L 13 R 856/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 R 1242/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 856/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 2. November 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung und hierbei die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Die 1951 geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt, keine Umschulung oder berufliche Qualifikationsmaßnahme absolviert und stand in keinem Anlernverhältnis. Sie war vom 17. September bis 8. Oktober 1965 als Verkäuferin in der Bäckerei A. , vom 16. September 1968 bis 17. April 1971 - unterbrochen durch eine Zeit des Mutterschutzes (25. September bis 22. November 1970) - als Näherin bei der Firma W. und O., nach weiteren Zeiten des Mutterschutzes (27. August 1971 bis 3. Dezember 1971 sowie 20. Juli 1972 bis 26. Oktober 1972) vom 18. Januar 1973 bis 28. Mai 1974 bei der Firma R. Elektronic GmbH und vom 29. Mai 1974 bis 19. Juni 1974 sowie vom 6. bis 7. November 1979 bei der Firma H. GmbH (früher Firma M. Moden) versicherungspflichtig beschäftigt.

Der Versicherungsverlauf enthält außerdem Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung vom 1. Oktober 1970 bis 30. September 1971 und vom 1. November 1971 bis 31. Oktober 1973 sowie Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 27. September 1970 bis 30. August 1982.

Aufgrund eines Antrags vom 14. Januar 1985 wurden bei der Klägerin im Wege der Erstfeststellung aufgrund einer Schwerhörigkeit (Einzel-GdB 50), einer psychischen Behinderung sowie eines Beinvenenleidens (Einzel-GdB jeweils 20) ein GdB von 70 sowie das Merkzeichen "RF" festgestellt (Bescheid vom 18. Juli 1985). Später traten eine Schilddrüsenunterfunktion, Hautekzem und eine beidseitige Sehminderung (Einzel-GdB je 10, Bescheid vom 26. August 1996) hinzu. Wegen einer weiteren Verschlechterung des Sehvermögens wurde der GdB ab 26. November 1998 auf 80 er-höht (Bescheid vom 27. Januar 1999).

Am 28. November 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, sie sei seit 1979 erwerbsgemindert. Beigefügt war ein Bericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 7. Dezember 2001, der angab, die Klägerin leide an einem frühkindlichen Hirnschaden, beidseitigem Hörverlust durch Schallleitungsstörung, reaktiver Depression, Adipositas, Hypothyreose sowie Varikosis beider Beine. Sie habe immer wieder cervicale Schmerzen und chronische Cervicobrachialgien, Kopfschmerzen, psychosomatische Funktionsstörungen, Trockendermatose beider Hände sowie Struma und könne tägliche Aufgaben nur mit Anleitung und Überwachung verrichteten. Dem Bericht lagen Pflegegutachten aus dem Jahr 1999 bei.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, ausgehend vom Zeitpunkt der Antragstellung seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt. Bei diesem Sachverhalt sei nicht geprüft worden, ob eine teilweise bzw. eine volle Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vorliege (Bescheid vom 28. Januar 2002).

Auf den Widerspruch der Klägerin hob die Beklagte diesen Bescheid auf (Bescheid vom 7. Februar 2002). Nachdem der sozialärztliche Dienst der Beklagten in einer Stellungnahme vom 26. Februar 2002 zu dem Ergebnis gekommen war, dass bei der Klägerin aufgrund der vorliegenden Pflegegutachten eine dauernde Erwerbsminderung ab 18. März 1999 angenommen werden könne, für davor liegende Zeiten aber keine Unterlagen vorlägen, lehnte die Beklagte den Rentenantrag am 28. November 2001 erneut ab (Bescheid vom 28. Februar 2002). Zwar sei die Klägerin seit 18. März 1999 erwerbsgemindert, doch seien ausgehend von diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung weiterhin nicht erfüllt. Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid keinen Widerspruch erhoben.

Am 29. Juli 2003 (Eingang bei der Beklagten) beantragte die Klägerin eine Überprüfung der Rentenablehnung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach Auswertung einer hausärztlichen Stellungnahme des Dr. G. von 21. März 2002 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab (Bescheid vom 22. August 2003). Eine nochmalige Überprüfung habe keinen früheren Leistungsfall und keine weiteren Versicherungszeiten ergeben.

Am 21. Juli 2004 (Eingang bei der Beklagten) beantragte der Ehemann der Klägerin erneut eine Überprüfung der Rentenablehnung nach § 44 SGB X. Er übersandte weitere ärztliche Unterlagen, u. a. einen Arztbrief des Nervenarztes Dr. S. an Dr. G. vom 8. Oktober 1987. Dr. S. diagnostizierte darin bei der Klägerin eine Grenzlabilität (richtig wohl: Grenzdebilität) bei Verdacht auf frühkindliche Hirnschädigung sowie eine reaktiv depressive Symptomatik bei vorprogrammiertem Partnerkonflikt und empfahl, die bisherige Medikation mit Ludiomil in einer Dosierung von 25 bis 50 mg pro Tag zu belassen und zusätzlich etwas Sedierendes zu geben, vielleicht wöchentlich einer Ampulle Imap.

Nach Beiziehung der Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung (jetzt Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS -) L. und Auswertung der Versichertenkarte Nr. 1 der AOK Bayern über die Krankenversicherung der Klägerin in der Zeit von 1965 bis 1974 kam der Sozialärztliche Dienst der Beklagten zu dem Ergebnis, aufgrund des Arztbriefes von Dr. S. sei davon auszugehen, dass der Versicherungsfall im Oktober 1987 eingetreten sei. Zeitlich frühere Berichte des HNO-Arztes Dr. S. vom 31. Januar 1985 und Dr. G. vom 20. Mai 1985 aus der Akte des ZBFS reichten für eine Feststellung, dass schon vor 1984 Leistungsunfähigkeit bestanden habe, nicht aus.

Daraufhin lehnte die Beklagte auch den Überprüfungsantrag vom 21. Juli 2004 ab (Bescheid vom 15. November 2004). Die Klägerin sei seit 15. Oktober 1987 erwerbsgemindert. Insoweit würden die Bescheide vom 28. Februar 2002 und 22. August 2003 aufgehoben. Ausgehend von diesem Versicherungsfall seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aber weiterhin nicht erfüllt.

Den dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Ehemann der Klägerin damit, sie sei wegen frühkindlicher Hirnschädigung schon vor 1987 erwerbsunfähig und daher nicht in der Lage gewesen, Pflichtbeiträge zu zahlen. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2004). Zwar sei die allgemeine Wartezeit bereits vor dem 1. Januar 1984 erfüllt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung seien aber nur erfüllt, wenn der Leistungsfall bis zum 31. Dezember 1984 eingetreten sei. Dies sei nicht nachgewiesen, zumal für die Zeit von 1980 bis 1984 keine medizinischen Unterlagen vorlägen.

Dagegen hat der Ehemann der Klägerin am 15. Dezember 2004 (Eingang bei Gericht) beim Sozialgericht Landshut (SG) Klage erhoben. Bereits das Attest des Neurologen (Dr. S.) sage aus, dass die Klägerin seit ihrer Kindheit schwer krank sei. Sie habe dennoch gearbeitet und drei Kinder geboren, sei aber bereits bei ihrem letzten Arbeitsversuch 1977 (richtig: 1979) nicht in der Lage gewesen, zu arbeiten. Deshalb habe sie auch die erforderlichen Beitragszeiten nicht erfüllen können.

Das SG hat eine Mitglieder- und Leistungskarte der AOK Bayern über die Zeit von Januar 1973 bis November 1979 sowie Befundberichte des Dr. G. über die Zeit ab 1984 beigezogen und ein Gutachten nach Aktenlage der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr. B. vom 10. Oktober 2005 eingeholt. Die Sachverständige ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin bereits 1984 ein kindlicher Hirnschaden sowie eine reaktive Depression bestanden habe. Eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit habe sich daraus aber bislang nicht ergeben. Allerdings könne 1984 die Umstellungsfähigkeit auf andere als die bisher ausgeübten Tätigkeiten in Folge der reaktiven Depression eingeschränkt gewesen sein.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2. November 2005, zugestellt am 15. November 2005). Es hat zur Begründung ausgeführt, bei einem Eintritt des Versicherungsfalles im Oktober 1987 seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt. Ein früherer Eintritt des Versicherungsfalles sei nicht nachgewiesen. Zwar sei von einer geringen Intelligenzminderung der Klägerin auszugehen und es liege eine depressive Symptomatik vor. Diese sei aber bislang keiner spezifischen antidepressiven Therapie zugeführt worden. Die Schwerhörigkeit und die Sehbehinderung der Klägerin seien durch Hörgeräte und eine Sehhilfe ausgeglichen.

Mit der am 5. Dezember 2005 (Eingang bei Gericht) eingelegten Berufung begehrt die Klägerin weiterhin eine Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, sie sei bereits 1977 unfähig gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der bisherigen Begutachtung lägen lediglich unvollständige Unterlagen zu Grunde.

Der Ehemann der Klägerin hat auf Nachfrage mitgeteilt, sie stehe seit der Praxiseröffnung 1983 durchgehend bei Dr. G. in Behandlung. Der zuvor behandelnde Hausarzt Dr. A. sei schon seit mehr als zehn Jahren pensioniert und es seien (dort) keinerlei Unterlagen über die Klägerin mehr vorhanden.

Der Senat hat Dr. G. zur Behandlung der Klägerin in den Jahren 1983 bis 1985 als Zeugen vernommen und anschließend eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. B. zum Leistungsvermögen der Klägerin (vom 26. Juni 2006) eingeholt. Die Sachverständige hat an ihrer bisherigen Leistungsbeurteilung festgehalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 2. November 2005 sowie den Bescheid vom 5. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 28. November 2001 Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des ZBFS, der Beklagten und des SG (Az.: S 3 P 81/99 und S 5 R 1242/04) beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 15. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2004, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, den einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ablehnenden Bescheid vom 28. Februar 2002 aufzuheben und der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen. Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. November 2005 zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung, weil die Klägerin den zu Grunde liegenden Leistungsantrag nach dem 2. April 2001 gestellt hat (§ 300 Abs. 2 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 3 SGB X).

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. November 2004 hat die Beklagte im Ergebnis ihre mit Bescheid vom 28. Februar 2002 getroffene Entscheidung bestätigt, der Klägerin wegen fehlender Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI keine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen. Soweit die Beklagte dabei abweichend vom Bescheid vom 28. Februar 2002 (und 22. August 2003) den Eintritt des Versicherungsfalles auf den 15. Oktober 1987 vorverlegt und diese Bescheide insoweit aufgehoben hat, geht dieser aufhebende Verwaltungsakt ins Leere, da die Bescheide vom 28. Februar 2002 und 22. August 2003 keine den Versicherungsfall mit bindender Wirkung für den Versicherungsträger und den Versicherten feststel-lenden Verwaltungsakte enthalten. Der Eintritt des Versicherungsfalles ist lediglich eine der Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit. Als Anspruchselement ist diese Tatbestandsvoraussetzung einer isolierten bindenden Feststellung (sog. Elementenfeststellung) nicht zugänglich. Die "Feststellung", wann der Versicherungsfall eingetreten ist, dient lediglich als zeitlicher Ausgangspunkt für die Prüfung der Wartezeit, die Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und die Bestimmung der bei der Berechnung des monatlichen Werts der Rente zu berücksichtigenden rentenrechtlichen Zeiten, da hierbei in der Regel (zu Ausnahmen bei der Ermittlung von Entgeltpunkten für Zeiten nach Rentenbeginn vgl. § 75 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 SGB VI) nur vor Eintritt des Versicherungsfalles zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt werden können (vgl. §§ 43 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3, 75 Abs. 2 SGB VI).

Nach § 43 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise oder voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäfti gung oder Tätigkeit haben (sog. besondere versicherungs rechtliche Voraussetzungen) und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen (des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit auch für Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1986 erfüllt. Die bis zum 31. Dezember 1991 bestehende Beschränkung, wonach die zum 1. Januar 1986 als rentenrechtliche Zeiten in die Rentenversicherung eingeführten Kindererziehungszeiten (damals § 1251a Reichsversicherungsordnung - RVO -) bei Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1986 keine Berücksichtigung finden (Art. 2 § 5c Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -), ist mit Inkrafttreten des SGB VI ab 1. Januar 1992 entfallen. Die nunmehr maßgebenden Vorschriften der §§ 56, 249 SGB VI enthalten keine solche Regelung mehr. Dementsprechend hat die Beklagte entgegen der im angefochtenen Bescheid vom 15. November 2004 geäußerten Auffassung im Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2004 bestätigt, dass die Klägerin bereits vor dem 1. Januar 1984 (und damit auch vor dem 1. Januar 1986) die allgemeine Warte-zeit erfüllt hat.

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären jedoch nur erfüllt, wenn bei der Klägerin bereits vor dem 1. Januar 1985 eine Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit eingetreten wäre.

Die Klägerin hat nach dem bei der Beklagten gespeicherten Versicherungsverlauf vom 16. September 1968 bis 19. Juni 1974 sowie vom 6. bis 7. November 1979 Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Weitere Pflichtbeitragszeiten sind weder von der Klägerin behauptet worden, noch sind solche ersichtlich. Danach wären bei einem Eintritt des Versicherungsfalles am 1. Oktober 1984 (oder später) die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI. nicht erfüllt, da die Klägerin auch in dem gemäß § 43 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI durch die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung (von September 1970 bis August 1982) verlängerten Zeitraum von fünf Jahren nur 35 Monate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt hat.

Die Klägerin hat nach dem 31. Dezember 1983 auch keine der in § 241 Abs. 2 S.1 SGB VI genannten Anwartschaftserhaltungszeiten zurückgelegt. Allerdings wären bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 S. 2 SGB VI, wonach für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung (bei Eintritt der Erwerbsminderung) noch zulässig ist, eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich ist, für das Kalenderjahr 1984 noch erfüllt. Sie war nach dem für die Beurteilung maßgebenden damaligen Recht gemäß § 1418 RVO berechtigt, im Jahr 1984 rückwirkend für dieses Kalenderjahr freiwillige Beiträge zu entrichten. Eine Entrichtung freiwilliger Beiträge war jedoch nur bis zum Ablauf des Jahres möglich, für das die Beiträge gezahlt wurden. Bei einem Eintritt des Versicherungsfalles nach dem 31. Dezember 1984 wäre eine Entrichtung freiwilliger Beiträge für das Jahr 1984 daher ausgeschlossen gewesen. Auch Art. 2 § 6 ArVNG und Art. 2 §§ 51 ff. ArVNG eröffneten der Klägerin kein weitgehendes Recht auf Beitragsentrichtung. Art. 2 § 6 ArVNG enthielt lediglich eine dem heutigen § 241 Abs. 2 S. 1 SGB VI entsprechende Regelung, wonach bei Erfüllung der allgemeinen Wartezeit vor dem 1. Januar 1984 und durchgehender Belegung der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit bestimmten Anwartschaftserhaltungszeiten eine Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erforderlich war. Auch Art. 2 §§ 51 ff. ArVNG enthielten keine Regelung über das Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Eintritt des Versicherungsfalles der (damals) verminderten Erwerbsfähigkeit.

Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Klägerin ein Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem von der Beklagten angenommenen Zeitpunkt im Oktober 1987 - unabhängig davon, ob zu diesem Zeitpunkt tatsächlich von einer Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit ausgegangen werden kann - nicht nachgewiesen ist.

Über die Zeit vor Oktober 1987 liegen nur wenige medizinische Unterlagen vor. In der Akte des ZBFS befinden sich Befundberichte des Dr. G. vom 31. Januar 1985 sowie des HNO-Arztes Dr. S. vom 31. Januar 1985 mit einem Audiogramm vom 25. September 1984. Dr. S. berichtete darin anamnestisch von einem seit zehn Jahren verschlechterten Hörvermögen der Klägerin, diagnostizierte eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits und gab an, der Klägerin seien Hörgeräte verordnet worden. Dr. G. gab an, neben einer Depression und einer Schwerhörigkeit liege bei der Klägerin eine ausgeprägte Adipositas mit rezidivierender Beinvenenphlebitis vor. Bezüglich der Adipositas wäre dringend eine Gewichtsabnahme erforderlich, um die Folgeschäden und die bereits eingetretene Hypercholesterinämie zu behandeln. Die Depression sei aus Reaktion gegenüber vielen und kaum zu ändernden sozialen Begebenheiten (arbeitsloser und längere Zeit kränklicher Mann, Kündigung der Wohnung, keine eigene Motivation und Möglichkeit, aufgrund des psychosozialen Umfeldes und der intelligenzmäßigen Leistung, schwierige Situationen ändern zu können, so dass hier der negative Kreislauf und damit das depressive Syndrom nur zunehmen werde) zu erklären. Als Dauermedikation wurden Tranquase (Beruhigungsmittel), Colfarit (Acetylsalicylsäure), Ludiomil (Antidepressivum), Hyperforat (pflanzliches Antidepressivum) und Hametum-Salbe (Hautsalbe) mitgeteilt. Das ZBFS sah eine hochgradige Schwerhörigkeit (Einzel-GdB 50), eine psychische Behinderung und ein Beinvenenleiden (Einzel-GdB jeweils 20) als festzustellende Behinderungen an. Weitere wesentliche Erkrankungen ergeben sich aus diesen Befundberichten nicht.

Im Verwaltungsverfahren wurden keine früher datierten ärztlichen Unterlagen vorgelegt. Aus den Karteikarten der AOK Bayern ergeben sich ebenfalls keine Hinweise auf weitergehende dauerhafte Gesundheitsstörungen vor 1985. Zwar ist für das Jahr 1973 eine vierzehntägige und für das Jahr 1974 eine zehntägige Arbeitsunfähigkeit wegen Tachykardie, Hypertonie bzw. Kreislaufstörungen vermerkt, doch hat Dr. G. in seinem Befundbericht vom 31. Januar 1995 vermerkt, dass bei der Klägerin ein linkstypisches EKG bei sonst unauffälligem Erregungsablauf vorliegt und keine auf eine Herz- oder Kreislauferkrankung hindeutenden Befunde oder entsprechenden Diagnosen mitgeteilt, so dass davon auszugehen ist, dass den 1973 und 1974 vermerkten Krankheitszeiten nur vorübergehende Gesundheitsstörungen zu Grunde lagen.

Auch die Vernehmung des seit 1983 behandelnden Hausarztes Dr. G. im Berufungsverfahren hat für die Jahre 1983 bis 1985 keine Anhaltspunkte für weitergehende wesentliche Gesundheitsstörungen ergeben. Der Zeuge hat aufgrund seiner persönlichen Aufzeichnungen über die Behandlung der Klägerin ab November 1983 detailliert über Beschwerdeangaben, erhobene Befunde, gestellte Diagnosen und erfolgte Behandlungen berichtet. Danach lagen bei der Klägerin bereits bei Beginn der Behandlung ein depressives Syndrom, eine Adipositas und ein Handekzem vor. Hinzu kam im Januar 1984 eines Phlebitis und Varikosis am linken Unterschenkel bei bestehenden Beinkrämpfen und Beinschmerzen sowie im März 1984 eine Behandlung wegen Kreislaufkollaps bei akuter vegetativer Dystonie mit dem Vermerk, die Klägerin habe Stress mit den Kindern, Probleme mit dem Hund und mit der Familie. Im August 1984 wurden Myogelosen im Nackenbereich bei Bewegungsschmerz diagnostiziert. In den Angaben des Dr. G. finden sich über den gesamten Zeitraum hinweg wiederholt Feststellungen über depressive Zustände der Klägerin und über Entzündungszeichen, für die Dr. G. bereits im Dezember 1983 das chronische Handekzem als möglichen Grund benannt hat. Die zunehmenden Hörstörungen haben sich nach seinen Aufzeichnungen nach Verordnung von Hörgeräten bereits im Oktober 1984 gebessert. Darüber hinaus finden sich vereinzelt Beschwerdeangaben wie Schwindelsymptomatik nach Gewichtsabnahme (September 1984), Knieschmerzen (Oktober 1984), Hämatom und chronische Lippenragaden (Januar 1985), erneut Kreislaufkollaps bei Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose bzw. Phlebitis (April 1985) und präkordiale Schmerzen bei Anstrengung und Aufregung (September 1985, große Untersuchung ohne pathologischen Befund). Danach bestanden bei der Klägerin zwar verschiedene Beschwerdebilder und vorübergehende Beschwerden unterschiedlicher Art, doch ist unter Berücksichtigung des Befundberichts vom 31. Januar 1985 davon auszugehen, dass neben Depression, Schwerhörigkeit, Adipositas, Beinvenenphlebitis und Hörminderung bis zum Dezember 1984 tatsächlich keine weiteren dauerhaft leistungsmindernden Gesundheitsstörungen bei der Klägerin vorgelegen haben.

Diese Gesundheitsstörungen rechtfertigen die Annahme einer Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit jedoch nicht. Die festgestellte Hörminderung wurde durch eine Hörgeräteversorgung ausgeglichen. Hinweise, dass eine umgangssprachliche Verständigung mit der Klägerin nicht möglich war, enthalten die vorhandenen medizinischen Unterlagen nicht. Den Unterlagen ist auch nicht zu entnehmen, dass zum damaligen Zeitpunkt infolge der Adipositas und der Beinvenenphlebitis wesentliche orthopädische Funktionseinschränkungen oder eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit vorgelegen haben. Bezüglich der Depression hat die Sachverständige Dr. B. überzeugend dargelegt, dass diese nach den dokumentierten Befunden nur leicht ausgeprägt war. Dies entspricht den Feststellungen des damaligen behandelnden Nervenarztes Dr. S. , der bei seiner erstmaligen Untersuchung im Oktober 1987 neben einer Grenzdebilität bei Verdacht auf frühkindliche Hirnschädigung eine reaktiv depressive Symptomatik diagnostiziert hat. Die festgestellte Grenzdebilität bedingt keine Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit der Klägerin, denn sie war mit dieser Gesundheitsstörung von 1965 bis 1974 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Für die Beschäftigung von September 1968 bis April 1971 als Näherin hat der damalige Arbeitgeber ausdrücklich bestätigt, dass die Klägerin dort unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes tätig war. Die weiteren Arbeitgeber konnten, soweit sie zu ermitteln waren, keine Angaben zur damaligen Tätigkeit der Klägerin machen. Die später hinzugetretene reaktive Depression rechtfertigt nach Ansicht der Sachverständigen Dr. B. auch im Hinblick auf die fehlende fachpsychiatrische Behandlung der Klägerin nicht die Annahme einer zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Die Sachverständige hat diese Leistungseinschätzung auch in Kenntnis der detaillierten Angaben des Dr. G. über die Behandlung der Klägerin in den Jahren 1983 bis 1985 ausdrücklich bestätigt. Später hinzugetretene Gesundheitsstörungen sind für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit vor dem 1. Januar 1985 ohne Belang.

Danach ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die Klägerin bereits vor dem 1. Januar 1985 nicht mehr in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Auch eine Berufsunfähigkeit der Klägerin kommt nicht in Betracht, da sie nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt, keine berufliche Qualifizierungsmaßnahme durchlaufen und keine Anlernzeit zurückgelegt hat, so dass sie aufgrund der von ihr sozialversicherungspflichtig ausgeübten ungelernten Tätigkeiten innerhalb des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen und ohne Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit sozial auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist. Selbst wenn aufgrund der festgestellten Diagnosen und der aktenkundigen Beschwerdeangaben zu Gunsten der Klägerin angenommen wird, dass sie bereits vor dem 1. Januar 1985 nur noch körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit und das Hörvermögen verrichten konnte, lag zum damaligen Zeitpunkt weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würde.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Klagebegehren auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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