L 19 B 1000/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 1 AS 284/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 1000/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 25. September 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den auf Gewährung vorläufiger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose (Regelsatz und Kosten der Unterkunft vom 1. Mai 2006 an) gerichteten Antrag zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorliegen.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung), als auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Bei seiner Entscheidung über den Antrag kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen, als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war der Antragsgegner nicht vorläufig zur Leistungsgewährung zu verpflichten, weil mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass ein Anordnungsanspruch nicht vorliegt.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren bei einer verständigen Würdigung des Antragsbegehrens nicht nur von der Antragstellerin zu 1), sondern auch von deren minderjähriger Tochter, der Antragstellerin zu 2), betrieben wird. Dem steht nicht entgegen, dass in der Antragsschrift allein die Antragstellerin zu 1) bezeichnet ist, denn die Antragserhebung ist als Prozesshandlung einer Auslegung zugänglich, die ergibt, dass mit dem Verfahren nicht nur Leistungen an die Antragstellerin zu 1), sondern auch an die Antragstellerin zu 2) geltend gemacht werden. In der Sache geht es nämlich um die Weitergewährung der den Antragstellerinnen seit 1. Januar 2005 gewährten Leistungen (Regelleistungen an die Antragstellerin zu 1) sowie Sozialgeld an die Antragstellerin zu 2)). Die Antragstellerinnen bilden zwar eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nrn. 1 und 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II -, dies bedeutet aber nicht, dass Leistungsansprüche der Bedarfsgemeinschaft selbst zustehen. Vielmehr handelt es sich um Einzelansprüche, die von den jeweiligen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft geltend zu machen sind (eingehend dazu Urteil des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 -).

Ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben, weil Leistungen nach dem SGB II nur an Personen gewährt werden, die Hilfebedürftig sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II wer seinen Lebensunterhalt nicht aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann. Absatz 2 der genannten Vorschrift bestimmt, dass bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen ist. Bei einer Würdigung des gesamten Verfahrens steht zur Überzeugung des Senat fest, dass nicht nur die Antragstellerinnen untereinander, sondern auch mit R K (im Folgenden K) eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II in der bis 31. Juli 2006 geltenden Fassung gehört zur Bedarfsgemeinschaft auch die Person, die mit dem Erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung bestimmt, dass zur Bedarfsgemeinschaft auch eine Person gehört, die mit dem Erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ergänzend dazu ist in § 7 Abs. 3 a SGB II in der geltenden Fassung geregelt, dass ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, unter anderem dann vermutet wird, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen leben oder mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben.

Die Antragstellerinnen und K bilden eine Bedarfsgemeinschaft im vorgenannten Sinne. Dies wird durch eine Vielzahl erheblicher Indizien belegt. Ein wesentliches Indiz dafür ist die Dauer (auf die nunmehr auch die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3 a SGB II in der geltenden Fassung abstellt) und die Art des Zusammenlebens. Nach Angaben der Antragstellerin zu 1) begann die Beziehung zu K im April 1999, es erfolgte jedoch im November des gleichen Jahres eine Trennung. Mit der Geburt der gemeinsamen Tochter am 25. April 2000, für die die Antragstellerin zu 1) das alleinige Sorgerecht besitzt, entwickelte sich dann eine neue Beziehung zu K, die sich sodann offensichtlich so sehr verfestigte, dass K 2003 für die Antragstellerinnen und sich ein Haus baute. Der Einlassung der Antragstellerin, im September 2004 sei es im letzten gemeinsamen Urlaub zur endgültigen Trennung gekommen, vermochte das Gericht nicht zu folgen. Die Antragstellerinnen sind nämlich unmittelbar nach der geltend gemachten Trennung im Oktober bzw. November 2004 in das Haus des K eingezogen, in dem sie bis heute wohnen. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass Partner, die bereits in einem gewissen Zeitraum in einer gefestigten und damit eheähnlichen Gemeinschaft zusammen gelebt haben, unmittelbar nach der Trennung gemeinsam ein kleineres Einfamilienhaus beziehen, das schon aufgrund der dort gegebenen räumlichen Verhältnisse eine Trennung der Lebensbereiche praktisch nicht ermöglicht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der von K nach den Angaben der Antragstellerin zu 1) als Wohn- und Schlafzimmer im Erdgeschoss genutzte Raum kein Bett, sondern lediglich eine Schlafcouch aufweist, während in den angeblich nur von den Antragstellerinnen benutzten Räumen im ersten Obergeschoss sich nicht nur ein Kinderzimmer, sondern auch ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett befindet. Vom Außendienst der Antragsgegnerin wurde im Übrigen festgestellt, dass die Couch keine Spuren aufwies, die auf einen regelmäßigen Gebrauch als Schlafplatz hindeuten. Gegen das Wohnen in voneinander getrennten Bereichen spricht nach Auffassung des Senats vor allen Dingen aber, dass der als Wohn- und Schlafzimmer des K geltend gemachte Raum ein Durchgangszimmer ist, das zum Betreten der auch von den Antragstellerinnen genutzten Küche durchquert werden muss.

Nicht glaubhaft ist nach Auffassung des Senats zudem, dass die Antragstellerinnen Miete an K zahlen. Zwar wurde im Verfahren ein Untermietvertrag vom 25. Oktober 2004 vorgelegt. Unabhängig davon, dass ein Untermietvermietverhältnis offensichtlich nicht vorliegt, weil K Hauseigentümer ist, ist aber auch eine Mietzahlung aufgrund dieses Vertrages schon deshalb nicht glaubhaft, weil Mietkosten von der Antragstellerin zu 1) gegenüber dem Antragsgegner erstmals in dem im Mai 2006 gestellten Fortzahlungsantrag geltend gemacht wurden. Bei den vorhergehenden Leistungsanträgen hatte die Antragstellerin zu 1), der die Formulare zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung ausgehändigt worden waren, ausdrücklich auf eine Antragstellung diesbezüglich verzichtet. Eine plausible Erklärung für dieses Verhalten ist von der Antragstellerin zu 1) nicht abgegeben worden, so dass die Vermutung gerechtfertigt ist, dass den Antragstellerinnen von K, wie in einer verfestigten Beziehung, aus der zudem ein gemeinsames Kind hervorgegangen ist, üblich, ein kostenloses Wohnrecht eingeräumt wird. Dafür spricht auch, dass nach den Angaben des Antragsgegners, denen die Antragstellerinnen nicht entgegengetreten sind, von K keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gegenüber dem Finanzamt angegeben werden.

Ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer eheähnlichen bzw. einer Verantwortungsgemeinschaft findet sich in dem von der Antragstellerin zu 1) am 13. November 2004 unterzeichneten Antrag auf Kraftfahrzeugversicherung. Darin war von der Antragstellerin zu 1) unter anderem angegeben worden, sie - als Versicherungsnehmerin - und ihr Ehe-/Lebenspartner fahre das Fahrzeug. Zudem hatte die Antragstellerin zu 1) gegenüber der Kraftfahrzeugversicherung geltend gemacht, dass sie bzw. ihr Ehegatte über eine Wohngebäudeversicherung für ein selbst genutztes Ein- oder Zweifamilienhaus verfüge.

Ein weiteres gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer nichtehelichen Gemeinschaft bzw. Einstandsgemeinschaft ist der von der Antragsgegnerin ermittelte Umstand, dass die Kindergartengebühren für die Antragstellerin zu 2) unter Berücksichtigung der Einkünfte des K berechnet und auch gezahlt werden. Auch diesen tatsächlichen Widerspruch zu dem Vorbringen im vorliegenden Verfahren haben die Antragstellerinnen nicht auszuräumen vermocht.

Ist nach alledem aufgrund der vorgenannten Indizien vom Bestehen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft bzw. Verantwortungsgemeinschaft auszugehen, bedarf es eines Rückgriffs auf die zum 1. August 2006 eingeführte gesetzliche Vermutung in § 7 Abs. 3 a SGB II in der geltenden Fassung nicht. Gehört K der Bedarfsgemeinschaft an, sind auch seine Einkünfte und Vermögensverhältnisse bei der Ermittlung der Hilfebedürftigkeit mit der Folge zu berücksichtigen, dass es sich dabei um für die Leistung erhebliche Tatsachen im Sinne von § 60 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - handelt, deren Angabe grundsätzlich zu den Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten zählen. Allerdings erstrecken sich die Mitteilungspflichten des Antragstellers/Leistungsempfängers nur auf Tatsachen, die ihm selbst bekannt sind oder deren Beschaffung ihm ohne weiteres möglich ist. Daran könnte es hier fehlen, denn die Antragstellerinnen haben geltend gemacht, K weigere sich, ihnen diesbezügliche Auskünfte zu erteilen. Es kann im Ergebnis jedoch offen bleiben, ob die von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 17. Juli 2006 ausgesprochene Versagung (nach § 66 Abs. 1 SGB I) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes wegen fehlender Mitwirkung rechtmäßig ist, denn ein Leistungsanspruch ist auch dann nicht gegeben, wenn die Hilfebedürftigkeit eines in eheähnlicher Gemeinschaft oder Verantwortungsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II lebenden Hilfesuchenden trotzt aller der Behörde zur Verfügung stehenden Sachaufklärungsmöglichkeiten unaufgeklärt bleibt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Mai 2005 - 5 C 16/93 - = NJW 1995 2802). Dies ist hier der Fall, denn der Antragsgegner hat sich erfolglos bemüht, die Auskünfte von K direkt zu erlangen. Weitergehende Möglichkeiten, den nicht am Antragsverfahren beteiligten K zur Auskunftserteilung zu zwingen, bestehen nicht.

Auch unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache, dass die einstweilen begehrte Leistung der Existenzsicherung dient, konnte der Antrag keinen Erfolg haben. Obdachlosigkeit kann hier nicht ernsthaft drohen, denn es liegt auch im Interesse des K, dass sein leibliches Kind und die dafür sorgeberechtigte Antragstellerin zu 1) nicht wohnungslos werden. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin zu 1) auch über zu berücksichtigendes Vermögen verfügen dürfte, da sie neben einem PKW auch ein Motorrad besitzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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