L 7 AL 4649/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 3734/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 4649/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. August 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung von Insolvenzgeld (InsG) wegen Versäumung der Ausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).

Der 1962 geborene Kläger war vom 27. November 1999 bis 31. März 2000 bei der Bewachungsfirma J. W. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers. Der Kläger erwirkte im Wege des Versäumnisurteils die Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung ausstehender Lohnforderungen für die Monate Januar bis März 2000 (Arbeitsgericht Karlsruhe vom 14. März 2001 - 0.5 Ca 221/00). Ein Vollstreckungsversuch am 12. April 2001 blieb erfolglos.

Am 31. März 2005 beantragte der Kläger die Zahlung von InsG für den Zeitraum 1. Januar bis 31. März 2000 und verwies hierbei auf die Gewerbeabmeldung der Firma W. am 14. November 2003. Nach schriftlichem Hinweis der Beklagten, dass die Firma W. die Betriebstätigkeit bereits am 16. Mai 2001 vollständig eingestellt habe, trug der Kläger vor, zum Zeitpunkt des Vollstreckungsversuchs im April 2001 sei die Betriebstätigkeit nach Auskunft des Gerichtsvollziehers noch nicht eingestellt gewesen. Weitere Vollstreckungsversuche seien aus Kostengründen nicht unternommen worden. Im Rahmen der Vorbereitung eines neuen Vollstreckungsversuchs habe der Bevollmächtigte des Klägers durch eine Gewerberegisterauskunft von der Gewerbeabmeldung Kenntnis erhalten. Mit Bescheid vom 22. Juli 2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zahlung von InsG wegen Versäumung der Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 SGB III ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2005 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Bewachungserlaubnis für den Betrieb des ehemaligen Arbeitgebers bereits mit Bescheid vom 16. Mai 2001 von der Stadt E. , Amt für öffentliche Ordnung, widerrufen worden sei. Die Betriebstätigkeit sei daher bereits ab diesem Tag nicht mehr erlaubt gewesen. Das Datum der Betriebsaufgabe 14. November 2003 sei für die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit nicht maßgeblich. Eine Nachfrist im Sinne des § 324 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB III könne nicht gewährt werden. Dem Kläger sei bei der Beantragung von Arbeitslosengeld am 22. Februar 2001 ein Merkblatt ausgehändigt worden, in dem er auf die Möglichkeit der Beantragung von InsG hingewiesen worden sei. Spätestens aufgrund der erfolglosen Zwangsvollstreckung habe der Kläger von der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers gewusst. Er habe sich nicht weiter mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht, da er erst vier Jahre später habe prüfen lassen, ob weitere Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht kommen.

Hiergegen richtet sich die am 20. September 2005 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Der Kläger bleibt dabei, das Gewerbe sei erst am 14. November 2003 tatsächlich endgültig eingestellt worden. Es sei ihm nicht möglich gewesen, hiervon zeitnah Kenntnis zu erlangen. Es sei abwegig, dass der Kläger ständig die Frage der Betriebsstilllegung hätte überprüfen sollen. Es könne von ihm nicht verlangt werden, dass er im Hinblick auf die bereits abgegebene eidesstattliche Versicherung seines ehemaligen Arbeitgebers ständig kostspielige Maßnahmen zur Durchsetzung seiner Ansprüche durchführe.

Gleichzeitig mit der Klageerhebung hat der Kläger auch Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt, den das SG mit Beschluss vom 19. Dezember 2005 mangels Erfolgsaussichten abgelehnt hat. Die hiergegen eingelegte Beschwerde ist erfolglos geblieben. Im Beschluss vom 20. März 2006 hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, dass die Fristversäumnis auch bei längerem Abwarten der Erfolglosigkeit der Zwangsvollstreckung zu vertreten sei. Der Kläger habe nach einem erfolglosen Vollstreckungsversuch im Jahre 2001 mit weiteren Maßnahmen zur Durchsetzung seiner Ansprüche bis ins Jahr 2005 zugewartet und in diesem Zusammenhang von dem Insolvenzereignis Kenntnis erlangt. Dieses Verhalten genüge den Anforderungen an ein sorgfältiges Bemühen um die Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche in keiner Weise (L 3 AL 224/06 PKH-B).

Mit Gerichtsbescheid vom 3. August 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe die zweimonatige Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 SGB III nicht eingehalten, unabhängig davon, ob als Frist auslösendes Insolvenzereignis der Entzug der Betriebserlaubnis zum 16. Mai 2001 oder die Abmeldung des Gewerbes zum 16. November 2003 zugrunde zu legen sei. Auch eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III sei dem Kläger nicht einzuräumen, da er die Versäumung der Zweimonatsfrist zu vertreten habe.

Dagegen wendet sich die am 11. September 2006 beim LSG eingelegte Berufung des Klägers. Dem Kläger sei es weder möglich noch zumutbar gewesen, Kenntnis von der Betriebsstilllegung zu erlangen. Der Kläger sei von der Beklagten auch nicht ausreichend über die Möglichkeit eines Insolvenzgeldantrags informiert worden, diese sei ihrer Aufklärungs- und Informationspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Die Beklagte habe dem Kläger auch aus Gesichtspunkten der Amtshaftung den Schaden zu ersetzen, der durch die Ablehnung des Insolvenzgeldantrags entstanden sei. Im Wege der Naturalrestitution belaufe sich dieser Anspruch auf Zahlung des beantragten Insolvenzgeldes. Entsprechend der Auskunft des Gewerberegisters sei die Betriebstätigkeit erst am 14. November 2003 eingestellt worden. Die Voraussetzungen für eine Nachfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III seien gegeben. § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III spreche von der erforderlichen Sorgfalt des Antragstellers bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber und nicht von der sorgfältigen Prüfung des Vorliegens von eventuellen Insolvenzereignissen. Durchsetzung der Ansprüche bedeute gerichtliche Geltendmachung und - wenn überhaupt - anschließende Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Arbeitgeber. Der Kläger habe seine Ansprüche titulieren lassen und die Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung mehrfach betrieben. § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III betreffe den Fall, dass der Arbeitnehmer keine Kenntnis von der Insolvenz habe, weil er sich nicht um seine Ansprüche gekümmert habe. Dies bedeute aber nicht, dass ihm abverlangt würde, Kosten der Rechtsverfolgung und -vollstreckung zur Durchsetzung seiner Ansprüche aufzuwenden (unter Hinweis auf Gagel, § 324 Rdnr. 32). Bei § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III gehe es daher um die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Insolvenz, nicht um die Kenntnis des Zeitpunkts des Insolvenzereignisses. Das Insolvenzereignis sei dem Kläger erst Ende März 2005 bekannt geworden. Das SG habe dagegen rechtsirrig auf eine angeblich fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzereignisses abgestellt, es verwechsele die Begriffe Insolvenz (§ 324 Abs. 3 SGB III) und Insolvenzereignis im Sinne von § 183 Abs. 1 SGB III. Der Kläger habe die erforderliche Sorgfalt bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber walten lassen. Aus Kostengründen habe sich der Bevollmächtigte des Klägers in längeren Zeitabständen telefonisch beim Gerichtsvollzieher nach den finanziellen und betrieblichen Verhältnissen des Schuldners erkundigt. Eine Betriebsstilllegung sei dabei nach den Auskünften des Gerichtsvollziehers nicht zu verzeichnen gewesen. Darüber hinaus habe der Kläger im November 2001 einen schweren Autounfall erlitten; anschließende Rehamaßnahmen hätten mehrere Monate in Anspruch genommen. Diesen Umstand habe das SG völlig unberücksichtigt gelassen.

Der Kläger beantragt:

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. August 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 31. März 2000 Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Unkenntnis vom Eintritt der anspruchsauslösenden Umstände (hier Betriebseinstellung) habe der Kläger zu vertreten. Zu vertreten habe der Arbeitnehmer jede Fahrlässigkeit. Nachdem der Kläger erfolglos versucht habe, seine Forderung vollstrecken zu lassen, sei die Zahlungsunfähigkeit des ehemaligen Arbeitgebers offensichtlich gewesen. Sehe man in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger bei der seinerzeitigen Beantragung von Arbeitslosengeld im Merkblatt für Arbeitslose ausdrücklich auf die für die Beantragung von InsG maßgeblichen Fristen und die Wichtigkeit der Einhaltung dieser Fristen hingewiesen worden sei, müsse gesagt werden, dass er die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen habe, als er bis zu einem weiteren Vollstreckungsversuch nahezu vier Jahre habe verstreichen lassen. Er hätte in der Zwischenzeit alle Möglichkeiten nutzen müssen, um sich vom Geschäftsfortgang des ehemaligen Arbeitgebers Kenntnis zu verschaffen.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Leistungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der geltend gemachte Anspruch auf InsG den Beschwerdewert von 500,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat für den Zeitraum 1. Januar bis 31. März 2000 keinen Anspruch auf InsG, da er den entsprechenden Antrag nicht rechtzeitig gestellt hat.

Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. InsG ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird InsG geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB III).

Ein Insolvenzereignis im Sinne der Nr. 1 oder Nr. 2 des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegt hier ersichtlich nicht vor, maßgebend ist vielmehr die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit bei Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III. Der Senat geht davon aus, dass die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit aufgrund des Widerrufs der Bewachungserlaubnis durch das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt E. mit Bescheid vom 16. Mai 2001 erfolgte. Eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit liegt vor, wenn keine dem Betriebszweck dienenden Arbeiten mehr verrichtet werden, wozu reine Erhaltungs-, Abwicklungs- oder Liquidationsarbeiten nicht zählen (BSG SozR 4100 § 141 b Nr. 19). Nach den Angaben im Gewerberegister handelte es sich bei der Firma J. W. um ein Bewachungsgewerbe nach § 34 a Gewerbeordnung (Personen-/Objektschutz). Durch den Wegfall der Bewachungserlaubnis konnte somit der Betriebszweck nicht mehr verfolgt werden. Dabei kann dahin stehen, an welchem Tag dieser Bescheid dem Arbeitgeber bekannt gegeben und damit wirksam wurde, da angesichts der Antragstellung erst am 31. März 2005 jedenfalls kein Zweifel daran besteht, dass die Zweimonatsfrist abgelaufen ist. Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde nicht gestellt, Masseunzulänglichkeit lag zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung vor, wie dies der InsG-Tatbestand des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III verlangt (vgl. BSG SozR 4100 § 141 e Nr. 5). Die Voraussetzung, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse offensichtlich nicht in Betracht kommt, fordert nicht das Vorliegen von Tatsachen, die den zwingenden Schluss zulassen, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt. Es genügt vielmehr der sich aus äußeren Tatsachen ergebende Eindruck eines unvoreingenommenen Betrachters, wenn also alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für Masseunzulänglichkeit sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - (juris)). Vorliegend kann aufgrund der Tatsachen, dass der Arbeitgeber über mehrere Monate keinen Lohn gezahlt hatte, ihm gegenüber Versäumnisurteile wegen Lohnrückständen ergangen waren, er schließlich am 10. April 2001 eine eidesstattliche Versicherung abgab und der Versuch der Zwangsvollstreckung des Klägers im April 2001 erfolglos blieb, von Masseunzulänglichkeit ausgegangen werden. Selbst wenn das Insolvenzereignis erst mit der Abmeldung des Gewerbes durch den Arbeitgeber am 14. November 2003 eingetreten wäre, wäre die zweimonatige Ausschlussfrist bei Antragstellung jedenfalls abgelaufen gewesen. Die zweimonatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III beginnt mit Eintritt des Insolvenzereignisses ohne Rücksicht darauf, ob dieses dem Arbeitnehmer bekannt ist (ständige Rechtsprechung des BSG zur insoweit wortgleichen Bestimmung des § 141e Abs. 1 AFG in der Fassung des 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979 - BGBl. I, 1189 - BSG SozR 4100 § 141e Nrn. 5 und 8).

Eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist vorliegend nicht eröffnet. Diese kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Versäumung der Antragsfrist nicht zu vertreten hat. Diese Vorschrift stellt eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X, § 67 SGG) dar (BSG, Urteil vom 4. März 1999, a.a.O.; BSG SozR 3-4100 § 141e Nr. 2). Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers kommt es hierbei auf die fahrlässige Unkenntnis vom Insolvenzereignis an (ständige Rechtsprechung, BSG SozR 4100 § 141e Nr. 5; BSG, Urteil vom 4. März 1999, a.a.O.). Der Kläger hat vorliegend die Antragsfrist unter Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt, die einem gewissenhaften Antragsteller zuzumuten war, versäumt. Zu vertreten hat der Arbeitnehmer insoweit jede Fahrlässigkeit. Eine auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis der rechtserheblichen Umstände schließt daher den Insolvenzgeldanspruch nach zwei Monaten aus (BSG SozR 4100 § 141e Nr. 5). Hinsichtlich der Sorgfaltspflicht gilt ein objektiver Verschuldensmaßstab, der sich an den Erkenntnismöglichkeiten und Fähigkeiten des Antragstellers orientiert. Zu vertreten hat danach der Antragsteller die Nichtbeachtung einer ihm nach seinen Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften Prozessführung nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2005 - L 28 AL 167/04 - (juris)).

Der Kläger hatte spätestens durch den erfolglosen Versuch der Zwangsvollstreckung im April 2001 Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit seines früheren Arbeitgebers. Zutreffend ist, dass zu diesem Zeitpunkt von einer Beendigung der Geschäftstätigkeit und damit dem Vorliegen eines Insolvenzereignisses noch nicht ausgegangen werden konnte. Dieses trat vielmehr erst im Mai 2001 mit dem Wirksamwerden des Widerrufs der Bewachungsgenehmigung ein, wie oben ausgeführt. Dem Kläger ist insoweit vorzuwerfen, dass er nach dem erfolglosen Versuch der Zwangsvollstreckung nahezu vier Jahre verstreichen ließ, bis er weitere Maßnahmen zur Durchsetzung seines Anspruchs ergriff. Dies genügt der erforderlichen Sorgfalt in keiner Weise. Auch eine Auskunft aus dem Gewerberegister wurde nach dem Jahr 2000 erst wieder im Jahr 2005 angefordert. Regelmäßige Anfragen an das Gewerberegister wären ohne unzumutbaren Kostenaufwand möglich gewesen. Darüber hinaus wäre es dem Kläger auch zuzumuten gewesen, vorsorglich einen Antrag auf InsG zu stellen, um angesichts des ungewissen Zustands im April 2001 - Fortführung der Geschäftstätigkeit trotz Zahlungsunfähigkeit - keine Nachteile erleiden zu müssen. Kosten werden von der Beklagten für eine derartige Antragstellung nicht erhoben. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, er habe als Rechtsunkundiger alles Erforderliche getan, indem er anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Denn insoweit ist ein Verschulden seines Bevollmächtigten ihm zuzurechnen (vgl. hierzu grundlegend BSG SozR 3-4100 § 141e Nr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2005 - L 28 AL 167/04 - (juris)). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger im November 2001 einen Autounfall hatte und aufgrund der hierbei erlittenen schweren Verletzungen über längere Zeit gesundheitlich nicht in der Lage zur Durchsetzung seiner Ansprüche war. Abgesehen von der Frage, ob nicht schon im November 2001 von verschuldeter Fristversäumnis ausgegangen werden müsste, so dass der nachfolgende Unfall keine Auswirkungen hätte, wird nicht einmal behauptet, dass der Kläger durchgehend für den gesamten Zeitraum bis ins Jahr 2005 gesundheitlich derart eingeschränkt gewesen sei, dass ihm seine Untätigkeit nicht vorgehalten werden dürfte. Der Kläger hat damit die nach den Umständen erforderliche und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen und deshalb keine Kenntnis von dem Insolvenzgeldanspruch auslösenden Insolvenzereignis erlangt. Er ist daher mit seinem Insolvenzgeldanspruch ausgeschlossen, da er den Antrag jedenfalls nicht spätestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt gestellt hat, zu dem er die genannten Umstände hätte kennen können (BSG SozR 4100 § 141e Nr. 5).

Darüber hinaus kann sich der Kläger nicht auf die Vorschrift des § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III mit dem Vorbringen berufen, er habe seine Ansprüche auf rückständigen Arbeitslohn sogar titulieren lassen und noch im April 2001, also kurz vor Eintritt des tatsächlichen Insolvenzereignisses, erfolglos die Zwangsvollstreckung betrieben. Denn in dieser Vorschrift ist nur geregelt, dass der Arbeitnehmer die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten hat, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Hieraus folgt aber nicht, dass die Versäumung der Ausschlussfrist nicht zu vertreten ist, wenn und solange der Arbeitnehmer sich in diesem Sinne bemüht hat. Wenn der Gesetzgeber an das von ihm erwartete "Bemühen" die Rechtsfolge hätte knüpfen wollen, dass die Antragsfrist so lange gehemmt oder unterbrochen sein soll, wie das Bemühen anhält, so hätte er das positiv ausgedrückt. Die tatsächlich gewählte Fassung enthält aber unmissverständlich nur eine "Sanktion" für den Fall des "Nichtbemühens" (BSG SozR 4100 § 141e Nr. 8). Darüber hinaus hatte der Kläger vorliegend seine Bemühungen nach April 2001 nahezu vollständig eingestellt. Die insoweit behaupteten, nicht jedoch näher nach Häufigkeit und zeitlichem Abstand konkretisierten Anrufe bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher reichen insoweit nicht aus.

Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches kann die Versäumung der Antragsfrist nicht geheilt werden. Ein Herstellungsanspruch kommt in Betracht, wenn durch pflichtwidriges Verhalten des Leistungsträgers eine verspätete Antragstellung erfolgt (BSG SozR 5070 § 10 Nr. 31; SozR 4100 § 125 Nr. 3). Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein Versicherter in bestimmten Fällen trotz Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen im Wege des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen, so gestellt zu werden, als lägen die Voraussetzungen vor, wenn es sich um Gestaltungen handelt, die gesetzlich zulässig sind (vgl. u.a. BSG SozR 2200 § 1418 Nr. 6 mwN); dies gilt insbesondere dann, wenn der Rechtsverlust darauf zurückzuführen ist, dass der Versicherungsträger eine sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Nebenpflicht zur Auskunft, Beratung und verständnisvollen Förderung des Versicherten (vgl. § 14 Sozialgesetzbuch -Allgemeiner Teil- -SGB I-) verletzt hat, weil er sie, obwohl ein konkreter Anlass zu den genannten Dienstleistungen bestand, nicht oder nicht ausreichend erfüllt hat (vgl. BSG SozR 4100 § 100 Nr. 11; SozR 2200 § 313 Nr. 6, jeweils m.w.N.). Typischerweise ist dies der Fall, wenn der Versicherungsträger den Versicherten nicht auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hingewiesen hat, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig erscheint, dass sie jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde (vgl. BSG SozR 7610 § 242 Nr. 5; SozR 2600 § 50 Nr. 2; SozR 1200 § 14 Nr. 15). Die Verletzung solcher Betreuungspflichten führt zum Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn sich der Versicherungsträger pflichtgemäß verhalten hätte (BSG a.a.O.; ebenso BSG SozR 2200 § 1290 Nr. 11). In Fällen der Versäumung von gesetzlichen Antragsfristen bedeutet dies, dass sich der Versicherungsträger auf den eingetretenen Fristablauf nicht berufen darf, den Versicherten vielmehr so zu behandeln hat, als sei der Antrag rechtzeitig gestellt worden ( BSG SozR Nr. 15 zu § 1286 RVO a.F.). Nichts anderes gilt im Ergebnis für die Versäumung von Ausschlussfristen, wenn sich die Berufung des Versicherungsträgers darauf aus den o.a. Gründen als rechtsmissbräuchlich erweist (vgl. BSG SozR 4100 § 72 Nr. 2; SozR 2200 § 1418 Nr. 6 m.w.N.; SozR 1200 § 14 Nr. 20; SozR 4100 § 141e Nr. 7 m.w.N.). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Herstellungsanspruch sind hier jedoch nicht gegeben. Ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat bei der Beklagten am 22. Februar 2001 Arbeitslosengeld beantragt und bei dieser Gelegenheit das Merkblatt für Arbeitslose erhalten. In diesem Merkblatt - Stand April 2000 wird unter Punkt 13 "Sonstige Hilfen" zum InsG wörtlich ausgeführt: "Falls Ihr letzter Arbeitgeber seine Zahlungen einstellen musste, haben Sie möglicherweise noch Ansprüche auf rückständiges Arbeitsentgelt. In diesem Fall können Sie unter bestimmten Voraussetzungen InsG beanspruchen ...Der Antrag auf InsG ist grundsätzlich innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach der Konkurseröffnung oder Konkursabweisung mangels Masse oder vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit zu stellen. Wird die Ausschlussfrist schuldlos versäumt, kann der Antrag noch innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall der Hinderungsgründe gestellt werden." Damit hatte der Kläger ohne weiteres die Möglichkeit, Kenntnis von der Möglichkeit des InsG-Bezugs sowie der maßgeblichen Ausschlussfrist zu nehmen. Zu einer weiteren persönlichen Beratung war die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt der Beantragung von Arbeitslosengeld nicht verpflichtet. Der Kläger hat seinen Vortrag, die Beklagte habe ihn nicht hinreichend aufgeklärt, in keiner Weise substantiiert, so dass auch insoweit nicht ersichtlich ist, was der Kläger der Beklagten konkret vorwirft. Nachdem schon eine Pflichtverletzung durch die Beklagte nicht vorliegt, führt auch der Gesichtspunkt der Amtshaftung nicht weiter, ganz abgesehen davon, dass zur Entscheidung über Amtshaftungsansprüche allein die ordentliche Gerichtsbarkeit berufen ist (vgl. §§ 17 Abs. 2 S. 2 und 71 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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