen die gesetzlichen Voraussetzungen der Grundsatznormen des Leistungsrechts der sozialen Krankenversicherung (§§ 182 Abs. 1 Nr. 1 b, Abs. 2 RVO a.F., 12 Abs. 1, 27 Nr. 3 SGB V) nicht vor.

Der Senat verkennt nicht, daß die Zweckmäßigkeit eines Heilmittels auch dann bejaht werden kann, wenn die Eignung des Mittels zwar noch nicht allgemein anerkannt ist, im Einzelfall aber ein positiver Nachweis erbracht wurde (vgl. BSGE 52, 70 = SozR 2200 § 182 RVO Nr. 72; vgl. dazu auch Schulin, Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bei Anwendung von Außenseiter-Methoden, SGb 1984, S. 45 ff.). Auch hieran fehlt es vorliegend. Aus der ärztlichen Beurteilung folgt allein, daß sich die Saunabesuche auf das Befinden des Klägers günstig ausgewirkt haben. Eine – im Rahmen der Beweiswürdigung – weitergehende Schlußfolgerung im Sinne des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs ergibt sich daraus jedoch nicht. Dies zeigen die Ausführungen des Sachverständigen, wonach als Behandlung der – bei dem Kläger noch nicht vorliegenden – interstitiellen Nephritis "vom Typ I” die Gabe von Natriumcitrat oder Natriumkarbonat empfohlen werde. Dies solle jedoch nur in schweren dekompensierten Fällen erfolgen. Aufgrund des bei dem Kläger bestehenden klinischen Beschwerdebildes mit Schmerz in der Nierenloge, Müdigkeit und Kopfschmerzen sei ein Anlaß vorhanden gewesen, nach weiteren Maßnahmen zu suchen, um im Vorfeld der Dekompensation die Symptomatik zu bessern. Dabei habe sich die Sauna als "mögliche” prophylaktische Maßnahme einerseits und Besserung der Gesamtsymptomatik andererseits angeboten. Nach der Sauna könne durch entsprechende Flüssigkeitszufuhr eine weitere erhebliche Erhöhung der Eliminationsrate von sauren Bestandteilen aus dem Blut erreicht werden. Ein weiterer Aspekt des Saunaganges könne also darin gesehen werden, daß durch diese Thermotherapie generell die Abwehr erhöht werde.

Diese Ausführungen des Sachverständigen zeigen allein den im Vordergrund stehenden stark experimentellen Charakter eines Versuchs, bei dem unverkennbar der Saunabesuch als "mögliche” prophylaktische Maßnahme in Erwägung gezogen worden ist. Eine wissenschaftlich ernstzunehmende Behandlungsmethode im Sinne der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen läßt sich daraus nicht herleiten. Insoweit ergibt sich deshalb lediglich die Schlußfolgerung, daß die mit den Saunabesuchen des Klägers sich ergebenden günstigen Auswirkungen ausschließlich dem eigenverantwortlichen Bereich der Gesunderhaltung zuzuordnen sind. Die Finanzierung derartiger Aufwendungen gehört nicht zum Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, wozu seit dem 1. Januar 1989 auch die Ersatzkassen gehören (§ 4 Abs. 2 SGB V).

Damit steht zugleich fest, daß Saunabesuche im Rahmen der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung als verordnungsfähige Heilmittel ausscheiden. Ziel der Sicherstellung der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung ist es, dem Versicherten eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung zur Verfügung zu stellen, wobei u.a. der jeweilige Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen ist (§§ 368 Abs. 3 RVO a.F., 75 Abs. 1, 73 Abs. 2 SGB V). Mit diesen Grundsätzen des Kassen- und Vertragsarztrechts wird nicht nur dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem auch dem Anspruch des Versicherten auf eine zweckmäßige und ausreichende Behandlung Rechnung getragen (vgl. BSG, Urt. v. 23. März 1988 – 3/8 RK 5/87 –, BSGE 63, 102 = SozR 2200 § 368 e RVO Nr. 11). Liegen also, wie ausgeführt, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine zweckmäßige Heilmittelversorgung nicht vor, dann ist auch der Kassen- bzw. Vertragsarzt gehindert, solche Mittel (hier: Saunabäder) zu verordnen. Dies hat zur Folge, daß der Kläger auch künftig keinen Kostenerstattungsanspruch für Saunabesuche hat, wenn ein Kassen- bzw. Vertragsarzt solche Saunabäder verordnet, wie dies in dem angefochtenen Urteil vorgesehen ist.

Bei dieser Sach- und Rechtslage war das Urteil des Sozialgerichts in vollem Umfang aufzuheben. Deshalb war es entbehrlich, den Tenor dieses Urteils insoweit zu korrigieren und zu vervollständigen, als darin nicht alle bisher angefallenen Kosten für die bereits erfolgten Saunabesuche des Klägers erfaßt worden waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG fehlt.
Rechtskraft
Aus
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