L 12 AL 6511/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 AL 7887/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 6511/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.10.2006 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Arbeitslosengeld im Streit.

Der ledige, 1949 geborene Kläger arbeitete zuletzt vom 01.05.2003 bis 31.05.2005 mit 10 Wochenarbeitsstunden als Praxisassistent und erzielte hierbei ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 950,00 Euro, wobei er aufgrund der Gewährung des doppelten Betrags im November 2004 im Zeitraum vom 01.06.2004 bis zum 31.05.2005 insgesamt ein Bruttoarbeitsentgelt von 12.350,00 Euro erzielte. Der Kläger meldete sich am 31.05.2005 zum 01.06.2005 arbeitslos.

Mit Bescheid vom 19.07.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger ein Arbeitslosengeld ab dem 01.06.2005 in Höhe von 15,74 Euro täglich. Diesen Betrag ermittelte die Beklagte, in dem sie das von dem Kläger im letzten Jahr seiner Tätigkeit erzielte Bruttoentgelt durch 365 Tage dividierte und so ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 31, 84 Euro erzielte; unter Zugrundelegung der Steuerklasse I sowie der Lohnsteuertabelle für 2005 errechnete die Beklagte hieraus ein tägliches Leistungsentgelt in Höhe von 26,23 Euro und darauf folgend den täglichen Zahlbetrag in Höhe von 15,74 Euro (60 % des täglichen Leistungsentgelts).

Seinen deswegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er sein Arbeitsentgelt an lediglich drei Tagen in der Woche erzielt habe und dieses seiner Ansicht nach daher auch nur durch 156 Tage geteilt werden dürfe, zumal er sich dem Arbeitsmarkt für eine Vollzeittätigkeit zur Verfügung stelle. Außerdem bitte er um Überprüfung, ob gem. § 132 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht eine Bewilligung nach einem fiktiven Arbeitsentgelt erfolgen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. § 129 SGB III bestimme, dass das Arbeitslosengeld 60 % des pauschalierten Nettoentgeltes (Leistungsentgelt) betrage (allgemeiner Leistungssatz). Leistungsentgelt sei gem. § 133 Abs. 1 SGB III das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Hiervon seien eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 % des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle sowie der Solidaritätszuschlag ohne die Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen abzuziehen. Die Feststellung der Lohnsteuer richtet sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen gewesen sei, § 133 Abs. 2 Satz 1 SGB III. Vorliegend umfasse der Bemessungszeitraum gem. § 130 SGB III das letzte Jahr der versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers. Bemessungsentgelt sei gem. § 131 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Da das Arbeitsverhältnis im gesamten Jahreszeitraum durchgehend bestanden habe, sei in 365 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 12.350,00 Euro erzielt worden. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches tägliches Bemessungsentgelt von 33,84 Euro. Eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III scheide aus, da im Bemessungszeitraum 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt lägen; es liege auch kein Sonderfall der unbilligen Härte vor, welcher eine andere Bemessung ermöglichen würde. Entsprechend den Eintragungen in der Steuerkarte bestehe daher ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem allgemeinen Leistungssatz (ohne Kind) in Höhe von täglich 15,74 Euro, § 129 SGB III.

Der Kläger hat am 12.12.2005 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Allenfalls habe die Beklagte das Bruttojahresentgelt durch die Anzahl der Arbeitstage von 300 und nicht durch die Anzahl der Kalendertage (365) teilen dürfen (unter Berufung auf Gagel, SGB III, § 131 Rd. Ziff. 14 und Merkblatt 1 der Beklagten, Seite 30). Außerdem sei zu prüfen, ob der Divisor 156 betragen müsse, da der Kläger das beitragspflichtige Entgelt an lediglich drei Arbeitstagen - 156 Tagen im Jahr - erzielt habe. Außerdem halte er daran fest, dass zu überprüfen sei, ob eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III in Betracht komme.

Am 16.10.2006 gab der Kläger telefonisch Erläuterungen zu seiner Klage ab. Danach war er zunächst bei seinem Arbeitgeber nur auf Honorarbasis beschäftigt, wobei keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Erst später sei dann dieses Beschäftigungsverhältnis in ein sozialversicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis umgewandelt worden. Er habe nur in dem festgestellten begrenzten Umfang arbeiten wollen, da er parallel zu seinem Arbeitsverhältnis ein Rentenverfahren betrieben habe.

Mit Urteil vom 23.10.2006 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen, wobei es nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides Bezug nahm und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absah. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermittlung des Anspruches auf Arbeitslosengeld seien nicht ersichtlich. Soweit das Gesetz in § 130 Abs. 2 SGB III bestimmte Beschäftigungszeiten außer Betracht lasse und das Zurückgreifen auf frühere Zeiträume ermögliche, liege keiner der normierten Ausnahmetatbestände vor. Gleichfalls sei keine Erweiterung des maßgeblichen Bemessungsrahmens gem. § 130 Abs. 3 SGB III vorzunehmen. Eine Erweiterung des Ermessungsrahmens nach dieser Vorschrift wegen des Vorliegens von weniger als 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt komme nicht in Betracht, da das Gesetz insoweit von Kalendertagen ausgehe; im Übrigen komme die Vorschrift auch nach dem Vortrag des Klägers nicht zur Anwendung, da der Kläger bereits im nicht erweiterten Bemessungszeitraum 156 vergütete tatsächliche Arbeitstage aufweise, da er gleichbleibend in einem Jahr für eine 3-Tage-Woche Arbeitsentgelt bezogen habe. Daher komme auch eine Erweiterung des Bemessungsrahmens nicht in Betracht, da sich hieraus ebenfalls kein besserer Jahresdurchschnitt ergebe, nachdem der Kläger auch im Jahr zuvor gleich bleibend monatlich 950,00 Euro verdient habe. Auch eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III scheide aus den genannten Gründen aus.

Im Übrigen begegne auch die Berechnung des Bemessungsentgeltes keine Bedenken. Denn auch in der Vorschrift des § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III sei - entgegen des auf den ersten Blick anders lautenden Wortlauts - nach der Gesetzessystematik und dem Sinn der Regelung der Kalendertag gemeint. So bestimme § 134 Satz 1 SGB III, dass Arbeitslosengeld für Kalendertage berechnet und geleistet werde. Dies sei aber nur möglich, wenn das Bemessungsentgelt, aus dem das Arbeitslosengeld zu ermitteln sei, ebenfalls für Kalendertage errechnet werde. Auch könne die Höhe des kalendertäglichen Bemessungsentgelts nicht davon abhängig sein, ob das Arbeitsentgelt an 4, 5 oder wie vorliegend an 3 Tagen die Woche erzielt werde. Es entstünde eine mit Artikel 3 Grundgesetz (GG) nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung, wenn bei identischem Einkommen derjenige, der selbiges an drei Tagen in der Woche erzielt habe, im Leistungsfall dann ein höheres Arbeitslosengeld bekäme als derjenige, der beispielsweise 5 Tage die Woche gearbeitet habe. Die Beklagte habe auch das in dem Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt zutreffen durch 365 Tage - bzw. in einem Schaltjahr durch 366 Tage - geteilt. Zwar sei auch eine andere Auslegung denkbar, da nach § 339 Satz 1 SGB III bei der Berechnung der Leistungen der Monat gleichmäßig mit 30 Tagen anzusetzen sei, was im Ergebnis dazu führe, dass der Anspruchsberechtigte bei einjährigem Bezug im Ergebnis Arbeitslosengeld nur für 360 Tage erhalte. § 134 SGB III mache aber bereits im ersten Satz deutlich, dass zwischen der Berechnung des Arbeitslosengeldes und der Leistung zu unterscheiden sei, wenngleich beides auf der Basis von Kalendertagen zu erfolgen habe. Dem Wortlaut des § 134 Satz 1 SGB III entsprechend sei das Bemessungsentgelt taggenau zu berechnen, wohin gegen für die Leistungserbringung bei Zahlung von vollen Kalendermonaten dieser mit 30 Tagen anzusetzen sei, § 134 Satz 2 SGB III (unter Hinweis auf SG Dresden, Urteil vom 23.08.2005 - S 21 AL 281/05-). Diese Regelung habe § 139 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung ersetzt, wonach Arbeitslosengeld für die Woche berechnet und für Kalendertage geleistet wurde. Die Neuregelung des § 134 Satz 2 SGB III diene im wesentlichen der Verwaltungsvereinfachung, hinter der wiederum die Verwaltungseffizienz und somit die Funktionsfähigkeit der Sozialverwaltung stehe. Es sollten verwaltungsaufwändige monatlich wiederkehrende Berechnungsvorgänge vermieden werden. Die Kammer verkenne nicht, dass dem Kläger hierdurch Leistungsansprüche verloren gingen; wenngleich der Kläger danach nicht das volle Äquivalenz seiner durch Beitragszahlung erworbenen und von der Eigentumsgarantie des Artikel 14 GG umfassende Anspruchserhalte, sei für die Kammer dennoch eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift nicht ersichtlich. Denn der Neuregelung stehe ein sachlicher Rechtfertigungsgrund zur Seite, der aus dem Ziel der Vereinfachung der Berechnung des Arbeitslosengeldes und der damit verbundenen Verminderung des Arbeits- und Kostenaufwandes der Beklagten bestehe. Dem gegenüber hielten sich die Einbußen, die die Leistungsempfänger zu gegenwärtigen hätten, in vergleichsweise engen Grenzen und seien somit durch die mit dem Gesetz verfolgten legitimen Ziele gedeckt. Ansonsten seien Berechtigungsfehler der Beklagten bei der vorliegenden Gewährung von Arbeitslosengeld weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Urteil des SG wurde dem Kläger am 16.11.2006 zugestellt.

Der Kläger hat am 14.12.2006 beim SG Berufung eingelegt, mit der er seine Rechtsansichten weiter vertritt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.10.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2005 zu verurteilen, ihm ab dem 01.06.2005 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts in Höhe von 79,17 Euro zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er die Berufung aus dem Gründen der angefochtenen Entscheidungen als unbegründet zurückweist, §§ 136 Abs. 3 und 153 Abs. 2 SGG. Den Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid und den angefochtenen Urteil des SG ist nicht Wesentliches hinzuzufügen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die in § 434 j Abs. 5 SGB III vorliegende Übergangsregelung für die Berechnung von Arbeitslosengeldansprüchen, die vor dem 01.01.2005 entstanden sind, vorliegend nicht einschlägig ist, weil der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld erst am 01.06.2005 entstanden ist. Die mit der gesetzlichen Neuregelung des § 134 SGB III einhergehende geringfügig verminderte Höhe des Arbeitslosengeldes verletzt nicht Verfassungsrecht (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.04.2006 - L 19 AL 161/05 -). Die ab dem 01.01.2005 geltenden Neuregelungen der Bestimmungen über die Bemessung des Arbeitslosengeldes einschließlich der Übergangsvorschrift des § 434 j Abs. 5 SGB III sind verfassungsgemäß und verstoßen insbesondere nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG - (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 07.09.2006 - L 3 AL 243/05 -).

Dies gilt erst recht - wie vorliegend - in den Fällen, in denen bereits bei der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld die Neuregelung des § 134 Satz 2 SGB III galt, nach welcher für den Monat 30 Kalendertage mit Anspruch auf Arbeitslosengeld anzusetzen sind.

Weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus den Akten ergeben sich andere Anhaltspunkte für eine fehlerhaft zu gering bemessene Leistungshöhe. Die Voraussetzungen für eine fiktive Bemessung liegen nach dem klaren Wortlaut von § 132 Abs. 1 SGB III nicht vor, weil der Kläger bereits in dem nicht verlängerten Bemessungszeitraum einen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Dauer von mehr als 150 Tagen erzielt hat.

Zu Recht hat die Beklagte schließlich auch bei der Bestimmung des Bemessungsentgeltes nach § 131 Abs. 1 SGB III einen Divisor von 365 angewendet und nicht einen Divisor von 360 oder gar 156 Kalendertagen wie vom Kläger gefordert. Diese Vorgehensweise entspricht dem Wortlaut und Zweck der Vorschrift, denn hierdurch wird ermittelt, welches tägliche Durchschnittsentgelt der Kläger im Bemessungszeitraum erzielt hat. Das Arbeitslosengeld dient der einkommensabhängigen Sicherung des Lebensstandards für einen bestimmten Zeitraum nach Eintritt der Arbeitslosigkeit. Insofern ist es beachtlich, welches versicherungspflichtige Einkommen der Kläger in einem bestimmten Zeitraum (Bemessungszeitraum) erwirtschaftet hat; unbeachtlich hingegen ist, ob das Einkommen nur an einer bestimmten Anzahl von Tagen erwirtschaftet hat, denn der Kläger musste von diesem Einkommen an 365 Kalendertagen seine Lebensgrundlage bestreiten, was durch die Höhe des Arbeitslosengeldes berücksichtigt wird.

Die geringfügige Differenz zwischen 365 Kalendertagen bei der Ermittlung des Einkommens und 360 Tagen bei der Berechnung der Leistungshöhe ist hierbei aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität hinzunehmen und von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. die beiden oben zitierten LSG-Entscheidungen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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