L 18 SB 18/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 SB 214/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 18/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9/9a SB 5/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Erledigungsgebühr nach Nr 1005 VV RVG setzt eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache voraus (vgl. BSG Urteile vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R u.a.). Die Begründung des Widerspruches und die Vorlage ärztlicher Befundberichte nach Aufforderung an den Mandanten, sich ärztlich un untersuchen zu lassen, reicht hierfür nicht aus.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.12.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

In Streit steht die Höhe der zu erstattenden Kosten eines Vorverfahrens, insbesondere die Erstattung einer Erledigungsgebühr nach der Nr 1005 iVm Nr 1002 des Vergütungsverzeichnisses (VV) in der Anlage zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Mit Bescheid vom 15.07.2004 stellte der Beklagte die beim Kläger vorliegenden Behinderungen mit einem (Gesamt-) Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Ebenfalls mit Datum 15.07.2004 bescheinigte der Beklagte dem Kläger das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung nach § 33b Einkommensteuergesetz (EStG).

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches vom 28.07.2004, einen Gesamt-GdB von 60 festzustellen, bezog sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf beigefügte ärztliche Berichte und übersandte mit Schreiben vom 01.09.2004 und 13.09.2004 weitere ärztliche Berichte.

Der Beklagte holte Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes ein, der in der Stellungnahme vom 27.09.2004 darauf verwies, dass der mit Schreiben vom 13.09.2004 beigebrachte Befundbericht die Bezeichnung eines neuen Behinderungsleidens mit einem Einzel-GdB von 30 und die Anhebung des Gesamt-GdB auf 60 rechtfertigt. Dem entsprach der Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2004 und half dem Widerspruch in vollem Umfang ab, indem er die Behinderungen ab Antragsdatum mit einem GdB von 60 feststellte. Der Beklagte sagte die Erstattung der notwendigen Kosten im Vorverfahren zu und bejahte die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten.

Auf die Kostenrechnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.10.2004/10.11.2004 erstattete der Beklagte mit Bescheid vom 15.12.2004 einen Betrag von 301,60 EUR (Geschäftsgebühr gemäß Nr 2500 VV RVG und Pauschale gemäß Nr 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer).

Unter dem 03.01.2005 erteilte der Prozessbevollmächtigte eine weitere Kostenrechnung über eine Erledigungsgebühr gemäß Nr 1005 VV RVG. Der Beklagte lehnte die Erstattung dieser Gebühr ab (Bescheid vom 12.01.2005). Eine Erledigungsgebühr entstehe nur, wenn sich eine Rechtssache durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt habe. Dies setze eine besondere, auf die Beilegung der Rechtssache ohne streitige Entscheidung gerichtete anwaltliche Tätigkeit voraus. Diese liege nicht vor, da das Vorverfahren verfahrensüblich durch den Abhilfebescheid und ohne weitere Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten seinen Abschluss gefunden habe.

Mit Widerspruch vom 01.02.2005 führte der Prozessbevollmächtigte aus, dass hinsichtlich der anwaltlichen Mitwirkung ein Tätigwerden in Richtung auf den später erzielten Erfolg genüge. Worin dieses Tätigwerden bestehe, sei gleichgültig. Aufgrund seiner Tätigkeit sei es zu einer umfassenden Erledigung der Angelegenheit gekommen, da der Kläger sich mit dem Abhilfebescheid zufrieden gegeben und den Widerspruch gegen die ebenfalls angefochtene Bescheinigung vom 15.07.2004 nicht weiter verfolgt habe. Weitere Mitwirkungshandlungen seien darin zu sehen, dass er dem Kläger empfohlen habe, sich nochmals ärztlich untersuchen zu lassen, und die entsprechenden Befundberichte dem Beklagten übersandt habe.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.02.2005). Ein besonderer Beitrag des Prozessbevollmächtigten zur Beilegung der Rechtssache sei nicht erfolgt. Das nachdrückliche Betreiben des Verfahrens, wie der Rat an den Kläger zur Untersuchung, unterfalle der Geschäftsgebühr und nicht der Erledigungsgebühr. Dem Verzicht auf ein weiteres Vorgehen gegen die Bescheinigung vom 15.07.2004 komme keinerlei Bedeutung zu.

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben und vorgebracht, dass allein der Rat eines Anwalts an seinen Mandanten, sich weiter untersuchen zu lassen und die Vorlage dieses Untersuchungsergebnisses für die Mitwirkung und damit für den Anfall der Erledigungsgebühr ausreiche. Die Vorlage des ärztlichen Befundberichtes mit Schreiben vom 13.09.2004 sei sogar ursächlich für die umfängliche Erledigung gewesen.

Mit Urteil vom 02.12.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Auslösung der Erledigungsgebühr setze eine vergleichsweise Erledigung der Rechtssache voraus. Hieran fehle es, da der Beklagte dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen habe. Ein vergleichsweises Entgegenkommen des Klägers sei nicht darin zu sehen, dass der Widerspruch gegen die Bescheinigung vom 15.07.2004 nicht weiter verfolgt worden sei. Eine Korrektur dieser Bescheinigung habe sich aufgrund des zustehenden Schwerbehindertenausweises erübrigt. Ein besonderes Tätigwerden des Prozessbevollmächtigten, das einem Vergleichsabschluss nahe komme, sei nicht erkennbar. Insbesondere reiche hierfür die Einreichung der ärztlichen Befundberichte nicht aus.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Die Erledigungsgebühr setze nicht ein auf eine vergleichsweise Erledigung zielendes Tätigwerden des Rechtsanwalts voraus. Maßgebend sei die anwaltliche Mitwirkung an der Erledigung, die in der Aufforderung zur Besorgung entsprechender ärztlicher Befundberichte und deren Vorlage zu sehen sei. Dieses Vorgehen gehe über die reine Anwaltstätigkeit im Widerspruchsverfahren hinaus, zumal hierdurch der zur vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes verpflichtete Beklagte entlastet worden sei. Das Verwaltungsgericht Ansbach habe im Beschluss vom 15.10.1982 ausdrücklich festgehalten, dass eine Erledigungsgebühr entstehe, wenn der Prozessbevollmächtigte des Betroffenen eine Untersuchung des Betroffenen veranlasse und die Verwaltungsbehörde aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchung den angefochtenen Bescheid teilweise aufhebe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.12.2005 und den Bescheid des Beklagten vom 12.01.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger eine Erledigungsgebühr nach Nr 1005 des Vergütungsverzeichnisses in der Anlage zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in Höhe von 240,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.12.2005 zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung des Rechtsstreits erforderlich (Urteil vom 07.11.2006). Diese könne nicht in der Aufforderung an den Kläger gesehen werden, weitere ärztliche Atteste beizubringen. Diese Tätigkeit werde vielmehr durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im Widerspruchsverfahren abgegolten.

Der Senat hat die Berufung durch Beschluss vom 10.07.2006 zugelassen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 12.01.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2005 ist rechtmäßig, so dass das SG die Klage zutreffend abgewiesen hat.

Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung einer Erledigungsgebühr besteht nicht. Rechtsgrundlage dieses Anspruches ist § 63 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 2 Abs 2 Satz 1 RVG und den Nrn 1005, 1002 VV RVG. Dass dem Kläger die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, hat der Beklagte durch Bescheid vom 06.10.2004 bejaht (§ 63 Abs 1 Satz 1, Abs 2 und 3 SGB X). Die Bemessung der Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit des vom Kläger nach dem 01.07.2004 beauftragten Rechtsanwaltes bestimmt sich nach dem RVG, das zur Höhe der Vergütung auf das VV der Anlage 1 verweist (§ 2 Abs 2 Satz 1 RVG).

Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Voraussetzungen des Tatbestandes der Erledigungsgebühr nach den Nrn 1005, 1002 VV RVG nicht erfüllt. Gemäß Nr 1005 VV RVG entsteht eine solche Gebühr bei Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen. Gemäß Nr 1002 VV RVG, auf den Nr 1005 VV RVG für seinen Anwendungsbereich Bezug nimmt, entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (Satz 1). Das gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt (Satz 2).

Die Rechtssache, das Widerspruchsverfahren, hat sich nicht durch die anwaltliche Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten des Klägers erledigt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist unter der anwaltlichen Mitwirkung im Sinne dieser Gebührenposition eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwaltes zu verstehen (Urteile vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R, B 1 KR 22/06 R, B 1 KR 23/06 R). Unter Hinweis auf den Wortlaut der Nr 1005 VV RVG, ihrem systematischen Zusammenhang mit vergleichbaren Gebührenpositionen, Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte hat das BSG herausgestellt, dass ein auf die Erledigung der Rechtssache gerichtetes Tätigwerden des Rechtsanwaltes erforderlich ist, das über die bloße Einlegung und Begründung des Widerspruches hinausgeht. Die allgemeine Wahrnehmung verfahrensmäßiger bzw. rechtlicher Interessen für den Mandanten genügt nicht. Die anwaltliche Tätigkeit muss vielmehr über das Maß desjenigen hinausgehen, dass schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird.

Bereits nach der Rechtsprechung zu der Vorgängerregelung § 24 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO), die auch für die Auslegung der Nrn 1005, 1002 VV RVG weiterhin maßgeblich ist (BSG aaO), wurde ein besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits verlangt, wobei die Begründung des Rechtsbehelfs oder -mittels nicht ausreichte (BSG SozR 3-1930 § 116 Nrn 4 und 7).

Dies zugrunde gelegt reicht die Widerspruchsbegründung, die Aufforderung an den Kläger, sich ärztlich untersuchen zu lassen und die Vorlage der Befundberichte nicht aus, das Entstehen der Erledigungsgebühr zu begründen. Hierin sind lediglich Verfahrenshandlungen des Prozessbevollmächtigten zu sehen, die der mit der Geschäftsgebühr abgegoltenen anwaltlichen Tätigkeit entsprechen. Die Geschäftsgebühr Nr 2500 VV RVG (ab 01.07.2006: Nr 2400 VV RVG) entsteht für das Betreiben des Geschäfts (vgl amtl. Vorbem. 2.5.II iVm 2.4.III). Hierzu gehören diejenigen anwaltlichen Tätigkeiten, die üblicherweise bei dem hier in Streit stehenden Widerspruchsverfahren - das über die Verpflichtung der Beklagten geführt wird, einen höheren GdB festzustellen - erwartet werden können. Diese Tätigkeiten umfassen insbesondere die nach § 21 Abs 2 SGB X geforderten Mitwirkungshandlungen im Verwaltungsverfahren. Nach dieser Vorschrift, die auch im Widerspruchsverfahren gilt (s § 62 SGB X), obliegt dem Antragsteller eine Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts in der Form, dass er ihm bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben soll. Demnach kann vom Antragsteller bzw. dessen Bevollmächtigten nicht nur die Begründung des Widerspruches sondern auch das Beibringen der anspruchsbegründenden Tatsachen, also die Vorlage von ärztlichen Befundberichten erwartet werden. Der Aufforderung an den Mandanten, ärztliche Befundberichte zu erlangen, kommt in diesem Zusammenhang keine besondere Bedeutung zu, da sie der Vorlage der Berichte notwendig vorausgeht.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten und zum Fahrerlaubnisrecht ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Ansbach vom 15.10.1982 (AnwBl 1984, 54). Der Prozessbevollmächtigte des Betroffenen hatte - ohne Aufforderung der Behörde - ein weiteres Gutachten zur Feststellung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen eingeholt, nachdem bereits zwei Gutachten vorlagen. Ein derartiges Tätigwerden kann als eine über die Begründung des Rechtsmittels hinausgehende Mitwirkung angesehen werden.

Letztlich hat das SG zutreffend ausgeführt, dass eine erledigungsgerichtete Mitwirkung nicht in dem Verzicht auf eine weitere Anfechtung der Bescheinigung vom 15.07.2004 gesehen werden kann. Aufgrund der Abhilfeentscheidung vom 06.10.2004 ist diese Bescheinigung bedeutungslos geworden. Nach § 65 Abs 1 Nr 1 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ist bei einer Behinderung, deren Grad auf mindestens 50 festgestellt ist, der Nachweis der Behinderung nicht durch die Bescheinigung, sondern durch die Vorlage des Schwerbehindertenausweises oder des Bescheides der zuständigen Behörde zu erbringen.

Nach allem ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden und die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision wird zugelassen, da der Frage, ob die anwaltliche Aufforderung an den Mandanten, sich ärztlich untersuchen zu lassen und die Vorlage der beigebrachten Befundberichte ausreicht, eine Erledigungsgebühr im Sinne der Nr 1005 VV RVG auszulösen, grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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