L 29 B 896/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 6630/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 B 896/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 08. September 2006 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes weiterhin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1984 in I geborene Antragstellerin zu 1) und ihr 2003 geborener Sohn, der Antragsteller zu 2), sind italienische Staatsbürger. Nach eigenen Angaben gegenüber der Ausländerbehörde des Landes Berlin zog sie im September 1998 mit ihrem Vater in die Bundesrepublik Deutschland. Im Jahre 2000 beantragte sie eine Aufenthaltsgenehmigung nach einem Wiederzuzug aus dem Ausland am Januar 2000, die ihr als Aufenthaltserlaubnis nach EG Recht bis zum Juni 2005 erteilt wurde.

Im August 2005 beantragte die Antragstellerin zu 1) eine Bescheinigung über das gemeinschaftliche Aufenthaltsrecht gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU. Ihrer Erklärung zur Ausstellung dieser Bescheinigung war eine Arbeitsbescheinigung des Herrn M P als Inhaber des Restaurants E beigefügt. Diese Arbeitsbescheinigung hat folgenden Wortlaut:

"Arbeitsbescheinigung

Hiermit bestätige das, Frau F P geboren: 1984, wohnt in W Str B, seit 01/06/05 in E Inh. M P, Pstr B, beschäftig ist Das Arbeitsentgelt beträgt zu Zeit 1.150,- Brutto Das Arbeitsverhältnis ist ungekündigt und unbefristet"

Die Arbeitsbescheinigung ist unter dem Datum September 2005 erstellt und mit einem Stempel und Unterschrift versehen.

Dem Antragsgegner gegenüber erklärte die Antragstellerin zu 1) in ihrem Antrag vom 10. Oktober 2005, erwerbslos zu sein, und beantragte Leistungen nach dem SGB II. Diese wurden antragsgemäß bewilligt. Mit Bescheid vom April 2006 wurden den Antragstellern schließlich für den Zeitraum vom Mai 2006 bis zum Oktober 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 860,02 EUR bewilligt. Diese Leistungsbewilligung wurde mit Bescheiden vom 24. Mai 2006 um 10 % der Regelleistung für den Zeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 30. September 2006 gemäß § 31 SGB II wegen Nichterscheinens zu Meldeterminen am 6. April 2006 und 13. April 2006 abgesenkt.

Mit Bescheid vom Juni 2006 hob der Antragsgegner schließlich die Leistungsbewilligung ab dem Juli 2006 ganz auf. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II seien Ausländer und ihre Familienangehörigen von den Leistungen zur Grundsicherung ausgeschlossen, wenn ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik allein dem Zweck der Arbeitssuche diene. Hiervon sei bei der Antragstellerin zu 1) auszugehen, da sie bisher eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland nicht ausgeübt habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin zu 1) am Juli 2006 mit der Begründung Widerspruch, sie habe nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, da sie sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe.

Mit Antrag vom Juli 2006 haben die Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel begehrt, den Antragsgegner vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, der Antragstellerin Arbeitslosengeld II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Sie legten im Gerichtsverfahren eine weitere Erklärung des Herrn P vom September 2006 vor, nach der die Antragstellerin zu 1) im Restaurant nur ungefähr einen Monat (Juli 2005) und unentgeltlich gearbeitet habe.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 08. September 2006 den Antrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 13. Juni 2006 nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ausgelegt und antragsgemäß die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 13. Juni 2006 angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragstellerin zu 1) verfüge über ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 5 des Freizügigkeitsgesetzes/EU und der Antragsteller zu 2) über ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger.

Gegen diesen dem Antragsgegner am September 2006 zugestellten Beschluss hat dieser am September 2006 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht Berlin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Bescheid vom September 2006 bewilligte der Antragsgegner aufgrund der Entscheidung des Sozialgerichts für den Zeitraum vom Juli 2006 bis zum August 2006 Leistungen zur Grundsicherung in Höhe von monatlich 790,02 EUR, mit Bescheid vom September 2006 für September 2006 in Höhe von 790,02 EUR und mit Bescheid vom September 2006 für den Zeitraum vom Oktober 2006 bis zum Dezember 2006 monatlich 860,02 EUR.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet.

Im Streit ist vorliegend einzig der Zeitraum vom Juli 2006 bis zum Oktober 2006.

Zwar haben die Antragsteller schriftsätzlich die Verpflichtung zur Gewährung von Arbeitslosengeld II bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache beantragt. Das Sozialgericht hat diesen Antrag jedoch dahingehend ausgelegt, dass mit ihm lediglich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom Juni 2006 nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG begehrt wurde, und diesem Antrag entsprechend stattgegeben. Danach kann dahinstehen, ob das ursprüngliche Begehren auch auf Leistungen nach dem Oktober 2006 gerichtet war und damit zudem ein Antrag nach § 86 b Abs. 2 SGG vorlag. Denn der Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist insoweit nicht angegriffen und steht daher auch nicht zur Überprüfung.

Dass der Antragsgegner nach dem Beschluss des Sozialgerichts schließlich mit Bescheid vom 21.September 2006 Leistungen bis einschließlich zum 31. Dezember 2006 bewilligte, führt ebenfalls nicht zu einem streitigen Zeitraum über den 31.Oktober 2006 hinaus. Durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom Juni 2006 lebte nur die Leistungsbewilligung (bis zum 31. Oktober 2006) aus dem Bescheid vom April 2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom Mai 2006 wieder auf. Für Leistungen über diesen Zeitpunkt hinaus, stellt der angegriffene Beschluss keine Grundlage dar.

Nach § 39 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das Gericht entscheidet hierbei aufgrund einer Interessenabwägung, wobei die gesetzliche Regelung, dass grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung bestehen soll, zu berücksichtigen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 86 b Rdnr. 12). Ist ein Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinem subjektiven Recht verletzt, so wird die aufschiebende Wirkung regelmäßig anzuordnen sein. Ist die Klage demgegenüber aussichtslos, kommt die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung grundsätzlich nicht in Betracht. Sind Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens aber mitberücksichtigt werden können (Keller, a. a. O., Rdnr. 12 c).

Danach ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerechtfertigt, weil sich der Aufhebungsbescheid vom Juni 2006 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweist.

Eine Leistungsaufhebung, gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, kommt vorliegend kaum in Betracht. Denn die Antragstellerin zu 1) kann ihr Aufenthaltsrecht nicht nur aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU zum Zweck der Arbeitssuche herleiten. Ihr steht vielmehr voraussichtlich auch ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU zu, da sie sich nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen länger als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Ausweislich der beigezogenen Ausländerakte erhielt die Antragstellerin zu 1) nach einem Wiederzuzug aus dem Ausland am 01. Januar 2000 eine befristete Aufenthaltserlaubnis vom Juni 2000 bis zum Juni 2005. Aufgrund des Aufenthaltsrechtes nach § 2 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU ist die Antragstellerin zu 1) mithin nicht von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen. Der Antragsteller zu 2) hat als unterhaltsberechtigtes Kind der Antragstellerin zu 1) ebenfalls ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU.

Der Aufhebungsbescheid kann weiter nicht auf Meldeversäumnisse der Antragstellerin zu 1) gestützt werden. Denn insoweit stellt § 31 SGB II die abschließende Ermächtigungsgrundlage dar. Danach kann die Regelleistung nur in Stufen gemindert und nicht bei zwei Meldeversäumnissen gänzlich aufgehoben werden.

Schließlich kann die Leistungsaufhebung ab dem 01. Juli 2006 auch nicht auf eine fehlende Bedürftigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 SGB II gestützt werden. Zwar ist dem Antragsgegner zuzustimmen, dass aufgrund der widersprüchlichen Bescheinigungen des Herrn P höchst zweifelhaft ist, ob die Antragstellerin zu 1) seit dem 01. Juni 2005 über ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 1 150,00 (EUR) brutto verfügt (Arbeitsbescheinigung vom 01. September 2005) oder bei ihm im Restaurant E tatsächlich ab Juli 2005 nur einen Monat unentgeltlich auf Probe beschäftigt wurde (Bescheinigung vom September 2006). Aber durch die weiteren Ermittlungen konnte der Verdacht auf ein Erwerbseinkommen bisher nicht bestätigt werden. Wie das Sozialgericht in seinem angegriffenen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt hat, trägt der Antragsgegner insoweit für eine Leistungsaufhebung die objektive Beweislast. Erst bei einer erneuten Beantragung der Leistung durch die Antragsteller trifft diese die Beweislast. Für den vor der Aufhebung bereits bewilligten Leistungszeitraum (bis zum 31. Oktober 2006) ist damit insgesamt von einem Leistungsanspruch der Antragsteller auszugehen und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 13. Juni 2006 als rechtmäßig anzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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