L 4 R 2113/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 237/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2113/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin ab 29. April 2004 Rente wegen Erwerbsminderung zusteht.

Die am 1947 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige; sie ist Mutter von 1970, 1978 und 1979 geborenen Kindern. Ihren Angaben zufolge erlernte sie in ihrer Heimat den Beruf der Rechtsanwaltsgehilfin, wobei sie dort vom 13. August 1963 bis 17. Juni 1966 die Schule besuchte. Danach arbeitete sie vom 01. Februar 1967 bis 31. Januar 1969 und zuletzt vom 01. Februar 1969 bis 15. September 1970 nach ihrem Vorbringen auf einem Gemeindegericht. Am 19. September 1971 kam die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland. Vom 01. Januar 1974 bis 30. Juni 1986 war sie – mit Unterbrechungen durch Zeiten der Kindererziehung – versicherungspflichtig in von ihrem Ehemann betriebenen Gaststätten beschäftigt. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1986 führte die Klägerin selbstständig das Hotel und Restaurant "Alte Mira" in S., das sie ihren Angaben zufolge im September 2003 aus gesundheitlichen Gründen aufgab. Vom 01. Juli 1986 bis 31. Mai 2004 entrichtete sie freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung.

Am 29. April 2004 beantragte die Klägerin bei der früheren Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (jetzt Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte erhob das am 01. Juni 2004 erstattete Gutachten des Internisten Dr. B ... Der Sachverständige, dem zahlreiche Arztbriefe vorlagen, stellte folgende Diagnosen: Asthma bronchiale (Fremddiagnose), Kniegelenksarthrose links, Impingmentsyndrom der rechten Schulter. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne inhalative Belastungen, ohne häufiges Klettern und Steigen, ohne Knien und Hocken, ohne Überkopfarbeiten noch vollschichtig ausführen. Vollschichtig könne sie auch als Geschäftsführerin eines Hotels oder Restaurants arbeiten. Mit Bescheid vom 04. Juni 2004 lehnte danach die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vorlägen. Die Klägerin machte mit dem dagegen eingelegten Widerspruch geltend, dass sie mindestens täglich drei Stunden an einer "Sauerstoffmaschine" angeschlossen sei. Sechs bis siebenmal im Jahr habe sie Wasser im linken Knie, wobei in den letzten fünf Jahren zwei Meniskusoperationen durchgeführt worden seien. Ferner bestünden starke Rückenschmerzen. Es sei auch das Impingmentsyndrom der rechten Schulter zu berücksichtigen. Ein weiterer wichtiger Grund sei, dass sie aufgrund ihrer schlechten Deutschkenntnisse keine Bürotätigkeit ausüben könne. Eine körperliche Arbeit sei ihr bei ihrem derzeitigen Zustand beim besten Willen nicht möglich. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsausschusses vom 23. Dezember 2004).

Deswegen erhob die Klägerin am 13. Januar 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Stuttgart. Sie benannte die sie behandelnden Ärzte, die als sachverständige Zeugen gehört werden müssten. Ferner solle ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, denn sie sei nicht mehr in der Lage, noch sechs Stunden pro Tag zu arbeiten. Sie wies auf die Benutzung eines "Atemgeräts" hin. Bei ihr sei auch blutiger Auswurf eingetreten, zuletzt ungefähr im Jahre 2004. Derzeit sei sie nicht in psychiatrischer Behandlung, weil sie sich stabil fühle. Sie habe Probleme beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen, weil sie Dämpfe und Gerüche störten. Dies gelte auch für die Gerüche von Wasch- oder Putzmitteln zu Hause. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten und ärztlicher Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin Dr. J. vom 27. April, 08. Juli und 30. November 2005 entgegen. Das SG erhob schriftliche Auskünfte als sachverständige Zeugen des Facharztes für Orthopädie, Sportmedizin Dr. H. vom 21. Februar 2005 und der Praktischen Ärztin Dr. R. vom 11. März 2005 sowie deren am 09. Juni 2005 beim SG eingegangene weitere Auskunft. Beide Ärzte reichten weitere Arztbriefe und Klinikberichte ein.

Mit Urteil vom 09. März 2006, das der Klägerin gegen Einschreiben mit Rückschein am 18. März 2006 zugestellt wurde, wies das SG die Klage, nachdem es die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört hatte, ab. Es führte aus, die Kammer habe sich aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen, wonach die Klägerin unter Erkrankungen auf internistischem, orthopädischem sowie psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet leide, nicht davon überzeugen können, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, auch leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinem Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich nachzukommen. Auch lägen keine Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder für eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (BU). Im Rahmen des Mehrstufenschemas sei die Klägerin in die Gruppe der angelernten Arbeiter einzuordnen und sei damit auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar. Insoweit komme es nicht darauf an, ob die Klägerin die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als selbstständige Geschäftsführerin noch weiterhin ausüben könne. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin am 28. April 2006 beim SG schriftlich Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie macht geltend, sie sei weder physisch noch psychisch in der Lage, auch nur leichte Arbeiten auszuführen. Die Klägerin hat auch Angaben zu den in Kroatien zurückgelegten Versicherungszeiten bis zum 15. September 2004 gemacht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09. März aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 04. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Dezember 2004 zu verurteilen, ihr ab 29. April 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Sie macht geltend, für die Erteilung eines Rentenbescheids wäre im Hinblick auf die von der Klägerin in Kroatien zurückgelegten Versicherungszeiten die Deutsche Rentenversicherung Niederbayern-Oberpfalz zuständig. Die Beklagte hat ein Versicherungsverlauf der Klägerin vom 07. Juni 2006 eingereicht.

Die vom Berichterstatter des Senats mit Beschluss vom 07. Juni 2006 beigeladene Deutsche Rentenversicherung Niederbayern-Oberpfalz beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter des Senats hat das internistisch-kardiologisch-pneumologische Sachverständigengutachten des Arztes für Innere Medizin, Kardiologie und Chefarztes des Kreiskrankenhauses H., Medizinische Klinik, Kardiologie Dr. Bi. vom 05. Dezember 2006 erhoben, auf das Bezug genommen wird.

Der Berichterstatter des Senats hat die Beteiligten mit Schreiben vom 14. Dezember 2006 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hingewiesen. Die Beigeladene hat dieser Vorgehensweise zugestimmt. Die übrigen Beteiligten haben sich dazu nicht geäußert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entschieden hat, ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht weder ab 29. April 2004 noch ab einem späteren Zeitpunkt Rente wegen voller oder wegen teilweiser Erwerbsminderung oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei BU gemäß §§ 43 Abs. 1 und 2, 240 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) zu, weder gegen die Beklagte noch gegen die Beigeladene. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden pro Tag zu verrichten, so dass ein Rentenanspruch nicht besteht. Damit sind die angegriffenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils.

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Hinsichtlich der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem sowie auf neurologischem und psychiatrischem Sachgebiet vermag auch der Senat keine quantitative Leistungseinschränkung zu bejahen, zumal die Klägerin bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Bi. am 14. November 2006 nur Probleme beim Aufstehen aus dem Sitzen sowie Schmerzen im lateralen Knie rechts beim Laufen auf unebenen Boden angegeben hat, weshalb eine Meniskus-Operation rechts geplant sei. Im linken Knie hatte sie keine Beschwerden mehr. Auch die Schmerzen in der linken Schulter waren nur leicht und sogar deutlich vermindert gegenüber früher. Auch psychisch fühlte sie sich stabil, weshalb sie keine Notwendigkeit für eine psychologische Unterstützung sah. Insoweit fanden auch entsprechende fachärztliche Behandlungen mehr statt. Daher war hinsichtlich dieser Fachgebiete die Erhebung von weiteren Sachverständigengutachten nicht geboten.

Auch für das internistisch-kardiologisch-pneumologische Fachgebiet vermag der Senat aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. Bi. vom 05. Dezember 2006 keine quantitative Leistungseinschränkung auf eine tägliche Arbeitszeit von weniger als sechs Stunden für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festzustellen. Abgesehen davon, dass die Klägerin selbst bei der Untersuchung am 14. November 2006 angegeben hat, vor allem von Seiten der Atmung habe sie derzeit keinerlei Probleme, hat der Sachverständige Dr. Bi. nur eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung im aktuellem Stadium Null festgestellt, jedoch keinen Anhalt für eine koronare Herzerkrankung und auch nicht für eine restriktive oder obstruktive Ventilationsstörung. Auch hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin keine Notwendigkeit für den dauerhaften Gebrauch von inhalativen Steroiden bzw. für ein Sauerstoffgerät bestehe. Soweit der Sachverständige darauf hingewiesen hat, bei der Klägerin bestehe ein Globusgefühl und es lägen auch Missempfindungen im Mund/Rachen und hinter dem Brustbein vor, die er möglicherweise auf die Fehlanwendung der steroridhaltigen Inhalativa zurückführt, ergibt dies auch nach der Einschätzung des Sachverständigen keine quantitative Leistungseinschränkung. Daraus, dass die Klägerin stickige, verrauchte Räume, also Tätigkeiten im Gaststättengewerbe und im Großraumbüros, in denen geraucht werde, meiden solle, ergibt sich ein Rentenanspruch nicht, zumal die Klägerin, wie unten darzulegen sein wird, breit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen ist. Auch daraus, dass der Sachverständige eine Meidung einer Teilnahme am öffentlichem Verkehr, wie Busbahnhof und Bahnhof mit hoher Feinstaubbelastung, abrät, ergibt sich nicht, dass allein deswegen davon auszugehen ist, dass bei der Klägerin eine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen vorliegt, die die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würde. Danach steht der Klägerin Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht zu.

Sie hat, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei BU. Auch der Senat geht, ebenso wie das SG, davon aus, dass die Klägerin, ohne eine besondere Ausbildung, lediglich durch Anlernung im Betrieb des Ehemannes, in der Zeit von 1974 bis 30. Juni 1986, als sie versicherungspflichtig beschäftigt war, alle Arbeiten erledigt hat, die im Rahmen einer Gaststätte angefallen sind. Damit ist die Klägerin allenfalls in die Gruppe der einfach angelernten Arbeitnehmer mit einer Anlernzeit bis zwölf Monaten einzustufen, weshalb sie keinen besonderen Berufsschutz genießt, sondern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbar ist, wo sie, wie dargelegt, noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Danach war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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