L 16 R 387/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 49 R 2001/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 387/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 313/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. April 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des am 10.06.1923 geborenen und am 25.01.1981 verstorbenen geschiedenen Ehegatten R.F. der Klägerin streitig.

Die am 1928 geborene Klägerin war seit dem 17.01.1949 mit dem Versicherten R.F. verheiratet. Aus der Ehe sind die 1951, 1954 und 1957 geborenen Kinder A., C. und E. hervorgegangen. Seit 17.05.1966 lebten die Klägerin und ihr Ehegatte getrennt. Die Klägerin zog nach München weg und nahm dort eine Beschäftigung auf, während ihr Ehemann weiterhin zusammen mit den drei Kindern in der früheren ehelichen Wohnung in M. wohnte. Die Kinder wurden vom Versicherten und der Mutter der Klägerin versorgt. Durch das am 08.07.1971 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Amberg vom 18.05.1971 wurde die Ehe wegen Zerrüttung gemäß § 48 Ehegesetz (EheG) ohne Schuldausspruch auf die Klage der Klägerin und die Widerklage ihres Ehemannes geschieden. Die elterliche Gewalt für die drei Kinder wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 10.11.1971 auf den Vater übertragen. Der damals 19-jährige A. und die damals 17-jährige C. waren berufstätig und bereits weitgehend selbstständig, während die Tochter E., 14 Jahre alt, noch die Schule besuchte. Weder der Versicherte noch die Klägerin verheirateten sich wieder.

Im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten (1980) hatte die Klägerin ein monatliches Erwerbseinkommen in Höhe von 1350 DM; der Versicherte bezog von der LVA Niederbayern-Oberpfalz eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 989,20 DM sowie eine Unfallrente in Höhe von 396,60 DM monatlich.

Die Klägerin beantragte erstmals am 27.07.1983 bei der Beklagten Geschiedenenwitwenrente. Sie gab an, im letzten Jahr vor dem Tod ihres Ehemannes keinen Unterhalt von diesem erhalten zu haben, weil dies nicht möglich gewesen sei. Sie habe daher auf Unterhaltszahlungen ihres geschiedenen Ehemannes verzichtet. Die Beklagte lehnte den Antrag mit bestandskräftigem Bescheid vom 20.12.1983 ab, weil die Klägerin auf Unterhaltszahlungen ihres geschiedenen Ehemannes verzichtet habe. Auch habe sie zur Zeit des Todes ihres Ehegatten weder einen Unterhaltsanspruch nach den Vorschriften des Ehegesetzes noch einen solchen aus sonstigen Gründen gehabt, noch habe ihr der verstorbene Ehegatte im letzten Jahr vor seinem Tod regelmäßig freiwilligen Unterhalt in relevanter Höhe geleistet. Seine fehlende Unterhaltsverpflichtung resultiere allein aus der Tatsache, dass die Ehe auf Verlangen der Ehefrau ohne Schuldausspruch geschieden worden sei (§ 61 Abs. 2 EheG).

Der erneute Antrag der Klägerin vom 30.11.1999 auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 22.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2000 abgelehnt mit der Begründung, dass kein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente bestehe, weil die Klägerin keinen Unterhalt von ihrem früheren Ehegatten erhalten habe, sie wegen ihres Arbeitseinkommens in Höhe von 1350 DM nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei und so keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehegatten gehabt habe. Das anschließende Klage- und Berufungsverfahren war erfolglos: Das BayLSG begründete die Zurückweisung der Berufung in seinem Urteil vom 29.07.2003 mit der fehlenden Erziehung eines eigenen Kindes durch die Klägerin. Nennenswerte, konkrete Erziehungsmaßnahmen habe die Klägerin nicht nachweisen können. Die Kontakte zu ihren Kindern hätten sich nach ihren Angaben auf Briefe und gelegentliche Besuche ihrer jüngeren Tochter in München beschränkt. Weitere Ermittlungen seien nicht möglich gewesen, weil die Kinder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätten. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber ihrem geschiedenen Ehegatten wurde dem Grunde nach bejaht; er habe nur wegen der Vermögensverhältnisse der Klägerin der Höhe nach nicht bestanden. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde mit Beschluss des BSG vom 29.01.2004 als unzulässig verworfen.

Am 21.02.2005 beantragte die Klägerin erneut unter Vorlage von zwei Schreiben ihrer Tochter E. sowie eines Schreibens ihres Sohnes A. die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente. Die Tochter E. bestätigte, dass es der Klägerin wegen der dauernden Streitereien unmöglich gewesen sei, in dem ehelichen Heim zu wohnen, und dass sie während der Zeit, als sie selbst in München wohnhaft gewesen sei, ihre Mutter regelmäßig besucht habe. Der Sohn A. beschrieb in seiner Aussage lediglich die für die Scheidung ausschlaggebenden Gründe. Die Klägerin gab an, dass ihre Tochter E. in München gearbeitet habe, und dass diese, wenn es ihr zeitlich möglich gewesen sei, sie zu dieser Zeit täglich besucht habe.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 28.04.2005 ab, weil die Klägerin nicht das Tatbestandsmerkmal "Erziehung eines eigenen Kindes" im Sinn des § 243 Abs. 3 Nr. 2 a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfüllt habe. Es lägen keine Anhaltspunkte für konkrete Erziehungsmaßnahmen in einem nennenswerten Umfang vor. Denn die Aussagen der Kinder der Klägerin beschränkten sich auf die Darlegung der Gründe für die Scheidung und dokumentierten lediglich, dass diese nicht im ehelichen Heim gewohnt habe. Es lägen daher keine neuen Anhaltspunkte vor, die den den bisherigen Gerichtsurteilen zu Grunde liegenden Sachverhalt modifizierten. Mangels Änderung der Sachlage sei daher der Antrag abzulehnen.

Der dagegen erhobene Widerspruch, mit dem die Klägerin auf ihr Leben am Existenzminimum hinwies, wurde nach Aktenlage mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2005 als unbegründet zurückgewiesen. Ergänzend wurde zur Begründung ausgeführt, dass das Kind E. vom Versicherten und der Großmutter betreut und unterzogen worden sei. Die Klägerin sei zu ihrer Familie auch nicht zu Besuchen zurückgekehrt. Die Kontakte zu den Kindern hätten sich auf Briefe und gelegentliche Besuche der Tochter E. in München beschränkt.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München verwies die Klägerin erneut auf ihre schlechte finanzielle Situation.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 07.04.2006 ab, weil die Voraussetzungen des § 243 Abs. 3 SGB VI nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Scheidung im Juli 1971 erst 42 Jahre alt gewesen. Auch habe sie zu diesem Zeitpunkt räumlich von ihren Kindern getrennt gelebt und auf diese nicht erziehend eingewirkt. Erziehungsarbeit in relevantem Umfang sei nicht geleistet worden. Die beiden ältesten Kinder seien nach dem Scheidungsurteil vom 18.05.1971 bereits weitgehend selbstständig gewesen. Der damals 19-jährige Sohn A. habe als Postangestellter und die 17-jährige C. als Sprechstundenhilfe gearbeitet. Die Tochter E., zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt, sei noch zur Schule gegangen und sei von der im selben Haus lebenden Großmutter versorgt worden. Die Klägerin, die in dieser Zeit in München einer vollschichtigen Beschäftigung nachgegangen sei, habe keinen Unterhalt für ihre Kinder geleistet. Anhaltspunkte für eine aktive und bewusste Einflussnahme der Klägerin auf die Entwicklung ihrer Kinder seien nicht erkennbar. Regelmäßige Besuche hätten offenbar nicht stattgefunden. Im Scheidungsurteil des Landgerichts Amberg vom 18.05.1971 wird lediglich von einem einzigen Besuch der Klägerin bei ihren Kindern im Jahr 1968 berichtet. Ob und ggf. wie häufig weitere Besuche stattgefunden haben sollten, sei durch Befragen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht zu ermitteln gewesen. Die Bestätigung der Tochter E. vom 01.04.2005, dass sie ihre Mutter regelmäßig besucht habe, als sie selbst in München wohnhaft gewesen sei, betreffe erst den Zeitraum nach der Scheidung.

Mit der dagegen eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, dass sie und ihre Tochter E. sich gegenseitig besucht hätten. E. habe sie in all ihren Schulferien besucht. Sie habe mit E. über schulische Angelegenheiten gesprochen und ihre berufliche Zukunft mit ihr erörtert. Beide hätten geplant, dass E. nach dem Schulabschluss der Klägerin nach München folgen solle, um mehr Zeit miteinander verbringen zu können. Sie habe ihrer Tochter bei der Firma Rodenstock, bei der auch sie beschäftigt gewesen sei, eine Arbeitsstelle im Büro vermittelt. Zur Begründung legte sie ein Schreiben ihrer Tochter E. vom 09.06.2006 mit dem Inhalt vor, dass diese mit 16 Jahren nach München gezogen sei, um mehr Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen. Die Mutter habe sich dort um sie gekümmert; sie hätten täglich Kontakt miteinander gehabt. Im Schreiben vom 29.10.2006 bestätigt die Tochter E., dass sie im Zeitraum von 1968 bis 1971 ihre Mutter nur in all ihren Schulferien besucht habe.

Die Beklagte wendet dagegen ein, dass die von der Tochter E. bestätigten Kontakte erst 1973 und so nach dem Zeitpunkt der Scheidung im Juli 1971 stattgefunden hätten. Ob und wie häufig Kontakte der Klägerin mit ihrer Tochter E. in den Jahren seit ihrem Auszug bis zur Scheidung im Juli 1971 stattgefunden hätten, ergäbe sich nicht aus dem Vorbringen der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.04.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Geschiedenenwitwenrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der beigezogenen Akten des SG München, Az. S 30 RJ 608/00 und des BayLSG, Az. L 6 RJ 291/02) sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage mit Urteil vom 07.04.2006 abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente im Zugunstenverfahren nach § 44 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) hat, und der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2005 nicht zu beanstanden ist.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihren Bescheid vom 20.12.1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.1984 und den Bescheid vom 22.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2003, bestätigt durch o.g. Urteil des Bayerischen LSG vom 29.07.2003, zurückzunehmen, weil diese Bescheide nicht rechtswidrig sind.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist auf Grund der bestandskräftigen Ablehnungsbescheide vom 20.12.1983 und vom 22.02.2000 die Vorschrift des § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme vorgenannnter Bescheide sind nicht erfüllt, weil die Beklagte zu Recht die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente abgelehnt hat.

Bei dem ersten Ablehnungsbescheid vom 20.12.1983 war die Vorschrift des zu diesem Zeitpunkt geltenden § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung vom 14.06.1976 anzuwenden. Danach war einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist, Rente nach dem Tod des Versicherten zu gewähren, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat. Nach Satz 2 dieser Vorschrift findet Satz 1 auch dann Anwendung, 1. wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und 2. wenn die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und 3. solange sie berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.

Die Rechtmäßigkeit des weiteren Ablehnungsbescheides vom 22.02.2000 beurteilt sich nach der Vorschrift des § 243 SGB VI in der Fassung vom 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337). Nach § 243 Abs. 2 und 3 SGB VI haben geschiedene Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente, wenn 1. deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist, 2. sie nicht wieder geheiratet haben, 3. sie im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten einen Unterhaltsanspruch gegen diesen wegen eines Arbeitsentgelts aus eigener Beschäftigung oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten, 4. sie im Zeitpunkt der Scheidung entweder ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen haben oder das 45. Lebensjahr vollendet hatten und 5. entweder ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen, berufsunfähig oder erwerbsunfähig sind oder das 60. Lebensjahr vollendet haben.

Die im Juli 1971 geschiedene und nicht wieder verheiratete Klägerin, die im August 1988 das 60. Lebensjahr vollendet hatte, erfüllt nicht die sowohl nach § 1265 RVO als auch nach § 243 SGB VI im Zeitpunkt der Scheidung erforderlichen Voraussetzungen der Vollendung des 45. Lebensjahres oder der Erziehung eines Kindes. Unerheblich ist insoweit, dass § 1265 RVO die Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes und § 243 Abs. 3 Nr. 2 a SGB VI die Erziehung eines eigenen Kindes oder eines Kindes des Versicherten fordern. Denn es geht hier unstreitig nur um die Erziehung der 1957 geborenen E., die zum Zeitpunkt der Scheidung am 08.07.1971 mit 14 Jahren nicht die seinerzeit geltende gesetzliche Volljährigkeitsgrenze von 21 Jahren überschritten hatte und daher noch waisenrentenberechtigt war. Offen kann bleiben, ob die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten bzw. im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode im Jahr 1980 gegen den Versicherten - wie im Urteil des BayLSG vom 29.07.2003, Az. L 6 RJ 291/02 ausführlich dargelegt - einen Unterhaltsanspruch dem Grunde nach und nur wegen ihres Arbeitsentgelts aus eigener Beschäftigung nicht der Höhe nach hatte.

Der Begriff der Erziehung wird im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nicht definiert. Sinn und Zweck der Gewährung einer großen Witwenrente wegen Erziehung eines Kindes war und ist unverändert, eine ungerechtfertigte Benachteiligung derjenigen Witwen zu vermeiden, denen im Interesse der Erziehung ihrer Kinder eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden soll (vgl. BSGE 27, 139,141; 32,117 f.). Der Begriff der Erziehung ist daher im Rentenversicherungsrecht von Anfang an im tatsächlichen Sinn verstanden und weit ausgelegt worden (siehe etwa BSGE 32,117 f.). In seinen Grundzügen entspricht er dem im Familienrecht als Ausfluss des Personensorgerechts verwendeten Begriff der Erziehung (BSGE 27,139 f.; 32, 117). Gemäß § 1631 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) umfasst die Personensorge insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Unter Erziehung in diesem Sinn ist die tatsächliche Sorge für die sittliche, geistige und körperliche Entwicklung des Kindes zu verstehen (vgl. Palandt, 60. Aufl., § 1631 BGB Rz. 311). Im Fall einer räumlichen Trennung zwischen dem Kind und der Witwe sind konkrete Erziehungsmaßnahmen in einem nennenswerten Umfang erforderlich (s. BSG SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 32).

Es ist nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung am 8. Juli 1971 derartige konkrete Erziehungsmaßnahmen in einem nennenswerten Umfang geleistet hatte. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast trägt die Klägerin die Folgen der Unerweislichkeit dieser Tatsachen.

Auf die zutreffenden Ausführungen des BayLSG in o.g. Urteil vom 29.07.2003 wird Bezug genommen. Soweit das Sozialgericht in seiner angefochten Entscheidung auf Grund des Vortrags der Klägerin sowie unter Berücksichtigung der vorgelegten Bescheinigungen ihrer Kinder konkrete Erziehungsmaßnahmen der Klägerin in einem nennenswerten Umfang ablehnt, wird insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren erstmals vorträgt, dass die Tochter E. sie "in all ihren Schulferien besucht" habe - was durch E. bestätigt worden ist - , und sie mit E. über schulische Angelegenheiten gesprochen und ihre berufliche Zukunft erörtert habe, sind konkrete Erziehungsmaßnahmen in einem nennenswerten Umfang nicht nachgewiesen. Die Tatbestandsvoraussetzung "Erziehung" im Zeitpunkt der Scheidung (Juli 1971) ist nicht voll bewiesen, d.h. liegt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor (Vollbeweis). Es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel bestehen (s. statt vieler Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 118 Rdnr. 5 ff. m.w.N.). Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (so etwa BSGE 27, 40). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der rechtsbegründenden Tatbestandsvoraussetzung der Erziehung eines eigenen Kindes im Zeitpunkt der Scheidung trägt die Klägerin die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast (so BSG SozR 3-2600 § 43 Rdnr. 14).

Die gesamten Ferien über andauernde Besuche der Tochter E. bei der Klägerin sind nicht nachgewiesen. Konkrete Angaben über den zeitlichen Umfang dieser Besuche (an wie vielen Tagen für wie viele Stunden) liegen nicht vor. Bereits die äußeren Umstände, nämlich weite räumliche Entfernung des Wohnorts des Kindes E. (Nähe Cham) zum Wohnort der Klägerin in München und somit eine teure und langandauernde Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Vollbeschäftigung der Klägerin (weit weniger Urlaubstage als Schulferien) sowie ein der Klägerin zur Verfügung stehender Wohnraum von nur acht Quadratmetern, stehen häufigen, über einen Tag andauernden Aufenthalten von E. bei der Klägerin entgegen. Wie die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, wären häufigere Fahrten der Tochter E. zu ihrer Mutter auch nicht finanzierbar gewesen. Nach den früheren Angaben der Klägerin fanden im maßgeblichen Jahr 1971 tatsächlich nur gelegentliche Besuche statt. Anhaltspunkte für schriftliche oder telefonische Kontakte, für Besuche der Klägerin bei ihrer Mutter und ihren Kindern in M. etwa während der berufsbedingten Abwesenheit des Versicherten über die Arbeitswoche in den Sommermonaten oder für die Einflussnahme auf die Erziehung ihrer Kinder über ihre Mutter im Zeitpunkt der Scheidung im Juli 1971 sind weder vorgetragen noch den Akten zu entnehmen. Regelmäßige, dauerhafte und nachhaltige Kontakte (z.B. jeweils am Wochenende) zwischen der Klägerin und E., die trotz der aufgehobenen häuslichen Gemeinschaft eine faktische persönliche Einwirkung der Klägerin auf die Gesamtentwicklung der E. zugelassen hätten, sind noch nicht zum Zeitpunkt der Scheidung im Juli 1971, sondern allenfalls ab dem Zeitpunkt des Umzugs der Tochter E. nach München im Jahr 1973 nachgewiesen. Die Unerweislichkeit der Erziehungsmaßnahmen in einem nennenswerten Umfang zum Zeitpunkt der Scheidung im Juli 1971 geht daher zu Lasten der Klägerin.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hatte.

Gründe, gemäß § 160 Absatz 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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